Herausragende Erzählform + herausragender Schreibstil = hervorstechenderRoman
Klappentext
„Seit Jahren sind sie beste Freunde, fast alles haben siezusammen gemacht - wie Raben. Jetzt, nach dem Abitur, muss jeder für sichentscheiden, wie es weitergeht. Die Ich-Erzählerin Juli entschließt sich zustudieren, doch noch bevor es losgeht, verändert sich alles, Schlag auf Schlag:Niels, mit dem sie seit einem Jahr zusammen ist, macht mit ihr Schluss. Augustlüftet sein Geheimnis. Und Ronja geht nach London. Juli ist auf sich alleingestellt und muss ihr Leben, das ihr wie ein Haufen lauter kleine Schnipselvorkommt, neu sortieren.“
Gestaltung
Blau, schwarz, gelb – dies sind die Hauptfarben, die aufdem Cover vertreten sind. Ich mag es sehr gerne, da es schlicht gehalten istund perfekt zur Geschichte passt. Die vier Raben auf einer Leine am linken Bildrandgreifen sehr schön wichtige Elemente aus der Handlung auf: sie spiegeln dievier Freunde wieder und stellen optisch den Bezug zum Titel sowie zur Handlung,in welcher die Bedeutung der Raben aufgegriffen wird, her. Auch ihrePositionierung auf der Leine sowie die Blickrichtungen der Tiere lassen vieleInterpretationen zu. Ein in seiner Schlichtheit sehr tiefgreifendes Cover,passend zur beeindruckenden Handlung! Einfach nur toll!
Meine Meinung
Ich habe „Rabensommer“ innerhalb eines einzigen Tages komplettverschlungen. Doch auch noch Tage nach dem Beenden dieser Lektüre, lässt michder Roman nicht los. Ich habe so viele Gedanken und Interpretationen, möglicheDeutungen und Gefühle im Kopf, dass es mir schwer fällt, sie zu ordnen undnicht alle in diese Rezension zu verfrachten. „Rabensommer“ ist ein sounglaublich vielschichtiger und komplexer Roman voller Aspekte, die manbetrachten, untersuchen und entdecken kann (sowohl in Bezug auf den Titel alsauch auf die Gestaltung und die Handlung an sich)!
In einer Szene im Roman beschreibt Protagonistin Juli,wie alle Geräusche um sie herum verstummen. Genauso erging es mir beim Lesendieses Romans. Die Geräusche meiner Außenwelt haben sich ausgeblendet. Ichwurde in die Geschichte gesogen und war so ergriffen von den Erlebnissen derProtagonisten, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte.
Juli ist die Ich-Erzählerin. Sie hat ihr Abitur frisch inder Tasche und erlebt mit ihren drei besten Freunden Niels, August und Ronja denletzten gemeinsamen Sommer, bevor sie in unterschiedliche Richtungen ihrerZukunft aufbrechen. Die Handlung ist dabei in zwei Teile gegliedert, vonwelchen sich der erste vorrangig mit dem Sommer, Partys und Julis Liebe zuNiels beschäftigt. Nach einem bedeutsamen Ereignis für Juli folgt der zweiteTeil, welcher das neue Leben und die Veränderungen nach dem Sommer aufgreift.Die beiden Teile stehen einander gegenüber, da auf der einen Seite Julis altesLeben, ihre Jugend steht und auf der anderen Seite ihr neuer Lebensweg, ihrErwachsenwerden. Es herrscht eine Stimmung voller gemischter Gefühle,Melancholie und letztendlich auch Hoffnung, welche mich als Leser sofortmitgerissen hat und für mich sehr greifbar war.
Auch stilistisch grenzt die Autorin Elisabeth Steinkellnerdie zwei Teile anhand der Erzählform voneinander ab. Während der erste Teilnoch in Form eines Fließtextes gehalten ist, stellt der Zweite eine bunte,poetische Sammlung von Träumen, Liedtexten, SMS-Nachrichten, Postkarten undEinkaufslisten dar. Nach dem Wendepunkt amEnde des ersten Teils erhalten wir Leser durch die Gestaltung des Textes nurnoch kurze Einblicke in Julis Leben. Rasch aufgeschriebene Gedanken, anToilettenwänden gefundene Sprüche, Begegnungen im Waschsalon. So erlebt derLeser ihre Situation, wodurch er einen umfassenden Einblick in ihr Gefühlschaosund ihre Antriebslosigkeit bekommt. Durch den Wechsel in der Erzählform habeich Julis Leben gebannt verfolgt und voller Spannung darauf gewartet, was sieals nächstes tun würde, wann sie sich aufrafft und ihr Leben, ihre Zukunftwieder beginnen lässt. Die allmählichen Veränderungen habe ich dabei ebenso wieJuli zunächst kaum bemerkt. Erst am Romanende habe ich begriffen, dassVeränderung sich einerseits urplötzlich, andererseits aber auch schleichendvollziehen kann.
Diese stilistische Abgrenzung der beiden Teile hat mir sehrgut gefallen. Doch trotz all meiner Begeisterung hierfür, muss ich auch sagen,dass mir die erste Hälfte noch ein klein wenig besser gefallen hat. Dadurch,dass im zweiten Teil immer nur ein Satz oder kurzer Abschnitt auf einer Seitesteht, war mein Lesefluss eher abgehakt und wurde durch das Umblättern derSeiten unterbrochen. So war ich zwar fasziniert von der Erzählform, aberdennoch hatte ich keine Ruhe beim Lesen.
Ich mochte es sehr, dass es so viele Möglichkeiten indiesem Roman gibt, die unterschiedlichsten Bedeutungen zu entdecken. Mirerschien „Rabensommer“ wie ein Tagebuch von Juli. Im zweiten Teil gleicht ihrLeben jedoch eher einer Sammlung verschiedener Post-its bzw. Schnipsel. DieseUmschreibung passt perfekt zur zweiten Romanhälfte. „Rabensommer“ ist somitteils Tagebuch, teils Schnipselsammlung, was mir sehr gut gefallen hat, da esden Roman zu etwas besonderem macht.
Auch der Schreibstil der Autorin ist in diesemZusammenhang hervorzuheben. Ich wurde von den Worten nahezu gefesselt. Auf dereinen Ebene ist die Sprache sehr komplex, aber dennoch überrascht und überzeugtsie durch sprachliche Klarheit in Form von kurzen Sätzen, die die Innenwelt derProtagonistin unglaublich gut wiedergeben. Die Sprache ist angepasst an dieJugendlichen, voller Vergleiche sowie Bilder. Sie zeichnet sich durch teilweisefehlende Pronomen, Artikel oder Verben aus, die aber perfekt zur Erzählart derProtagonistin passen und den Roman daher nur noch mehr so wirken lassen, alswürde Juli alles erzählen oder niederschreiben.
Die Figurenwelt ist sehr vielfältig gestaltet. Der Romankonzentriert sich auf Protagonistin Juli, aber auch andere Figuren, wie ihre Freunde, bekommen ihren Raum. Gefallenhat mir, dass die Charaktere so unterschiedlich waren. Ich konnte mir im erstenTeil ein gutes Bild von Julis Freunden machen, da sie aktiv an ihrem Lebenbeteiligt waren. Ronja und August habe ich sofort in mein Herz geschlossen, dadie beiden durch ihre Besonderheiten hervorgestochen sind. Niels ist hingegenetwas blass geblieben und hat auch durch seinen Charakter nicht vielePluspunkte bei mir sammeln können. Am meisten konnte ich mich jedoch mit Juliidentifizieren. Sie ist authentisch und ich hatte direkt einen Draht zu ihr.
„Rabensommer“ beschäftigt sich mit einer Zeit desUmbruchs und mit sehr vielen bedeutsamen Themen (wie denen der Liebe oder derSexualität), die jeden Menschen im Leben beschäftigen. Da die Zeit nach demAbitur bei mir selber auch noch nicht so lange zurück liegt, hat mich diese Thematikdes Romans sofort gepackt und Erinnerungen geweckt. Auf der einen Seite ist dadieses riesige Freiheitsgefühl, aber auf der anderen Seite ist da auch diesebedrückende Beklemmung und die große Unsicherheit, da man um die Wichtigkeitdieser Zeit weiß. Diese bedeutungsschwere Stimmung greift der Roman perfekt auf,da er die Schwierigkeit des Erwachsenwerdens unglaublich realistisch undgreifbar widerspiegelt. Durch diese atmosphärische Dichtheit hat mich der Romantief berührt.
Fazit
„Rabensommer“ ist ein unglaublich komplexer,vielschichtiger Roman, der viele Interpretationsmöglichkeiten bietet und seinenLesern viel Stoff zum Nachdenken bereitstellt. Die Themen des Romans haben michzutiefst bewegt, da sie nah an meiner Lebenswelt sind. Die Figuren befindensich an einem Scheidepunkt zwischen Vergangenheit und Zukunftsplänen und sindsehr authentisch. Mein einziger, kleiner Kritikpunkt ist, dass mir die ersteRomanhälfte ein klein wenig besser gefallen hat als die Zweite, da ich beidieser in einem eher stockendem Lesefluss war. Aber dennoch: „Rabensommer“ ist einherausragender, überwältigender Roman voller Möglichkeiten, der euchbeschäftigen und nicht mehr loslassen wird. Überzeugt euch selbst davon!
Sehr gute 4 von 5 Sternen!
Reihen-Infos
Einzelband