Margaret Atwood - Hexensaat / Hag-Seed

  • Eigentlich hätte ich dieses Buch auch direkt zu den "Klassikern" setzen können, denn dort sollte es meiner unmaßgeblichen Meinung nach so bald wie möglich landen.


    Die Welt feiert – oder begeht – William Shakespeares 400. Todestag dieses Jahr und so hat Hogarth sich entschlossen, eine Reihe von Dramen des großen Barden durch sehr etablierte Schriftstellerin-nen und Schriftsteller neu bearbeiten zu lassen – in der Regel in Prosa-Form. Eine der Autorinnen, die dafür unter anderem angesprochen worden ist, ist die Kanadierin Margaret Atwood, die einige Menschen für eine der intelligentesten Personen der Welt halten – so sehr, dass viele Reporter Angst davor haben, sie zu interviewen, da sie dafür bekannt ist, unvorbereitete Interviewpartner mental zu zerlegen. Da erscheint es mehr als natürlich, dass sie sich dem Shakespeare-Stück widmet, dass die meisten für das Schwierigste und undurchdringlichste halten – The Tempest/Der Sturm.


    Klappentext (meine Übersetzung):


    'Es ist ein Gewitter
    darin. Und Rache.
    Auf jeden Fall Rache."


    Felix ist auf dem Höhepunkt seines Schaffens als künstlerischer Leiter des Makeshiweg Theater Festivals. Seien Produktionen haben erstaunt und verwirrt. Nun führt er einen "Sturm" auf, wie keinen zuvor: nicht nur wird er seine Reputation in die Höhe schießen lassen, sondern ihm auch dabei helfen, einige emotionale Wunden zu heilen.


    Oder zumindest ist das der Plan gewesen. Stattdessen lebt Felix nun, nach einem Akt des unvorhergesehenen Betrugs, im Exil in einer hinterwälderischen Hütte, verfolgt von Erinnerungen an seine geliebte, verlorene Tochter Miranda. Und auch von dem Wunsch nach Rache.


    Nach zwölf Jahren bekommt er endlich seine Chance in Form eines Theaterkurses in einem nahegelegenen Gefängnis. Hier werden Felix und seine Häftlingsschauspieler seinen "Sturm" auf die Bühne bringen und die Verräter einfangen, die ihn zerstört haben. Es ist Magie! Aber wird es Felix aus dem Dreck heben, während seine Widersacher stürzen?


    Margaret Atwoods Interpretation dieses Schauspiels Shakespeare über Verzauberung, Rache und zweite Chancen führt uns auf eine interaktive, illusionsdurchwirkte Reise voller ganz eigener Überraschungen und Wunder.


    Zur Autorin (meine Übersetzung):


    Margaret Atwood ist die Autorin von mehr als 40 Büchern in den Bereichen der Fiktion, der Dichtung und des kritischen Denkens, einschließlich Die Geschichte der Dienerin, den Bookergewinner The Blind Assassin, der MaddAddam-Trilogie und ihres letzten Romans The Heart Goes last. Ihr Werk hat weltweit viele Preise gewonnen. Sie hat als Cartoonistin, Illustratorin, Librettistin, Theaterautorin und Puppenspielerin gearbeitet.


    Ihre erste Begegnung mit Shakespeare fand in den 1950ern an ihrer High School in Toronto statt und sie hat ihn beständig als einen der wichtigsten Einflüsse auf ihr eigenes Werk bezeichnet. "'Der Sturm' ist, in einer Art, ein multimediales Musical. Wenn Shakespeare heute arbeiten würde, würde er wohl jeden Spezialeffekt verwenden, der zur Verfügung steht. Aber 'Der Sturm' ist auch besonders interessant, weil er so viele Fragen offen lässt. Was für ein aufreibendes Vergnügen es doch gewesen ist, mit ihm zu kämpfen."


    Eigene Beurteilung:


    Ähm, ja. Und auch, es zu lesen. Wenn nicht bald jemand Frau Atwood den Literaturnobelpreis gibt, dann kann ich diese Institution wirklich nicht mehr ernstnehmen. Aber zurück zum Buch:


    Zum Inhalt möchte ich hier gar nicht mehr soviel sage, denn der Klappentext macht das eigentlich schon sehr gut. Darum hier nnur noch meine allgemeinen Betrachtungen:


    Anschließend an das, was der Klappentext beschreibt kann man sehr detailliert und genau beobachten, wie man eine Gruppe von Laiendarstellern mit höchst eigenen Befindlichkeiten auf die Aufführung eines großen Bühnenstücks vorbereiten kann und auch, wie sehr diese Arbeit, die Felix wie einen Literaturkurs in der Schule aufzieht, diese Menschen, deren Leben oft schon ziemlich dramatisch gewesen sind, verändern kann. Und in diesem Prozess entsteht zwischen dem Regisseur und seinen Obsessionen und den Interessen und Vorlieben seiner Schauspieler eine ganz eigene Interpretation von „Der Sturm“, der alle Beteiligten und auch die Zuschauerschaft nachhaltig beeinflussen wird.


    Die Geschichte, die nach einem Schimpfnamen für Caliban benannt ist, setzt Felix in mehr als einer Hinsicht in die Rolle des Prospero, des Magiers, der mit seiner Tochter Miranda auf einer zauberhaften Insel im Exil lebt und der auf Rache an seinen Peinigern sinnt, die ihn in dieses Exil gebracht haben. Nach gewohnt intensiver Recherche aller relevanter Aspekte durch die Autorin sieht man hier nicht nur, wie überhaupt eine Theaterproduktion abläuft, sondern auch, wie dies im Sinne der Fortbildung und Alphabetisierung von Straftätern im Rahmen des kanadischen Strafvollzugs geschieht – und wie „Der Sturm“ interpretiert werden kann. Ein sehr liebevolle und sehr dichte Bearbeitung dieses Stoffs und der Begleitaspekte, die durch eine Zusammenfassung des eigentlichen Stücks abgeschlossen wird. Einmal mehr hat Margaret Atwood bewiesen, dass es höchste Zeit ist, ihr den Literaturnobelpreis zu verleihen. Extrem lesenswert – auch für Leute, die bis dahin noch gar kein Shakespeare genossen haben. :thumleft:
    :thumleft::study::thumleft::cheers::cheers:

  • Danke für deine schöne Rezension @K.-G. Beck-Ewe! Hoffentlich muss man auf die deutsche Übersetzung nicht zu lange warten.


    Wenn nicht bald jemand Frau Atwood den Literaturnobelpreis gibt, dann kann ich diese Institution wirklich nicht mehr ernstnehmen.

    Ich wäre ja dafür, aber wer frägt schon uns :wink:

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Klappentext:
    Felix ist ein begnadeter Theatermacher und in der Szene ein Star. Seine Inszenierungen sind herausfordernd, aufregend, legendär. Nun will er Shakespeares „Der Sturm“ auf die Bühne bringen. Das soll ihn noch berühmter machen – und ihm helfen, eine private Tragödie zu vergessen. Doch nach einer eiskalten Intrige seiner engsten Mitarbeiter zieht sich Felix zurück, verliert sich in Erinnerungen und sinnt auf Rache. Die Gelegenheit kommt zwölf Jahre später, als ein Zufall die Verräter in seine Nähe bringt.
    In ihrem brillanten Roman schafft die große kanadische Autorin Margaret Atwood mit der Figur des Theaterdirektors Felix ein würdiges Pendant zu Shakespeares Prospero aus „Der Sturm“, jenes Zauberers, der als ein Selbstporträt des alternden Barden aus Stratford-on-Avon gilt.
    (von der Knaus-Verlagsseite kopiert)


    Zur Autorin:
    Margaret Atwood, geboren 1939, veröffentlichte bisher über 40 Bücher, darunter „Der Report der Magd“, das Kultbuch einer ganzen Generation. Daneben hat die mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnete Autorin auch als Cartoonistin, Illustratorin, Librettistin, Dramatikerin und Puppenspielerin gearbeitet. Ihr Werk ist inspiriert von Märchen, Mythen, Umwelt- und Zukunftsfragen. (von der Knaus-Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: Hag-Seed
    Erstmals erschienen 2016 bei Hogarth (Random House Group), London
    Aus dem kanadischen Englisch übersetzt von Brigitte Heinrich
    Prolog, fünf Teile mit je sieben bis neun Unterkapiteln, Epilog, Inhaltsangabe von „Der Sturm“, Dank, Inhaltsverzeichnis
    Insgesamt 315 Seiten


    Persönliche Meinung:
    Felix, dem sein Beruf als Theaterregisseur nach dem Tod seiner Frau und seiner Tochter Miranda Mittelpunkt seines Lebens ist, wird bei seiner Arbeit an „Der Sturm“ für ein Theaterfestival ausgebootet. Er verkriecht sich in einem verlassenen Haus auf dem Lande, beobachtet die erfolgreiche Karriere seiner Widersacher aus der Ferne und sinnt auf Rache, die zu seinem einzigen Lebensziel wird. Seine Stunde scheint näher zu rücken, als er in ein Projekt mit Strafgefangenen einsteigt, um ihnen Sprachunterricht zu geben und Stücke nach Wunsch einzuüben. Nach ein paar Jahren Vorlaufzeit und gelungenen Aufführungen wagt er sich an „Der Sturm“.


    „Der Sturm“ gehört zu Shakespeares weniger bekannten und gespielten Dramen. Atwood bedient sich der literarischen Vorlage auf dreifache Art: Der Protagonist Felix probt das Stück mit seiner Gefängnis-Theatergruppe, Motive und Charaktere finden sich in der Roman-Handlung, und der Geist des Schauspiels liegt wie ein Raster über dem Geschehen und Felix’ Leben; schon sein Name ist ein Synonym für Prospero (felix - lat. glücklich, prosper – lat. wohlhabend, erfolgreich).
    Shakespeares Protagonist lebt mit seiner Tochter Miranda allein auf einer Insel, und auch Felix wird begleitet von seiner Tochter Miranda. Auch wenn sie schon seit Jahren tot ist, fühlt er ihre Gegenwart, spricht mit ihr, „sieht“ sie. Es gelingt Atwood, die Gegenwart der Toten nicht als eine Art Geistererscheinung darzustellen, sondern als Felix’ Überlebensentwurf, den die Leser mit vollziehen können. Ihm ist klar, dass sie nicht mehr lebt, doch er braucht die Vorstellung, dass sie bei ihm ist, um sich in seinem Scheitern und seiner Einsamkeit nicht aufzugeben.


    Die Vorbereitung der Rache gehört zu den spannendsten Passagen, denn man kann sich nicht vorstellen, was er ausheckt, um seine Gegner nach so langer Zeit zu bezwingen und wie er dies mit Hilfe eines Trupps hartgesottener Gefängnisinsassen bewerkstelligen kann. Sein Konzept, den Männern die Dramen und ihre einzelnen Rollen nahe zu bringen, könnte Pädagogen, die mit einer lustlosen Schülerschar kämpfen, vor Neid erbleichen lassen.


    Nach den ersten Problemchen und Querelen mit der Gruppe läuft alles glatt, zu glatt. Besonders erwähnenswert: Weil „Der Sturm“ mit einem offenen Ende abschließt, lässt Felix seine Schauspieler nach der Premiere die Handlung interpretieren und weiter spinnen. Man glaubt sich in ein Literatur-Seminar an der Universität versetzt, nicht nur inhaltlich, sondern auch durch die Sprache, in der die Gefangenen ihre Phantasien erzählen. – Hier wie auch in anderen Abschnitten darf man nicht nach der Realität fragen, aber das kann man bei Shakespeare bekanntlich auch nicht.


    Die Rache eines zutiefst gekränkten und unglücklichen Mannes, der Tod eines Kindes, verurteilte Straftäter – das klingt nach ernstem, tragischem Buch. Das Gegenteil ist der Fall. Dank Atwoods Humor, ihrem spöttischen Blick auf Klüngeleien in der oberen Etagen der Politik und dem Schuss Selbstironie, mit dem sie Felix und andere Figuren ausstattet.


    Sie ist einfach eine gute Autorin und ihre Bücher machen Spaß, „Hexensaat“ ganz besonders.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Die Vorbereitung der Rache gehört zu den spannendsten Passagen, denn man kann sich nicht vorstellen, was er ausheckt, um seine Gegner nach so langer Zeit zu bezwingen und wie er dies mit Hilfe eines Trupps hartgesottener Gefängnisinsassen bewerkstelligen kann. Sein Konzept, den Männern die Dramen und ihre einzelnen Rollen nahe zu bringen, könnte Pädagogen, die mit einer lustlosen Schülerschar kämpfen, vor Neid erbleichen lassen.

    Mich hat unwahrscheinlich fasziniert mit welcher Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit er dieses Ziel der Rache verfolgt. Über diesen immens langen Zeitraum von 12 Jahren muss man erstmal den Rachegedanken am Leben erhalten können.
    Aber zielstrebig und beharrlich zu sein, sind ja auch hervorstechende Eigenschaften von ihm.
    Ich war erstaunt wie leicht und fast fluffig dieses Buch geschrieben war, ich hatte mich da auf etwas Schwereres eingestellt. Das war mein erstes Buch von Frau Atwood und ich werde demnächst "Alias Grace" von seinem jahrelangen SuB-Dasein befreien.


    Ich fand das Buch insgesamt gesehen echt grossartig :thumleft: Es hat mich super unterhalten und was ich jetzt schreibe ist sicherlich meckern auf hohem Niveau.


    Diese Sache mit den Gefängnisinsassen ist eine schöne Theorie und wohl auch eher eine Wunschvorstellung. in diesem Sinne auch Mittel zum Zweck.
    Ich persönlich wage aber zu bezweifeln dass das in der Praxis so wie im Buch umsetzbar wäre. Ob sich Gefängnisinsassen die laut Beschreibung das Lese- und Schreibniveau eines Drittklässlers besitzen sich mit solcher Begeisterung an Shakespeares Theaterstücken versuchen würden ? Gerade Shakespeare ist ja nun nicht gerade leichte Kost. Ich kann mir das irgendwie nicht vorstellen. :-k


    Mich hat das Ende etwas enttäuscht. Ich schreibe es mal vorsichtshalber in einen Spoiler.


    Aufgrund dieser zwei Kritikpunkte habe ich einen halben Stern abgezogen.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: für dieses wirklich empfehlens- und lesenswerte Buch.

  • Zitat von Jessy1963

    Diese Sache mit den Gefängnisinsassen ist eine schöne Theorie und wohl auch eher eine Wunschvorstellung. in diesem Sinne auch Mittel zum Zweck.
    Ich persönlich wage aber zu bezweifeln dass das in der Praxis so wie im Buch umsetzbar wäre. Ob sich Gefängnisinsassen die laut Beschreibung das Lese- und Schreibniveau eines Drittklässlers besitzen sich mit solcher Begeisterung an Shakespeares Theaterstücken versuchen würden

    Jein lautet meine Antwort. Schau mal nach dem Film "Cäsar muss sterben". In dieser Doku geht es genau darum: Gefängnisinsassen einer römischen JVA spielten "Julius Cäsar" von Shakespeare.
    Etwas ähnliches gab es auch schon in der Schweiz mit - wie sollte es anders sein - "Wilhelm Tell".
    Die Idee, Menschen, die an den Anforderungen unserer Gesellschaft gescheitert sind, sehr wohl Anforderungen eines klassischen Stücks zuzutrauen, ist in den letzten Jahren sehr präsent. In fiktiven Geschichten und Filmen (siehe auch "Ein Geschenk der Götter") und im realen Leben. In unserer Stadt ging erst neulich auch ein solches Projekt mit Langzeitarbeitslosen über die Bühne.


    Weshalb aber mein "jein"? Ich bin jetzt bei der Hälfte des Buches und finde die methodisch - didaktischen Einfälle genial. Allerdings sind die Insassen bisher tatsächlich sehr geschmeidig. Die Arbeit mit ihnen läuft erstaunlich glatt. Ich interpretiere das jetzt so, dass die Gefängnisgeschichte nicht das zentrale Thema ist, an dem man sich abarbeiten soll bzw. dass diese Art der Erzählweise eher dem Geist Shakespeares und dem "Sturm" entspricht?
    Ich bin ja absoluter Laie, was Shakespeare anbelangt.
    Vielleicht können @Marie oder @K.-G. Beck-Ewe etwas zu ihrem diesbezüglichen Eindruck sagen oder jemand anderes, der das Buch schon gelesen hat?

  • Da "Mr. Bill" einer meiner LIeblingsfilme ist und ich eigentlich jedes Jahr einer neuen Gruppe von Jungmenschen Shakespeare näher zu bringen habe, würde ich die Möglichkeit, so mit Insassen zu arbeiten nicht von der Hand weisen. Es gibt dafür weltweit überaus gute Beispiel - insbesondere in Gefängnissystemen, die mehr eine militärische Organisation der Gefangenen anstreben.


    Davon ab ist Zeit etwas, das man im Gefängnis zu Genüge hat. Manche machen dann ihre Schulabschlüsse nach, andere lernen so erst die Literatur für sich kennen usw.


    Gute Gefängnisleitungen kennen ihre Pappenheimer in der Regel sehr gut, und es gibt ja unter den Freiwilligen, die hier antreten eine strikte Vorauswahl - und auch sehr klare Regeln für den Verlauf. Wenn die Leute Spaß daran haben, dann ist da Vieles möglich - wie auch etwa in Literaturkurs-Aufführungen in Schulen, wo sogar in so genannten sozialen Brennpunkten die Kids die Stücke zum Teil selbst schreiben und Regie führen. (Wie etwa letzte Woche an meiner Schule mit ihrer Rhineside-Story Meine Schule ist übrigens ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich durch gezielten EInsatz eine Menge verbessern kann.).


    Häftlinge sind nicht per se dumm - und gerade in den USA ist es manchmal wesentlich einfacher ins Gefängnis zu kommen, als man sich das hier vorstellen kann. Frau Atwood hat selbst geschrieben, dass sie den Gefängnishintergrund ausgiebig recherchiert hat - insofern halte ich das Gezeigte für vernünftig.

  • Jein lautet meine Antwort. Schau mal nach dem Film "Cäsar muss sterben". In dieser Doku geht es genau darum: Gefängnisinsassen einer römischen JVA spielten "Julius Cäsar" von Shakespeare.
    Etwas ähnliches gab es auch schon in der Schweiz mit - wie sollte es anders sein - "Wilhelm Tell".
    Die Idee, Menschen, die an den Anforderungen unserer Gesellschaft gescheitert sind, sehr wohl Anforderungen eines klassischen Stücks zuzutrauen, ist in den letzten Jahren sehr präsent. In fiktiven Geschichten und Filmen (siehe auch "Ein Geschenk der Götter") und im realen Leben. In unserer Stadt ging erst neulich auch ein solches Projekt mit Langzeitarbeitslosen über die Bühne.

    Dankeschön für Deine infos. Ich kenne mich in dieser Materie relativ wenig aus. Kenne nur aus dem Second Life Leute die real auch schon mal "einsassen" und da sah die Realität anders aus
    Ich habe auch Berichte aus Gefängnissen in den USA gesehen wo Menschen zum Teil wie Tiere gehalten werden und sich auch so benehmen.


    Da "Mr. Bill" einer meiner LIeblingsfilme ist und ich eigentlich jedes Jahr einer neuen Gruppe von Jungmenschen Shakespeare näher zu bringen habe, würde ich die Möglichkeit, so mit Insassen zu arbeiten nicht von der Hand weisen.

    Ich kenne diesen Film nicht und habe auch nichts von der Hand gewiesen. Mir kam nur das Ganze in der Praxis aufgrund der vorher geschilderten Dinge welche ich gehört und gesehen habe, in der Umsetzung eher schwierig vor.
    Wenn dem nicht so ist, umso besser. Real gemachte Erfahrungen sind da natürlich aussagefähiger. Arbeitest Du als Lehrer in einem Gefängnis ?


    Weshalb aber mein "jein"? Ich bin jetzt bei der Hälfte des Buches und finde die methodisch - didaktischen Einfälle genial. Allerdings sind die Insassen bisher tatsächlich sehr geschmeidig. Die Arbeit mit ihnen läuft erstaunlich glatt. Ich interpretiere das jetzt so, dass die Gefängnisgeschichte nicht das zentrale Thema ist, an dem man sich abarbeiten soll

    Nein, ist es auch nicht. Die Rache ist der Hauptfaden. Alles andere ist, wie oben bereits erwähnt, eher Mittel zum Zweck.

  • @K.-G. Beck-Ewe: Das klingt in der Tat überzeugend. Ich wunderte mich, dass Gewalt in dem Roman bisher kein Thema war, aber mit der von Dir genannten Vorauswahl durch die Gefängnisleitung kann man wohl einiges steuern. Auch sind unter den begangenen Delikten im Roman nur sehr wenige Körperverletzungen. Die Mehrzahl waren Betrugsfälle.


    Tolle Sache, das Projekt an Deiner Schule! Du hattest ja auch eine Rolle! 8)
    Es steht und fällt vieles mit der Lehrkraft oder Bezugsperson, ob bei Felix im Buch oder bei Dir als Pädagoge.

  • Da "Mr. Bill" einer meiner LIeblingsfilme ist

    :love: ich liebe diesen Film :applause: inwieweit er der Realität entspricht, kann ich nicht beurteilen - aber es wäre schön, wenn es hin und wieder irgendwo einen Mr. Bill gäbe und er ein paar wenigen Menschen helfen könnte. :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Diese Sache mit den Gefängnisinsassen ist eine schöne Theorie und wohl auch eher eine Wunschvorstellung. in diesem Sinne auch Mittel zum Zweck.

    Ich gebe zu, mich hat diese Szenerie auch zunächst stutzig gemacht, und ich hielt sie für unglaubhaft. Aber Atwood hat ja über ihre Recherchen geschrieben, und ich glaube ihr.


    Dann habe ich mich mit einem ehemaligen Kollegen meines Mannes unterhalten, der inzwischen als Gefängnisseelsorger und -pädagoge arbeitet, ihm die Handlung genau geschildert und gefragt, wie realistisch das Ganze sei. Er verwies auf Projekte, die ähnlich aufgebaut sind, inzwischen aber mehr und mehr aus finanziellen Gründen zurückgefahren werden. Er meinte, das Entscheidende sei die Vorauswahl, die von der Gefängnisleitung getroffen würde.
    Natürlich sei der Komplex literarisch und buchfreundlich aufgearbeitet, aber nichts anderes verlangt man schließlich von einem guten Autor.
    Ob es allerdings ohne Keilerei bei der Rollenvergabe des Caliban abgehen würde, bezweifelt der Freund.


    Beim Schluss widerspreche ich Dir, @Jessy1963; ich finde es sogar großartig, wie Atwood Felix' zweites Problem gelöst hat:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Beim Schluss widerspreche ich Dir, @Jessy1963; ich finde es sogar großartig, wie Atwood Felix' zweites Problem gelöst hat:

    Das zweite Problem habe ich auch nicht bemängelt. Ich schrieb ja auch in meinem Spoiler, das Ende ist durchaus befriedigend. Trotzdem hatte ich eben noch mehr erwartet.
    Das ist halt mein rein persönliches Empfinden, das auch nicht jeder unbedingt teilen muss :)

  • Das muss auch bitte durchaus nicht jeder teilen

    Mir gefällt es, dass man auch dann noch über Kleinigkeiten in Büchern diskutieren und sie aus je einem anderen Standpunkt betrachten kann, wenn man sich über Bewertung und Lesevergnügen einig ist. :thumleft:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Mir gefällt es, dass man auch dann noch über Kleinigkeiten in Büchern diskutieren und sie aus je einem anderen Standpunkt betrachten kann, wenn man sich über Bewertung und Lesevergnügen einig ist. :thumleft:

    Ja, sicherlich. Ich hab dann aber immer den Eindruck, ich muss mich irgendwie rechtfertigen wenn mein Eindruck oder Teile davon (mal wieder) nicht dem allgemeinen Eindruck der meisten Leser entsprechen. Vielleicht empfinde ich Bücher auch einfach anders als die Masse, ich weiss es nicht. Da bin ich in einem Rezifred schon mal richtig blöd angegangen worden und hatte mir eigentlich damals schon vorgenommen, generell nichts mehr gross zu persönlichen Eindrücken zu schreiben. Sternebewertung des Buches abgeben und gut ist. Macht ja der Grossteil der Leute hier eh auch so. Nein, Du nicht, ich weiss :friends:

  • Arbeitest Du als Lehrer in einem Gefängnis ?

    Nein, wie man sehen kann, wenn man dem Link in meinem Beitrag folgt ;D (Auch wenn die Schüler das manchmal anders sehen). Aber Projekte dieser Art kann man ziemlich umfänglich sehen, wenn man mal entsprechende Suchanfragen bei Youtube eingibt. Außerdem hatte ich in der Ausbildung mit Gefängnislehrern zu tun.

  • Nein, wie man sehen kann, wenn man dem Link in meinem Beitrag folgt ;D (Auch wenn die Schüler das manchmal anders sehen).

    :loool::loool::loool:
    Den Link hab ich wohl gestern übersehen. Zumindest hörte sich das in Deinem Posting für mich so an als wenn Du selbst etliche Erfahrungen gemacht hättest in der Arbeit mit Gefangenen. Das hatte ich dann wohl missverstanden, sorry.