William Reiter - Aemilius Paullus. Conqueror of Greece

  • Eine "Biographie" über den Mann, der nicht nur Perseus besiegte, sondern auch ganz Griechenland eroberte.




    Vielleicht fragt Ihr euch wieso ich "Biographie" in Anführungszeichen gesetzt habe ? Naja, ich werde es sowieso erklären. :D Denn tatsächlich schließt diese Frage auch gleich die Vorstellung der Methode und der Gliederung dieses Buches mit ein. Denn heute will ich Euch, werten Lesern, das Buch "Aemilius Paullus. Conqueror of Greece" (1988) von William Reiter vorstellen. Das Buch ist eine Monographie, der Titel verspricht als Thema eine einzelne Person und die Einführung ("I. Introduction", S. 1-19) berichtet von der Rezeption des Mannes Aemilius Paullus in der Fachliteratur seit dem 18. Jh.
    => Ergo: alle Anzeichen einer Biographie. Doch tatsächlich zeigen die Überschriften und der Inhalt der anderen Kapitel, dass es eher um das Bild (!) des Aemilius Paullus in seiner Nachwelt geht.



    Doch schreckt das natürlich nicht ab und hindert ebensowenig daran, das Buch trotzdem zu lesen. In der Einführung des Buches legt unser Autor Reiter, wie gesagt, die Darstellung des Aemilius Paullus in der Forschung seit dem 18. Jh. dar, um aufzuzeigen, dass die Meinungen über Paullus durchweg positiver Natur sind. Reiters Programm für dieses Buch lautet also, diese positive Meinung zu hinterfragen und zu relativieren. Denn Paullus habe zu seiner Zeit auch einige Handlungen vollzogen, die kein Lob verdienen. Doch vielleicht sollte ich mit Euch erstmal der Frage nachgehen: Wer ist eigentlich dieser Aemilius Paullus, der es verdient hat, eine "Biographie" gewidmet zu bekommen ?






    Lucius Aemilius Paullus war Politiker und Feldherr in der 1. Hälfte des 2. Jh. v. Z. Er war Konsul in den Jahren 182 und 168 und dann später im Jahr 164 sogar noch Zensor. Vielleicht wisst Ihr es bereits, aber für Römer sind die reinen Lebensdaten nicht ganz so wichtig. Stattdessen wurde gesagt, wann sie gewisse Ämter innehatten. Doch da wir das heutzutage nicht mehr machen, will ich auch seine Lebensdaten miteinbringen, er lebte etwa von 230 bis 160. Doch was machte ihn so berühmt ? Zunächst einmal hatte er 2mal den Konsulat inne, was schon eine Besonderheit an und für sich ist. Doch zusätzlich hatte er auch den großen Widersacher Roms besiegt. Nein, nicht Hannibal, den anderen, nämlich Perseus von Makedonien. Naja gut, eigentlich war auch Mithridates ein solcher Widersacher. Und Iugurtha auch. Dann lasst uns sagen: "einen der großen Widersacher Roms." JEDENFALLS. In der entscheidenden Schlacht des 3. römisch-makedonischen Krieges hatte er bei Pydna im Jahr 168 Perseus vernichtend geschlagen und somit eines der großen Nachfolgekönigreiche Alexanders der römischen Herrschaft unterworfen. Doch er vollbrachte noch mehr, als wäre die Zerschlagung eines jahrhundertalten, reichen, ehemals alexandrinischen, mächtigen Königreiches nicht bereits genug. Er leitete und begann auch auch noch die Eroberung Griechenlands, das sich nun nach dem Wegfall des Machtfaktors Makedonien, in einem Machtvakuum befand.



    Reiters Schwerpunkt in diesem Buch liegt nun darauf, die Bilder von unserem Paullus hier bei späteren Historikern zu analysieren und diese Bilder der Realität entgegenzustellen, soweit das die mangelhafte Quellenlage überhaupt noch zulässt. In 3 Kapiteln rekonstruiert Reiter nun das Bild des Paullus bei je einem Autor.


    Der 1. Autor und Historiker ist der Grieche Polybios ("II. Polybios and the image", S. 20-68). Polybios war nicht nur ein Zeitgenosse des Aemilius Paullus (in der Altertumsforschung ist es keine Seltenheit, dass der Autor eines Themas erst 200+ Jahre NACH seinem Thema lebt ;D), sondern er war sogar dessen Klient (das ist eine Art persönlicher Verbindung auf der Grundlage gegenseitiger Verpflichtungen und zT freundschaftlicher Natur). Polybios war nämlich ein Grieche, der nach diesem Krieg gegen Perseus als Geisel nach Rom kam. Polybios schreibt in seinem historischen Werk also natürlich ein sehr idealisiertes Bild vom Vater seines Freundes und von seinem eigenen Patron.


    Den 2. Autor, bei dem Reiter die Paullus-Darstellung analysiert, ist Livius ("III. Livy and the image", S. 69-96). Livius lebte und schrieb bereits 150 Jahre nach diesem Mann und hat eine monumentale Geschichte Roms in vielleicht 150 Büchern geschrieben (viele sind im Laufe der Jahrtausende verloren gegangen). Verständlicherweise ist Aemilius Paullus bei Livius lediglich ein kleineres Thema unter vielen anderem und einem übergeordneten Thema. Das übergeordnete Thema ist vielleicht eine nationalstolze Darstellung der röm. Vergangenheit für die dekadente moderne Gesellschaft seiner Zeit. Die modernen Römer (im 1. Jh. v. Z.) sollen in die Geschichte ihres Landes blicken und die "echten" Römer dort als Vorbilder nehmen, um an ihnen ihr Handeln zu orientieren. Dabei geht Livius jedoch weiter als Polybios, denn anstatt zu idealisieren, übergeht er auch einige hist. Begebenheiten oder dreht und wendet die Wahrheit, um in seinem Buch ideale und echte Römer zu haben, die es evtl. eigentlich gar nicht gab. Und genau das betreibt Livius mit Aemilius Paullus. Man mag vielleicht an das Wort "Geschichtsverfälschung" denken, und auch wenn Reiter dieses Wort nicht verwendet, wenn ich mich richtig erinnere, läuft es doch darauf hinaus.


    Den 3. Autor, den Reiter zur Analyse heranzieht, ist Plutarch ("IV. Plutarch and the image", S. 97-108). Plutarch lebte und schrieb sogar etwa 250 Jahre nach Aemilius Paullus. Plutarch ist deswegen besonders interessant, weil er nicht wie Polybios und Livius große Geschichtswerke schreibt, in denen Aemilius Paullus nur eine der handelnden Personen ist. Denn PLutarch ist ein Biograph zahlreicher römischer Männer. Und Aemilius Paullus ist einer von denen, denen er eine Biographie widmete. Im Gegensatz zu Livius bezieht Plutarch in seine Paullus-Biographie auch die Schattenseiten dieses Mannes mit ein, doch hier gibt es ein anderes Problem: Plutarch glaubt das Negative einfach nicht. Plutarch hat eine sehr hohe Meinung von Aemilius Paullus und hält ihn für eine Personifikation römischer Tugenden.





    In einem letzten (und größten) Kapitel versucht Reiter nun, diesen Paullus-Darstellungen der Antike eine wahrheitsgemäßere entgegenzusetzen ("V. Another Look", S. 109-162). In diesem Rahmen zeichnet er Paullus als machtbewussten (im Krieg), etablierten (in der Hocharistokratie dieser Zeit), nützlichkeitsorientierten (bzgl. der grch. Kultur), kalten (bei der Scheidung von seiner Frau Papiria), aber kompetenten Politiker dieser Zeit. Aemilius Paullus ist in dieser Hinsicht zwar sehr erfolgreich, da er Roms Herrschaft über den griechischen Osten vorbereitet und einleitet, aber er vollzieht auch die dieser Zeit inhärente Konsequenz des brutalen Siegers, als er exemplarisch Perseus-Unterstützer umbringt oder als er eine eigentlich bereits befriedete Region (Epirus) seinen mit der bisherigen Beuteunzufriedenen Soldaten zur Plünderung freigibt.






    Insgesamt fand ich das Buch an sich ganz ansehlich. Methodisch betrachtet, setzt es sich ausführlich mit den biographischen Darstellungen dieses Mannes auseinander und versucht, die Wahrheit dahinter zu rekonstruieren. Dabei unterläuft Reiter allerdings eine moralische Bewertung von Paullus' Taten nach heutigen Standarts, was eigentlich irgendwas zwischen problematisch und unzulässig ist. Zuletzt habe ich das beim Alexander-"Biographen" (ähnlich wie hier ;D) John Grainger gelesen. Andererseits kommt auch das Kapitel zu Plutarch doch viel zu kurz daher. Wenn ihr mal die einzelnen Seitenzahlen für die verschiedenen Kapitel vergleicht, ist dieses mit Abstand am kürzesten und verdient gleichzeitig jedoch deutlich mehr Aufmerksamkeit.
    Sehr hilfreich und interessant ist die Einleitung des Buches, auch wenn sie etwas unzweckmäßig ist, da Reiter kein Erklärungen für die ununterbrochen positiven Bewertung anbietet.
    Zusätzlich ist nunmal leider auch der Titel etwas irreführend, da das Hauptthema des Buches eben eher die antike Darstellung des Aemilius Paullus ist. Hier hatte ich dann erst nachträglich erfahren, dass dieses Buch ursprünglich eine Diss. war mit einem etwas anderen Titel: "The Anatomy of a Conqueror: The Image of Lucius Aemilius Paullus" von 1977 (!). Das hab ich in der Rezension von Linda-Marie Günther nachgelesen. Dieser Titel wäre etwas klarer gewesen.




    Doch seht Euch, falls es Euch möglich ist, auch mal diese Rezensionen zu dem Buch an. Die Rezensenten scheinen das Buch durchweg als ziemlich unspektakulär und nicht gerade bahnbrechend anzusehen. Es bringe einfach nicht Neues. Speziell diesen Punkt kann ich nicht beurteilen, da ich noch viel zu wenig weiß und das Buch mit knapp 30 Jahren Verspätung gelesen habe. Mich hat das Buch jedoch weiter gebracht.;D
    1. Rezension von Linda-Marie Günther, in: Gnomon 61, 5 (1989), S. 447-8.
    2. Rezension von Alan Astin, in: The Classical Review 39, 1 (1989), S. 149-50.
    3. Rezension von Karl-Joachim Hölkeskamp, in: Historische Zeitschrift 249, 2 (1989), S. 395-6.



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