Iwan Turgenjew - Tagebuch eines überflüssigen Menschen / Dnevnik lishnego cheloveka / Дневник лишнего человека

  • Original : Дневник лишнего человека (Russisch, 1849 zuerst in den « Annalen des Vaterlandes » veröffentlicht, dann 1860 in Buchform)


    Verschiedene Übersetzungen…


    INHALT :
    Tagebuchaufzeichnungen eines vom Arzt als vom Tode gezeichneten Mannes vom Tag der Ankündigung bis zum vermeintlichen Todestag. Tschulkaturin erinnert sich resigniert insbesondere seiner ungeachteten Liebe zu Lisa und seinem Gefühl, « überflüssig » zu sein…


    BEMERKUNGEN :
    An einem 20.3. eines ungenannten Jahres erhält Tschulkaturin nicht nur vom Arzt die Ankündigung seines bevorstehenden Todes, sondern beginnt er auch seine Tagebuchaufzeichnungen, die datiert werden und dann am 1.4. aufhören, dem Tage wohl seines Todes. Was kennzeichnet diese seine letzten Gedanken, was beherrscht sein Empfinden und Erinnern ? Dieser Mann um die 30 erzählt ein wenig von seiner eigenen Familie, der schwachen Vaterfigur, die unter einer von ihren Meriten zusammenbrechenden Ehefrau früh sterben wird (« vor zwanzig Jahren »). Nach den Umzügen in den ersten Lebensjahren lassen Mutter und Sohn sich in Moskau nieder . Doch vor allem denkt er hier an Lisa und die Geschichte ihrer nicht geteilten Liebe, bzw Beziehung, vor nicht allzu langer Zeit. Er lernte sie in einem Kleinstädtchen kennen, ging nach alter Art in dieser Mitte des XIX. Jahrhunderts bei der Familie ein und aus.


    Doch dann taucht er auf, der scheinbar charmante Prinz, unerreichbar, und umwirbt in lockerer Art, oder aber schlichtweg mit Eleganz und den gehörigen Sitten (?) die junge Lisa. Als er später wieder ohne Umschweife das Städtchen verlassen wird ist der Lebenskern des Mädchen getroffen. Und das Gefühl, nicht auf der Höhe zu sein, « überflüssig », oder das « fünfte Rad gewesen zu sein », unauslöschlich in Tschulkaturin eingebrannt.


    Er scheint sich im Anschluß nahezu allein aus diesem seinen Unglück zu definieren : es gibt fast keine andere Dimensionen. Das mag das Eigene am Liebesleid sein, doch wie verkümmernd wirkt es hier. Erzählt er nun eine Episode seines Lebens, oder in diesem Teil quasi das Ganze ?


    Es ist schon toll, mit welcher Präzision Turgenjew hier beschreibt, teils auf sehr moderne Art, wenn auch in einem « alten » Rahmen. Nach jahrelanger Turgenjewabstinenz eine schöne Leseerfahrung !


    Als interessanten Kommentar zitiere ich an dieser Stelle aus einem Artikel, der allerdings eventuell etwas einseitig klingen kann :


    « Der Überflüssige der Gegenwart ist namenlos, arbeitslos und aussichtslos. Er bevölkert ganze Kontinente, und in fast allen Gesellschaften stellt er wenn nicht die Mehrheit, dann eine rapide wachsende Minderheit. Dass er nicht gebraucht wird, muss ihm keiner erklären, dass er nichts und niemandem nützt, dass es keinen Platz für ihn gibt, dass er keinen Anspruch hat, dass er ein Versager ist und ein Verlierer - das ist nicht nur eine Provokation, vor allem ist es seine beständigste Lebenserfahrung. Der Überflüssige ist der Neue Mensch. » (aus einem Artikel von Christian Bommarius in der « Berliner Zeitung im Jahre 2006, Quelle : http://www.berliner-zeitung.de…ft,10810590,10376844.html )


    Müßte man nicht vielmehr von jenem Gefühl reden, überflüssig zu sein, als es etwa als Tatsachenbeschreibung dahinzustellen ?


    AUTOR :
    Iwan Sergejewitsch Turgenjew (russisch : Иван Сергеевич Тургенев * 28. Oktober 1818 in der Nähe von Orjol; 3. September 1883 in Bougival bei Paris) war ein russischer Schriftsteller. Turgenew war einer der Ersten in der russischen Literatur, die die alltäglichen Nöte und Ängste der russischen Gesellschaft thematisierten. Er gilt als Vertreter des russischen Realismus'.


    Er stammte aus einem alten Adelsgeschlecht, sein Vater war Offizier in der russischen Armee. Seine Eltern hatten mehrere tausend Leibeigene. Seine Kindheit verbrachte er hauptsächlich in Orjol und wurde dort von Privatlehrern unterrichtet. 1827 wurde seine Erziehung in einem Moskauer Pensionat fortgesetzt. Der (deutschstämmige) Direktor des Instituts, Krause, förderte Turgenews Hinwendung zur europäischen Kultur.


    Nach dem Schulabschluss studierte er Literatur, 1833/34 in Moskau, von 1834 bis 1837 in Sankt Petersburg. Von 1838 bis 1841 begab er sich zum Studieren ins Ausland. Turgenew hatte ein sehr geselliges Wesen. In Berlin befasste er sich insbesondere mit der Philosophie Hegels bei dessen Schüler Karl Werder.


    Nach seiner Rückkehr nach Russland folgte ein kurzes Zwischenspiel als Beamter in Petersburg. Dann kehrte er nach Orjol zurück und gab die Leibeigenen seines Gutes frei. Die Sammlung von Erzählungen Aufzeichnungen eines Jägers legte den Grundstein für seine Berühmtheit. Im März 1852 wurde er jedoch aufgrund eines Artikels Ein Brief über Gogol verhaftet und auf sein Gut verbannt. Im Jahr 1855 reiste er zu seiner langjährigen Geliebten, der Sopranistin Pauline Viardot, nach Paris und kehrte nur noch gelegentlich nach Russland zurück.


    Schon 1838 erschienen einige Gedichte im Druck. Nach dem Studium war er allerdings erst zwei Jahre lang im Staatsdienst tätig, bevor er sich für die Existenz als freier Schriftsteller entschied. Sein Erstlingswerk in erzählender Prosa ist die 1844 publizierte Novelle Andrei Kolossow (Андрей Колосов).


    Ab 1855 lebte er mit nur kurzen Unterbrechungen im Ausland, besonders in Deutschland und Frankreich, von wo aus er die Unruhen im eigenen Land verarbeitete. Sieben Jahre hatte er seinen festen Wohnsitz in Baden-Baden. Zu seinem Freundeskreis zählten unter anderem Gustave Flaubert, Prosper Mérimée, Berthold Auerbach, Paul Heyse, Gustav Freytag und Theodor Storm.


    1883 starb Turgenew in Bougival bei Paris an Rückenmarkkrebs, der fälschlicherweise für Gicht gehalten wurde. Die letzte Zeit seines Lebens verbrachte er im Bett. (Auszug aus http://de.wikipedia.org/wiki/Iwan_Sergejewitsch_Turgenew )



    Hier eine deutsche Ausgabe, zusammen mit dem nicht hier rezensierten Stück « Der Duellant », in der Übersetzung von Eva und Alexander Grossmann :


    Gebundene Ausgabe: 189 Seiten
    Verlag: Gustav Kiepenheuer (1972)
    ISBN-10: 9080105104
    ISBN-13: 978-9080105102