Der Autor (nach Wikipedia): H(erbert) G(eorge) Wells, geboren 1866 in Bromley, gestorben 1946 in London, war ein englischer Schriftsteller und Pionier der Science-Fiction-Literatur. Wells, der auch Historiker und Soziologe war, hatte seine größten Erfolge mit den beiden "Scientific Romances" Der Krieg der Welten und Die Zeitmaschine. Wells ist in Deutschland vor allem für seine Science-Fiction-Bücher bekannt, hat aber auch zahlreiche realistische Romane verfasst, die im englischen Sprachraum nach wie vor populär sind.
Inhalt (um Spoiler gekürzter Klappentext): Mr. Polly, ein Mitdreißiger, dicklich geworden, gelblich im Gesicht, die ersten Falten stellen sich ein, hat die Nase voll, und zwar von allem: von Fishbourne, seinem Laden, nicht zuletzt auch von seiner zänkischen Frau Miriam, die "einen ernsthaften Geist mit großem praktischen Unvermögen" verbindet. Auch die Lektüre, die ihn gewissermaßen durch die weite Welt führt, läßt ihn die Wirklichkeit nicht vergessen. So beschließt er, auszusteigen aus seiner bürgerlichen Existenz. Er verlässt seine Frau und zieht als Tramp durch das Land. Zum ersten Mal in seinem Leben ist er glücklich.
Das englische Original des Romans erschien 1910 als "The History of Mr Polly". Die deutsche Übersetzung besorgte Günther Blaicher. Der Roman wurde 1949 von Regisseur Anthony Pelissier mit John Mills in der Hauptrolle als Alfred Polly verfilmt. (Warum der Insel-Verlag ausgerechnet den US-Komiker W.C. Fields aufs Cover geholt hat, wissen die Götter.)
"Mr. Polly steigt aus" ist ein tragikomischer Roman mit einem mittelständischen Antihelden, den sein mittelmäßiges Leben als Ladenbesitzer und Ehemann so anödet, dass er aus ihm ausbricht.
Mit Humor habe ich ja oft meine Probleme, aber H.G. Wells' Tonfall ist ein eindrucksvolles Paradebeispiel britischen Understatements: Er ist schön sarkastisch, unterschwellig humorvoll, nie langweilig und sehr oft überraschend und außergewöhnlich, im Grunde: mit einem entwaffnenden Lächeln über die Stänge schlagend. Dabei behandelt er alle Figuren samt all ihrer Macken, Selbstüberschätzungen und Fehltritte mit viel Respekt, Ernst und Liebe - und dem nötigen Spott. Und über die Geschehnisse des Romans konnte ich meist auch nichts anderes tun als staunend vor Freude die Augen aufreißen, wenn – eher ungewöhnlich – so manche amoralische, fast hanebüchene Wendung einfach nicht „geahndet“ oder rückgängig gemacht wird. H.G. Wells macht einfach keine Gefangenen! Ein gesellschaftliches Sittenbild mit einem englischen Jedermann, der diverse moralische Kämpfe mit seinem Leben, seinem Charakter und seiner Umwelt durchstehen muss. Als er erkennt, dass aktives Handeln sein eingeschlafenes Dasein verbessern kann, nimmt sein Leben wieder einen guten Verlauf.
Dieser Roman ist ein sehr verblüffendes Kleinod über spät gefundene Selbsterkenntnis und neue Lebensfreude. Fast perfekte Unterhaltung; perfekt, weil sie Herz und Verstand nicht außer Acht lässt. Hat mich überrascht und mir sehr, sehr gut gefallen!