Liza Cody - Was sie nicht umbringt ... / Bucket Nut

  • Die Autorin (nach Wikipedia und krimi-couch.de): Liza Cody ist das Pseudonym von Liza Nassim, die am 11. April 1944 geboren wurde und in London aufwuchs. Dort studierte sie Malerei. Sie hat als Fotografin, Malerin, Textildesignerin und Möbelbauerin gearbeitet, bevor sie mit dem Schreiben begann. Außerdem restaurierte sie Wachsfiguren bei Madame Tussauds und war Roadie bei „einer der schlechtesten Bands von London“, wie sie selber sagt, und kennt die Londoner Musikszene der sechziger und siebziger Jahre von innen (verarbeitet in ihrem Roman "Gimme More" von 2000). 1980 schuf sie ihre erste Serienheldin, die Privatdetektivin Anna Lee (deren Abenteuer Stoff für eine britische TV-Serie boten). In den 1990er-Jahren begann Liza Cody ihre zweite Krimireihe, die sich um Eva Wylie dreht. Liza Cody ist ein bekennender Fan des Frauencatchens und hat ihre Heldin nach dem britischen Star „Klondike Kate“ modelliert. 2013 schrieb sie den allseits geschätzten Roman „Lady Bag“. Aber noch nicht einmal der hat es geschafft, sie auch hierzulande in dem Maße, in dem sie es verdient hätte, bekannt zu machen. (Vielleicht sind es doch nicht die einfallslosen, auf Nummer sicher gehenden Verlage, sondern doch das langweilige Gros der Krimileser in Deutschland, das einfach keinen guten Geschmack besitzt und lieber den x-ten Aufguss bekannter Formatware konsumiert, wer weiß... :friends: )


    Der Kriminalroman erschien im englischen Original 1992 als „Bucket Nut“ (im selben Jahr erhielt er den Silver Dagger Award der britischen Crime Writers’ Association) und wurde 1993 in deutscher Übersetzung von Regina Rawlinson unter dem Titel „Schweres Geschütz“ als Goldmann-Taschenbuch veröffentlicht (zwei Auflagen mit zwei unterschiedlich hässlichen Covern). Im Jahr 2000 brachte der Hamburger Argument-Verlag den Roman in der gleichen Übersetzung, aber unter dem Titel „Was sie nicht umbringt ...“ mit schon wieder hässlichem Cover erneut heraus. Im April 2015 kam es, nach dem Erfolg von Liza Codys Roman "Lady Bag", zu einer Neuausgabe der Eva-Wylie-Reihe mit schickem schwarzen Cover.


    Eva Wylie ist wirklich eine der außergewöhnlichsten Serienfiguren, die in den letzten Jahren die Krimiszene betreten haben: Wie sie vor sich hin wettert, ihr Leben am Rand der Gesellschaft in ihren eigenen Worten erklärt, den Leser immer direkt ansprechend, ist schon ein ganz besonderer, schön ruppiger Tonfall, der einen sehr für sie einnimmt (für das englische Original sollte man sich anscheinend gut mit Londoner Straßen-Slang auskennen). Eine wilde Frau, die oft gegen Wände läuft, überall aneckt, um keinen mauligen Spruch verlegen ist, durch deren problematischen Alltag ihr man aber auch sehr gerne durch dick und dünn folgen mag. Wirklich launige Underdog-Literatur!


    Eva ist eine vierschrötige, große, nicht hübsche und sehr durchtrainierte Wrestlerin in ihren frühen Zwanzigern. Als „Londoner Killerqueen“ (im Original „The London Lassassin“) träumt sie vom großen Durchbruch und dem Gewinn der Schwergewichtsmeisterschaft im Frauencatchen, muss bisher allerdings eher gegen die dritte Wahl antreten. Wer sie schief anschaut, kriegt was zu hören. Trauen tut sie überhaupt keinem. Sie ist street-smart, aber beratungsresistent. Ihre gesamte Habe passt in einen Rucksack. Eine Zeit lang lebte sie obdachlos auf der Straße, sie, die Tochter einer alleinerziehenden Alkoholikerin, unangenehm bekannt mit Jugendheimen und Kleinkriminalität. Gleichzeitig sucht sie ihre verschwundene Schwester, die vor Jahren anscheinend von einer Pflegefamilie adoptiert worden ist.


    Inzwischen lebt sie als Nachtwächterin mit zwei Kampfhunden in einem fahruntüchtigen Wohnwagenanhänger auf einem Schrottplatz und übernimmt für einen chinesischen Mafiaboss kleinere Botengänge. Dabei gerät sie fast ohne eigenes Verschulden mit ihrem Dickschädel zwischen die Fronten dreier Unterweltbanden, die ihr plötzlich alle ans Leder wollen: Zuerst rettet sie bei einem Tränengasangriff in einem Nachtklub ein etwas unbedarftes Girlie vor den Rauchschwaden, dann überbringt sie ohne es zu wissen eine Bombe. Die zwei so unterschiedlichen Frauen bilden eine Zeitlang eine etwas holperige Not-Wohngemeinschaft, in der Eva nach und nach den Wert freundlicher Worte, von Gemeinschaft, Mitgefühl und von ein klein wenig Luxus (warmes Wasser, Seife, nicht immer nur Konservendosenfraß) zu schätzen lernt. Doch ist die Gerettete vielleicht gar nicht so unbedarft, wie sie tut? Vielmehr sogar: der Stein des Anstoßes? Gerade in dem Moment, als wirkliche alle Halbweltkräfte hinter Eva her sind, ergibt sich die Chance, gegen eine große Nummer im Wrestling-Zirkus anzutreten. Das kann sich Eva natürlich – und wider besseres Wissen – nicht entgehen lassen. Und im Zuschauerraum sammeln sich bis an die Zähne bewaffnete Gangster ...


    Das ist wirklich mal eine richtig tolle, ungewöhnliche Serienheldin mit eigenem Kopf und ziemlicher Schlagkraft. Eine harte Schale, umgeben von Zynismus und Bauernschläue, in der tapfer (oder ängstlich) ein weiches Herz verborgen wird. Kein Krimi, der nur von seiner Auflösung lebt. Keine clever konstruierte Handlung mit nichts dahinter, sondern eine von seinen Charakteren getriebene Geschichte mit authentischen Ambitionen und menschlichen Fehlern. Was wird Eva als nächstes tun, ist die entscheidende Frage, nicht: Wer ist der Täter und warum? Hier wird keine heile Welt durch einen Kriminalfall gestört, die dann von strahlenden oder abgewrackten Kommissaren wieder ins Lot gerückt werden muss. Stattdessen wird eine kleine kriminelle Welt mit abefucktem Leben gefüllt. Eine Halbwelt-Ballade und ein fesselnder Blick auf die Underdogs am Rande der Gesellschaft. Von der Haltung und dem Stil her handelt es sich bei dem ersten Eva-Wylie-Roman „Bucket Nut“ klar um eine hartgesottene Noir-Geschichte, die bei aller abgewrackten Düsterkeit jedoch einen sehr unterhaltsamen Tonfall anschlägt. Ein Glücksfall, wie stilsicher hier Genregrenzen aufgebrochen werden. Ich höre die Langweiler schon heulen: Ist das überhaupt ein Krimi? Ich sage: Ist das wichtig? Tragödie? Komödie? Oder einfach ein Roman über einen Menschen, der gegen alle Widrigkeiten seinen Weg zu gehen versucht?


    Ein großer Genuss, wie gewissenhaft die Autorin mit ihrer Hauptfigur umgeht, sie niemals der Lächerlichkeit preisgibt und nie von außen abfällig bewertet. Wer an Underdog-Literatur Gefallen hat und wer wissen will, was mit den Mitteln der Kriminalliteratur alles erzählt werden kann, muss den Roman unbedingt lesen! An Eva Wylie hab ich einen Narren gefressen; sie schickt sich an, die taxifahrende Hobbydetektivin Carlotta Carlyle vom Sockel zu schubsen: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (41/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Eine Neuausgabe von "Bucket Nut" aus dem Jahr 2012 von Bloomsbury Paperbacks. Auch als Kindle-Ausgabe zu haben...

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (41/223)


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  • Oups, wir haben gleichzeitig gepostet :totlach: Ich weiss nicht, wie ich das jetzt löschen kann :-,

    Ach, im Roman sinds ja eh zwei Hunde ... :lol: (Dafür auf der deutschen Ausgabe: ein Piranha. Viele Tiere!) :cat:

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