Hans Zöberlein - Der Befehl des Gewissens

  • Der Autor (anhand Wikipedia): Hans Zöberlein (* 1. September 1895 in Nürnberg; † 13. Februar 1964 in München) war ein nationalsozialistischer deutscher Schriftsteller und SA-Brigadeführer. Sohn eines Schuhmachers. Teilnehmer des Ersten Weltkrieges. War an der Niederschlagung der Räterepublik in Bayern beteiligt. 1921 trat er erstmals in die NSDAP und in die SA ein. Im November 1923 nahm er am Münchener Hitler-Ludendorff-Putsch teil. Nach der auf das vorübergehende Verbot der Partei im November 1923 folgenden Neugründung der NSDAP trat er ihr erneut bei. In München war er NSDAP-Stadtrat und machte durch seine Werke (sein erster Roman "Der Glaube an Deutschland" von 1931 war einer der erfolgreichsten Weltkriegsromane der Zeit, zu dem - was selten vorkam - Hitler persönlich ein Vorwort verfasste) auch als Kulturpolitiker von sich reden: 1934 wurde er Leiter des neugegründeten Kulturamts, zuständig für Bildende Kunst, Literatur und Theater einschließlich aller Bibliotheken sowie für Musik und Film. 1943 Ernennung zum SA-Brigadeführer. War Mitglied des SA-Kulturausschusses. In der Nach vom 28./29. April 1945 ließ Zöberlein als Anführer eines „Werwolf“-Kommandos mehrere Bürger der Bergbaustadt Penzberg südlich von München als Verräter hinrichten. In der sogenannten Penzberger Mordnacht starben 16 Menschen und ein ungeborenes Kind. Dafür wurde Zöberlein 1948 zum Tode verurteilt. Die Todesstrafe wurde beim Übergang zum Recht der neuen Bundesrepublik Deutschland in eine lebenslängliche Freiheitsstrafe umgewandelt. In späteren Prozessen wurde die Strafe herabgesetzt. 1958 wurde Zöberlein aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen.


    Kurzbeschreibung des Romans (Wikipedia wörtlich): Sein zweiter Roman "Der Befehl des Gewissens" von 1937 (Untertitel: Ein Roman von den Wirren der Nachkriegszeit und der ersten Erhebung) stellt den Kampf der Freikorps in der Nachkriegszeit und die nationalsozialistische Bewegung als Fortsetzung des Kriegseinsatzes der Frontsoldaten dar. In diesem Werk, das eine Auflagenhöhe von über 400 000 Exemplaren erreichte, beschrieb Zöberlein den Werdegang des Schuhmachersohnes und Frontsoldaten Hans Krafft zum glühenden Anhänger des Nationalsozialismus. Nach Einschätzung von Tobias Schneider sei dieser „inhaltlich wie sprachlich primitive Roman […] mit das übelste antisemitische Machwerk der gesamten NS-Belletristik“ und der „Weg nach Auschwitz“ darin schon klar vorgezeichnet. Juden werden darin explizit mit ‚„Ungeziefer“ verglichen und als „Judenschweine“ diffamiert. Zugleich werden radikale Gegenmaßnahmen gefordert: „Den Baum, der giftige Früchte trägt, muß man umhauen und ins Feuer werfen. Hier darf es kein Mitleid geben. Mitleid ist Schwäche.“


    Als ich Ende letzten Jahres ein Buch über den Rundfunk in Nazi-Deutschland gelesen habe, fiel mir auf, dass ich vom Literaturbetrieb in der NS-Zeit - ich meine jetzt nicht deutsche Exilliteratur, sondern den staatstragenden Mist - überhaupt keine Vorstellung habe. Um mir einen Eindruck von Tonfall und Machart nationalsozialistischer und antisemitischer Literatur zu machen, will ich nun ein solch abstoßendes Machwerk lesen. Nach einer kleinen Internetrecherche sind drei Titel hängengeblieben: "Die Sünde wider das Blut" von Artur Dinter, "Der Tod in Polen" von Edwin Erich Dwinger und - wahrscheinlich das schrecklichste - "Der Befehl des Gewissens" von Hans Zöberlein. Und genau das letzte nehme ich mir nun zur Brust. Mal sehen, wann ich es bereue... 8-[ Damit ich nicht alleine leide, mache ich mein "Lektüre-Tagebuch" öffentlich. Es wird hoffentlich interessant. Ich versuche pro Tag, ein bis zwei Kapitel (die zwischen 12 und 25 Seiten lang zu sein scheinen) zu lesen.



    Ich habe die 8. Auflage des Romans (1. Auflage 1937) zur Hand, was in dem Fall bedeutet, dass schon 1938 151. bis 170. Tausend Exemplare gedruckt wurden. Meine Ausgabe ist im Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachfahren, München erschienen. Die Zeichnung im Text stammen von einem Kunstmaler namens Albert Reich aus München. Die Schrift ist Deutsche Schrift, die ich aber ganz gut lesen kann. Der Roman "Der Befehl des Gewissens. Ein Roman von den Wirren der Nachkriegszeit und der ersten Erhebung" umfasst sage und schreibe 990 Seiten. Nach dem zweiseitigen Inhaltsverzeichnis steht mittig auf Seite 7, die ansonsten leer ist, wie als Motto "Der Kampf um Deutschland geht weiter". Da kommt was auf mich zu! 8-[


    Das erste Kapitel "Der Hunderter" spielt kurz nach dem Waffenstillstand des Ersten Weltkrieges. Vier befreundete Frontsoldaten tauchen auf, deren Baon (nachgeschlagen: Bataillon) aus Frankreich wieder nach Hause in Richtung Deutschland zieht und gerade die Grenze passiert. Die fünf Männer unterhalten sich über die Zukunft und vor allem über die Revolution in Deutschland. Der Arbeiter und Gewerkschafter Fritz findet sie gut, die anderen sind unentschieden oder dagegen. Für Max sind die Revolutionäre Verbrecher, auf die er schießen würde. Der dazustoßende Hauptmann fügt hinzu, dass die Revolutionäre, im Glauben das Volk zu befreien, gegen die Fürsten und das Militär zu Felde ziehen, aber dadurch nur Deutschland schwächen. Die wahren Feinde - England und Frankreich - warten nur darauf, um danach über Deutschland herzufallen und es "von der Landkarte verschwinden zu lassen". Hauptfigure Hans Krafft (was für ein Name!) kommentiert: "Hat er nicht recht, der Alte?"


    Ein sehr "didaktischer" Anfang, leicht zu lesen und eingängig. Die vier Figuren scheinen nur dazu da zu sein, ein Thema anzuschneiden, haben jenseits davon wenig Eigenleben. Man ist "schnell drin" und auch die Richtung ist klar. Und schon auf den ersten Seiten macht sich bei mir eine gewisse Beklemmung breit: Wie sich die auftauchenden Figuren anbellen. Wie der Laute den leise Verzagten in Grund und Boden redet.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

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  • Im zweiten Kapitel "Im Delirium" läuft Hans Krafft durch das besiegte Nachkriegsdeutschland, wobei er lauter unangenehmen Existenzen begegnet, die ihn an der deutschen Bevölkerung zweifeln lassen, unter anderem einen ihm entfernt bekannten Mann, der stolz darauf ist, sich als Soldat dauernd und immer wieder vor dem Krieg gedrückt zu haben. Dann kommt Hans Krafft, der Arbeitssuchende, in ein schmieriges Rolicht- und Verbrecherviertel, in dem ihn windige Hehler, hohlwangige Prostituierte und hakennasige Drogendealer ("Koks gefällig?") belagern, wie in einem ungesunden, höllischen Strom aus Leibern und Dreck. Das gibt Hans Krafft mehrmals die Gelegenheit, laut und im Stillen zu äußern, Deutschland wäre am Ende, die Juden würden den Volkskörper zersetzen, die sogenannte Revolution wäre Dreck. Das ist alles sprachlich nicht schön und im Grunde langweilig, sehr gedehnt und sich wiederholend. Wirkte Hans Krafft im ersten Kapitel noch wie ein eher ruhiger Beobachter, erscheint er jetzt willensstark und schon "wie ein fertiger Charakter". Eine Entwicklung ist von der Figur in dem Roman wohl nicht mehr zu erwarten.

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  • Im dritten Kapitel "Müßiggang" geht es vor allem um Hans Kraffts Arbeitssuche. Dabei trifft er negativ gezeichnete Personen, unter anderem einen Einstellungschef, der ihn wegen nicht einstellen will, da ihm durch seine Dienstzeit als Soldat Arbeitserfahrungen fehlen. Er kann gut verstehen, dass man "ganz gern einmal so einem Gesicht mit der Faust hineinlangen mchte, damit die Gehirnmasse eines solchen Geschäftsmannes einmal etwas durcheinander kommt und vielleicht doch ein anderes Denken dabei herausdünstet". (S. 50) Später bekommt er keine Arbeit, weil er "nicht organisiert" ist. Seine gedanklich Reaktion (bzw. die der Erzählstimme) gipfelt in dem Satz: "Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein". (S. 52) Allgemein steht das Kapitel im Jammern über den Umgang mit den Frontsoldaten. Der zornige Blickwinkel auf die ignoranten Nachkriegsgewinner lautet: "Und für sowas hat meinen seinen Hals riskiert!". Ansonsten wurmt es Hans Krafft, dass er mit Mitte 20 wieder von seinen Eltern abhängig ist. Außerdem schlägt ihm sein Freund Friedl vor, dem Freikorps beizutreten. Da hätte er ein Einkommen. Da er dabei aber auch für Interessen anderer Staaten als Deutschland eingesetzt würde, will Hans da nicht mittun. Und überhaupt: "Für diese Regierung halte ich den Kopf nicht hin."


    Im Kapitel 4 "Der Antichrist" besucht der frischvermählte Michl mit seiner Braut die alten Kameraden, erst den Fritz (dem es wirtschaftlich sehr schlecht geht), dann den Max, der als Künstler mit einer missgünstigen Russin zusammenlebt (ihre Beziehung wird quasi als düster-pervertiertes Gegenstück zu einer "deutschen Ehe" dargestellt). In seinem Dorf bekommt Michl dann vom Pfarrer zu hören, ihm wäre es nicht recht, dass in Michls Haus anscheinend auf das Tischgebet verzichtet wird. Sollte Michl durch den Umgang mit "Roten" verderbt worden sein. Doch Michl ist nur gegen ein heruntergeleiertes Gebet, das er für wertlos hält. Er bevorzugt ein stilles, innerliches Gedenken.

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  • Na. Irgendwie bist Du auf Seite 63 hängen geblieben, oder? 1'000 Seiten von dem Stuss sind wahrscheinlich auch nicht leicht zu ertragen. Keine Schande nach einem tapferen Start solche Lektüre zurück in den Giftschrank zu stellen. Einen Eindruck wie die Naziliteratur ausgesehen hat, habe ich jedenfalls durch Deine Schilderung erhalten, vielen Dank für diesen Selbstversuch :geek:

  • Ja, ich bin hängen geblieben. Die Figuren sind so flach und mir so fern. Das ist schreckliche Lektüre. Ich versuchs im nächsten Monat vielleicht noch ein bisschen. Aber ich vermute, die 1000 Seiten werde ich nicht schaffen. :lol:

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  • K.-G. Beck-Ewe Ha, da wollte ich gerade auf den Beitrag von Paolo Papa antworten (es war ja sogar sein erster im BT. Schöner Einstand!:wink:), und da hast Du ihn schon entfernt! Danke dafür!:thumleft: Als wäre dieser Propagandaroman eine Option, zu einer objektiven geschichtlichen Einschätzung der Nazizeit zu gelangen. Nach dem Motto: So war es wirklich! Nicht verfälscht durch die "linksgrünversiffte" Geschichtswissenschaft. :wink:[-(Da kann ich mir die verlorene Liebesmüh einer Anwort ja sparen und zu angenehmeren Beschäftigungen übergehen. :wink:


    Ich hab den Roman übrigens auch nicht abgebrochen, weil ich erstaunt oder entsetzt über dessen Antisemitismus gewesen wäre. Damit war ja zu rechnen. So naiv bin ich nicht. :totlach:Ich habe ihn abgebrochen, weil mir der verrohte, asoziale Kasernenhofton gegen den Strich ging, und der Teil, den ich las, obendrein stinklangweilig war. Die schmierige Propaganda legt sich wie ein Grauschleier aufs Gemüt. Und ist auch hinreichend bekannt.

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