Leo Perutz - Nachts unter der steinernen Brücke

  • Über den Autor:
    Leo Perutz wurde 1882, ein Jahr vor Kafka, als Sohn einer jüdischen Mittelstandsfamilie in Prag geboren
    und begann im Wien der Jahrhundertwende zu schreiben. In den 20er Jahren waren seine Bücher im
    deutschsprachigen Raum sehr erfolgreich. Durch die Annexion Österreichs musste der Autor
    1938 ins Exil nach Palästina fliehen. Seine großen Romane gerieten in Vergessenheit. Resigniert starb Perutz 1957 bei einem Besuch in seiner alten, schmerzlich vermissten Heimat Österreich. Seine Bücher erlebten in den 80er Jahren eine Renaissance.
    Der ausgebildete Versicherungsmathematiker konstruierte seine Romanhandlungen stets mit bestechender Logik. Beinahe unbemerkt dringen Unerklärliches, Phantastisches, Übersinnliches ein, sodass die Romane in der Spannung zwischen
    Traum und Wirklichkeit, Wahrheit und Täuschung, Erinnern und Vergessen stehen.


    Kurzbeschreibung (Amazon):


    In der magischen Mitte dieses raffiniert konstruierten Romans steht die legendenumwobene Gestalt des hohen Rabbi Loew. Er allein ist es, der das Rätsel um eine verborgene Schuld lösen kann, als 1589 der Zorn Gottes sich über der Prager Judenstadt entlädt und ein großes Kindersterben hereinbricht.
    Ratsuchend beschwört er übernatürliche Mächte und die Spur führt zu ihm selbst zu jener Nacht, unter der steinernen Brücke.


    Meine Meinung:


    Bingo! Ein absolutes Highlight mit dem das neue Lesejahr angefangen hat.
    Was für eine Entdeckung...
    "Unter der steinernen Brücke" ist ein Roman,der zu Beginn gar nicht wie einer scheint.Eher glaubt man eine Sammlung von Novellen,die im Prag des 16.und 17. Jahrhunderts angesiedelt sind.Die einzelnen Novellen erzählen,neben historischen Fakten,volksläufige Sagen und jüdische Legenden und das in einer wundervollen Sprache,die diese Zeit und die alte Judenstadt Prags auferstehen lässt.
    Erst im Laufe des Buches merkt man langsam,daß es sich um Kapitel einer,nicht chronologisch erzählten,Romanhandlung handelt.Wenn man nun versucht,den Zusammenhang der Kapitel herzustellen,beginnt man erst den Beitrag eines jeden zuvor gelesenen Kapitels zur Romanhandlung zu verstehen und den Roman im Kopf zu konstruieren.
    Leo Perutz hat an diesem Roman von 1924 bis 1951 geschrieben und es stand oft offen,ob er ihn überhaupt beendet.Ich kann nur sagen:Ein Glück hat er es getan ;)
    Es ist ein Meisterwerk geworden.


    Fazit:
    Romantisch,lustig,spannend,lehrreich,einfach schön.... :thumleft:

  • Ein wunderschönes Buch. Der Roman ist wirklich ein Highlight und uneingeschränkt zu empfehlen. Perutz' Sprache hat mich begeistert, ebenso der Inhalt. :thumleft:


    Danke fürs In-Erinnerung-rufen, Schönchen. Ich werde den Roman demnächst wieder einmal lesen.

  • Ich muss mich meinen Vorschreibern anschließen:


    Dieser wunderbare Roman hat mir ein sehr schönes Wochenende beschert. Obwohl mitunter sehr traurig, wird man als Leser doch immer wieder durch Perutzs schwarzem Humor abgelenkt. Trotz häufiger Zeitsprünge und einer enormen Personenvielfalt verliert man nie den Überblick. Gerade diese sorgen für einen flüssigen Leserhythmus und das Gefühl, wirklich in das Buch abzutauchen.


    Die Themen, die in den einzelnen Novellen angesprochen werden, sind sehr vielseitig. Die blumige Sprache, derer sich Perutz bedient, eignet sich hervorragend dafür, die Prager Historie mit seinen Legenden und Sagen zu erforschen.


    Dies ist eindeutig eines meiner Jahreshighlights!

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Danke Schoenchen für diese Rezension, die mir ein neues Buch auf dem SUB beschert. Aber auch danke an Fezzig, ohne die ich auf dieses Buch nicht aufmerksam geworden wäre, weil es schon sooo lange rezensiert ist!


    Ich mag diese Art Bücher, ich mag blumige Sprache, ich mag Mischmasch und Themen dieser Art. Ich bin sehr gespannt und werde dann irgendwann berichten, wie mich das Buch letztlich erreicht hat!


    Liebe Grüße, Tanni

    Liebe Grüße von Tanni

    "Nur noch ein einziges Kapitel" (Tanni um 2 Uhr nachts)


  • Schoenchen
    Danke für deine Empfehlung, auch wenn es etwas länger zurück liegt, ich habe das Buch erst jetzt durch deine Rezi entdenkt.
    Werd auch auf jeden Fall lesen, dass hört sich nähmlich sehr gut an.

    2024: Bücher: 90/Seiten: 39 866

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
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    "Das Nicht-Wahrnehmen von Etwas beweist nicht dessen Nicht-Existenz "

    Dalai Lama

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    Lese gerade:

    Scalzi, John - Die Gesellschaft zur Erhaltung der Kaiju-Monster

  • Zitat

    mofre
    Leo Perutz ist leider in Vergessenheit geraten. Das muss unbedingt anders werden. Seine sämtlichen Romane sind in einer gelben Edition bei dtv erschienen, und mit den Worten meiner Oma fordere ich Euch auf: „Greift tüchtig zu!“

    sagte dies hier, das habe ich mir natürlich "zu Herze genommen". ;)


    In unsererer Bücherbrocky entdeckte ich dieses Buch. Und ich darf sagen, ja lest diesen Autor.
    Ein wunderbares Buch, ich darf meinen "Vorredner" in allen Punkten zustimmen.
    Es war auch meine Meinung dass dieser Novellenroman aus einzelnen Geschichten besteht, wie schon Schoenchen schreibt. Wie sich diese zu einem Ganzen verweben ist absolut meisterhaft.
    Danke für die Vorstellung dieses Autors mit einer wunderbaren Sprache und hervorragendem Erzählstil.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Auch ich kann mich meinen Vorpostern in allen Aussagen anschließen. Dieser Roman eröffnete mein Lesejahr 2013 und hat mich während des Lesens sehr schnell in seinen Bann gezogen und überaus positiv überrascht. Jede Geschichte für sich ist wunderbar erzählt und die große Geschichte, die hinter allem steht, ist sehr berührend. Ein Buch zum Eintauchen und Mitfühlen mit interessanten, geschichtlichen Details und den verschiedensten, vielschichtigen Charakteren.
    :thumleft: Definitiv lesenswert! :thumleft:

  • Tja, ich habe das Buch auch vor ein paar Tagen beendet und mein Falls war es definitiv nicht. Ich fand es einfach nur verwirrend und mir ist bis zum Schluss nicht klar geworden,

  • So wie @Lesefuchs habe ich das auch verstanden! :wink:


    Dieser Novellenroman verwebt seine 14 abgeschlossenen Erzählungen, die sich zur Zeit Rudolfs II. in Prag zugetragen haben sollen, so gekonnt und dabei so ungewöhnlich, dass schon allein der Aufbau des Romans für wirkliche Lesefreude sorgt. Die handlungslogisch durcheinander gewirbelten Geschichten (lose, aber bestimmt zusammengehalten durch den Bummelstudenten Jakob Meisl, Nachkomme der wichtigen Romanfigur Mordechai Meisl, einem reichen Geldverleiher und jüdischem "Goldmacher" des christlichen Kaiserhofes, der seinem Nachhilfeschüler (=Perutz?!) die alten Geschichten erzählt, während das Ghetto immer weiter demontiert wird) beleuchten nach und nach diverse Schicksale einiger wiederholt auftauchender Figuren. Die Charaktere erhallten Schritt für Schritt immer mehr Facetten, bis am Schluss, wie aus dutzenden Puzzlesteinen gebildetet, eine ganze Geschichte im Raum steht, mit allen Hintergedanken und Nebensträngen, ätherischen Gestalten und echten Figuren (wie dem mittelalterlichen Rabbi Löw), Tatsächlichem und Hörensagen, Wissen und (Aber-)Glauben, ernsthafter Schwere und spöttischem Witz. Ein großes Sittenbild des jüdischen Lebens im Prager Ghetto in der frühen Neuzeit, ein Panoptikum aus Legenden und Sagenfiguren, verwoben mit der Wirklichkeit, eine Einheit der Lebenden und der Toten. Ein Verurteilter versteht die Hundesprache, ein Mann tanzt um sein Leben, im Traum lieben sich der Kaiser und die schöne Jüdin und in der Woche nach Neujahr rufen die Geister der Toten die Namen derer, die im neuen Jahr sterben werden. Als Leser wundert man sich über nichts davon!


    Dabei ist der kaleidoskopartige, durcheinander erzählte Aufbau nicht reiner Selbstzweck, um eine einfache Geschichte aufzupeppen (wie es ein postmoderner Medientext wie Tarantinos "Pulp Fiction" etwa nur tut). Der Aufbau des Romans erlaubt dem Leser, als aktiver Lese-Entdecker und fast wie ein Historiker die geschichtliche Vergangenheit zusammenzusetzen, zu erarbeiten, aus der Dunkelheit herauszuschälen. Hier wird Vergangenes vergegegenwärtigt. Der untergegangenen, niedergerissenen Lebenswirklichkeit des jüdischen Viertels wird ein literarisches Denkmal gesetzt. Das Buch ist ein großer Leseschatz! Außerdem ist Perutz ein wunderbarer, sachte humorvoller und lakonischer Erzähler. Ja bitte, lest das ruhig mal! :thumleft:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • ### Inhalt ###

    Die Handlung der Kurzgeschichten/Novellen spielt in Prag zwei Jahrzehnte vor und nach dem Jahr 1600. Die handelnden Personen sind Leute aus dem Volk, Edelleute, Juden, der damals herrschende böhmische Kaiser Rudolph II. Das Buch erzählt episodenhaft von Begegnungen und Erlebnissen aus dieser Zeit.


    ### Meinung ###

    Das besondere an diesem Buch ist sein spezieller Aufbau. Zunächst hatte ich das Gefühl eine Sammlung von Kurzgeschichten vor mir zu haben und war direkt etwas enttäuscht, da ich kein Freund von Kurzgeschichten bin. Nach und nach entpuppten sich die Kurzgeschichten jedoch als inhaltlich zusammenhängend. Dieselben Personen tauchen in verschiedenen Zeiten immer wieder auf. Und auch die vorgefallenen Ereignisse in den einzelnen Kurzgeschichten, eigentlich müsste man hier von Episoden sprechen, hängen stark zusammen. Was anfangs wie eine Sammlung loser Handlungsfäden anmutet gipfelt am Schluss in einer überraschenden Auflösung.

    Viele Personen in diesem Roman sind historisch wie der Kaiser Rudolph II, Philipp Lang und wohl auch Mordechai Meisl, einige wohl nicht. Ihre dargestellten Charaktereigenschaften, vor allem die von Rudolph II treffen höchstwahrscheinlich zu wie ein Vergleich mit Wikipedia zeigt. Die Vorkommnisse und Ereignisse sind teilweise Fantasie und Fiktion: Es gibt eine Geschichte mit sprechenden Hunden und magiewirkenden Juden. Auch Geister kommen vor. Insgesamt habe ich diesen Roman gerne gelesen. Er konnte mein Interesse für diese Zeit wecken und hat mich zu mancherlei weiteren Wikipedia - Leseminuten angeregt. Auch das in meiner Ausgabe enthaltene Nachwort fand ich sehr interessant und erhellend.


    ### Fazit ###

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:


    Ein außergewöhnlich konstruierter Roman über teilweise historische Personen in der Zeit um 1600.

    Der ideale Tag wird nie kommen. Der ideale Tag ist heute, wenn wir ihn dazu machen. -- Horaz


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