Abbas Khider - Ohrfeige

  • Inhalt (sh. Verlagsseite Hanser Literaturverlage):

    Ein Flüchtling betritt die Ausländerbehörde, um ein letztes Mal seine zuständige Sachbearbeiterin aufzusuchen. Er ist wütend und hat nur einen Wunsch: dass ihm endlich jemand zuhört. Als Karim drei Jahre zuvor von der Ladefläche eines Transporters ins Freie springt, glaubt er in Frankreich zu sein. Bis dorthin hat er für seine Flucht aus dem Irak bezahlt. In Wahrheit ist er mitten in der bayerischen Provinz gelandet. – Er kämpft sich durch Formulare und Asylunterkünfte bis er plötzlich seinen Widerruf erhält und abgeschoben werden soll. Jetzt steht er wieder ganz am Anfang. Dieser ebenso abgründige wie warmherzige Roman wirft eine der zentralen Fragen unserer Gegenwart auf: Was bedeutet es für einen Menschen, wenn er weder in der Heimat noch in der Fremde leben darf?





    Zum Autor (sh. Verlagsseite Hanser Literaturverlage):

    Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. Mit 19 Jahren wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet. Nach der Entlassung floh er 1996 aus dem Irak und hielt sich als »illegaler« Flüchtling in verschiedenen Ländern auf. Seit 2000 lebt er in Deutschland und studierte Literatur und Philosophie in München und Potsdam. 2008 erschien sein Debütroman Der falsche Inder, es folgten die Romane Die Orangen des Präsidenten (2011) und Brief in die Auberginenrepublik (2013). Er erhielt verschiedene Auszeichnungen, zuletzt wurde er mit dem Nelly-Sachs-Preis sowie dem Hilde-Domin-Preis geehrt. Abbas Khider lebt zurzeit in Berlin. Im Hanser Verlag erschien sein Roman Ohrfeige (2016).




    Meine Meinung zum Buch:

    Da schildert also nun ein Flüchtling aus dem Irak, der zu Anfang des neuen Jahrtausends auf seiner Flucht versehentlich in Bayern gelandet ist, seinen Werdegang in Deutschland. Nein, er schildert seinen Werdegang in Deutschland eigentlich nicht, er lässt ihn an der Sachbearbeiterin aus, die er zu diesen Zwecken fluchtunfähig gesetzt hat. Man merkt sofort, dass das Büchlein nicht hundertprozentig ernst gemeint sein kann.


    Im Gespräch mit Herrn Scheck gibt der Autor an, dass es ihm darum ging zu erzählen, wie Flüchtlinge an der deutschen Bürokratie scheitern.


    Hm. Der Aspekt mit dem Scheitern an der deutschen Bürokratie kommt definitiv durch. Herr Khider bringt ihn sogar auf ziemlich humorvolle Weise; er scheint auch nicht beim Leser um Empathie zu heischen, denn er beschreibt ziemlich lapidar, wie Drogen- und Alkoholkonsum unter den Flüchtlingen stattfinden, er lässt sie klauen und dealen, er lässt sie Geschichten zusammenfabulieren, die einen nicht ablehnbaren Asylgrund erzeugen sollen, desweiteren lässt Herr Khider seine Protagonisten geil auf blonde Frauen sein, er lässt sie auch mal auf die Deutschen schimpfen etc.


    Und trotzdem komme ich bei näherer Betrachtung zu dem Schluss, dass der Autor vielleicht doch eine Mitleidsmasche fährt, nur eben nicht ganz so offensichtlich wie manch anderer: da wird von Herrn Khider eine seelische Zerrüttung geschildert, die aus einem unschuldigen jugendlichen Verliebtsein zu einem behinderten Mädchen resultiert, das in seiner Heimat von perversen Brutalos grausam zu Tode gebracht wurde; da wird eine hormonelle Geschichte auf Erzeugung eines mittleren Dramas hin ausgelotet, obwohl auch in Deutschand angeblich 30 % der Männer unter Gynäkomastie leiden und auch für deutsche Männer die Kosten einer solchen OP nicht mal eben schwuppdiewupp und einfach so von der Krankenkasse übernommen werden. Da werden Flüchtlinge hier in Deutschland durch westliche Außenpolitik in den religiösen Fundamentalismus und sogar in den Wahnsinn getrieben, so schlimm, dass ein Migrant in ein Sanatorium ohne Hoffnung auf Besserung dauerhaft eingewiesen wird. Das alles können sicherlich triftige Gründe sein, aber was mich ein bisschen stört, ist der Grad von Pathos, in dem Herr Khider diese Episoden ausbreitet. Irgendwie hat sich mir der Eindruck aufgedrängt, dass hier jemand sämtliche existierenden Flüchtlings-Klischees, positive wie negative, zu einer nicht allzu subtilen Manipulation ausschlachtet, denn irgendwie schaffen die Darstellungen es nicht, in mir den Eindruck von Banalität auszulöschen – bin ich zu abgestumpft, zu herzlos?


    Dass in der ganzen Klischeeaufzählung ausgerechnet das (zugegebenermaßen recht verfängliche, weil in Deutschland mittlerweile extrem empfindliche) Klischee frauenverachtender Männlichkeit ausgespart wird, lässt mich ein bisschen stutzig werden. Was macht Herr Khider stattdessen? Er wälzt es auf das Beispiel eines ukrainischen Säufers ab und drückt so ganz nebenbei osteuropäischen Flüchtlingen auch noch eine Masche der Asyl-Erschleichung mit irgendwelchen jüdischen Wurzeln 'rein. Auch für diese Entscheidung des Schriftstellers hält sich meine Begeisterung in Grenzen.


    Irgendwie sprechen meine Rezeptoren nicht auf die Empathie- und Antpathie-Stimulationen in Ohrfeige an. Ich finde das Büchlein zwar nicht komplett un-amüsant und kann auch keine Antipathie gegen den Autor entwickeln, weil hinter Hern Khiders Schreibe ein gewisser Grad an halunkisch-gewitztem Charme steckt, für den ich recht empfänglich bin. Herr Khider schafft es für mich damit, in mir bis zu einem gewissen Grad Sympathien für seine Landsleute zu erzeugen bzw. zu erhalten. Nur eben die Auswahl bzw. Ausarbeitung von emotionalen Episoden, für die sich der Autor in Ohrfeige entschieden hat, wollte bei mir nicht so recht greifen. Wie gesagt, vielleicht bin ich ja doch nur zu kalt und zu herzlos.



    Zur Sprache, die ich als eher gewöhnlich bis platt empfunden habe, möchte ich wenigstens ein Beispiel geben:

    Zitat von Abbas Khider

    Er spielte als kinderlieber Mensch mit den knuffigen Babies und wurde mit irakischen Leckereien verköstigt wie zu Hause in Bagdad.

    Nix für ungut, aber bei solchen Plattitüden graust’s mich ehrlich gesagt ein bisschen. Definitiv nicht meins.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: gutgemeinte Sterne für Herrn Khiders Buch und keine neuen Erkenntnisse für mich als Leser am weiten Firmament der Migrantenschicksale.







    PS.
    Eine Anmerkung muss ich aber doch noch machen: Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob ich es der Erzählung Ohrfeige anlasten kann, aber ich bin generell ein bisschen konsterniert wegen der Einseitigkeit in der Darstellung von Problemen in der Flüchtlingsfrage. Weder in diesem Buch noch in den Medien finde ich eine gedankliche Auseinandersetzung der Migranten mit der Herkunft des Taschengeldes, mit der Herkunft der finanziellen Mittel zur Deckung der Kosten für die medizinische Behandlung, der Wohnung, der Sprachkurse etc, die sie jeweils so vehement fordern. Dieser Aspekt fehlt mir neben dem ständigen „Ich brauche dies, ich brauche das, ohne … kann ich nicht …“ gänzlich. Ich denke schon, dass der Autor seine „Flüchtlinge“ auch mal über Leben und Existenz eines Busfahrers nachdenken lassen könnte, oder über Frauen, die in deutschen Discountern Waren einräumen. Im Buch sprechen die Protagonisten kein oder kaum Deutsch, was sogar zum zentralen Thema der bürokratischen Hürden gehört, aber sie stellen sich nicht ein einziges Mal Fragen zur Existenz der einfachen Leute in Deutschland, die sie täglich sehen. Sie nehmen sie nur dann und nur so weit wahr, wie sie mit ihnen als Asylanten direkt in Kontakt kommen. Auch die Existenz einer jungen Asylhelferin wird erst dann ein bisschen beleuchtet, als sie ein Heiratsangebot eines Migranten entschieden ablehnt, wobei ihre wohl recht einsame Existenz ziemlich abfällig abgetan wird. Es tut mir weh sehen zu müssen, dass man nur die Vorurteile und die Behandlung der einheimischen Bevölkerung sich selbst gegenüber wahrnimmt, nicht aber zur Wahrnehmung bereit scheint, wie man selbst auf diese Menschen wirkt und was die eigene Existenz in Deutschland für die Individuen, aus denen sich die deutsche Gesellschaft zusammensetzt, bedeutet. Auch eine Kasserierin im Lidl, ein Heizungsinstallateur oder auch der Sachbearbeiter im BAMF sind schließlich Menschen mit individuellen Leben, mit allem Freud und Leid, das dazu gehört. Verlange ich zuviel?

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Verlange ich zuviel?

    Du hast gefragt. Wer fragt, muss mit Antworten rechnen: Ja. Ja, du verlangst zu viel.
    Wer gerade alles verloren hat, alles, was Heimat ausmacht, alles, was die eigene Identität ausmacht, der macht sich über die sogenannten einfachen Leute in einem so verdammt reichen Land wie Deutschland keine Gedanken. Entschuldige, wenn ich mutmaße, aber ich glaube, du hast keine Ahnung, was es heißt, wirklich alles zurücklassen zu müssen, um sein Leben zu fürchten, und dann hier in Baracken zu hausen. Dann sollst du dir Gedanken über die Kassiererin in 'nem deutschen Supermarkt machen? Also bitte!


    Sorry, das soll kein persönlicher Angriff sein. Aber ich bin es langsam leid, zu solchen Themen die Klappe zu halten und mir immer nur die Wohlstandsmeinung von Leuten anzuhören, die keinen blassen Schimmer haben, was Heimats- und Identitätsverlust eigentlich bedeutet.

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño

  • sie stellen sich nicht ein einziges Mal Fragen zur Existenz der einfachen Leute in Deutschland, die sie täglich sehen.

    Damit hast du das Richtige ausgedrückt: Sie sehen sie nicht, weil sie nicht gelernt haben, sie so zu sehen wie wir. Wenn wir durch die Straßen gehen, nehmen wir (z.T. unbewusst) wahr, wie Menschen gekleidet sind, wie sie sich bewegen und wie sie sprechen.


    Ein Flüchtling kann das nicht sehen, weil er diese Unterscheidungen nicht gelernt hat. Er sieht nur: Hier haben alle ordentliche Kleidung an, sie laufen mit Plastiktüten durch die Gegend (haben also Geld, um sich etwas zu kaufen) und haben Arbeit. Sie müssen erst lernen, dass es auch bei uns Unterschiede gibt. Und dass die Unterschiede durch ihr Kommen gravierender werden.
    Ich arbeite in der Flüchtlingsunterkunft in unserer Nähe und gebe Kindern Musikunterricht, den ich mit Sprachunterricht verbinde. Die Mutter eines Kindes bewunderte neulich meine (mindestens 4 Jahre alte) Jeans und meinen ebenso alten Pullover, sagte "Sss-ön". Du hättest sicher gesehen, wie alt meine Klamotten sind.


    Das Problem unserer Generation ist ein Problem von Verwaltung und Finanzen, die kommenden Generationen werden das Problem der viel beschworenen Integration haben, dass sich z.B. das Frauenbild der arabischen Flüchtlinge ändern muss oder dass Leistungen des Staates nicht gratis sind. Darin sehe ich das Hauptproblem. Wenn es nicht geglückt ist, die türkischen Gastarbeiter, die wir damals selbst ins Land gerufen haben, auf Dauer zu integrieren - wie soll dies mit all den Leuten gehen, die jetzt da sind oder noch kommen werden.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • @Marie hat es besser ausgedrückt. Für mich ist das Thema vermutlich zu emotional belastet, als dass ich darüber tatsächlich sinnvoll im Internet diskutieren könnte, da ich selbst - vor Jahren, als die Situation zugebenermaßen noch eine andere war - auf diese Weise in dieses Land gekommen bin. Dass ich in Deutschland hängengeblieben bin, habe ich mir dabei nicht ausgesucht. Das konnte ich nicht mal wirklich beeinflussen.


    Aber ich arbeite hier. Ich zahle meine Steuern, ich leiste meinen Beitrag zum deutschen Sozialsystem.
    Das kann ich machen, weil der deutsche Staat in meinen Deutschunterricht, in meine Ausbildung, in meine Integration investiert hat. Dafür bin ich auch dankbar. Die Leiden der deutschen Kassiererin sind mir aber immer noch relativ gleichgültig.


    Natürlich verstehe ich die Ängste und Sorgen angesichts der schieren Masse von Menschen, die zurzeit hier stranden. Das macht mir auch Sorgen. Ich hab keine Ahnung, wie genau die Herausforderung, all diese Menschen zu integrieren, zu stemmen ist. Ich hab keine Ahnung, ob sie zu stemmen ist. Ich hab keine Ahnung, ich hab keine Antworten und ich fühle mich hilflos.
    Aber was gibt es denn für eine Alternative? Grenzen dicht macht, drei Affen spielen, blind, taub, stumm, Deutschland über alles, egal was im Rest der Welt passiert, Hauptsache, uns geht es gut? Selbstverständlich kann man das so machen. Wird nur in einer globalisierten Welt nicht auf Dauer funktionieren.

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  • Entschuldige, wenn ich mutmaße, aber ich glaube, du hast keine Ahnung, was es heißt, wirklich alles zurücklassen zu müssen, um sein Leben zu fürchten, und dann hier in Baracken zu hausen. Dann sollst du dir Gedanken über die Kassiererin in 'nem deutschen Supermarkt machen? Also bitte!

    Nein, ich entschuldige das nicht. Warum schließt Du Dein "ich glaube, Du hast keine Ahnung ..." mit so einem verkniffenen "Also bitte!"?! Es geht Dich zwar einen feuchten Sonstwas an, aber ich würde Dir dringend empfehlen zu bedenken, dass Du mit Deinem spießigen kleinen "ich glaube" auch total daneben liegen könntest! Du kannst hier nur unterstellen, und es ist durchaus möglich, dass Du mal dem Falschen etwas unterstellt hast! Aber da Du ja so fest glaubst, was Du glaubst, musst Du's ja schließlich wissen, oder was?! Du weißt absolut nichts von mir, also unterlasse in Zukunft Unterstellungen/Mutmaßungen zu meiner Person!
    Wie gesagt, ich entschuldige Deine deplazierte Mutmaßung nicht.



    Darin sehe ich das Hauptproblem. Wenn es nicht geglückt ist, die türkischen Gastarbeiter, die wir damals selbst ins Land gerufen haben, auf Dauer zu integrieren - wie soll dies mit all den Leuten gehen, die jetzt da sind oder noch kommen werden.

    Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland große Probleme mit den türkischen oder griechischen Gastarbeitern von damals haben. Ich glaube sogar, dass viele von uns beruflich oder privat bereits mit Menschen mit Migrationshintergrund (gehabt) haben, die schon lange Jahre hier in Deutschland leben, wir uns aber gar keine große Gedanken darüber machen; ich habe bsw. in den 90ern mit Muslimen zusammengearbeitet, und das ging mir damals weniger ins Bewusstsein als es das heute tut.
    Es gibt auch heute unter den Migranten sicherlich eine Menge, die wissen, dass ihre Integration hauptsächlich von ihnen selbst abhängt. Ich staune immer wieder, wenn ich höre, wie gut sich manch einer auf Deutsch verständigt, der gerade mal ein Jahr hier ist. Und ja, ich weiß, wie schwierig es ist, sich in einer fremden Kultur zurecht finden zu müssen.
    Ich gebe Dir recht, @Marie, dass die Integration so vieler Menschen jetzt sehr schwierig werden dürfte. Vielleicht hat der eine oder andere da auch wieder was dagegen, aber ich finde es nicht gut, wenn dann in 20 oder 30 Jahren die jetzt heranwachsende Generation in Deutschland mit bis dahin völlig frustrierten Migranten von heute, ganz nach dem Beispiel der französischen Banlieues, konfrontiert werden.

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • ich finde es nicht gut, wenn dann in 20 oder 30 Jahren die jetzt heranwachsende Generation in Deutschland mit bis dahin völlig frustrierten Migranten von heute, ganz nach dem Beispiel der französischen Banlieues, konfrontiert werden.

    Genau DAS meine ich. Wie man dem entgegenwirken kann und welche Möglichkeiten es gibt, kann ich auch nicht sagen. Wenn ich ein 3-jähriges Kind sehe, das in einer Ecke sitzt und trotz Daunenjacke und Heizung nur zittert und mit niemandem spricht, wenn ich an den Jungen denke, der in meiner Musikgruppe war, und dessen Familie in einer Nacht- und Nebelaktion abgeholt wurde, wenn ich mir die Bilder von denen ansehe, die an den Zäunen der EU in Mazedonien und auf dem Balkan stehen, stehe ich nur da und fühle mich ohnmächtig. (Zugegeben, in diesen Momenten denke ich auch nicht daran, wie das Problem verwaltungstechnisch und finanziell zu stemmen ist.)


    Es gibt sicherlich viele der Türken und Griechen, die in unserer Gesellschaft gut leben, unsere Regeln angenommen haben und sie verteidigen. Aber genauso gut gibt es auch diejenigen, die in ihren abgeschlossenen Stadtteilen leben und / oder die alten Rollenbilder vertreten und sich auf keinen Kompromiss einlassen. Wie auch bei den Deutschen: Es gibt solche und solche, und ich bin auch schon Deutschen begegnet, die man (ich) an die Frauenrechte erinnern musste. Oder an die Toleranz gegenüber allen Religionen. Oder einfach an "gutes Benehmen".

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  • Nein, ich entschuldige das nicht. Warum schließt Du Dein "ich glaube, Du hast keine Ahnung ..." mit so einem verkniffenen "Also bitte!"?!

    Nein, dein Leben geht mich nichts an, und ja, ich kann nur mutmaßen - ausgehend von der Erwartung, dass Flüchtlinge - Kriegsflüchtlinge, vielfach, wenn auch nicht ausschließlich - sich für die Sorgen und Nöte der "einfachen deutschen Bürger" interessieren.
    Klar, die eigenen Probleme sind immer die schlimmsten, für alle.
    Aber hier stehen die Sorgen, Probleme und Erlebnisse in keinerlei Verhältnis zueinander (meistens, in den jüngeren Generationen zumindest). Daher mein "verkniffenes" - tatsächlich angesichts so einer Forderung ziemlich schockiertes - "Also bitte!"

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  • Ich habe mich wieder weitgehend abgeregt ...

    Aber hier stehen die Sorgen, Probleme und Erlebnisse in keinerlei Verhältnis zueinander (meistens, in den jüngeren Generationen zumindest).

    Ich verstehe es immer noch nicht, und es tut mir auch nicht leid, das nicht zu verstehen. Wollen die Leute hier einen Neuanfang oder nicht? Wollen sie sich hier irgendwann integrieren oder nicht? Gehört zur Integration die bewusste Wahrnehmung der anderen, die diese Gesellschaft bisher konstituieren, mitsamt deren Gepflogenheiten und Sitten und der Beachtung der hier gültigen Gesetze dann nicht eindeutig dazu? Oder wollen sie sich lieber noch monate- und jahrelang bedauern und alles schlecht finden und immer nur darauf achten, dass andere mehr haben als sie selbst? Dein Beispiel möchte ich hier nicht persönlich diskutieren. Generell denke ich, dass Menschen, die ihnen angebotene Sprachkurse nutzbringend annehmen und aktiv ihre Eingliederung suchen, auch die hiesige Gesellschaft wahrnehmen oder wahrgenommen haben, ob sie sich dessen nun bewusst sind oder nicht.
    Was ich dagegen nicht verstehe und auch nicht verstehen will und kategorisch ablehne, ist das Verhalten von Männern wie gestern im ZDF Mittagsmagazin unter dem Untertitel "Was tun gegen das Integrationschaos?" (Minute 21:00 bis 24:20). Von einem weiteren und ganz schlimmen Beispiel kann man in diesem Artikel im Radeburger Anzeiger lesen, das leider positive Eindrücke von anderen Migranten wie die in den ersten paar Zeilen desselben Artikels völlig zunichte macht. Es macht mich sehr wütend, wenn ich daran denke, dass solche Menschen vielleicht nur deshalb Platz und Verwaltungskosten und Zeit und sonstige Resourcen in Deutschland binden, weil man sie nicht in ihr Land zurückschicken kann - Resourcen und Platz, die man lieber Familien mit Kindern oder alten und gebrechlichen Menschen anbieten würde, die momentan in Griechenland in Zelten übernachten müssen.
    Der Ich-Erzähler in Herrn Khiders Ohrfeige ist übrigens auch einer, der sich monatelang beschwert, weil er noch keinen Sprachkurs bekommen hat, und als er endlich einen kriegt, findet er ganz schnell eine Ausrede für seine Faulheit. Ich sage es noch einmal: ich wünschte, solche Migranten würden auch mal das Leben von Frauen wahrnehmen, die im Lidl an der Kasse sitzen. Vielleicht wurden sogar ein paar Euro der Steuern, die diese Frauen mit ihrer Arbeit gezahlt haben, zur Errichtung der Asylunterkunft verwendet, in der Männer wie die aus dem gestrigen Mittagsmagazin untergebracht sind oder ein Teil der Sprachkurse damit bezahlt, für die es diesen Männern "zu laut" ist, um lernen zu können. Oder vielleicht stammt sogar der eine oder andere Euro der 183 Euro, die ja "viel zu wenig" sind, aus den von Lidl-Angestellten gezahlten Steuern. Naja, oder man bezahlt damit einen Teil der Reinigungskräfte im Flüchtlingsheim ... ich bin mir sicher, sie wären von der Verwendung ihrer Steuern hellauf begeistert.

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Ich habe Herrn Khiders Buch noch nicht gelesen, freue mich aber darauf das in absehbarer Zukunft irgendwann zu tun.


    Zur Diskussion: Das ist eine Art der Diskussion die einfach nicht emotionsfrei geführt werden kann, weil sie jeden betrifft und jeder sicherlich bereits seine ganz persönliche Erfahrung mit Flüchtlingen, der medialen Berichterstattung darüber und anderen menschlichen Schicksalen gemacht hat. Man kann sich diesen Eindrücken besonders zur Zeit halt einfach nicht entziehen. Zwangsläufig ist jeder Mensch letztlich dazu gezwungen eine Art Meinung zu diesen Themen zu entwickeln. Ob diese immer fundiert oder fair ist sei mal sehr in Frage gestellt, ebenso ob sie das auf dem Hintergrund der persönlichen Erfahrungen sein kann.
    Ich kann sowohl @Hypocritias Frage verstehen als auch die sehr emotionale Reaktion von @FreakLikeMe - jeder urteilt halt aus der Perspektive, die ihm zur Verfügung steht (völlig wertfrei).
    Ich persönlich vertrete die Meinung, dass man von den erwähnten Menschen, die schlicht und ergreifend einfach froh und sind am Leben zu sein, die aus Kriegsgebieten unter zum Teil traumatischen Bedingungen geflohen sind, die ankommen (ob am letztlichen Ziel ist zunächst ja ungeweiss) und die einerseits von aufopferungsvollen Helferinnen und Helfern, andererseits von rechtem Gesocks wie Pegida und noch brauneren hirnlosen Parolengrölern empfangen werden, nicht erwarten kann, dass sie Verständnis für eine sicherlich ebenso von persönlichen Schicksalen belastete beispielhafte Kassiererin bei Lidl (oder Aldi oder Penny etc.) haben. Sie wären sicherlich größtenteils froh, einen solchen Job zu haben, egal wie mies er bezahlt ist. Dazu sind sie meiner Auffassung nach in der momentanen Situation einfach nicht fähig und müssen das auch nicht sein.
    Von den Medienvertretern erwarte ich allerdings ein differenzierteres und objektiveres Bild, das ich in weiten Bereichen leider vermisse. Es gibt entweder Berichterstattungen, die absolut Mitleidheischend auf die armen Flüchtlinge blicken und darüber jeglichen Blick für soziale Benachteiligungen bei (wie sagt man es eigentlich politisch korrekt ohne jemandem auf den Schlips zu treten) deutschstämmigen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes (?) vernachlässigen oder es gibt solche, die im Angesicht der Vorkommnisse zu Sylvester in Köln schonungslose und pauschalisierte Ausländer- bzw. Flüchtlingshetze betreiben. Auch in der Politik (dort sogar noch viel mehr) kann ich fast nur Schwarz/Weiß Malerei erkennen, anstatt die Probleme konstruktiv, überparteilich und zielorientiert anzugehen. Damit tut man letztlich der Sache keinen Gefallen und spielt oben genanntem rechten Gesocks in die Karten.
    Manche politischen Entscheidungen sind einfach dermaßen unglücklich, zugestandenermaßen der knappen Zeit und der schieren Masse der Flüchtlingen (die ja komischerweise keiner absehen wollte konnte) geschuldet. Kleines Beispiel gefällig?
    In unserer Stadt wurde eine Notschlafstelle für obdachlose Kids geschlossen um dort Flüchtlinge unterzubringen. Bitte geht es noch ? Wie dumm ist das denn, bei allem Verständnis für die dringende Suche nach Platz ... diese Entscheidung fördert doch genau die Gedankengänge, die auch @Hypocritia anspricht: Es wird sich von staatlicher Seite einen Dreck um die hiesigen Probleme gekümmert und die Flüchtlinge bekommen alles in den Allerwertesten geschoben und zeigen sich dann noch undankbar. (Bitte liebe @Hypocritia verstehe mich nicht falsch ich kann derartige Gedankengänge ja nachvollziehen und möchte dich nicht ansatzweise in eine Ecke einsortieren, die ich mir bei dir auch nicht wirklich vorstellen kann. Ich halte vielmehr die Ursachen für brandgefährlich, die da wären, einseitige Berichterstattung und Hopplahoppentscheidungen, die sich nachher als unüberlegt und fatal herausstellen.)
    Ich finde, man kann beides tun: Helfen, wo die Not groß ist und auf Misstände hinweisen, egal in welchen Bevölkerungsschichten diese existieren.

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5:

  • (Bitte liebe @Hypocritia verstehe mich nicht falsch ich kann derartige Gedankengänge ja nachvollziehen und möchte dich nicht ansatzweise in eine Ecke einsortieren, die ich mir bei dir auch nicht wirklich vorstellen kann.

    Du merkst aber schon, dassin unserer Gesellschaft etwas falsch läuft, wenn jemand wie Du annehmen muss, dass jemand wie ich vermuten könnte, dass jemand wie Du mich in eine rechte Ecke stellen möchte ... oder dass evtl. sogar jemand mich aufgrund meiner obigen Beiträge tatsächlich auf die Idee kommen könnte, mich in eine rechte Ecke stellen zu wollen? (Das hattest Du jetzt nicht gemeint, das ist mir schon klar, aber vllt. wäre das sogar eine Möglichkeit, so wie es mittlerweile hier im Land zugeht?). Das ist alles nur noch verrückt, und es stimmt definitiv einiges nicht mehr hier im Land, und zwar auf beiden Seiten, denke ich, auf der linken wie der rechten ...

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  • Was ich dagegen nicht verstehe und auch nicht verstehen will und kategorisch ablehne, ist das Verhalten von Männern wie gestern im ZDF Mittagsmagazin unter dem Untertitel "Was tun gegen das Integrationschaos?" (Minute 21:00 bis 24:20). Von einem weiteren und ganz schlimmen Beispiel kann man in diesem Artikel im Radeburger Anzeiger lesen, das leider positive Eindrücke von anderen Migranten wie die in den ersten paar Zeilen desselben Artikels völlig zunichte macht. Es macht mich sehr wütend, wenn ich daran denke, dass solche Menschen vielleicht nur deshalb Platz und Verwaltungskosten und Zeit und sonstige Resourcen in Deutschland binden, weil man sie nicht in ihr Land zurückschicken kann - Resourcen und Platz, die man lieber Familien mit Kindern oder alten und gebrechlichen Menschen anbieten würde, die momentan in Griechenland in Zelten übernachten müssen.

    :thumleft::thumleft::thumleft: Mich macht es außerdem sehr wütend, wie das Verhalten solcher "Flüchtlinge" sich auf das Leben längst in Deutschland lebender und arbeitender , voll integrierter (ehemaliger) Ausländer auswirkt, die jetzt quasi per Generalverdacht angefeindet werden.
    Humanität & Hilfe ist schön, aber man darf nicht mehr Menschen ins Land lassen, als man menschenwürdig unterbringen kann und man hätte sich dabei auf Familien aus Kriegsgebieten beschränken sollen, statt jeden Hinz und Kunz, der sich nicht mal ausweisen kann, reinzulassen!

    Das ist alles nur noch verrückt, und es stimmt definitiv einiges nicht mehr hier im Land, und zwar auf beiden Seiten, denke ich, auf der linken wie der rechten ...

    Die Flüchtlingspolitik unserer Regierung ist eine Katastrophe, da wird nicht von der Wand bis zur Tapete gedacht. Statt Sozialromantik wäre etwas Rationalität angebracht (gewesen).

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
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  • Wir müssen uns, glaube ich, eingestehen, dass wir ein Problem haben, das nicht gelöst werden kann. Es sind in der Vergangenheit (ich rede jetzt nicht von Jahren, sondern von Jahrhunderten) Fehler gemacht worden, die nun ihre Konsequenzen fordern.


    Dachten wir nicht, in einer Epoche zu leben, in der alles machbar und möglich schien? Wir haben uns geirrt.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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  • Ich habe mich wieder weitgehend abgeregt ...

    Ich verstehe es immer noch nicht, und es tut mir auch nicht leid, das nicht zu verstehen. Wollen die Leute hier einen Neuanfang oder nicht? Wollen sie sich hier irgendwann integrieren oder nicht? Gehört zur Integration die bewusste Wahrnehmung der anderen, die diese Gesellschaft bisher konstituieren, mitsamt deren Gepflogenheiten und Sitten und der Beachtung der hier gültigen Gesetze dann nicht eindeutig dazu? Oder wollen sie sich lieber noch monate- und jahrelang bedauern und alles schlecht finden und immer nur darauf achten, dass andere mehr haben als sie selbst?

    Selbstverständlich ist Integration keine einseitige Sache, dazu gehört auch die Bereitschaft und der Wille, sich eingliedern zu wollen, ein Teil dieser Gesellschaft sein zu wollen.
    Aber auch nach Jahren hier fällt es mir noch schwer, einige in dieser Gesellschaft vorhandenen Sorgen und Nöte nachzuvollziehen, da sie für mich, aus meiner ganz subjektiven Erfahrung heraus, keine existenzielle Not darstellen.


    Was die Forderungen nach Sprachkursen, Arbeit, Wohnung, usw. angeht:
    Die wichtigsten Bausteine für Integration sind nun mal Sprache und Arbeit. Und im besten Falle auch Wohnraum, der so verteilt ist, dass keine Banlieues-mäßige Viertel entstehen - wobei es ähnliches ja auch in Deutschland schon gibt, da muss man nichts beschönigen. Mit dem letzten Punkt sind wir aber wirklich beim Wunschkonzert.
    Wenn sich aber Flüchtlinge hier integrieren und Teil dieser Gesellschaft werden sollen, führt für mich kein Weg an verpflichtenden (!) Sprachkursen vorbei. Und das möglichst schnell, nicht erst nach Monaten. Natürlich müssen diese Angebote dann auch wahrgenommen werden, diese Bereitschaft/ Selbstverpflichtung erwarte ich auch von jedem, der hier Hilfe in Anspruch nehmen möchte.



    Von den Medienvertretern erwarte ich allerdings ein differenzierteres und objektiveres Bild, das ich in weiten Bereichen leider vermisse. [...]
    Auch in der Politik (dort sogar noch viel mehr) kann ich fast nur Schwarz/Weiß Malerei erkennen, anstatt die Probleme konstruktiv, überparteilich und zielorientiert anzugehen. Damit tut man letztlich der Sache keinen Gefallen und spielt oben genanntem rechten Gesocks in die Karten.

    Ja, zu beiden Punkten.
    Ich denke immer noch mit Schrecken daran, wie die "Öffentlichkeitsarbeit" (oder wie man das nennen will) nach Silvester in Köln gelaufen ist. Wie dieses Herumlavieren und Verschweigen wollen ein ohnehin schon unfassbar schlimmes Ereignis noch schlimmer gemacht haben. Wenn Menschen spätestens nach diesem Ereignis kein Vertrauen in die Presse, in die Entscheidungsträger bei Polizei und Justiz und in die Politik mehr haben, kann ich das durchaus verstehen.

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    Roberto Bolaño

  • Du merkst aber schon, dassin unserer Gesellschaft etwas falsch läuft,


    der dass evtl. sogar jemand mich aufgrund meiner obigen Beiträge tatsächlich auf die Idee kommen könnte, mich in eine rechte Ecke stellen zu wollen?

    Damit sprichst du mir absolut aus der Seele. Das ist aber leider kein Problem, das erst mit den Flüchtlingen entstanden ist, sondern auch vorher schon. Es ist nichts schwerer, als sich in kontroversen Diskussionen politisch korrekt zu verhalten oder NICHT in ein Fettnäpfchen zu treten. Bzw. das ist eigentlich gar nicht so schwer, wenn man sich sicher sein kann, dass es sich um eine auf der Sachebene ausgetragene Diskussion geht. Man ist ja in Gesprächen schon länger damit beschäftigt, zu überlegen, was man besser nicht sagt, damit der andere sich nicht angegriffen fühlt oder einen Ansatzpunkt findet, einen mit völlig nicht zur Sache gehörenden Dingen zu konfrontieren.
    Wie oft ist es mir schon passiert, dass ich individuelles Verhalten kritisiert habe und ich mit pauschalisierende Antworten konfrontiert wurde. War der Kritisierte ein Bürger mit Migrationshintergrund, galt ich als ausländerfeindlich, war der Kritisierte eine Frau, war ich sexistisch und frauenfeindlich, war der Kritisierte ein Israeli, war ich ein Holocaustleugner etc.
    Natürlich ist das nicht immer der Fall, aber es ist die bekannte Waffe derer, die eigentlich wissen, dass ihr Verhalten nicht korrekt war: Angriff ist die beste Verteidigung, am Besten noch auf einem ganz anderen Schlachtfeld. :wink:
    Daher also nochmal, ohne Entschuldigung und vorweggenommene Rechtfertigung eine Antwort auf deine Frage:


    Verlange ich zuviel?

    Es kommt darauf an, von wem du es verlangst: Der traumatisierte Flüchtling aus einem Kriegsgebiet, der wirklich nur froh ist, am Leben zu sein, ist sicherlich mit einer solchen Differenzierung überfordert und muss das auch (noch) nicht können.
    Politiker und Medien, also diejenigen, die objektiv urteilen bzw. aktiv und lösungsorientiert arbeiten sollten, von denen MUSS man es verlangen dürfen und auch tun.

    Wir müssen uns, glaube ich, eingestehen, dass wir ein Problem haben, das nicht gelöst werden kann. Es sind in der Vergangenheit (ich rede jetzt nicht von Jahren, sondern von Jahrhunderten) Fehler gemacht worden, die nun ihre Konsequenzen fordern.

    Das glaube ich auch, obwohl es mir als lösungsorientiertem systemisch arbeitendem Menschen echt schwerfällt, zuzugeben, dass es überhaupt Probleme gibt, die nicht zu lösen sind. :wink:
    Aber ich glaube ebenso wie du es ja auch schon andeutest, dass die Probleme so eine lange Geschichte voller Irrtümer, Misverständnissen, emotionaler statt sachlicher Konflikte ist, dass es verdammt schwer bis unmöglich ist, kurzfristig Lösungen zu finden.


    EDIT:

    Ja, zu beiden Punkten.
    Ich denke immer noch mit Schrecken daran, wie die "Öffentlichkeitsarbeit" (oder wie man das nennen will) nach Silvester in Köln gelaufen ist. Wie dieses Herumlavieren und Verschweigen wollen ein ohnehin schon unfassbar schlimmes Ereignis noch schlimmer gemacht haben. Wenn Menschen spätestens nach diesem Ereignis kein Vertrauen in die Presse, in die Entscheidungsträger bei Polizei und Justiz und in die Politik mehr haben, kann ich das durchaus verstehen.

    Genau das habe ich weiter oben gemeint. Aber genau das sind Institutionen, von denen ich eine andere Einstellung oder Vorgehensweise in der Konfliktaufarbeitung bzw. -bearbeitung verlangen muss.

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5:

  • Auch wenn der reale Bezug zur aktuellen Flüchtlingsproblematik deutlich vorhanden ist, so ist dieser Roman dennoch zeitlich früher angesiedelt. Der junge irakische Flüchtling um den es hier geht, hat im Jahre 2000 seine Heimat verlassen. Aus der Perspektive seines Ich-Erzählers Karim schildert der Autor die Nöte, das Warten und die Ängste von irakischen Geflüchteten in Bayern, die Asyl in Deutschland suchen und dabei in die Mühlen der Behörden geraten.


    Abbas Khider (Jahrgang 1973) weiß wovon der schreibt, teilt er doch mit seiner Romanfigur ein ähnliches Schicksal. Auch er verließ nach Jahren der politischen Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins, nach insgesamt elfmaliger Verhaftung und Folterung, als Flüchtling sein Land. Er studierte später in München und Potsdam Literatur und Philosophie und im Jahre 2007 erhielt er offiziell die deutsche Staatsbürgerschaft.


    Ob auf Karim Mensy auch solch ein positives Ende wartet, bleibt offen. Aber ich möchte nicht zu viel spoilern, das würde die Spannung erheblich schmälern. Klar ist jedoch, dass der Autor in diesem Roman selbstverständlich einen Teil seiner eigenen Biografie verarbeitet, ohne dabei biografisch zu schreiben. Das nur 224 Seiten dünne Buch hat einen gewaltigen Inhalt zu tragen, dem es aber dank der Wortgewandtheit des Autors absolut gerecht wird!


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: Sterne gibt es dafür von mir.

  • Karim betritt ein letztes Mal die Ausländerbehörde. Er will noch einmal mit seiner Sachbearbeiterin reden, bevor er abgeschoben wird. Sein Traum von einem Leben in Frankreich hat sich in dem Moment in Lauft aufgelöst, seit er im bayrischen Nirgendwo aus dem Transporter gesprungen ist. Trotzdem hat er versucht, sich ein neues Leben aufzubauen, denn alles war besser als im Irak zu bleiben. Aber er ist immer wieder gescheitert und jetzt muss er das Land verlassen, in dem er zumindest zeitweise eine neue Heimat gefunden hat. All das will er der für ihn zuständigen Beamtin erzählen und wählt dafür ein ungewöhnliches Mittel.


    Die Geschichte ist nur eine von vielen, die sich so oder so ähnlich immer wieder abspielen. In dem Wust von Formularen und Anträgen sind nicht nur die Geflüchteten, sondern sicherlich auch die Sachbearbeiter überfordert. Karim erzählt seine Geschichte in scheinbar leichtem Ton mit einer Portion Humor, oder vielleicht besser: Sarkasmus. Trotzdem kann er nicht verbergen, wie er gelitten hat, wenn er auf der Suche nach Hilfe immer wieder gegen Wände gelaufen ist. Mal hat ein Formular gefehlt, mal hat er einem gutgemeinten Rat befolgt, der ihn in die Irre geführt hat und mehr als einmal wurde er betrogen.


    Neben dem ständigen Kampf gegen die Windmühlen der Bürokratie erzählt Karim auch Persönliches: von Ereignissen, die im Irak und von denen, die in Deutschland passiert sind. Es gibt neben ihm noch unzählige andere Schicksale, von denen er erzählt. Aber mehr als das, was er erzählt hat, hat mich das berührt, was zwischen den Zeilen gestanden hat.

    Es war klar, wie Karims Geschichte ausgehen wird, trotzdem habe ich bis zur letzten Zeile auf ein Happy End für ihn gehofft.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: