Christa Hubrig, Birgit Hallerbach, Thomas Wosnitza & Ralf Herzenberger - Lernen und Lehren mit Hirn

  • Eigenzitat aus amazon.de:


    In den letzten zwei Jahrzehnten haben Bilder von Hirnscans immer wieder in populärwissenschaftli-chen Artikeln in der Öffentlichkeit – aber auch unter Nichtneurologen und Politikern – zu allerlei Diskussionen geführt und eine verhaltensorientierte pädagogische Abschlussarbeit, die nicht auf solche Bilder Bezug nehmen wollte, musste schon mal damit rechnen, dass sie als nicht aktuell genug nicht optimal bewertet wurde. Dabei waren sich die Ersteller dieser bunten Bildchen oft selbst nicht ganz klar darüber, was diese denn im Endeffekt wirklich bedeuten sollten. Wie an einer Stelle in diesem Buch gesagt wird: Koinzidenz ist nicht gleich Dependenz.


    Dankenswerter stellt das vorliegende Buch die Frage nach der Relevanz von Hirnuntersuchungen für die pädagogische Arbeit – leider aber nicht prominent ganz zu Beginn, sondern erst etwas weiter in dem Band. Das liegt in erster Linie auch daran, dass die vier Autorinnen und Autoren für jeweils einen anderen Teil des Buchs verantwortlich zeichnen und so nach einer etwas langwierigen Einführung erst die Unterrichtsforschung und die systemisch-konstruktivistische Perspektive auf das Lernen zu Wort kommen, bevor ab Seite 102 dann wirklich auf das Gehirn und Gehirnscans eingegangen wird. Die dann später in diesem Großkapitel gegebenen Beobachtungen und Tipps für die Unterrichtsarbeit haben dann wieder nur zum Teil mit Erkenntnissen der Hirnforschung direkt zu tun.


    Das letzte Kapitel über „Herausfordernde Situationen für Lehrpersonen“ beschäftigt sich dann mit aggressiven Schülern, Schulsettings, Konfliktarbeit, Burn-out-Prophylaxe, ADHS, Elternarbeit und ganz besonders der Inklusion, die von der Autorengruppe als eine Chance zur Verbesserung der Schule an sich gewertet wird, wobei auch hier wieder einmal auf das Beispiel von Finnland Bezug genommen wird, was vor der Betrachtung der neueren PISA-Ergebnisse, die erste Aussage über das kurz vor dem sogenannten PISA-Schock reformierte System (eine Reform, die erst nach der damaligen Auswertung abgeschlossen gewesen ist), nicht unbedingt glücklich erscheint. In diesem Großkapitel werden sehr viele Forderungen personeller, struktureller und räumlicher Art gestellt, die nach Meinung der Autorinnen und Autoren (und auch nach Meinung des Rezensenten) erfüllt werden müssten, damit Inklusion flächendeckend gelingen kann. Inwiefern das Schulsystem ohne diese Dinge den zu inkludierenden Kindern und Jugendlichen gerecht werden kann wird dabei nicht gefragt – es geht hier wohl in erster Linie um eine programmatische Darstellung – und eine Zukunftsvision.


    Das im Titel aufgeführte Hirn tritt in diesem Band also nicht so häufig auf – auch weil vor dem Auftritt viel systemisches Grundwissen präsentiert wird und später viel Methodik an Fallbeispielen. Das ist nicht notwendigerweise schlecht – aber so ist nicht nur – und auch nicht vorwiegend – „Nutella“ drin, wo „Nutella“ draufsteht.


    Bei einigen der Schreibenden sind direkt aufeinander folgende Fallbeispiele auch nicht unbedingt immer ersichtlich thematisch miteinander verbunden. Sie sind zwar größtenteils interessant und die Demonstration systemischer Methodik dabei ist durchaus inspirierend, aber es wirkt in sich schon manchmal ein wenig unsortiert.


    Also, eine ganz gute Einführung in das systemische Arbeiten mit vielen Fallbeispielen, einigen Ver-bindungen zur Hirnforschung und einem Programm zur Inklusion – wobei die Überlegungen zur ADHS-Betrachtung in der Schule durchaus auch von großer Bedeutung sind. Eher ein thematischer Steinbruch, als ein Buch, das man in einem Zug durchlesen sollte – aber genauso wurde es wohl auch geplant.