Es ist Mai, die Apfelbäume blühen, und auf dem Hof von Jules Lignier, Cidre- und Calvadoshersteller in der fünften Generation, steigt wie jedes Jahr das Apfelblütenfest. Alle Gäste scheinen sich prächtig zu amüsieren, nur Jules selbst ist nicht nach Feiern zumute. Seit einiger Zeit beunruhigen ihn seltsame Symptome, und als ob das nicht schon Sorge genug wäre, laufen auch die Geschäfte alles andere als gut.
Lilou Leflaive hat sich vor kurzem als Heilpraktikerin in der Nähe niedergelassen und hatte ganz guten Zulauf zu verzeichnen, bis der ortsansässige Allgemeinarzt anfing, sie schlechtzumachen. Als sie eines Abends einfach nur raus will und auf gut Glück aufbricht, stößt sie auf einen alten Apfelbaum, in dessen Rinde eine "Stellenanzeige" geritzt ist, mit der ein kleiner Junge namens Jules eine Haushälterin für seinen verwitweten Vater sucht. Lilou ist zwar nicht übermäßig beschlagen in Haushaltsdingen, beschließt aber, der Sache nachzugehen. Die Spur führt zum Hof der Ligniers, wo das Fest in vollem Gange ist, und sie stellt erstaunt fest, dass Jules kein kleiner Junge mehr ist. Noch überraschender ist aber, dass er sich tatsächlich widerwillig darauf einlässt, ihr eine Chance zu geben.
Lilous Fröhlichkeit und Phantasie tut dem in sich gekehrten und oft grummeligen Jules gut, auch wenn er das natürlich nicht immer zugeben will. Was sich daraus entwickelt, ist aber keine alltägliche Liebesgeschichte, in der der Himmel voller Geigen hängt. Das Leben wirft sowohl Lilou als auch Jules ein paar dicke Brocken vor die Füße, die selbst mit Hilfe einiger treuer Freunde, die die beiden begleiten, nicht leicht zu bewältigen sind.
Was wie eine locker-leichte Romanze zwischen den altbekannten Charakteren "überschwenglich-chaotische Lebenskünstlerin" und "grüblerischer Brummbär" beginnt, nimmt unerwartet ernste Züge an, als beide Hauptfiguren tiefe persönliche Krisen meistern müssen. Ein paar Aspekte wirken etwas übertrieben oder klischeehaft, anderes ist vorhersehbar, aber dennoch berühren die angesprochenen Themen. Die immer wieder zwischen den Zeilen vermittelte "Carpe diem"-Botschaft ist sicher nicht neu oder originell, regt aber doch zum Reflektieren auch über das eigene Leben an.
Eingebettet ist die Handlung in schöne Beschreibungen von Land und Leuten zwischen Meer und Apfelgärten in der Normandie, Calvados und Cidre und kulinarische Genüsse spielen natürlich auch eine wichtige Rolle, und es gibt eine Fülle von netten Nebenfiguren, die zwar auch oft etwas stereotyp, aber dennoch sehr lebendig und farbenfroh daherkommen und für ein paar hübsche kleine Nebenhandlungsstränge sorgen.
Das pastellige Cover mag auf den ersten Blick etwas kitschig wirken, hat aber einen Bezug zum Buch, was mich wieder damit versöhnt hat, ebenso geben die manchmal seltsam holprig wirkenden Haikus vor den Kapiteln Rätsel auf (die irgendwann gelöst werden). Etwas ärgerlich sind allerdings kleine Logikfehler wie wechselnde Augenfarben oder Automarken.
Alles in allem sehr angenehme Wohlfühllektüre zum Mitfiebern, Mitlachen und Mitweinen, am allerbesten mit einem guten Calvados oder einem spritzigen Cidre als Begleitgetränk oder einem großen ofenwarmen Stück Apfelkuchen.
Die Magdalena-Jury verleiht hierfür 3 Äpfel + einen angeknabberten.