Eoin McNamee - Blau ist die Nacht / Blue is the Night

  • Klappentext:
    April 1949. Eine Frau wurde ermordet. Der Attorney General, Richter Lance Curran, will den Fall haben und den Angeklagten hängen sehen. Aber es gibt andere einflussreiche Leute, die den Casus anders bewerten, trotz scheinbar zweifelsfreier Beweislage. Curran kämpft gegen diese Kräfte und gegen sein eigenes Gewissen, zugleich werden häusliche Herausforderungen zunehmend zum Problem: seine psychisch labile Ehefrau, die ungebärdige heranwachsende Tochter, die Jahre später selbst einem Mord zum Opfer fallen wird, dessen Hintergründe nie ganz aufgeklärt wurden.
    Ein wahrer Fall und ein faszinierend-abgründiger Roman aus Nord-Irland, in dem der Clash zwischen den irisch-nationalistischen Katholiken und den der britischen Krone verbundenen Protestanten schon mit Händen zu greifen ist.
    (von der dtv-Seite kopiert)


    Zum Autor:
    Eoin McNamee, 1961 im irischen Kilkeel geboren, studierte ursprünglich Jura, bevor er Schriftsteller wurde, mehrere Romane veröffentlichte und sich mit seiner raffinierten Verknüpfung von Fakten und Fiktion einen Namen machte. Der Roman ›The Blue Tango‹ (2001) war für den Booker Prize nominiert. Nach Stationen in London, Dublin und New York lebt Eoin McNamee heute in Sligo an der Westküste Irlands. (von der dtv-Seite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: Blue is the Night
    Erstmals erschienen 2014 bei Faber and Faber Limited, London
    Aus dem Englischen übersetzt von Gregor Runge
    Erzählt aus der personalen Perspektive verschiedener Personen, meist Harry Ferguson
    24 Kapitel mit unterteilten Abschnitten
    265 Seiten


    Persönliche Meinung:
    Laut eigener Aussage wurde der Autor von einem alten Zeitungsabschnitt über den ungelösten Mord an Patricia Curran zu diesem Buch inspiriert. Daher: Keine Einordnung im Krimi-Genre, auch weil das Buch vom Verlag als „Roman“ deklariert wird.


    Der Leser weiß also von vorneherein: Es geht um ein wahres Verbrechen, und das Rätsel um den Mörder bleibt ungelöst. Liest sich der Klappentext so, als sei Lance Curran der Protagonist, richtet sich der Fokus der Handlung eher auf seinen Wahlhelfer Harry Ferguson und auf seine Tochter Patricia.
    Auch steht nicht der Mord an Patricia im Mittelpunkt, sondern der aus dem April 1949 an Mary McGowan, einer irischen Katholikin, die vermutlich von dem protestantischen Arbeiter Robert Taylor umgebracht wurde. Alle Indizien sprechen dafür, und Lance Curran übernimmt den Fall. Sein Adlatus Ferguson weiß: Sobald ein Protestant des Mordes an einer katholischen Frau schuldig gesprochen wird, brechen Chaos und Gewalt in der Stadt aus. Trotz eindeutiger Beweislage versucht Ferguson alles, dass die Geschworenen keinen Schuldspruch fällen.
    Patricia, ein aufmüpfiges Mädchen, heftet sich an Fergusons Fersen, getrieben vor allem durch erotisches Interesse.
    Als sie einige Monate später ermordet und anscheinend der Falsche verurteilt wird, lässt dies Ferguson keine Ruhe, und noch Jahrzehnte später wühlt er in alten Akten, befragt Beteiligte und forscht weiter.


    Mit wohltuender Distanz erzählt der Autor die Geschichte; der einzige, dem der Leser nahe kommt, ist Ferguson, aber gerade er erzeugt ambivalente Gefühle, denn was ihn umtreibt, hat mit Recht und Justiz nichts mehr zu tun. Er wird von Angst regiert, von Angst vor dem Pöbel, vor denen, die in der Stadt das Sagen haben, Angst vor dem Ende seiner Karriere. Seine Angst wird vor allem dadurch begünstigt, dass seine Frau Esther durch die Clubs der Stadt zieht und zahlreiche Männerbekanntschaften knüpft.


    Leider gelingt es McNamee nicht, die reale Gefahr eines öffentlichen Aufstands erlebbar zu machen. Hier eine Gruppe Männer, die zusammen steht, dort ein Stein, der geworfen wird, hier Getuschel im Pub, dort böse Blicke im Gerichtssaal, aber nichts, das so bedrohlich erscheint, um Fergusons Mauschelei hinter dem Rücken seines Chefs und die Beugung der Justiz zu rechtfertigen. Zu diesem Komplex hätte man sich eindringlichere und unmissverständlichere Szenen gewünscht.


    Sich einzulesen fordert den Leser heraus: Der Autor erzählt seine Geschichte nicht chronologisch, sondern in zeitlich versetzten Abschnitten. Trotz der genauen Angaben über Datum und Jahr dauert es einige Seiten lang bis man sich orientiert hat, welcher Handlungsstrang zu welchem Zeitabschnitt gehört und in welcher Korrelation die einzelnen zueinander stehen.


    Eine lohnende Lektüre aus der Zeit der nordirischen Unruhen Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Erst jetzt, als ich nach weiteren Büchern des Autor stöberte, bin ich darauf gestoßen, dass der Fall McNamee offenbar keine Ruhe lässt. Dies ist bereits sein zweiter Roman, der sich mit dem Mord an Patricia Curran befasst. Im Jahr 2005 wurde "Blue Tango" übersetzt und veröffentlicht.


    Amazon sagt: Belfast in den fünfziger Jahren. Die neunzehnjährige Tochter eines angesehenen Richters wird ermordet im Park gefunden – getötet mit 37 Messerstichen. Die Ermittlungen beginnen, aber es scheint, als arbeiteten alle daran, den Fall zu vertuschen. Man solle bei den Polen suchen, die in der Nähe der Stadt stationiert sind, lautet die Anweisung von höchster Stelle. Gerüchte werden laut: über den lockeren Lebenswandel der Toten, über den angesehenen, aber hochverschuldeten Richter, über seinen Sohn, einen Anwalt, der nachts zum religiösen Eiferer wird. Schließlich konzentriert sich der Verdacht auf einen jungen homosexuellen Soldaten, der kein Alibi hat. Er wird verurteilt. Ein eklatantes Fehlurteil, das erst fünfzig Jahre danach aufgehoben wird.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • und dies ist dann der dritte Teil der Blue-Trilogie, der englische Originaltitel lautet "Orchid Blue" :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • dies ist dann der dritte Teil der Blue-Trilogie

    Der befasst sich aber nicht mit dem Fall Patricia Curran, sondern mit folgendem:


    Robert McGladdery, der letzte Mann, der 1961 in Nordirland gehängt wurde, war angeklagt des Mordes an einer Neunzehnjährigen. Er beteuerte seine Unschuld, bis er überraschend, am Abend vor seiner Hinrichtung, ein Geständnis ablegte. Ein Geständnis, dessen Wahrhaftigkeit bis heute zweifelhaft ist. McNamee spürt einem Geschehen nach, das nie eindeutig geklärt wurde. Sein Interesse gilt ebenso der Aufdeckung eines spektakulären Justizirrtums wie der Anatomie einer Gesellschaft, die einen solchen Irrtum erst möglich macht. Halb Fallstudie, halb Fiktion, ist dies eine Expedition in ein menschliches und soziales Drama. Nordirland, ein dunkler Planet, Brachland einer verlorenen Gesellschaft, die dem Filz in Verwaltung, Justiz, Regierung und Klerus nichts entgegenzusetzen weiß. - Amazon


    Egal, McNamees Schreibe gefällt mir sehr gut, gerade die Verbindung von Fiktion und Fakten mit der brisanten politischen Lage, so dass ich alle Bücher des Autors auf meine Wunschliste gesetzt habe.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Egal, McNamees Schreibe gefällt mir sehr gut, gerade die Verbindung von Fiktion und Fakten mit der brisanten politischen Lage, so dass ich alle Bücher des Autors auf meine Wunschliste gesetzt habe.

    das hab ich auch getan. Die Blue-Trilogie scheint sich dann generell mit Nordirland und der Problematik von Schuld oder Unschuld bzw. Unrecht und Gerechtigkeit in dieser zerrissenen Gesellschaft zu befassen. :-k

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier