Banana Yoshimoto - Lebensgeister/ Sweet Hereafter

  • Klappentext:
    Sayoko und ihr Freund Yôichi haben einen schweren Verkehrsunfall. Er kommt dabei ums Leben, sie wird schwer verletzt. Seit diesem Unfall lebt sie in einer merkwürdigen Zwischenwelt und kümmert sich um Yôichis Kunstwerke in seinem Atelier in Kyoto. Abends geht sie in eine Bar und lernt den Barkeeper Shingaki, der sich zu ihr hingezogen fühlt. Und plötzlich bemerkt sie, dass sie sehen kann, was andere nicht sehen: die Geister von Verstorbenen. Sie macht die Bekanntschaft von Ataru, der ebenfalls mit seiner Trauer beschäftigt ist. Und in der wunderschönen Tempelstadt Kyoto lernt sie allmählich, das Leben so zu akzeptieren, wie es ist: voller Ungewissheiten und Rätsel, dem Tod immer nahe, egal, ob man jung ist oder alt.


    Meine Bewertung:


    Die Sprache der Autorin ist in ihrer Feinheit auch hier wieder ein Vergnügen. Sehr empfindsam und ganz natürlich und selbstverständlich erzählt sie ihre Geschichte um die Geister der Verstorbenen.
    Sayokos Umgang mit der Trauer und der Kontakt mit Yôichis Eltern, aber auch der Barkeeper Shingaki und die Geister, helfen ihr, zurück ins Leben zu kommen. Die Autorin beschreint diesen Prozess feinfühlig und ganz ruhig.
    Ein lesenswerter kleiner (160 Seitem) aber sehr feiner Roman zum Thema Trauer, Abschied und Leben. Ich kann ihn nur weiterempfehlen.

  • Das Buch beginnt direkt mit dem Unfall, bei welchem Sayoko schwerst verletzt wird und ihr Geliebter Yoichi stirbt. Zwei Jahre dauert es, bis ihre körperlichen Verletzungen geheilt sind und sie wieder ein normales Leben führen kann. Eng verbunden mit den Eltern des Verstorbenen führt sie Yoichis Atelier weiter. Der Leser begleitet Sayokos Weg zurück ins Leben, ihre seelische Heilung. Sie zieht aus ihrem Elternhaus aus, findet neue Freunde und erkennt die Schönheit und Besonderheit des Lebens. Niemals hätte ich nach dem Lesen des Klappentextes gedacht, einen so lebensbejahenden Roman vorliegen zu haben. So denkt Sayoko zum Ende hin:


    "Was für ein Luxus, was für ein Geschenk ist es doch, dachte ich nur, dass du eine Zeitlang hier auf Erden sein darfst, in diesem großen unerschöpflichen Leben." (S. 123)


    Dennoch wird ihr Schmerz, ihre Trauer gut beschrieben:


    "Für eine Weile ließ das Leben mit all seinen täglichen Erfordernissen mein Herz in Ruhe und ging, Hand in Hand mit meinem Körper, einfach nur weiter, immer weiter." (S.47)


    Yoshimotos Schreibstil ist feinfühlig und dennoch klar und direkt. Die unglaubliche Leichtigkeit, mit welcher sie Sayokos Geschichte erzählt, hat einen hohen Wiedererkennungswert. Zu der Geschichte fand ich schnell Zugang, sodass ich die 160 Seiten an einem Stück las. Besonders gut gefielen mir auch die zahlreichen Fußnoten, welche Anmerkungen des Übersetzers Thomas Eggenberg beinhalten und das Verständnis für gewisse Orte erleichtern. So findet man am Seitenende Wortübersetzungen wie Daifuku-Mochi (Daifuku = Großes Glück; Mochi = Eine Art Reiskuchen (...)) oder Informationen zu Orten, Gebäuden (Gakeshobo = Ein kleiner sympathischer Buchladen (...)).


    Die Charaktere empfand ich als sehr erfrischend. Angetan war ich vor allem von Sayokos Nachbarn Atarus. Dass Sayoko Geister sehen kann, ist in diesem Buch nicht das Hauptthema. Viel mehr geht es um das eigentliche Leben, aber auch den Umgang mit dem Tod. Das Leben nach dem Tod wird vor allem zu Beginn des Buches thematisiert, in welchem Sayoko nach dem Unfall eine Nahtoderfahrung erlebt und ihrem toten Großvater sowie dem verstorbenen Hund begegnet. Ein weiteres Zitat, dieses Mal von Sayokos verstorbenen Großvater, welches mir sehr gefallen hat, lautet wie folgt:


    "Alles hat seine Zeit, braucht seine Zeit. Daran solltest du immer denken. Wenn du zu weit nach vorne schaust, stolperst du. Verweile lieber im Moment, und geh Schritt für Schritt deinen Weg." (S. 111)


    Fazit: Ein lebensbejahender, einfühlsamer Roman, welcher sich mit dem "Danach" in unterschiedlichen Formen, aber vor allem mit dem "Jetzt" beschäftigt.

  • Auch mir haben die sensiblen Beschreibungen von Sayokos Empfinden nach dem Unfalltod ihres Lebensgefährten sehr gefallen. Die Nebenfiguren sind in den nötigen Details ausgearbeitet, ihre Charaktere und zarten Verflechtungen mit der Hauptfigur gut nachvollziehbar. Yoshimotos Sprache ist einfach und dennoch anspielungs- und bildreich, was das Lesen für mich zu einem großen Vergnügen gemacht hat.


    Das Buch hat gleichzeitig eine hohe Intensität und faszinierende Leichtigkeit. Die Art und Weise, wie positiv Sayoko nach ihrer eigenen Nahtoderfahrung mit Tod, Verlust und der Gleichzeitigkeit von "normaler" und Geisterwelt umgeht, hat mich sofort in den Bann gezogen. Irgendwann wurde es mir jedoch zuviel des Guten - vor oder neben dem Akzeptieren stehen doch üblicherweise auch andere Phasen an (nach Kübler-Ross in aller Kürze: Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression), sodass mir das bei Sayoko irgendwie doch zu schnell und zu glatt ging.


    Ich verstehe nicht viel vom Buddhismus, hatte aber den Eindruck, dass dessen Philosophie des Loslassens bis hin zu einer Gleichgültigkeit der Welt gegenüber in diesem Roman hintergründig eine große Rolle spielt, auch wenn vordergründig in dieser Hinsicht außer den Erwähnungen der Tempel in Kyoto nicht viel geschieht. Die Art, wie Sayoko sich innerlich von allen Bindungen löst, um sich selbst neu zu finden und erst einmal ihre eigene Freiheit von allem zu definieren, funktioniert m.E. nur bei Menschen ohne familiäre "Verpflichtungen": Sayoko ist das erwachsene (Schwieger-)Kind von Eltern und Schwiegereltern, die sich kümmern, ihr zugleich Raum geben; aber es gibt niemanden, um den sie sich zu kümmern verpflichtet ist, der von ihr abhängig wäre. Ich denke da in erster Linie an Kinder. Niemand, der Kinder hat und halbwegs verantwortungsvoll mit ihnen umgeht, kann sich in Phasen der Trauer über lange Zeit so fallen lassen, Bindungen innerlich oder äußerlich einfach lösen, sich so neu erfinden, wie Sayoko das tut - man bleibt den vorhandenen Bindungen verpflichtet, trägt Verantwortung. Sayoko fühlt sich zwar ihren Eltern und Schwiegereltern gegenüber verantwortlich, dies ist aber freiwillig, hat den Hauch des Sporadischen, ist kaum mit festen Pflichten oder Bindungen verknüpft. Sie kann es sich also leisten, sich von allem zu lösen und sich zeitweise völlig im Metaphysischen und der Gleichgültigkeit ihren Mitmenschen gegenüber zu verlieren. Für die meisten Menschen in ähnlicher Situation dürfte das unrealistisch sein.


    Dennoch hat mir der Roman sehr gefallen, neue Welten und Denkweisen eröffnet und ich bin neugierig auf weitere Bücher von Banana Yoshimoto. (Dies war nach "Kitchen" mein zweites, das ich von ihr gelesen habe.)


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Jane Austen - Stolz und Vorurteil (Reread)

    :montag: Sally Coulthard - Am Anfang war das Huhn





  • Den obigen Rezensionen und Bemerkungen schließe ich mich weitestgehend an. Persönlich fand ich das Buch irgendwie ungewohnt positiv, ja optimistisch. Wie oft tauchen Wendungen auf wie "freudig, glücklich etc". Jene Nahtoderfahrung wird letztlich zu einer Quelle eines geheilten Verhältnisses zum Leben selber. Prima!

  • Ich kann mich den Rezensionen auch anschließen.

    Der positive Umgang der jungen Frau mit der Trauer und ihrem Nahtoderlebnis hat mich auch sehr beeindruckt. Die Autorin beschwört das Leben, das Hier und Jetzt in einer fast fröhlichen Form. Die schweren Momente schimmern aber hier und da schon auch durch und manchmal schien die positive Haltung zu bewahren auch ein mühsames Unterfangen. Diese Mischung von positiver Haltung und auch mal Trauer heftig spüren fand ich sehr gelungen. Alles andere hätte ich auch nicht wirklich geglaubt.

    :study: Aufmarsch der Republikfeinde - Gunnar Kunz

    :study: Hund mit Charakter - Sándor Márai