Hallgrímur Helgason - Seekrank in München / Sjóveikur í München

  • Inhalt(lt. amazon.de):

    Fast krank vor Schüchternheit muss sich der Student, ohne ein Wort Deutsch zu können, durchschlagen. Auch an der Kunstakademie bleibt er zunächst ein Außenseiter, denn mit den neuen Wilden kann er wenig anfangen. Und auch die Welt draußen ist viel kälter, als es auf Island je werden kann. Der Kalte Krieg ist auf seinem Höhepunkt, und so wacht er jeden Morgen mit der Sorge auf, dass der dritte Weltkrieg bereits begonnen hat. Und dann stellt sich auch noch heraus, dass er eine überaus seltsame Gabe hat, die ihn nicht gerade appetitlich macht. Helgasons Held ist so wie sein Autor: schräg, voller Witz und wunderbar unangepasst.


    Meine Meinung zum Buch:

    Naja, man kann einen Klappentext auch so verfassen, dass ein Buch gar nicht mal so uninteressant wirkt, wie man oben sieht. Fakt ist aber, dass der Kunststudent Jung bereits einiges an Deutsch spricht, als er nach Deutschland kommt.
    Helgason schildert München aus der Sicht eines jungen, naiven, schüchternen, aknegeplagten und ziemlich verklemmten Isländers im Jahr 1981, der sich zu allem Überfluss mit einem Minderwertigkeitskomplex herumschlägt, den er aus seiner isländischen Herkunft zu ziehen scheint. Er muss sich den Hürden der Aufnahmeprüfung an die Kunstschule, der Zimmersuche in der bayerischen Hauptstadt sowie des landesüblichen Bierkonsums stellen, in den er von isländischen Landsmännern eingeweiht wird, die sich ebenfalls als Studenten in München aufhalten. Auch Kontakte zum anderen Geschlecht bergen ihre Tücken, wie der Protagonist Jung feststellt. Durch den gesamten Deutschlandaufenthalt Jungs zieht sich eine Spur seines eigenen Erbrochenen, das recht seltsame chemische Eigenschaften aufweist. Hallgrímur Helgason baut großteils auf genau diese seltsamen chemischen Eigenschaften, um die Handlung im Buch voranzutreiben und ihr immer wieder gewisse Wendungen aufzuerlegen. Punktuell mag das ja ganz amüsant sein, doch ich bin eindeutig kein Fan von einer vierhundert Seiten langen Kotzspur durch einen Roman. (Wobei ich zugeben muss, dass ich mir durchaus bewusst bin, dass das Erbrochene in Helgasons Roman sehr wohl als eine Art Symbol der inneren Entwicklung des Protagonisten verstanden werden kann.) Aber als zugrunde liegende Handlung empfinde ich den Deutschlandaufenthalt mit Bier-Besäufnissen, repetitivem Erbrechen sowie hormongetriebenen Schwärmereien und Erektionen, die auch mal in einer Ejakulation an eine Balkontürscheibe enden, als ein bisschen zu dünn.


    Der Aspekt, der mich Seekrank in München hat zu Ende lesen lassen, liegt zum einen in einigen extrem schrägen, aber sehr treffenden Metaphern - diese Art von Metaphern verwendet Helgason auch in seinen anderen Romanen und sind meines Erachtens ein echter Pluspunkt dieses Autors – und die gedankliche Auseinandersetzung seines Protagonisten mit dem Wesen von Kunst, Kunstepochen, Künstlern wie Joseph Beuys, Dalí und immer wieder mit dem Oeuvre des von ihm verehrten Marcel Duchamp, dann empfinde ich diese Passagen als durchaus lesenswert. Die geradezu naiven, gleichzeitig sehr direkten Gedanken und Schlussfolgerungen haben mich manchmal sehr verblüfft.


    Zwei Beispiele bezüglich Helgasons Sprache habe ich bereits im „Zitate u. Sätze, die mir gut gefallen haben...“-Thread gepostet.
    Hier noch ein Zitat zu Jungs Gedanken bezüglich der Epoche der Renaissance, die er wiederum in Form einer cleveren Metapher bringt:

    Zitat von Hallgrímur Helgason

    Die Renaissance war so etwas wie ein Staffellauf auf den Berg der Kunst. Giotto war locker losgetrabt, der erste Maler des Lebens, mit seinen simplen Freskofarben, dann übernahm Donatello, der erste Bildhauer, den Stab und legte ein ordentliches Stück zurück, ehe er ihn seinerseits an den blutjungen Maler Masaccio weitergab, der mutig das erste Steilstück überwand und dann den Staffettenstab an den oben auf einem Stein wartenden, blässlich dicken Botticelli überreichte. Der schlich über den Abhang und schnaufte dabei wie der Gott des Windes in seinen eigenen Bildern, dann wurde es wieder steiler, und da wartete ein kleiner, aber kräftiger Maler und Bildhauer namens Verrocchio, …

    ... und so geht das weiter über Leonardo da Vinci bis hin zu Michelangelo - sehr schön, gefällt mir gut.


    Der beiden positiven Aspekte wegen gebe ich dem Roman drei Sterne :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: . Aber ich bin nicht der Meinung, dass man etwas verpasst, wenn man Seekrank in München nicht gelesen hat. Schade.




    Zum Autor (sh. Autorenseite auf wikipedia.de):

    Zitat von wikipedia.de

    Hallgrímur Helgason (* 18. Februar 1959 in Reykjavík) ist ein isländischer Autor.


    Nach dem Studium an der Hochschule für Kunst und Kunstgewerbe in Reykjavík 1979–80 besuchte er ein Jahr die Kunstakademie in München. Seit 1982 arbeitet er sowohl als Künstler als auch als Autor in Reykjavík. Sein erster Roman Hella erschien 1990. Seinen internationalen Durchbruch hatte er mit dem Roman 101 Reykjavík, …

    Ich denke, man darf getrost annehmen, dass Helgason in Seekrank in München einiges an autobiographischen Details verarbeitet hat …

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Bei mir liegt noch so einiges von Helgason auf dem SUB, aber dieses Buch lasse ich meinem Magen zuliebe wohl lieber aus.

    "Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler" (Philippe Dijan)


    Tauschgnom

  • Bei mir liegt noch so einiges von Helgason auf dem SUB, aber dieses Buch lasse ich meinem Magen zuliebe wohl lieber aus.

    Um ehrlich zu sein, hat mir dieser Roman weniger auf den Magen geschlagen als die aktuelle politische Linie, die da einige in Deutschland und Europa (und weltweit sowieso) fahren.
    Aber ansonsten gilt wirklich: man verpasst nicht allzuviel, wenn man nicht gerade eine Faible für Mageninhalte hat. Eine Frau bei 1000° vom selben Autor fand ich auch nicht unbedingt überzeugend.

    Das isländische Original heißt "Sjóveikur í München". Für den Fall, dass jemand es lesen möchte, hier bitteschön.

    Danke. Den Originaltitel hatte ich nicht gefunden. Er ist noch nicht einmal bei den Verlagsdaten angegeben. Könnte der Typ auf dem Foto evtl. Helgason selbst sein?

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Ich sehe da schon eine gewisse Ähnlichkeit, wenn ich mir die Gesichtsform so anschaue.

    "Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler" (Philippe Dijan)


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