Philippe Claudel – Die Kostbarkeit des flüchtigen Lebens / L'arbre du pays Toraja

  • Original : Französisch, 2016


    INHALT :
    « Was sind denn nun die Lebenden ? Auf erstem Blick scheint das so klar. Mit den Lebenden sein. Im Leben stecken. Aber was bedeutet das zutiefst : lebendig sein ? Wenn ich atme und gehe, wenn ich esse, wenn ich träume – bin ich da zur Fülle lebendig ? Wenn ich die sanfte Wärme Elenas verspüre, bin ich da noch lebendiger ? Was ist das höchste Maß an Lebendigkeit ? »


    Ein Regisseur in der Mitte des Lebens verliert seinen besten Freund und denkt über den Anteil des Todes nach, den dieser in unserem Leben einnimmt : Zwischen zwei wunderbaren Frauen, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, in der Erinnerung an geliebte Gesichter und dem Licht unerwarteter Begegnungen...
    (Quelle : Verlagsbeschreibung von Stock, Behelfsübersetzung von mir)


    BEMERKUNGEN :
    Der angeschlagene Ton deckt wohl manches auf, was man vom Leben Claudels erahnt, dass man anfangs etwas verwirrt sein kann : Handelt es sich jetzt um eine autobiographische Schilderung oder Fiktion, oder halt um einen Roman ? Nun das Buch wird als Roman bezeichnet und gewisse Parallelen zum Leben Claudels erweisen sich schnell als fiktiv, bzw verändert.


    Hier entsteht eine Spannung von Anfang an durch die stetige Gegenwart des Todes einerseits und des Lebens andererseits (Miteinander oder Gegeneinander?). Dieser « Baum des Landes Toraja » steht auf der 2012 vom Ich-Erzähler besuchten Insel Indonesiens, Sulawesi: Die kleinen verstorbenen Kinder des Volkes der Toraja werden den Höhlungen eines noch wachsenden Baumes anvertraut und mit dem Baum, dem Leben eins. Fasziniert ist der Erzähler von einer Kultur, in der der Tod so selbstverständlich seinen Platz im Leben hat (siehe auch : https://de.wikipedia.org/wiki/Toraja ) Dahingegen empfindet er unseren westlichen Umgang mit dem Tod als Flucht und Versteckspiel. Soll man den Tod aber nun integrieren ins Leben oder auf Distanz halten ? Und ist nicht jedes Altern Vorwegnahme eines Abschiedes von Möglichkeiten ?


    Bei seiner Rückkehr wird der circa 50 jährige Filmemacher von seinem Produzenten mit der Ankündigung einer Krebserkrankung empfangen. Ein Jahr später ist er tot. Es war sein bester Freund, sein einziger Freund. Und wer das vorletzte Werk Philippe Claudels gelesen hat, das ich hier besprach Philippe Claudel – Jean-Bark , weiß, dass hier eine schmerzhafte Erfahrung des lothringischen Schriftstellers erneut, wenn auch fiktiver, verarbeitet wird. Sein Herausgeber Jean-Marc Roberts war solch ein kreatives Gegenüber gewesen, sein bester und einziger Freund wie es hier sein Freund Eugène ist. Und der Tod eines Nächsten ähnelt dem Tod gewisser eigener Ausdrucksmöglichkeiten.


    Und da sind auch seine beiden Frauen im Leben : Florence, mit der er lange verheiratet war, und mit der eine vertrauensvolle Beziehung weitergeht. Und dann, langsam wachsend, ein Verhältnis zu einer um Jahrzehnte jüngeren Wissenschaftlerin, die seine Nachbarin und gleichzeitig eine Fachfrau ist in Fragen, die den Ich-Erzähler umtreiben.


    Eigentlich sind alle Kapitel des Buches auf die ein oder andere Weise verschiedene Perspektiven auf das In-, Mit-, Nebeneinander von Tod und Leben. Manche Gedankengänge sind wunderbar, geben Stoff zum Nachdenken, und man findet – um eine persönliche Note noch erhöht – den sensiblen Schriftsteller wieder, der vielen « Eingeweihten » so lieb geworden ist. Mal sehen, ob dieses sehr persönliche Buch übersetzt werden wird ? Es hat mir mehr als gut gefallen. Und ich bin gespannt, ob ich an einer für bald angesetzten Autorenlesung werde teilnehmen können…


    ZUM AUTOR:
    Philippe Claudel (* 2. Februar 1962 in Dombasle-sur-Meurthe, Lothringen) ist ein französischer Schriftsteller, Dramatiker und Filmregisseur. Philippe Claudel hat Literatur studiert und ist ausgebildeter Pädagoge mit staatlicher Lehrbefugnis. Vor seiner literarischen Karriere war er einige Zeit als Lehrer in einem Gefängnis in Nancy tätig. Dort unterrichtet er noch heute an der Universität. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter.


    Mehrere seiner Bücher wurden hier schon vorgestellt.


    Broché: 216 pages
    Editeur : Stock (1 janvier 2016)
    Collection : La Bleue
    Langue : Français
    ISBN-10: 2234081106
    ISBN-13: 978-2234081109

  • Ich berichtete oben von dem persönlicherem Stile Claudels in diesem Buch.


    Heute hatte ich ein interessantes Gespräch mit einem französischen Leser, der bislang ebenfalls alles von Claudel gerne gelesen hatte. Er aber beurteilte dieses Buch anders und meinte, dass Claudel nun in die französische, und spezifisch pariserische, Krankheit verfällt, um sich selbst zu drehen. Und so ist auch der Schauplatz plötzlich Pris. Auch würde er, bei dem man bislang die Beilagen der konformen zeitgenössischen Romane nicht gefunden hätte, plötzlich zu den "muss-dabei-sein" Dingen greifen, also den Rezepten des light Erotik etc. Er war also enttäuscht.
    Dazu ist anzumerken, dass gerade in Frankreich sich ein Grossteil der Romane im Pariser Milieu bewegen. Nun hat Claudel Erfolg gehabt. Gerät er auch in diese Bereiche?
    Und in der Handhabung dieser Elemente (Sex, Paris, Milieu, teure Weine...) wird man - der man sich eher als Nonkonformist gibt (ist ja auch in...!) - eben wiederum sehr konform.


    Und ich wollte Euch das nicht vorenthalten, denn er argumentierte dabei sehr gut und überzeugend.

  • Nun erschien auch dieses Buch, sogar schon im Sommer, unter dem deutschen Titel:


    Die Kostbarkeit des flüchtigen Lebens

    »Unter all den Nachrichten auf dem Anrufbeantworter fand ich die von Eugène: ›Du wirst lachen‹, sagte er, ›ich habe einen bösen Krebs.‹ Ich habe natürlich nicht gelacht, gebe aber zu, dass ich lächeln musste. Aus Kummer vermutlich. Oder aus Traurigkeit.«

    Nachdem er von einer Reise nach Paris zurückgekehrt ist, erfährt der Erzähler, ein fünfzigjähriger Filmemacher, von der Krebserkrankung seines besten Freundes Eugène. Der lebenslustige Filmproduzent, der mit fünf verschiedenen Frauen fünf Kinder hat und alle Bücher, die er liest, verschenkt oder in Cafés liegen lässt, weil er der Ansicht ist, dass »Bücher zirkulieren müssen wie die Welt«, fegt die Krankheit mit einer Handbewegung zur Seite.
    Doch bald zeigt sich, dass sein Krebs kein »Amateur« ist, sondern leider ein »Profi«. Der Abschied von Eugène, mit dem er sich zutiefst verbunden fühlt, wird für den Erzähler zum Anlass, über die wichtigen Fragen des Lebens nachzudenken. Er selbst steht gerade an einem Wendepunkt – der freundschaftlich-nostalgischen Trennung von seiner Ex-Frau Florence, die »gern einen Ehemann gehabt hätte und keinen Luftzug«, und der Begegnung mit der jungen Anthropologin Elena, deren Küsse nach Orangen schmecken.

    Zwischen zwei außergewöhnlichen Frauen, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen der Erinnerung an geliebte Gesichter und dem Licht unerwarteter Begegnungen, entspinnt sich eine Geschichte, die wahrhaftig ist und anrührend und an deren Ende das Versprechen des Lebens steht.


    Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
    Verlag: Thiele & Brandstätter Verlag (16. August 2017)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 385179379X
    ISBN-13: 978-3851793796


    Dann mal ran, Ihr Claudel-Liebhaber!


    Einen Mod ( Squirrel ?) möchte ich bitten, den Fredtitel zu erweitern! Danke!