Gonzalo Giner - Der Reiter der Stille / El jinete del silencio

  • 3,5 Sterne


    Zum Inhalt


    Andalusien, 1522


    In einem Stall entbindet die unverheiratete Magd den kleinen Yago, entsprungen aus einem sehr flüchtigen Verhältnis mit dem angesehenen Plantagenbesitzer Luis Espinosa. Doch ebenso wie die Umstände seiner Geburt ist auch sein weiteres Leben von Schmerz und Enttäuschungen geprägt.
    Durch die grausame Erziehung seiner Tante und seinem daraus folgenden Unvermögen, sich anderen Menschen mitzuteilen, ist Yago ein nahezu unmenschlicher Weg bereitet worden, der ihn an den Rand der Gesellschaft drängt und der Willkür seiner Mitmenschen aussetzt.
    Ein paar kleine, zarte Lichtblicke schaffen es jedoch, ihn aus seiner in sich zurückgezogenen Welt hervorzulocken und die enge Verbundenheit zu Pferden rettet ihm nicht nur mehrfach das Leben, sondern zeigt ihm auch eine Chance zu entdecken, wer er wirklich ist.


    Meine Meinung


    Ich muss ja gestehen, dass ich hier im ersten Moment von dem Cover total begeistert war. Die Farben und das Arrangement haben mich sofort angesprungen und auch die Geschichte hat sich spannend angehört.


    Der Klappentext verrät leider meiner Meinung nach etwas zuviel. Deshalb war ich am Anfang etwas enttäuscht, weil ich nicht mit so einer ausführlichen "Vorgeschichte" gerechnet hatte. Ich konnte mich dann aber recht schnell darauf einstellen und fand gerade die Passagen um Yago faszinierend, gleichzeitig aber auch erschreckend. Was er hier erleben muss ist an Grausamkeiten kaum noch zu überbieten und ich habe sehr mit ihm mitgelitten. Umso beeindruckender fand ich, wie er es trotz seines Autismus immer wieder schafft, zaghafte Verbindungen mit der "Außenwelt" zu knüpfen und sich einer Normalität anzunähern, die ihm seit seiner Geburt verwehrt worden ist.
    In Einsamkeit und ohne Liebe aufzuwachsen, misshandelt und gefangen in beständiger Angst und Hilflosigkeit - ein Schicksal unter vielen zur damaligen Zeit, dass der Autor hier mit viel Feingefühl und Anschaulichkeit erzählt hat.


    Es gab aber auch noch andere Handlungsstränge, die mich nicht alle gleichermaßen begeistern konnten


    - Das Leben von Yagos Vater, Luis Espinosa, der sich dem Ziel von Reichtum und Macht verschrieben hat und dazu über Leichen geht.
    - Fabián Mandrago, ein Inspekteur, der Luis Machenschaften auf der Spur ist
    - Der Kartäusermönch Camilo, der durch sein Mitgefühl eine große Rolle in Yagos Leben spielen wird und
    - Volker von Wortmann, ein deutscher Offizier und Kommandant der Leibgarde des Vizekönigs von Neapel, der eine große Wandlung durchmacht.


    Das sind nur einige, denn auf Yagos Reise begegnen ihm noch viele weitere Figuren, die ihn in die tiefsten Abgründe der menschlichen Hölle führen, aber auch einige, die ihn wieder daraus hervorlocken.


    Viele Themen wurden in der Handlung angeschnitten; die Pferdezucht, der Glaube, die Seefahrt, die Sklaven, Krankheiten und Medizin, die Regierung, die Musik, die Kunst ... ein wirklich vielfältiges Spektrum, das aber sehr gut aufeinander abgestimmt war und sich auch wunderbar miteinander verwoben hat. Trotzdem waren mir einige Abschnitte zu langatmig und ich musste mich beim Lesen doch manchmal überwinden. Manche Wendungen und Verläufe sind mir zu umständlich gewesen und es gab auch sehr viele Zufälle, auch wenn sie geschickt kaschiert worden sind.
    Manchmal hatte ich den Gedanken, dass es etwas zu viel war, was Yago in seinem Leben passiert ist, das soviel Unglück einem einzelnen Menschen gar nicht passieren kann! Dadurch war es aber auch umso realistischer, denn die damalige Zeit ist eben auch in vielerlei Hinsicht genau so gewesen.


    Die Bewertung ist mir hier sehr schwer gefallen, weil gerade der Lebensweg von Yago mir imponiert hat und eindrucksvolle Momente geschaffen wurden; demgegenüber aber auch vieles andere streckenweise zäh und für mich leider auch langweilig war. Am liebsten würde ich die Sterne komplett weglassen - aber da ich es auf anderen Plattformen eh angeben "muss", hab ich mich für eine Zwischenlösung entschieden. Wirklich zufrieden bin ich damit aber auch nicht.


    Fazit


    Beeindruckende und gut recherchierte Geschichte um Yago, der kaum Chancen hatte, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sein besonderes Gespür zu Pferden hat ihm jedoch einen Ausweg gezeigt, der ihm immer wieder den Mut gegeben hat, weiterzumachen und seinen Weg zu finden.


    © Aleshanee
    Weltenwanderer