Deborah Feldman - Unorthodox

  • Einblick in eine unbekannte Lebenswelt, der auch wütend macht


    Dieses Buch ist schon mehrere Jahre ungelesen im Regal gestanden. Warum, weiß ich nicht mehr so genau. Was ich aber weiß, ist, dass es mich ziemlich wütend macht. Wütend auf die verbohrten, engstirnigen und fanatischen Vertreter des Glaubens und der Traditionen, die es hinnehmen, dass einzelne Personen (in diesem Fall der bzw. die Rabbi(s)), diktatorisch in das Leben einmischen. Dabei sind hier Männer wie Frauen, die die Regeln nicht hinterfragen und sich willenlos unterwerfen. Und falls der eine oder andere doch nachzudenken beginnt, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird.


    Dieses Buch handelt von der jungen Deborah, die bei ihren streng gläubigen Großeltern aufwächst. Warum, das erfährt der Leser im Laufe der Geschichte. Wir erhalten Einblick in den Alltag der orthodoxen chassidischen Juden, die selbst in der allgemeinen jüdischen Gesellschaft als Sekte gelten.


    So lehnen die Chassiden den Staat Israel ab, weil er zu säkular ist. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was in Israel passiert (vor allem nicht mit der Politik im Umgang mit den Palästinensern). Für sie ist das „Gelobte Land“ nicht Israel, sondern eine ferne, unerreichbare Vision. Ferner sieht man die Shoa als Strafe Gottes für begangene Sünden und nicht als Verbrechen des NS-Regimes. Diese Meinung ist Wasser auf die Mühlen der Nazis und Holocaust-Leugner!


    Doch zurück zum Buch: Die junge Deborah wird, wie auch heute noch üblich, mit einem jungen Mann verheiratet. Beide haben keine Ahnung, was sie in der Hochzeitsnacht erwartet, weil es in dieser Gesellschaft nicht üblich ist, seine Kinder aufzuklären. Das Einzige, was sie eingetrichtert bekommen, sind die Regeln, wann die Frauen für die Männer tabu sind und wann sie fruchtbar sind und sich vermehren können. So ist die Hochzeitsnacht natürlich ein Desaster und Deborah wird dafür verantwortlich gemacht.


    Auch der Alltag ist nicht so, wie sich Deborah das vorgestellt hat. Anstatt, wie versprochen Bücher (abseits von frommen Schriften) lesen zu dürfen, werden ihr alle weggenommen. Langsam beginnt Deborah aufzubegehren. Sie sucht Verbündete, doch die sind rar, denn selbst ihre beste Freundin aus Kindheit und Jugend, hat nach der Heirat eine Kehrtwendung vollzogen und bekommt ein Kind nach dem anderen.


    Als Deborah selbst einen Sohn bekommt, ist es für sie an der Zeit sich aus der Unterdrückung zu befreien.


    Meine Meinung:


    Deborah Feldman führt uns bis an die Grenzen des Erträglichen, wenn sie von der strikten Unterwerfung unter die strengen Lebensgesetze erzählt, von Ausgrenzung, Armut, von der Unterdrückung der Frau, von ihrer Zwangsehe. Und von der alltäglichen Angst, bei Verbotenem entdeckt und bestraft zu werden.


    Sie erzählt, wie sie den beispiellosen Mut und die ungeheure Kraft zum Verlassen der Gemeinde findet – um ihrem Sohn ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Allein die Sitte, verheirateten Frauen die Kopfhaare, abzurasieren oder strengen Bekleidungsvorschriften haben in mir Zorn aufsteigen lassen.


    Es wird ein unglaubliches Theater um die Periode der Frau gemacht, da sie in der Zeit und danach als unrein gilt. Anschließend muss ein Rabbi tagelang weiße Tücher kontrollieren, ob kein Blut mehr zu sehen ist. Auch der Besuch der Mikwe, das rituelle Bad, wird detailliert geschildert. Erst nach dieser Prozedur, von Badefrauen gewaschen zu werden, intim berührt zu werden und auch psychologisch unter Druck gesetzt zu werden, wenn sich noch keine Schwangerschaft eingestellt hat, sind die Frauen wieder „rein“ und für ihre Ehemänner „bereit“. Dies wird von der Autorin als Eingriff in ihre Integrität empfunden.


    Diese ultraorthodoxen Juden leben in einer Parallelwelt. Doch das scheint in der Gesellschaft kaum bekannt zu sein. Denn wenn die Bezeichnung „Parallelwelt“ gebraucht wird, denkt jede(r) nur an Muslime, die ihre Frauen einsperren, in die Burka zwingen und das Lernen verbieten. In der chassidischen Welt passiert genau das. Es scheint, als würde diese Unterdrückung von Mädchen und Frauen von der Weltöffentlichkeit geduldet, um nicht des Antisemitismus verdächtigt zu werden.


    Natürlich stellt die Gruppe der ultraorthodoxen Juden nicht die Mehrheit und es gibt viel hochgebildete Frauen, dennoch macht die hautnahe Schilderung des eingeschränkten Lebens wütend und betroffen.


    Gut gefällt mir das Wortspiel mit dem Buchtitel. Als „unorthodox“ bezeichnet man lt. Duden das „Unkonventionelle“, das „Eigenwillige“ oder das „Ungewöhnlich“, während „orthodox“ die Bezeichnung für „strenggläubig“ bzw. für „starr“ oder „unnachgiebig“ und im übertragenen Sinn für rückständig gilt.


    Fazit:


    Ein wichtiges Buch, das aufwühlt, wütend mach und einen Einblick in eine völlig unbekannte Lebenswelt bietet. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

    "Ein Tag ohne Buch ist ein verlorener Tag"


    "Nur ein Lesender kann auch ein Schreibender sein oder werden" (Maria Lassnig/1919-2014)