...oder wie man mit einem schweren Stoff einen guten Roman schreibt !
Original : Französisch, 2015
INHALT :
Helgoland, frühe Zwanziger Jahre: Werner Heisenberg formuliert die Theorie der Unschärferelation und hebt damit die Gesetze der klassischen Physik ebenso aus den Angeln wie das über Jahrhunderte wissenschaftlich geschärfte Weltbild. Entlang des streitbaren Lebens von Werner Heisenberg von seiner bahnbrechenden Entdeckung über seine Verstrickung mit dem Nationalsozialismus, die Internierung in Farm Hall bis zu seiner berühmten Münchener Rede 1953 beschreibt Jérôme Ferrari, wie dem Menschen die Welt entgleitet und wirkmächtige, unkontrollierbare Prozesse Wirklichkeiten und Wahrheiten produzieren…
(Deutscher Klappentext, stark gekürzt)
BEMERKUNGEN :
Ein junger Philosophiestudent der 80iger Jahre setzt sein eigenes Leben mit dem des deutschen Physikers Werner Heisenberg ( http://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Heisenberg ) und dessen Zeit und wesentlichen Entdeckungen in eine Art Dialog. Dabei dienen wesentliche Begriffe aus der Quantenmechanik ( http://de.wikipedia.org/wiki/Quantenmechanik ) wie zB Position, Geschwindigkeit, Energie, Zeit als Ausgangspunkte für einerseits einfach gehaltene Überlegungen und Darstellungen wesentlicher Schlüsselelemente der Theorie, andererseits als Verweise auf Überlappungen mit Prozeßen im Leben Heisenbergs, seiner Gesellschaft und schließlich unserer eigenen Epoche (in der Form des Ich-Erzählers). Derart könnte man drei Erzählpole unterscheiden.
Ei, das hört sich nun gefährich und trocken an, doch ist einfach spannend und auch reich ! Hier wird nicht nur das Prinzip der Unschärferelation und die Grundideen der Quantenmechanik auf zugängliche Weise erläutert, sondern auch aufgezeigt, wie diese Ideen Ausdruck einer Philosophie werden, gemäß dem Grundsatz, dass heutzutage modernste Physik eine enorme Vorstellungskraft und Kreativität benötigt und quasi in sich Konsequenzen und Erläuterungen trägt für Lebensgestaltung, bzw Epochenerscheinungen.
Der Ich-Erzähler, der Ende der 80iger Jahre Philosophiestudent ist, und dessen wesentlicher Prüfungsstoff über das Verhältnis zwischen Physik und Philosophie ging, richtet sich in der Sie-Form an den ja schon verstorbenen Heisenberg, hinterfragt dessen Leben, stellt dieses und jenes heraus. Dabei zeigt sich der junge Heisenberg als naturnaher Mensch, der von der Schönheit insbesondere berührbar ist, und immer wieder in seinem Leben eine nahezu mystische Komponente (wie viele Astrophysiker) in sein Schaffen, bzw dien Aufbau der Natur hineinnimmt.
Als Beispiel der Entsprechung zwischen Theorie und Erfahrung sei hier zB erwähnt, inwieweit wir aufgerufen sind, hinter die Offensichtlichkeiten zu schauen, und uns unserer Gewohnheiten zu entledigen. Nichts anderes war auch notwendig, um sich von den Zwängen alten mathematischen und naturwissenschaftlichen Denkens zu lösen… So heißt es einmal im Roman : « Das Prinzip (der Unschärferelation) übersteigt die Welt der Atome um seinen Einfluß auf die Menschen selbst auszubreiten. »
So begleiten wir Heisenberg auf seiner naturwissenschaftlichen Suche (die rein private, persönliche Komponente findet nicht zuviel Platz) von seinem Helgolanderlebnis in den 20iger Jahren, über seine diversen Auseinandersetzungen mit anderen Größen (Einstein, Niels Bohr…) bis hin zu den Entscheidungskonflikten der 30iger und 40iger Jahre, wo die deutschen Wissenschaftler vor moralischen Fragen standen, die sie nicht immer auf der Höhe beantworteten, sondern manchmal wohl dem reinen Forschungswillen nachgaben. Nach dem II Krieg kam der halbjährige Aufenthalt in England, zwischen Gefangenschaft und Privilegien. Mit einer historisch berühmt gewordenen Rede in München kommt diese Facette an ein Ende.
Die Angaben am Ende des Buches weisen auf die gelesenen Quellen hin als auch die Kontaktaufnahme mit Martin Heisenberg, Sohn des Physikers. Geschickt und überzeugend (nur im letzten Abschnitt gibt es einige fragwürdige Stellen mE) bringt der Autor Theorie, persönliche und (epochale) Geschichte, wie auch den Ich-Erzähler in eine lebendige Beziehung. Interessant bei einem Mindestmaß an Interesse für die angesprochenen Thema, nicht unbedingt Wissen.
AUTOR :
Jérôme Ferrari (* 1968 in Paris) ist ein französischer Schriftsteller, Übersetzer und Philosophielehrer. Ferraris Eltern stammen aus Korsika. Er wuchs in Vitry-sur-Seine auf und studierte in Paris Philosophie. Nach dem Abschluss zog er als Lehrer nach Korsika. Nachdem er sieben Jahre am Lycée in Porto-Vecchio Philosophieunterricht gegeben hatte, ging er 2007 für vier Jahre an das Lycée internationale Alexandre Dumas nach Algier. Seit 2012 lehrt er Philosophie am französischen Gymnasium in Abu Dhabi.
Der Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm mit diesem seinen Roman « Le sermon sur la chute de Rome » (zu Deutsch: Die Predigt auf den Niedergang Roms), der 2012 mit dem bekanntesten französischen Literaturpreis, dem Prix Goncourt, ausgezeichnet wurde und international für Aufsehen in den Feuilletons sorgte.
Gebundene Ausgabe: 130 Seiten
Verlag: Secession Verlag für Literatur; Auflage: 1 (25. Februar 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3905951657
ISBN-13: 978-3905951653