Thomas Zeller - Zerfall

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    In diesem Teil von Hamburg Rain 2084 spielen Technik und Wissenschaft eine enorm große Rolle. Ein Physiker, der mangels besserer Jobangebote als Elektriker arbeitet, und ein Kurier, der in Wirklichkeit ein wahres Wunderkind ist, was Chemie betrifft, sollen einen Fall von Energiediebstahl aufklären und geraten dabei mit einer brutalen Bande aneinander, die Wissenschaftler entführen lässt und illegal Bestände von Plutonium-238 aufkauft, um durch die Kontrolle der Energie die Macht über die Stadt an sich zu reißen.


    Da trifft es sich natürlich gut, dass dieser Band von Thomas Zeller geschrieben wurde, der einen ingenieurwissenschaftlichen Background hat. Man merkt immer wieder, dass er Ahnung hat von dem, was er schreibt! Die wissenschaftlichen Grundlagen nehmen sehr viel Raum ein und der interessierte Leser kann alles Mögliche lernen, vom Unterschied zwischen Alpha- und Betastrahlung bis hin zur Funktionsweise von U-Booten. Ich muss zugeben: obwohl ich es sehr zu schätzen weiß, wenn ein Buch mir das Gefühl gibt, dass es sozusagen auf soliden Füßen steht, wurde mir das doch manchmal ein bisschen zuviel. Ich empfand es als ermüdend, und es erschwerte mir das Lesen.


    Natürlich werden auch wieder Elemente der ersten drei Bände aufgegriffen: die ungerechte soziale Hierarchie der riesenhaften Stadt, die Gangs, die die unteren Ebenen beherrschen, das harte Leben der ärmeren Einwohner, die zum großen Teil noch nie echtes Tageslicht gesehen haben... Das Hamburg im Jahr 2084 ist weniger eine Stadt als eine marode, kranke Welt im langsamen Todeskampf, in dem sogar die Reichen und Mächtigen Gefangene sind. Diese Themen fand ich nach wie vor hochinteressant!


    Auch dieser Band war wieder originell, einfallsreich und (zumindest anfangs) spannend - bis auf die eben angesprochenen Schwierigkeiten. Im letzten Drittel beschlich mich leider das Gefühl, dass die Handlung zunehmend konfus und unglaubwürdig wurde. Die Geschehnisse überschlagen sich geradezu, aber auf mich wirkte das wie ein Blendfeuer, um davon abzulenken, dass nicht alles Sinn ergibt.


    Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Robert und Sebastian, zwei junge Männer, die das Leben ziemlich gebeutelt hat und die deswegen nicht den Luxus haben, sich allzu viele moralische Skrupel zu leisten - und dennoch versuchen beide ihr Bestes. Ich fand interessant, dass sie keine perfekten Helden sind, sondern sich in einer moralischen Grauzone bewegen, und im Grunde waren mir beide auch sympathisch.


    Dennoch hatte ich das Gefühl, nur an der Oberfläche zu kratzen und sie nicht wirklich tiefergehend kennenzulernen; vielleicht lag das einfach am Tempo der Geschichte.


    Erst gegen Ende spielt die Schwester des Bandenchefs eine größere Rolle, was mich leider wenig überzeugt hat. Sie macht einen Sinneswandel durch, der mir zu plötzlich kam und zu schnell ging. Wäre sie schon früher mehr in die Geschichte integriert worden, hätte sie ein großartiger Charakter sein können!


    Ein paar Charaktere aus früheren Bänden tauchen wieder auf, und mir gefiel, wie die verschiedenen Bände der Reihe dadurch lose miteinander verknüpft werden.


    Der Autor beschreibt das Hamburg der Zukunft souverän - zwar eher nüchtern und knallhart, was aber wunderbar zur Stimmung passt. Schließlich befinden wir uns in den unteren Ebenen, wo das Recht des Stärkeren herrscht und nur wenig Raum bleibt für Schönheit oder Poesie! Dennoch baut der Schreibstil eine fesselnde Atmosphäre auf.


    Fazit:
    Bandenkriege, Energie als umkämpftes Kapital, Sozialkritik und eine dem Untergang geweihte Stadt... Die Geschichte hat eine spannende Grundidee zu bieten, und auch die Charaktere haben viel Potential. Anfangs gefiel mir, wie gründlich der Autor die wissenschaftlichen Grundlagen erklärt, aber mehr und mehr fand ich es zu ausführlich und dadurch ermüdend. Leider gleitet die Handlung in meinen Augen im Laufe des Buches ohnehin mehr und mehr ins Unglaubwürdige ab, und auch die Charaktere konnten ihr Potential nicht ganz ausschöpfen.