Ein Protagonist mit Down-Syndrom

  • In meinem Roman „Spanische Dörfer – Wege zur Freiheit“ gibt es drei Haupt-Protagonist*innen. Einer davon ist Leon, ein junger Mann mit Down-Syndrom. Es scheint mir wichtig zu sein, dass auch in ganz gewöhnlichen Romanen und Geschichten Menschen mit allerlei Individualitäten die Handlung bestimmen, auch wenn ihre Eigenheiten nicht speziell problematisiert werden. Die Welt wird von allerlei sehr unterschiedlichen Menschen bewegt und diese sollten auch in der Literatur sichtbar sein.



    "Leons Sprache entspricht vom Satzbau und der Wortwahl nicht der eines Menschen mit Down-Syndrom."



    So war die erste Reaktion einer Fachfrau. Ich habe lange überlegt, wie ich damit umgehen soll.
    Ich beließ letztendlich Leons Sprache, wie ich sie von Anfang an geschrieben hatte. Dies aus zwei Gründen: Ich glaube – auch wenn oder vielleicht gerade weil ich nicht vom Fach bin – nicht, dass man von „den Menschen mit Down-Syndrom“ sprechen kann. Auch unter ihnen gibt es unendlich große Unterschiede wie zwischen allen Menschen, in jeder Beziehung.



    Leon hatte sich gänzlich unerwartet in die Geschichte eingeschlichen und so war ich gezwungen oder vielleicht auch eingeladen, mich mit dem mir bis dahin fernen Thema Down-Syndrom zu befassen. Ich las Bücher über Menschen mit Down-Syndrom, aber auch Bücher von Menschen mit Down-Syndrom. Sehr beeindruckt haben mich die Autobiografie von Stefan Urbanski, Am liebsten bin ich Hamlet (erschienen….), Die Welt des Nigel Hunt, Tagebuch eines Jungen mit Down-Syndrom, erschienen zuerst 1966 bei Darwen Finlayson Ltd., England, zu einer Zeit als viele Menschen mit Down-Syndrom noch nicht einmal Lesen und Schreiben lernen durften und „Herausforderung Lernen“ von Pablo Pineda, Leons Vorbild. (Auf Deutsch erschienen 2014 im G & S Verlag GmbH) Nigel Hunt und Pablo Pineda haben ihre Texte selbst formuliert und sie unterscheiden sich nicht von Texten von Menschen ohne Down-Syndrom. Sebastian Urbanskis Buch wurde von ihm erzählt, aber von anderen aufgeschrieben. Wie er selbst formuliert, kann ich nicht sagen, aber ich bemerkte an mir selbst, dass er mir durch die nicht „besondere“ Sprache näher kam, als es sonst der Fall gewesen wäre.



    Und das ist der zweite Grund, Leons Sprache zu belassen, wie sie ist, auch wenn sie sich von der Sprache vieler Menschen mit Down-Syndrom unterscheiden mag. Sprache löst in uns vieles aus, auch unsere Klischeevorstellungen und Vorurteile. Ich selbst bemerke bei mir immer wieder, dass ich mir bei Menschen mit spastischen Problemen erst bewusst machen muss, dass ihre Art zu sprechen nichts mit der Aussage zu tun hat. Genauso ist es mit der Sprache von manchen Menschen mit Down-Syndrom. Sie wird als „komisch“ empfunden, als „unfertig“ oder im Fall als „niedlich“. Und mit der Sprache der ganze Mensch. Genau das sollte Leon aber nicht passieren. Er ist weder komisch, noch unfertig, noch niedlich – er ist Leon, dem wir auf Augenhöhe begegnen können, weil wir durch seine Sprache und die Zuordnungen, die diese in uns auslöst, nicht abgelenkt werden.



    Falls Ihr nun bis zum Schluss gelesen habt, würde ich mich freuen, Eure Ansichten zu diesem Thema zu erfahren :-)