Bodo Kirchhoff - Widerfahrnis

  • Das Leben als spätes Widerfahrnis
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:
    Da treffen sich zwei Menschen, die widerwillig im Alter angekommen scheinen: er, Reither, der seinen Verlag aufgeben musste, weil es immer mehr Schreibende und immer weniger Lesende gibt, und sie, Leonie Palm, die ihr Leben lang Hüte verkauft hat, bis auch das am Mangel an Hutgesichtern scheiterte. Sie haben diesen Wendepunkt im Leben erreicht, wo aus all den vagen Wunschträumen für eine endlos erscheinende Zukunft auf einmal verpasste Chancen werden. Vergangene Enttäuschungen und Verluste, die man längst vergessen glaubt, schmerzen wie alte Narben.


    Gemeinsam fliehen diese beiden Menschen, die keinen Halt mehr finden in ihrem Leben, Richtung Sonne und ihrer Verheißung von Glück. In Sizilien begegnen sie einem Kind, das nicht spricht und gerade dadurch zur Projektionsfläche für etwas wird, das beide Protagonisten vermissen - er, weil er es nie hatte, sie, weil sie es verlor.


    Aber zunächst beginnt ihre Reise im späten Winter einer deutschen Großstadt, und auch das Buch erschien mir erst seltsam unterkühlt. Es wird aus Reithers Sicht erzählt, der nicht umhin kann, seine Erlebnisse aus einer gewissen Distanz zu sehen. So wie er als Lektor früher aus den Büchern alles Weiche und Sentimentale strich, lässt er es auch in seiner persönlichen Geschichte nur ungern zu. Gefiltertes Leben: Erleben und Erzählen gehen immer Hand in Hand - spröde, kalkuliert, und dennoch oder gerade deswegen mit glasklaren Momenten sprachlicher Schönheit.


    Umso erstaunlicher ist, wie plötzlich und ungebremst die Ereignisse auf einmal über ihn hereinbrechen. Leben, Lieben, Hoffen und Scheitern im Zeitraffer. Wider Willen lässt Reither seine Emotionen immer mehr zu, bis aus einem Gedankenspiel mit interessanten Motiven am Schluss doch noch ein Buch wird, das ins Herz trifft.


    In seiner Dankesrede sprach Bodo Kirchhoff unter anderem von der "Gratwanderung zwischen einem Erzählen, das wehtut und einem Erzählen, das guttut". Genau das ist es, was "Widerfahrnis" für mich ausmacht: Hoffnung, die dem Leser erst die Schwermut bewusst macht, und doch unausweichlich wieder in dieser mündet. Hilfsbereitschaft, die sich als egoistischer Selbstbetrug herausstellt. Aber umgekehrt auch Schmerz und Verlust, die einen Weg zu etwas Neuem bahnen.


    Kirchhoff bricht elementare Themen wie Schuld, Verlust oder Liebe herunter auf das Grundlegendste und setzt sie wieder zusammen zu einer Geschichte der leisen Töne, die dennoch eine starke Sogwirkung entfaltet und es dem Leser dadurch schwer macht, das Buch wegzulegen. Auch wenn diese Themen archaisch sind, vielfach in der Literatur aufgegriffen, ist "Widerfahrnis" doch alles andere als abgedroschen.


    Der Autor verzichtet gänzlich auf Pathos oder Kitsch. Sein Schreibstil hat etwas Klares, Schwereloses, und zeichnet sich dennoch durch messerscharfe Prägnanz aus. Das Wort, das mir spontan einfällt, ist "meisterhaft", und dennoch hat das Geschriebene etwas Zurückhaltendes.


    Die Geschichte ist fast schon ein Kammerspiel, denn Reither und Leonie verbringen den größten Teil des Buches in ihrem Auto. Dabei kommt man ihm als Leser schnell näher, während man sie zunächst nur dadurch kennenlernt, wie sie auf Reither reagiert - ein Schattenspiel, sozusagen. Aber gerade das ist spannend zu verfolgen, und am Ende versteckt sich im Ungesagten ihr Motiv für die Reise.


    Die Liebesgeschichte hat etwas bittersüß Anrührendes, gerade weil sie zu gleichen Teilen unmöglich und unaufhaltsam erscheint.


    Fazit:
    Die Geschichte eines "Widerfahrnis": zwei ins Alter gekommene Menschen versuchen sich an einer späten Erfüllung ihrer Träume, begeben sich auf einen spontanen Roadtrip nach Sizilien und durchleben in wenigen Stunden Hoffnung, Liebe, Schmerz, Scheitern, Verlust... Bodo Kirchhoff erzählt das schnörkellos und dennoch poetisch, und je länger man darüber nachdenkt, desto mehr Bedeutungsebenen entdeckt man. Obwohl es ohne Zweifel ein anspruchsvolles Buch ist, ist es dennoch auch ein Buch, das sich leicht und unterhaltsam lesen lässt, und in meinen Augen ist es auch ein Buch, das den Deutschen Buchpreis 2016 redlich verdient hat.

  • Hier haben wir wieder mal den Fall, dass zwei Menschen das gleiche Buch völlig unterschiedlich lesen und empfinden…. ich gebe jetzt meine ersten Eindrücke mal wieder, das wird sicher keine komplette Rezension - denn ich bin mir noch total unschlüssig, wie ich das Buch bewerten und einordnen soll. Aber im Kontrast zu @Mikka Liests Eindrücken möchte meine ersten spontanen Gedanken festhalten.


    In einigem gehe ich mit Mikka konform, so hier:

    einem Kind, das nicht spricht und gerade dadurch zur Projektionsfläche für etwas wird, das beide Protagonisten vermissen - er, weil er es nie hatte, sie, weil sie es verlor.

    das Kind ist sehr geschickt als Projektionsfläche gewählt für beider Emotionen. Dennoch bleibt das Kind für mich ein großes Fragezeichen in der Geschichte, einfach nur ein Mittel zum Zweck. Wenn ich dann aber über die Hintergründe nachdenke, die dieses Kind haben muss bei dieser derart erzählten Geschichte, dann habe ich das Gefühl, dass Kirchhoff hier einfach die Flüchtlingsproblematik ausnutzt für seine Geschichte. Das gefällt mir dabei wieder gar nicht :-?

    Aber umgekehrt auch Schmerz und Verlust, die einen Weg zu etwas Neuem bahnen.

    Den Weg zu Neuem sehe ich überhaupt nicht. Für Leonie gibt es keinen Weg, wenn ich den Schluss des Buches richtig interpretiere, und für Reither sehe ich keinen - und auch keinen für den Leser, jedenfalls nicht für mich. Ich finde es eigentlich nur tragisch und recht hoffnungslos. :-k

    eine starke Sogwirkung entfaltet und es dem Leser dadurch schwer macht, das Buch wegzulegen.

    Bei mir hatte das Buch die komplett gegenteilige Wirkung - ich musste mich zwingen weiterzulesen und das Buch nicht einfach nur genervt zuzuklappen. Aber da ich es mit meinem Lesekreis zusammen lese, habe ich durchgehalten - ich kann ja schlecht bei den anderen mosern, wenn sie die Bücher nicht fertig lesen und dann selbst mittendrin aufhören. Ansonsten wäre es eines der seltenen Bücher geworden, die ich für immer abgebrochen hätte. [-(

    Der Autor verzichtet gänzlich auf Pathos oder Kitsch.

    na, das Ende empfinde ein wenig anders

    - aber vielleicht bin ich in meiner Persönlichkeit auch zu rational angelegt.

    Sein Schreibstil hat etwas Klares, Schwereloses,

    echt? Mir ging die Schnörkelei auf den Geist - wenn ich noch ein wenig mehr "Geranke, Gesumme" und mehr hätte lesen müssen, weiß ich auch nicht, was ich mit dem Buch getan hätte. Sicherlich kann Kirchhoff hervorragend mit Sprache umgehen, das will ich ihm beileibe nicht absprechen, aber man kann es echt übertreiben. :roll: Natürlich ist die deutsche Sprache sehr von Substantiven bestimmt, aber wenn ich dann partout aus allem eines kreieren muss, dann wird mir das zuviel. Ich musste wieder an @findos Ausspruch denken: "was nützt die schönste Sprache, wenn mich die Geschichte nicht gefangen nimmt" - und auch die schönste Sprache kann überkandidelt wirken wenn man es übertreibt.


    Das waren die ersten spontanen Gedanken zu einem Buch, das mir nur eines erneut bewiesen hat: die deutschen Preisträger und ich werden wohl keine Freunde und ich werde in Zukunft ganz klar die Finger von ihren Büchern lassen. Wir kommen einfach nicht auf einen Nenner, was Bücher, Geschichten, Unterhaltung anbelangt. Ich bin richtig gespannt auf weitere Meinungen zu diesem Buch. :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Ich bin richtig gespannt auf weitere Meinungen zu diesem Buch.

    Du glaubst doch nicht in echt, das ich dieses Buch jemals lesen werde [-( Zu einen hatten wir ja schon darüber gesprochen und zum anderen nach deinen Gedanken hier, ist auch mein letzter Zweifel verflogen das Buch überhupt in die Hand zu nehmen.

    Sobald wir lernen, uns selbst zu vertrauen, fangen wir an zu leben. ( Johann Wolfgang Goethe )


    Jede Begegnung , die unsere Seele berührt hinterlässt eine Spur die nie ganz verweht. ( Lore-Lillian Boden )

  • Du glaubst doch nicht in echt, das ich dieses Buch jemals lesen werde [-( Zu einen hatten wir ja schon darüber gesprochen und zum anderen nach deinen Gedanken hier, ist auch mein letzter Zweifel verflogen das Buch überhupt in die Hand zu nehmen.

    Deine Meinung wusste ich ja schon, aber es wird bestimmt andere Leser geben und ich hoffe, dass sie dann auch ein paar ihrer Eindrücke hier aufschreiben :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



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    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Das waren die ersten spontanen Gedanken zu einem Buch, das mir nur eines erneut bewiesen hat: die deutschen Preisträger und ich werden wohl keine Freunde und ich werde in Zukunft ganz klar die Finger von ihren Büchern lassen. Wir kommen einfach nicht auf einen Nenner, was Bücher, Geschichten, Unterhaltung anbelangt. Ich bin richtig gespannt auf weitere Meinungen zu diesem Buch

    Von mir wirst Du auch keine Meinung zu lesen bekommen, denn auch ich habe es nicht mit deutscher Literatur, besonders gilt das für sogenannte "preisgekrönte" Bücher. (Ausnahme: Die Buddenbrooks :love: )


    Mir ging die Schnörkelei auf den Geist - wenn ich noch ein wenig mehr "Geranke, Gesumme" und mehr hätte lesen müssen, weiß ich auch nicht, was ich mit dem Buch getan hätte.

    Selbst wenn ich die Lektüre dieses von Denis Scheck gelobten Werks ins Auge gefasst hätte: Nach dieser Aussage von Dir wäre das Projekt gestorben gewesen. :thumbdown:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Das waren die ersten spontanen Gedanken zu einem Buch, das mir nur eines erneut bewiesen hat: die deutschen Preisträger und ich werden wohl keine Freunde

    Genau diese Erfahrung habe ich mit dieser Art von Bücher nämlich auch schon gemacht und das nicht nur einmal ! Ich hab schon echt gedacht, ich bin wohl nicht intellektuell genug für solche Werke ^^.
    Ich lasse das zukünftig auch und somit werde ich hier ebenfalls keine weitere Meinung beisteuern können :wink:

  • @Squirrel, nur Geduld. 8)
    Vielleicht erinnerst Du Dich: Als wir uns vor ein paar Wochen trafen, warst Du es gerade am lesen, und ich hatte es in der Bücherei vorbestellt. Inzwischen bin ich auf Platz 1 der Vorbestellliste und werde es Anfang des neuen Jahres bekommen.


    Ich habe gerade gesehen: @Conor hat es auch gelesen und ihm 4 Sterne gegeben. Ihre Einschätzung würde mich sehr interessieren.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • @Conor hat es auch gelesen und ihm 4 Sterne gegeben. Ihre Einschätzung würde mich sehr interessieren.

    mich auch - und auf Deine warte ich dann mal gelassen, auch wenn Geduld nicht immer meine Stärke ist :lol:

    viele Grüße vom Squirrel



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  • Ich lese das Buch schon eine Weile, und wie es der Zufall will, habe ich gerade heute Morgen wieder ein paar Seiten geschafft. Ich bin Fan der deutschen Sprache, und ich finde hierin auch einiges, dass bemerkenswert ist. Sprachlich gesehen.


    Allerdings gebe ich zu, dass ich mich mit der Geschichte an sich und ihren Protagonisten etwas schwer tue. Ich bekomme keine richtige Verbindung zu ihnen, außer der einer gewissen Abneigung, vor allem gegen die ständige Raucherei, und ich weiß nicht, ob dies jetzt, wo die beiden endlich in Italien angekommen sind und sich ein wenig mehr Geschehen anbahnt, besser wird...

  • und ich finde hierin auch einiges, dass bemerkenswert ist. Sprachlich gesehen.

    das ist es sicherlich, aber für mich gibt die Summe des Ganzen das Bild - und im Ganzen war es mir zu viel, zu abgehoben, zu aufgedreht und auch zu gekünstelt, um Emotionen oder Handlung zu transportieren

    Ich bekomme keine richtige Verbindung zu ihnen,

    die hatte ich überhaupt nicht, zu keinem der beiden - und ihre Handlungsweisen konnte ich so gut wie nie nachvollziehen 8-[

    viele Grüße vom Squirrel



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    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Deine Meinung wusste ich ja schon, aber es wird bestimmt andere Leser geben und ich hoffe, dass sie dann auch ein paar ihrer Eindrücke hier aufschreiben :wink:

    :loool: Mein Interesse hingegen wurde gerade entfacht.

    Ich :study: gerade:

    [-X 2024: SuB 7.708

    gelesen/gehört insgesamt: 11 davon 6 :study: = 2265 Seiten / 5 :musik: = 53:34 Stunden

    (2023 gelesen: 14 B. / 4.602 S. + gehört: 32 HB. / 327:27 Std.)

  • Ich habe gerade gesehen: @Conor hat es auch gelesen und ihm 4 Sterne gegeben. Ihre Einschätzung würde mich sehr interessieren.

    Undn ich dachte schon, ich komme drumherum - aber du lockst mich ja aus der Reserve. :wink:


    Was die Sternchenbewertung anbelangt, sind es eher wacklige 4 Sterne. Ich war nahe dran, 3,5 Sternchen (oder auch nur 3) zu geben - vielleicht war ich da bei der Bewertung einfach zu gutmütig.
    Es gibt schöne Passagen, sprachlich und inhaltlich. Aber manche Sätze empfand ich als etwas überheblich oder auch als zu "bedeutungsschwer" und gespreizt. Da es ein Leihbuch war, kann ich jetzt leider keine Sätze zitieren.
    Die Geschichte wirkt eher konstruiert (die beiden Protagonisten kennen sich kaum, als sie gemeinsam losfahren) oder auch die Geschichte mit dem Flüchtlingskind ist wohl etwas weit hergeholt - aber als Novelle noch zu akzeptieren.
    Und manches war einfach auch zuviel und hat der Geschichte eher geschadet.

  • das finde ich gut :lol:

    Die leichteste Hürde ist schon mal genommen, es befindet sich auf meinem SuB. :loool:

    Ich :study: gerade:

    [-X 2024: SuB 7.708

    gelesen/gehört insgesamt: 11 davon 6 :study: = 2265 Seiten / 5 :musik: = 53:34 Stunden

    (2023 gelesen: 14 B. / 4.602 S. + gehört: 32 HB. / 327:27 Std.)

  • Ob es von mir auch einen Buchpreis gegeben hätte, weiß ich noch nicht. Dazu braucht es immer ein paar Tage.
    Aber ich fand diese Novelle zumindest schon mal großartig.


    Zuerst dachte ich, dass es hierbei lediglich um eine Liebesgeschichte zweier älterer Menschen geht. Die sich in Ihr Alleinsein verkapselt haben und alles für sich schon abgehakt glauben.
    Mir gefiel diese anfängliche Melancholie der Geschichte sehr, die dann aber, bevor es zu schwermütig wurde, mit ironischen Wendungen aufwartete. Doch auch bei dieser Leichtigkeit blieb es nicht lange, und so wurde, dem Leser und den beiden Protagonisten gleichermaßen, die Wirklichkeit um die Ohren geprügelt und man wurde aus der gerade beginnenden und anrührenden Zweisamkeit wieder herauskatapultiert. Die letzte und für mich dritte Phase des Buches, hat mich dann absolut umgehauen.


    Mich lässt das Buch beeindruckt und mit einem Lächeln zurück. Was einem alles widerfahren kann, wenn man sich einlässt. Wie spannend "Leben" ist. In all seinen Fassetten. Und wie wenig einem widerfahren muss, um die Richtung wieder zu ändern, die man kurz vorher gerade eingeschlagen hat.


    Neben der beeindruckenden Sprachgewalt, steckt in diesem kleinen Buch wirklich alles drin: Hoffnung, Liebe, Verlust, Schmerz, Verzeihen und das alles verpackt in einem Roadtrip.


    Dieses Buch hätte ich sehr gerne in einer Leserunde gelesen. Ich befürchte, dass mir so einiges an Bedeutung entgangen ist.

    Ich :study: gerade:

    [-X 2024: SuB 7.708

    gelesen/gehört insgesamt: 11 davon 6 :study: = 2265 Seiten / 5 :musik: = 53:34 Stunden

    (2023 gelesen: 14 B. / 4.602 S. + gehört: 32 HB. / 327:27 Std.)

  • Wie in einem anderen Thread schon gesagt, stand ich kurz vor dem Abbrechen. Die ersten Kapitel, das Kennenlernen von Reither und Leonie, dieser merkwürdige, kaum nachzuvollziehende Entschluss, zusammen weg zu fahren, Kirchhoffs geschraubte Sprache (ich kann es nicht leiden, wenn ich ständig Sätze drei-, viermal lesen muss, um sie zu kapieren) - dass gefiel mir absolut nicht.


    Dann passierte etwas Unvorhergesehenes: Witterungsbedingt sagten einige Schüler ab. Kein Problem, ich habe doch immer ein Buch bei mir. Doch statt meines Zweitbuches, das ich eigentlich mitnehmen wollte, fand ich nur "Widerfahrnis" in meiner Tasche. In der Hektik zuhause (Auto frei schaufeln, kratzen, Spritzwasser nachfüllen) hatte ich wohl nach dem falschen Buch gegriffen. Weil aber der Teufel in der Not auch Fliegen frisst, las ich, ärgerlich über mich selbst, halt in diesem Buch weiter.
    Und irgendwann nach einer halben Stunde ging irgendwo in meinem Kopf eine Tür auf. Plötzlich verstand ich Kirchhoffs Sprache, und die Protagonisten kamen näher. Ich bin immer noch nicht begeistert von dem Buch, aber ich hätte gern weiter gelesen, als schließlich doch noch Schüler kamen.


    Na sowas. Es gibt tatsächlich nichts, was einem mit Büchern nicht passieren kann. :shock::scratch:O:-)

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • aber ich hätte gern weiter gelesen, als schließlich doch noch Schüler kamen.

    wie lästig :loool: dann warte ich mal weiterhin gespannt auf Deinen Gesamteindruck :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

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  • dieser merkwürdige, kaum nachzuvollziehende Entschluss, zusammen weg zu fahren

    Gerade weil man sich so wundert über den spontanen Aufbruch der beiden, fand ich den Auftakt sehr gelungen. Wer ist schon so abenteuerlustig und setzt sich zu später Stunde ohne Gepäck und mit einer ihm bis dato unbekannten Person ins Auto und fährt einfach los? Ich fand das erfrischend und war gespannt, wie es mit den beiden weiter gehen würde. Einzig den Zwischenfall mit dem Mädchen fand ich befremdlich, und natürlich drängt sich der Gedanke auf, dass Kirchhoff die Flüchtlingsproblematik unbedingt unterbringen wollte. Projektionsfläche hin oder her, für mich wirkte das irgendwie unausgegoren. Großartig fand ich die Sprache, was bei Kirchhoff nicht anders zu erwarten war, und die Auflösung der Geschichte. Ganz so merkwürdig findet man das unkonventionelle und unüberlegte Zustandekommen dieser Reise am Ende dann gar nicht mehr. Ich mag es, wenn sich am Schluss Fragen klären und lose Fäden zusammenfügen und habe das Buch mit wachsender Sympathie für beide Protagonisten sehr gern gelesen. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :montag: Judith Hermann - Daheim


    "Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam."
    (Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen)