Anne Applebaum - Gulag

  • Zur Autorin:
    Anne Applebaum (*1964 in Washington) studierte an der Yale University Geschichte und ging nach ihrem Studienabschluss mit einem Marshall-Stipendium nach England, wo sie an der London School of Economics „Internationale Beziehungen“ studierte. Seit 1988 arbeitet sie als Journalistin und Publizistin, u.a. für das Magazin „Economist“ und die Washington Post. 2008 wurde sie vom US-Magazin „Foreign Policy“ zu den 100 einflussreichsten Intellektuellen gezählt. Ihr Buch „Gulag“ (veröffentlicht 2003) erhielt 2004 den Pulitzer-Preis in der Kategorie Sachbuch.



    Zum Buch:
    Mit „Gulag. A History“ nimmt sich Anne Applebaum eines schwierigen und bislang noch nicht erschöpfend erarbeiteten Themas an. Ausführlich und basierend auf bis dato nicht zugänglichen Archivmaterialien, Memoiren Überlebender, neuen Forschungsergebnissen und eigenen Interviews erzählt sie die Geschichte der sowjetischen Gefangenenlager, beleuchtet ihre Entstehung wie auch ihre Bedeutung im politischen und wirtschaftlichen System der Sowjetunion. Einen wichtigen Teil nimmt die Beschreibung der Erfahrungen der Gefangenen ein, von der Gefangennahme und dem Transport zu den Lagern bis zur Beschreibung des alltäglichen Lebens (und Sterbens) in den Lagern.
    Dem entsprechend ist das Buch in drei Teilen aufgebaut:
    The Origins of the Gulag, 1917-1939 (Die Ursprünge des Gulags 1917-1939)
    Life and Work in the Camps (Leben und Arbeit in den Lagern)
    The Rise and Fall of the Camp-Industrial Complex, 1940-1986 (Aufstieg und Fall des Lager-Industrie-Komplexes 1940-1986)
    Das Ganze ist illustriert mit Karten, Fotos und Zeichnungen, dazu gibt es eine ausführliche Bibliografie und, zum besseren Verständnis, ein Glossar.




    Meine Meinung:
    Auch Menschen, die sich wenig für die Vergangenheit interessieren, dürfte der Begriff „Gulag“ bekannt sein, wenn schon nicht aus der Realität, dann aus Büchern oder Filmen. Trotzdem ist es etwas, von dem die westliche Welt wenig Genaues weiß – und die russische vieles verdrängt. Für westliche Historiker war es tatsächlich, wie Anne Applebaum selbst im Vorwort ausführt, bis vor wenigen Jahren nahezu unmöglich, in diesem Bereich zu forschen und noch heute stellen sich allein durch die Art, wie in der Sowjetunion mit Informationen umgegangen, wie die Realität entsprechend den politischen Bedürfnissen zurechtgebogen wurde, den Forschern große Hürden in den Weg.
    Vor diesem Hintergrund liefert die Autorin ein erstaunliches, umfassendes und auch erschütterndes Werk, dem es aber gelingt, einen sachlichen Abstand zu wahren, nicht mit westlicher Arroganz zu ver- oder beurteilen. Es ist teilweise harte Kost, wenn es um menschliche Tragödien geht, die oft in ihrer Sinnlosigkeit die Grenze des Erträglichen überschreiten, aber es schimmert auch immer wieder Humanität und sogar Humor durch. Interessant ist dabei auch der Einblick in die russische Mentalität, die sich manchmal doch stark von unserer unterscheidet.
    Mit „Gulag“ ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Aufarbeitung dieses Teiles der russischen Geschichte getan. Aber es ist auch in Bezug auf die europäische Geschichte ein wichtiges Buch, da die Beschäftigung mit der Vergangenheit niemals Selbstzweck sein darf, sie muss immer wieder anregen, auch die Gegenwart zu überdenken und kritisch zu bewerten.
    Anne Applebaum ist eine hervorragende Autorin, die fesselnd zu erzählen vermag, deshalb kann ich dieses Buch nur empfehlen und zwar nicht nur denjenigen, die sich für Geschichte allgemein oder die Russlands im Besonderen interessieren. Denn in „Gulag“ geht es auch um die Abgründe der Menschlichkeit, aber ebenfalls darum, wie man überlebt und weiterlebt. Darum möchte ich die Rezension auch mit den Worten von Adam Zamoyski beenden, der zu diesem Buch sagte:


    „This book is a monument to their suffering,
    and to read it is to honour that suffering.“

    Auf Deutsch ist das Buch bei Siedler (HC / ISBN: 978-3886806423) bzw. Goldmann (TB / ISBN: 978-3442153503) erschienen.

    The most important story you'll ever write is the one you create with your daily choices.

  • Danke für die Rezension, @Nerys Ich hab mir das Buch mal auf die Wunschliste gesetzt. Vor Jahrzehnten habe ich schon den Archipel Gulag von Solschenizyn gelesen, aber das ist so lange her, dass eine aktualisierte Auffrischung der Erinnerung bestimmt nicht schadet. :wink:

  • Vor Jahrzehnten habe ich schon den Archipel Gulag von Solschenizyn gelesen, aber das ist so lange her, dass eine aktualisierte Auffrischung der Erinnerung bestimmt nicht schadet

    Da bist du mir aber schon voraus, denn bei mir subt es noch :uups: Aber sie erwähnt es häufig und darum habe ich mir fest vorgenommen, dass es nun endlich an die Reihe kommt.

    The most important story you'll ever write is the one you create with your daily choices.