Inhalt (sh. Verlagsseite Hanser Literaturverlage):
Ein Flüchtling betritt die Ausländerbehörde, um ein letztes Mal seine zuständige Sachbearbeiterin aufzusuchen. Er ist wütend und hat nur einen Wunsch: dass ihm endlich jemand zuhört. Als Karim drei Jahre zuvor von der Ladefläche eines Transporters ins Freie springt, glaubt er in Frankreich zu sein. Bis dorthin hat er für seine Flucht aus dem Irak bezahlt. In Wahrheit ist er mitten in der bayerischen Provinz gelandet. – Er kämpft sich durch Formulare und Asylunterkünfte bis er plötzlich seinen Widerruf erhält und abgeschoben werden soll. Jetzt steht er wieder ganz am Anfang. Dieser ebenso abgründige wie warmherzige Roman wirft eine der zentralen Fragen unserer Gegenwart auf: Was bedeutet es für einen Menschen, wenn er weder in der Heimat noch in der Fremde leben darf?
Zum Autor (sh. Verlagsseite Hanser Literaturverlage):
Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. Mit 19 Jahren wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet. Nach der Entlassung floh er 1996 aus dem Irak und hielt sich als »illegaler« Flüchtling in verschiedenen Ländern auf. Seit 2000 lebt er in Deutschland und studierte Literatur und Philosophie in München und Potsdam. 2008 erschien sein Debütroman Der falsche Inder, es folgten die Romane Die Orangen des Präsidenten (2011) und Brief in die Auberginenrepublik (2013). Er erhielt verschiedene Auszeichnungen, zuletzt wurde er mit dem Nelly-Sachs-Preis sowie dem Hilde-Domin-Preis geehrt. Abbas Khider lebt zurzeit in Berlin. Im Hanser Verlag erschien sein Roman Ohrfeige (2016).
Meine Meinung zum Buch:
Da schildert also nun ein Flüchtling aus dem Irak, der zu Anfang des neuen Jahrtausends auf seiner Flucht versehentlich in Bayern gelandet ist, seinen Werdegang in Deutschland. Nein, er schildert seinen Werdegang in Deutschland eigentlich nicht, er lässt ihn an der Sachbearbeiterin aus, die er zu diesen Zwecken fluchtunfähig gesetzt hat. Man merkt sofort, dass das Büchlein nicht hundertprozentig ernst gemeint sein kann.
Im Gespräch mit Herrn Scheck gibt der Autor an, dass es ihm darum ging zu erzählen, wie Flüchtlinge an der deutschen Bürokratie scheitern.
Hm. Der Aspekt mit dem Scheitern an der deutschen Bürokratie kommt definitiv durch. Herr Khider bringt ihn sogar auf ziemlich humorvolle Weise; er scheint auch nicht beim Leser um Empathie zu heischen, denn er beschreibt ziemlich lapidar, wie Drogen- und Alkoholkonsum unter den Flüchtlingen stattfinden, er lässt sie klauen und dealen, er lässt sie Geschichten zusammenfabulieren, die einen nicht ablehnbaren Asylgrund erzeugen sollen, desweiteren lässt Herr Khider seine Protagonisten geil auf blonde Frauen sein, er lässt sie auch mal auf die Deutschen schimpfen etc.
Und trotzdem komme ich bei näherer Betrachtung zu dem Schluss, dass der Autor vielleicht doch eine Mitleidsmasche fährt, nur eben nicht ganz so offensichtlich wie manch anderer: da wird von Herrn Khider eine seelische Zerrüttung geschildert, die aus einem unschuldigen jugendlichen Verliebtsein zu einem behinderten Mädchen resultiert, das in seiner Heimat von perversen Brutalos grausam zu Tode gebracht wurde; da wird eine hormonelle Geschichte auf Erzeugung eines mittleren Dramas hin ausgelotet, obwohl auch in Deutschand angeblich 30 % der Männer unter Gynäkomastie leiden und auch für deutsche Männer die Kosten einer solchen OP nicht mal eben schwuppdiewupp und einfach so von der Krankenkasse übernommen werden. Da werden Flüchtlinge hier in Deutschland durch westliche Außenpolitik in den religiösen Fundamentalismus und sogar in den Wahnsinn getrieben, so schlimm, dass ein Migrant in ein Sanatorium ohne Hoffnung auf Besserung dauerhaft eingewiesen wird. Das alles können sicherlich triftige Gründe sein, aber was mich ein bisschen stört, ist der Grad von Pathos, in dem Herr Khider diese Episoden ausbreitet. Irgendwie hat sich mir der Eindruck aufgedrängt, dass hier jemand sämtliche existierenden Flüchtlings-Klischees, positive wie negative, zu einer nicht allzu subtilen Manipulation ausschlachtet, denn irgendwie schaffen die Darstellungen es nicht, in mir den Eindruck von Banalität auszulöschen – bin ich zu abgestumpft, zu herzlos?
Dass in der ganzen Klischeeaufzählung ausgerechnet das (zugegebenermaßen recht verfängliche, weil in Deutschland mittlerweile extrem empfindliche) Klischee frauenverachtender Männlichkeit ausgespart wird, lässt mich ein bisschen stutzig werden. Was macht Herr Khider stattdessen? Er wälzt es auf das Beispiel eines ukrainischen Säufers ab und drückt so ganz nebenbei osteuropäischen Flüchtlingen auch noch eine Masche der Asyl-Erschleichung mit irgendwelchen jüdischen Wurzeln 'rein. Auch für diese Entscheidung des Schriftstellers hält sich meine Begeisterung in Grenzen.
Irgendwie sprechen meine Rezeptoren nicht auf die Empathie- und Antpathie-Stimulationen in Ohrfeige an. Ich finde das Büchlein zwar nicht komplett un-amüsant und kann auch keine Antipathie gegen den Autor entwickeln, weil hinter Hern Khiders Schreibe ein gewisser Grad an halunkisch-gewitztem Charme steckt, für den ich recht empfänglich bin. Herr Khider schafft es für mich damit, in mir bis zu einem gewissen Grad Sympathien für seine Landsleute zu erzeugen bzw. zu erhalten. Nur eben die Auswahl bzw. Ausarbeitung von emotionalen Episoden, für die sich der Autor in Ohrfeige entschieden hat, wollte bei mir nicht so recht greifen. Wie gesagt, vielleicht bin ich ja doch nur zu kalt und zu herzlos.
Zur Sprache, die ich als eher gewöhnlich bis platt empfunden habe, möchte ich wenigstens ein Beispiel geben:
Zitat von Abbas KhiderEr spielte als kinderlieber Mensch mit den knuffigen Babies und wurde mit irakischen Leckereien verköstigt wie zu Hause in Bagdad.
Nix für ungut, aber bei solchen Plattitüden graust’s mich ehrlich gesagt ein bisschen. Definitiv nicht meins.
gutgemeinte Sterne für Herrn Khiders Buch und keine neuen Erkenntnisse für mich als Leser am weiten Firmament der Migrantenschicksale.
PS.
Eine Anmerkung muss ich aber doch noch machen: Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob ich es der Erzählung Ohrfeige anlasten kann, aber ich bin generell ein bisschen konsterniert wegen der Einseitigkeit in der Darstellung von Problemen in der Flüchtlingsfrage. Weder in diesem Buch noch in den Medien finde ich eine gedankliche Auseinandersetzung der Migranten mit der Herkunft des Taschengeldes, mit der Herkunft der finanziellen Mittel zur Deckung der Kosten für die medizinische Behandlung, der Wohnung, der Sprachkurse etc, die sie jeweils so vehement fordern. Dieser Aspekt fehlt mir neben dem ständigen „Ich brauche dies, ich brauche das, ohne … kann ich nicht …“ gänzlich. Ich denke schon, dass der Autor seine „Flüchtlinge“ auch mal über Leben und Existenz eines Busfahrers nachdenken lassen könnte, oder über Frauen, die in deutschen Discountern Waren einräumen. Im Buch sprechen die Protagonisten kein oder kaum Deutsch, was sogar zum zentralen Thema der bürokratischen Hürden gehört, aber sie stellen sich nicht ein einziges Mal Fragen zur Existenz der einfachen Leute in Deutschland, die sie täglich sehen. Sie nehmen sie nur dann und nur so weit wahr, wie sie mit ihnen als Asylanten direkt in Kontakt kommen. Auch die Existenz einer jungen Asylhelferin wird erst dann ein bisschen beleuchtet, als sie ein Heiratsangebot eines Migranten entschieden ablehnt, wobei ihre wohl recht einsame Existenz ziemlich abfällig abgetan wird. Es tut mir weh sehen zu müssen, dass man nur die Vorurteile und die Behandlung der einheimischen Bevölkerung sich selbst gegenüber wahrnimmt, nicht aber zur Wahrnehmung bereit scheint, wie man selbst auf diese Menschen wirkt und was die eigene Existenz in Deutschland für die Individuen, aus denen sich die deutsche Gesellschaft zusammensetzt, bedeutet. Auch eine Kasserierin im Lidl, ein Heizungsinstallateur oder auch der Sachbearbeiter im BAMF sind schließlich Menschen mit individuellen Leben, mit allem Freud und Leid, das dazu gehört. Verlange ich zuviel?