Deborah Feldman - Unorthodox

  • Amazon ~ Beschreibung:



    Schon am Tag als »Unorthodox« in den USA erschien, führte dieser aufrührende autobiografische Bericht schlagartig die Bestsellerliste der New York Times an und war sofort ausverkauft. Wenige Monate später durchbrach die Auflage die Millionengrenze. Die amerikanische Presse erklärte den Erfolg von Deborah Feldman und ihrem Buch so:
    Noch nie hat eine Autorin ihre Befreiung aus den Fesseln religiöser Extremisten so lebensnah, so ehrlich, so analytisch klug und dabei literarisch so anspruchsvoll erzählt.


    In der chassidischen Satmar Gemeinde in Williamsburg, New York, herrschen die strengsten Regeln einer ultraorthodoxen jüdischen Gruppe weltweit.
    Die Satmarer, wie sie sich seit ihrer Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg nennen, sehen im Holocaust eine von Gott verhängte Strafe. Um eine Wiederholung der Shoa zu vermeiden, führen sie ein abgeschirmtes Leben nach strengen Vorschriften. Sexualität ist ein Tabu, Ehen werden arrangiert, im Alltag wird Jiddisch gesprochen, Englisch gilt als verbotene, unreine Sprache.
    Nach Schätzungen zählt die Gemeinde heute 120.000 Mitglieder, denen sie ein Netz an Sicherheit gewährt - ohne jegliche Freiheit.
    Deborah Feldman hat schon als Kind Anstoß an der strikten Unterwerfung unter die vom Gründungsrabbiner der Sekte aufgestellten Lebensgesetze genommen, an der Ausgrenzung, der ärmlichen Lebensweise und der Unterordnung der Frau. Ihr Gerechtigkeitsempfinden und ihr Wissenshunger haben sie - verstärkt durch verbotene Literatur - angetrieben, ihren Alltag zu hinterfragen. Stets hat sie Angst, entdeckt und bestraft zu werden, und ihren einzigen Ausweg aus der Enge ihrer Welt zu verlieren. »Unorthodox« führt in die einzigartige Welt von Kindheitserlebnissen, die voller Unschuld scheinen und Einblick geben in alte jüdische Traditionen.


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    Meine Meinung:



    Dieses Buch nimmt den Leser mit auf eine Reise in eine völlig fremde Welt, in der (zumindest für mich) völlig abstruse Regeln gelten.
    Verheiratete Frauen haben sich z.B. die Haare komplett zu scheren, laufen dann aber zum größten Teil mit einer Perücke herum. Frauen mit kleinen Kindern sind an Shabbes vollkommen in ihren Wohnungen festgenagelt, weil an diesem Tag jegliche Arbeit verboten ist - wozu in dieser Gemeinde auch das herumtragen der eigenen Kinder gehört. :-s Das Lesen religiöser Texte (deren Regeln das Leben dieser Gemeine völlig bestimmen) ist nur den Männern erlaubt. Obwohl die Frauen sich auch diesen Regeln zu unterwerfen haben, ist es ihnen verboten diese Texte selber zu lesen, geschweige denn ihrer Ansicht nach zu interpretieren.
    TV, Radio und sogar selbsgemachte Musik ist verboten und die Gemeinde ist vom Rest der Welt völlig abgeschnitten.



    Deborah Feldman wächst inmitten dieser Regeln auf, aber von klein auf kommt sie mit dieser Beengtheit ihres Lebens nicht zurecht.
    Sie wird von ihren alternden Großeltern erzogen, da ihre Mutter den Zwängen ihrer Gemeinde vor Jahren entflohen und ihr Vater geistig behindert ist. (Er ist nicht in der Lage für sich selber zu sorgen und völlig verwahrlost, erfährt aber auch keine Unterstützung in der Gemeinde, denn es ist ja schließlich Gottes Wille dass er so ist, wie er ist. Ihm zu helfen würde bedeuten dass man sich Gottes Willen widersetzt.)


    Deborah rebelliert heimlich, still und leise gegen die strengen Regeln ihrer Gemeinde.
    Sie besorgt sich z.B. heimlich weltliche Bücher (z.B. "Harry Potter" und co.), versteckt sie daheim unter ihrer Matratze und lebt in der ständigen Angst für dieses Vergehen bestraft zu werden, sollte sie erwischt werden.
    Mit 17 Jahren wird sie an einen Mann verkuppelt, den sie gerade einmal zehn Minuten kennt und ihre Ehe wird zum Desaster.
    Sexualität ist in ihrer Gemeinde völlig verpönt. Bis zum Eintritt in die Ehe wissen die Mädchen noch nicht einmal, dass sie überhaupt eine Vagina haben, geschweige denn, wofür sie da ist. Aber wenn sie im Ehebett liegen, wird von ihnen erwartet dass die Nachwuchsproduktion wie am Schnürchen funktioniert. #-o
    Da die Jungs genau so viel (oder wenig) wissen, klappt natürlich rein gar nichts. Dabei kann Deborah von Glück sagen, dass ihre Hochzeitsnacht nicht so verläuft wie die ihrer Freundin, denn deren Mann hat in seiner Unwissenheit während des ersten Beischlafversuches einen lebensgefählichen Dickdarmriss bei seiner Frau verursacht, weil er die Körperöffnungen verwechselt hat.


    Deborah ist mit der ganzen Situation zunächst völlig überfordert und wird psychisch krank. Eine Odyssee von Arzt zu Arzt beginnt (Gynäkologen, Sexualtherapeuthen, Bio-irgendwas (habe ich vergessen :pale: )... .
    Es ist ein langer, langer Weg, aber in dessen Verlauf beginnt Deborah sich mehr und mehr zu emanzipieren. Sie beißt sich durch ihre sexuellen Schwierigkeiten und bekommt schließlich einen Sohn. Sie setzt durch, dass sie einen Führerschein machen darf und besteht darauf einen vernünftigen Schulabschluss machen zu dürfen.
    Während ihrer Collegezeit bekommt sie Kontakt zu nichtjüdischen Mädchen und bekommt mehr und mehr mit, welche Feiheiten ihr und ihrem Sohn für immer verschlossen bleiben, wenn sie weiterhin in ihrer Gemeinde bleibt.
    Nach und nach fasst sie schlussendlich den Entschluss ihrer Gemeinde den Rücken zu kehren und kämpft vor Gericht um das Sorgerecht ihres Sohnes, das nach einer Scheidung üblicher Weise dem Vater zugesprochen wird.



    Dieses Buch ist der Bericht einer äußerst mutigen Frau, die sich durch ihren übermäßig reglementierte Welt nicht davon abhalten lässt ihr eigenes Leben leben zu wollen.
    Ihr gebührt meine absolute Hochachtung und ich war wirklich sehr beeindruckt von ihrem nicht unterdückbaren Wunsch zur Freiheit.
    "Unorthodox" ist ein ganz besonderes Buch.
    Es endet mit den Worten:

    Zitat

    Ich bin frei, ich selbst zu sein, und das fühlt sich gut an.
    Wenn irgendwer jemals versuchen sollte, Dir vorzuschreiben, etwas zu sein, was Du nicht bist, dann hoffe ich, dass auch Du den Mut findest, lautstark dagegen anzugehen.


    Ganz, ganz toll und unglaublich lesenswert. :thumleft:

  • Die Autorin lebt heute mit ihrem Sohn in Berlin. Ich habe sie bereits zwei Mal in Talkshows erzählen hören und es war immer wieder faszinierend und erschreckend zugleich. Eine sehr sympathische Frau, die sich und ihrem Kind die Freiheit erkämpft hat. Ihr Ehemann hat die Gemeinde mittlerweile sogar auch verlassen - das Beispiel seiner Frau scheint ihm Mut gegeben zu haben. Denn Mut braucht es durchaus, sein altes Leben derart total zu verlassen.


    Das Buch ist natürlich sofort auf die Wunschliste gehüpft. Danke für die Rezension @Hiyanha :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Ich hatte noch nichts von dem Buch gehört, aber es klingt sehr interessant für mich. Danke für den Tip!

  • Ich habe sie bereits zwei Mal in Talkshows erzählen hören

    Hui, weisst Du vielleicht noch, wo das war?
    Vielleicht kann ich mir das in der Mediathek des Senders ja noch einmal ansehen.


    Ihr Ehemann hat die Gemeinde mittlerweile sogar auch verlassen

    Echt jetzt? :-s Das überrascht mich jetzt wirklich.
    Im Buch kam er mir so willenlos und durchsetzungsschwach vor.
    Aber womöglich hat ihn das Beispiel seiner Ex-Frau wirklich dazu beflügelt. Alle Achtung. :thumleft:

  • Hui, weisst Du vielleicht noch, wo das war?
    Vielleicht kann ich mir das in der Mediathek des Senders ja noch einmal ansehen.

    Ich hab sie erst vor kurzem (3 Wochen??) in Bettina Böttingers "Kölner Treff" gesehen, bin mir aber nicht sicher, ob das eine ältere Aufzeichnung war, die jetzt im Sommerloch wiederholt wurde.


    Im übrigen hab ich mir das Original heut gekauft :mrgreen:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Ich habe das Buch letzte Woche geschenkt bekommen und es geradezu verschlungen. Die Geschichte von Deborah hat mich richtig mitgenommen, daher musste ich zwischendurch auch mal eine kurze Pause einlegen. Besondes die Kapitel über ihre Ehe fand ich dabei echt herzzerreißend und schlimm. Das Buch ist absolut lesenswert, auch wenn einem manchmal das Herz stehen bleibt.


    Was ich allerdings noch nicht ganz verstanden habe, was aber mehrmals im Buch erwähnt wurde: Wieso wird bei einer Scheidung das Sorgerecht für gewöhnlich dem Mann zugesprochen? Wer entscheidet denn darüber? Die weltlichen Gerichte oder die Rabbiner in der Gemeinde? Wisst ihr darüber mehr? Würde mich sehr interessieren.


    Ich war richtig traurig, als das Buch zuende war und habe gleich mal recherchiert, ob sie noch weitere Bücher geschrieben hat. Das zweite Buch heißt Überbitten und ich überlege es mir im Oktober zu holen, wenn es im Taschenbuchformat erscheint.

  • Ein Buch, das in Erinnerung bleibt. Man will es einfach nicht glauben, was da in einer modernen Metropole für ein Leben geführt wird. Ich war fasziniert und angeekelt. Ich halte es auch für ein wichtiges Buch, denn es macht durch seinen Erfolg vielleicht einige aufmerksam auf das, was da (schief-)läuft. Nachdem ich es gelesen hatte, habe ich mit vielen Freunden und Bekannten darüber gesprochen, weil ich dieses neue Wissen einfach nicht für mich behalten konnte.


    Ein Manko hat das Buch für mich: Die Autorin ist ja in dieser Welt aufgewachsen und war in großem Maße an alles gewöhnt. Das ist wohl der Grund, warum sie auf viele Sitten, Gebräuche und Rituale nicht genauer eingegangen ist. Aber meine Neugier war geweckt und ich hätte gern mehr Fakten gehabt wo die persönliche Betroffenheit der Frau Feldmann im Vordergrund stand (was ich menschlich natürlich voll verstehen kann).


    Ein Buch, das Gesprächsbedarf weckt, ist immer was Feines!

  • Wieso wird bei einer Scheidung das Sorgerecht für gewöhnlich dem Mann zugesprochen?

    Jüdisches Scheidungsgesetz. Kann in diesem Buch hier nachgelesen werden.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Das Buch habe ich heute früh beendet. Vielen lieben Dank für die Rezensionen und darauf aufmerksam machen. :friends: Sonst wäre die Geschichte an mir womöglich vorbeigerauscht. Wäre schade. Ich habe diese Biografie sehr gerne gelesen. Ausgesprochen interessanter Lebensweg, auf jeden Fall bis zu dem Alter, in dem die Autorin das Buch verfasste, glaube ich knapp über zwanzig. Sehr bewegend. Die Frau Feldman nimmt den Leser auf eine ungewöhnliche Reise mit, in die Tiefen einer Glaubensgemeinschaft, die vielleicht nicht jedem so geläufig ist. Ich habe viel Neues erfahren und auch die Recherche nach dem Lesen, hat dazu nicht wenig beigetragen. Dieser Roman bleibt einem garantiert in Erinnerung, denn die Zustände, die beschrieben werden, gehen einem unter die Haut. Auf jeden Fall ging es mir so. Die Geschichte hörte sich für mich allerdings stellenweise zu trocken an, aber ich kann verstehen, aus welchen Gründen die Erzählung so wirkte. Ich war froh diese Biografie gelesen zu haben: Eine mutige Frau, die sich die Freiheit erkämpft. Gutes Buch:thumleft:



    2024: Bücher: 73/Seiten: 32 187

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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  • Ich habe heute morgen in der SPOTLIGHT gelesen, dass aus dem Buch eine Netflix-Serie gemacht worden ist, in der größtenteils Jiddisch gesprochen wird. Übrigens eine deutsche Produktion. Interessant fiinde ich hier auch die Überschneidungen mit Naomi Aldermans älterem Buch Disobedience, das 2017 mit Rachel Weisz verfilmt wurde. In beiden Fällen heißen weibliche Hauptfiguren Esty. Allerdings sind die Gemeinden in den USA und in Großbritannien ein wenig unterschiedlich.

  • Durch unsere aktuelle Leserunde bin ich auf dieses Buch aufmerksam gemacht worden und bin schlichtweg schockiert. Da ich mich selbst etwas im Judentum auskenne, muss ich sagen, dass der Leidensweg von Frau Feldman keineswegs typisch ist für jüdische Gemeinden und hier etwas gründlich verkehrt läuft. Allein die Behauptung


    Die Satmarer, wie sie sich seit ihrer Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg nennen, sehen im Holocaust eine von Gott verhängte Strafe.

    ist ein Hohn des jüdischen Volkes gegenüber. Ich hoffe, dass das Buch und die Verfilmung kein falsches Bild von Juden allgemein und auch von orthodoxen Juden geben, denn das wäre furchtbar. Zwangsehen gibt es im Judentum grundsätzlich nicht, sie sind sogar verboten. Die Frau hat einen hohen Stellenwert als Mutter und auch als Geliebte (Das Hohelied Salomon). Respekt untereinander ist in der Regel selbstverständlich.


    Frau Feldman nimmt den Leser auf eine ungewöhnliche Reise mit, in die Tiefen einer Glaubensgemeinschaft, die vielleicht nicht jedem so geläufig ist.

    Nein, wirklich nicht. Diese Tiefen sind auch für andere jüdische Glaubensgemeinschaften untragbar und unverständlich.

  • Ich hoffe, dass das Buch und die Verfilmung kein falsches Bild von Juden allgemein und auch von orthodoxen Juden geben, denn das wäre furchtbar.

    Ich glaube nicht, dass es da zu Verallgemeinerungen kommen wird. Jedenfalls nicht, wenn man dieses Buch und dessen Beschreibung aufmerksam liest.

    Es wird nämlich immer wieder der Zusatz "ultra" verwendet. So z.B. auch in der Amazon-Beschreibung:


    Am Tag seines Erscheinens führte »Unorthodox« schlagartig die Bestsellerliste der New York Times an und war sofort ausverkauft. Wenige Monate später durchbrach die Auflage die Millionengrenze. In der chassidischen Satmar-Gemeinde in Williamsburg, New York, herrschen die strengsten Regeln einer ultraorthodoxen jüdischen Gruppe weltweit.


    Deborah Feldman führt uns bis an die Grenzen des Erträglichen, wenn sie von der strikten Unterwerfung unter die strengen Lebensgesetze erzählt, von Ausgrenzung, Armut, von der Unterdrückung der Frau, von ihrer Zwangsehe. Und von der alltäglichen Angst, bei Verbotenem entdeckt und bestraft zu werden. Sie erzählt, wie sie den beispiellosen Mut und die ungeheure Kraft zum Verlassen der Gemeinde findet – um ihrem Sohn ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Noch nie hat eine Autorin ihre Befreiung aus den Fesseln religiöser Extremisten so lebensnah, so ehrlich, so analytisch klug und dabei literarisch so anspruchsvoll erzählt.



    Ich hoffe doch sehr, dass der Leser solche Begriffe richtig versteht und daher diesen extremen Erfahrungsbericht nicht verallgemeinert.

  • Ich habe das Buch ebenfalls gelesen, mich nebenbei etwas mit der jüdischen Kultur beschäftigt, denn Frau Feldmann stammt aus der ultraorthodoxen Gemeinde der Satmar welche ein sehr abgeschottetes Leben führen.

    Nicht nur Frau Feldmann erzählt in ihrem Buch von diesem Leben, auch andere Frauen haben schon darüber berichtet stern.de


    Das Wort „Zwangsehe“ ist sicher nicht richtig, jedoch man darf ruhig von „arrangierter Ehe“ dem Schidduch sprechen. Dazu äussert sich auch hier ein Rabbi.


    Die Satmarer, wie sie sich seit ihrer Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg nennen, sehen im Holocaust eine von Gott verhängte Strafe

    Viele Anhänger des ultraorthodoxen Judentums sehen die Schuld für den Holocaust darin, dass zahlreiche europäische Juden die jüdischen Traditionen aufgegeben und stattdessen Ideologien wie den Sozialismus, den Zionismus oder andere nicht-orthodoxe jüdische Strömungen angenommen hatten. Andere meinen, Gott habe die Nationalsozialisten geschickt, um die Juden zu ermorden, weil die orthodoxen europäischen Juden nicht genug getan haben, um diese Trends zu bekämpfen, oder weil sie nicht den Zionismus unterstützten. Nach dieser ultraorthodoxen Theodizee waren die Juden Europas Sünder, die es verdient hatten zu sterben, und Gott, der dies erlaubte, handelte richtig und gerecht.

    Somit sollte jedem Leser dieses Buches klar sein, es ist die Rede der Kultur der ultraorthodoxen Juden; somit gut daran tut sich um weitere Informationen der jüdischen allgemeinen Lebensweise einzuholen, damit kein falsches Bild entsteht.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Ihren 24. Geburtstag feiert Deborah Feldman in New York gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Restaurant. Zum allerersten Mal in ihrem Leben. Was für die meisten völlig unspektakulär und normal ist, stellt für sie eine große Besonderheit dar, denn Deborah ist chassidisch aufgewachsen, in einer streng religiösen jüdischen Gemeinschaft, die sich allen äußeren Einflüssen verschließt und alles Weltliche verbietet.


    Weil ihre Mutter es in diesem reglementierten Umfeld nicht aushielt und ihr Vater aufgrund einer geistigen Behinderung nicht in der Lage war, sie großzuziehen, ist Deborah bei ihren Großeltern aufgewachsen, dem Mittelpunkt einer weit verzweigten Familie. Schon früh beginnt sie, die Dinge zu hinterfragen, etwa als sie einen Schokoriegel geschenkt bekommt und ihn nicht essen darf, weil er nicht den hyperstrengen Speisevorschriften der Chassiden entspricht, doch Antworten findet sie in ihrer kleinen Welt nicht.


    Später werden Bücher ihre Zuflucht und ihr Trost, die sie heimlich ins Haus schmuggelt und liest, wenn sie alleine zu Hause ist, denn auch nichtreligiöse Lektüre ist tabu. Wohl aus gutem Grund, denn ihre literarischen Heldinnen werden Deborah zum Vorbild in ihrem Streben nach Freiheit, und sie sträubt sich mehr und mehr gegen die engen Denkmuster und die Zwänge, die insbesondere den Frauen in der Gemeinschaft auferlegt werden.


    Trotzdem wird sie mit 17 Jahren mit einem Mann verheiratet, den sie vorher nur wenige Male gesehen hat, unterwirft sich all den Ritualen und Gepflogenheiten rund um Verlobung und Eheschließung und verzweifelt dann fast an dem Druck, nach der Hochzeit möglichst schnell schwanger zu werden.


    Die strikten Vorschriften und die abgeschottete Lebensweise der chassidischen Juden in New York kannte ich schon ein wenig aus dem großartigen Buch "Die Romanleserin" von Pearl Abraham (das übrigens auch für Deborah eine Inspiration wird) und fand dieses Weltfremde und Rückwärtsgewandte damals schon gleichermaßen faszinierend und furchtbar. Genauso ging es mir auch jetzt, es tut in der Seele weh, dass ein wissbegieriges, aufgeschlossenes Kind offiziell nicht einmal Bücher lesen darf, um seine Neugier zu stillen, in züchtige Kleidung gesteckt wird und alles, was sie im Leben erreichen kann, sich ein paar Jahre Hilfslehrerinnentätigkeit und dann die Aufzucht von möglichst vielen Kindern beschränkt.


    Deborah Feldman schreibt ihre Erinnerungen im Präsens nieder, ziemlich ungeschminkt und direkt, wodurch man das Gefühl hat, unmittelbar an ihrem Leben teilzuhaben und oft förmlich mitleidet. Der Einblick in diese archaisch wirkende Glaubensgemeinschaft, die fast allen modernen Einflüssen widersteht, war auch über Deborahs persönliche Erlebnisse hinaus spannend. Die Entwicklung hin zu ihrer Entscheidung, die Gemeinschaft zu verlassen, auf die Gefahr hin, für immer ausgeschlossen zu bleiben, fand ich allerdings ein wenig zu schnell und glatt abgehandelt. Ich fand es auch ein bisschen schade, dass man nur wenig über die Reaktionen ihrer Familie auf ihren Ausstieg oder ihre Wiederannäherung an ihre Mutter erfahren hat.


    Insgesamt aber ein fesselndes Buch, das wahrscheinlich gerade deshalb so gut funktioniert, weil die Autorin ungefiltert und ohne große schriftstellerische "Vorkenntnisse" zu Werke gegangen ist.


    Interessant sind im übrigen auch die Fotos, mit denen die Kapitel eingeleitet werden, so dass man eine Vorstellung von der traditionellen Kleidung und anderen Aspekten des chassidischen Lebens bekommt. Schön wäre noch ein Glossar der verwendeten jiddischen Ausdrücke gewesen. Einiges kannte ich zwar schon, aber bei weitem nicht alles.

  • Echt jetzt? :-s Das überrascht mich jetzt wirklich.
    Im Buch kam er mir so willenlos und durchsetzungsschwach vor.
    Aber womöglich hat ihn das Beispiel seiner Ex-Frau wirklich dazu beflügelt. Alle Achtung. :thumleft:

    Das wusste ich auch nicht, sehr interessant!


    Eli wirkt im Buch tatsächlich eher lasch, aber er war ja auch noch sehr jung zu der Zeit und stark geprägt vom Aufwachsen in dieser Gemeinschaft.

  • Interessant sind im übrigen auch die Fotos, mit denen die Kapitel eingeleitet werden, so dass man eine Vorstellung von der traditionellen Kleidung und anderen Aspekten des chassidischen Lebens bekommt.

    Schön, dass dir das Buch gut gefallen hat, Magdalena. :friends: Aber ich kann mich jetzt nicht an die Bilder erinnern. :-k Ich habe allerdings das Buch als EBook gelesen, vielleicht da die dann in schwarz-weiß waren, habe ich nicht so drauf geachtet. Hattest du ein Printbuch? Es ist sicherlich interessant die Fotos zu der Geschichte zu sehen.

    2024: Bücher: 73/Seiten: 32 187

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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  • Ich hatte die englische Taschenbuchausgabe, da sind jeweils am Kapitelanfang (schwarzweiße) Fotos drin.