Alexia Casale - Die Nacht gehört dem Drachen / The Bone Dragon

  • "Das Feuer der Träume wärmt die Seele." S. 69


    Klappentext


    Endlich hat Evie ihren Adoptiveltern von ihrer gebrochenen Rippe erzählt und endlich ist sie die ständigen Schmerzen los. Nur eine Narbe ist geblieben und das Stück Knochen selbst, dass man herausoperiert hat. Zusammen mit ihrem Onkel Ben hat sie einen Drachen daraus geschnitzt, als Glücksbringer und Zeichen neuer Stärke.


    Nichts wünscht sie Evie sehnlicher, als dass der Drache lebendig wäre und ihr Wunsch scheint tatsächlich in Erfüllung zu gehen. Denn in den dunklen Nächten scheint der Drache mit ihr zu reden, ihr Mut zuzusprechen und Geduld einzufordern. Denn als Evie langsam zu Kräften kommt, wird deutlich, dass ihre Eltern eines nicht für sie erreichen können: Gerechtigkeit für das, was ihr angetan worden ist.


    Meine Meinung


    Das Buch lag jetzt schon länger bei mir im Regal; das sehr sensible Thema ist eigentlich nicht das, was ich normalerweise lese und ich habe mich einige Zeit einfach nicht rangetraut.
    Das Cover sticht natürlich sehr ins Auge und das Glasfläschchen mit dem Drachen passt perfekt zur Geschichte, ebenso wie der Titel. Auch wenn der Drache stellenweise in den Hintergrund rückt, ist er ein wichtiger Bestandteil in Evies Leben und hilft ihr, sich selbst zu helfen.


    Denn Evie hat es mir ihren 14 Jahren nicht leicht gehabt in ihrem bisherigen Leben. Nach und nach erfährt man nur andeutungsweise, welche Misshandlungen sie in ihrer bisherigen Familie durchmachen musste und ich war sehr froh, dass sie bei so liebevollen Adoptiveltern untergekommen ist. Paul und Amy, bei den beiden ist sie jetzt seit fast vier Jahren und durch sie hat Evie gelernt, in einem "normalen" Leben wieder Fuß zu fassen. Manchmal war mir die Besorgnis und Überfürsorglichkeit der Eltern ein bisschen zu viel - dass man zu seinem Kind in jedem Satz "mein Liebes" sagt ist mir einfach etwas zu kitschig und überzogen. Auch war diese rosarote Welt, in der Evie jetzt aufwachsen darf, zuviel "heile Welt", aber da es um ein Jugendbuch geht, war das schon okay.


    Die Autorin hat hier die Ich-Perspektive von Evie im Präsens gewählt. Dadurch konnte man sehr gut in ihre Gedankenwelt eintauchen, die hier sehr ausführlich und in behutsamer Weise erzählt wird. Überhaupt ist der Schreibstil sehr einfühlsam und einnehmend, mit einer ausdrucksstarken Sprache.


    Immer wieder tauchen Erinnerungen auf, die Evie verdrängen will, sie spürt, dass andere Menschen nie das empfinden und verstehen können wie sie und fühlt sich dadurch oft ausgeschlossen. Auch nagt die Ungerechtigkeit des Lebens an ihr; über die Ängste und die Hilflosigkeit, die sie durchstehen musste und die für alle anderen immer unbegreiflich bleiben werden. Die Liebe ihrer Adoptiveltern und des Onkels Ben helfen ihr sehr, darüber hinwegzukommen, doch der Drache, den sie mit Bens Hilfe aus dem Stück ihres Knochens schnitzt, ist etwas ganz besonderes. Jede Nacht erwacht er zum Leben und zeigt ihr, dass es auch für sie eine Zukunft geben kann, dass eine Kraft in ihr steckt, um alles zu überstehen und sie sich wehren kann. Eine sehr gute Message! Dennoch waren gerade die Passagen mit dem Drachen trotz der wunderbaren Beschreibungen für mich etwas banal; für Evie waren es jedoch wichtige Schritte in ihrer Entwicklung.


    Die Adoptiveltern Paul und Amy gehen sehr verständnis- und liebevoll mit Evie um, manchmal waren sie mir aber wie gesagt etwas zu überbesorgt. Onkel Ben sieht das ganze mit etwas mehr Abstand und zu ihm hat Evie einen sehr guten Draht gefunden. Genauso wie mit ihrer Lehrerin Mrs Winters und ihren Freundinnen Phee und Lynne, die ihr so gut es geht zur Seite stehen. Es gibt also viele Menschen in ihrem Umfeld, zu denen sie Vertrauen aufbauen kann.
    Einen etwas unglücklichen Part hat der Schul"freund" Sonny, der recht rüpelhaft und unsensibel rüberkommt. Was Evie über ihn denkt entspricht natürlich ihren Erfahrungen aus der Vergangenheit, denn dass sie zwischenmenschliche Situationen oft nicht richtig einschätzen kann, ist nur allzu verständlich. Mehr kann ich dazu nicht sagen, ohne zu spoilern ...


    Über das Ende hab ich einige wenige negative Kritik gehört - ich muss sagen, dass ich auch recht widerstreitende Gefühle darüber habe. Man darf dabei aber nicht außer Acht lassen, dass es hier um einen Roman geht, eine Geschichte, die geradezu nach einem befreienden Ende schreit. Deshalb kann ich mich damit schon arrangieren.


    Fazit


    Ein bisschen hat es für mich den Geschmack von Schönfärberei gehabt, doch wenn man das Lesealter mit einschließt, ist es eine gute Geschichte, um für dieses Thema zu sensibilisieren. Ohne sich in die Situation wirklich einfühlen zu können, hat es die Autorin geschafft, ein Gespür dafür zu bekommen und die Botschaft rüber zu bringen, den Mut und das Recht auf ein lebenswertes Leben zu haben.


    © Aleshanee
    Weltenwanderer

  • Evie ist 14 Jahre alt, als sie operiert und ihr dabei ein Rippenstück entfernt werden muss, woraus sie sich einen Drachen schnitzt. Dieser ist für sie mehr als ein lebloses Stück Knochen, er wird ihr auch helfen, ihr Leben weiterhin zu meistern.


    Ihr bisheriges Leben hat Evie schon eine ganze Menge abverlangt, das ahnt man als Leser recht schnell, es wird viel angedeutet, doch wenig direkt ausgesprochen. Alexia Casale lässt Evie selbst in Ich-Form erzählen, teilweise sehr intensiv, Emotionen und Schmerz erlebt man hautnah mit, doch, was in der schlimmsten Zeit ihres Lebens passiert ist, das verdrängt Evie selbst, sie will weder daran denken noch darüber sprechen, auch wenn es, gerade nach der Operation, immer präsent ist. Bis zum Schluss erfährt man nicht ganz genau, was ihr passiert ist, doch im Grunde kann man sich genug zusammenreimen. Ich denke, dass die Autorin das genau richtig gemacht hat, die Art der Erzählung, durch Evie selbst, verbietet es regelrecht, alles zu offenbaren.


    Die Autorin hat auf Kapiteleinteilungen verzichtet, die Erzählung ist aus einem Guss, gegliedert wird lediglich durch Absätze. Manchmal stutzt man kurz, weil die Dinge vor und nach dem Absatz nicht ganz zusammen zu passen scheinen, aber man merkt schnell, dass eben gerade ein Zeitsprung oder ein Ortswechsel passiert ist.


    Die Charaktere gefallen mir alle sehr gut. Evie lebt seit ein paar Jahren bei Adoptiveltern, die sie sehr lieben, aber (natürlich) auch nicht perfekt sind. Auch diese Familie leidet unter einem Trauma, das erst nach und nach enthüllt wird, und man merkt, dass sich Evie und ihre neue Familie gegenseitig gut tun. Die Autorin hat alle, auch die Nebenfiguren, sehr liebevoll gestaltet und ihnen Herz und Seele verliehen.


    Eine sehr große Rolle spielt der geschnitzte Drache. Auf Seite 17 sagt Evie „Wenn ich einen Drachen hätte, wäre ich nie mehr machtlos“ und tatsächlich bringt ihr der Drache eine gewissen Schutz und eine gewisse Macht. Mit dem Drachen unternimmt Evie nächtliche Ausflüge, die ihr ebenso bei der Heilung nützlich sind wie ihre neue Familie. In Bezug auf den Drachen verschwimmt die Realität, denn für Evie ist er lebendig, spricht zu ihr, unterstützt sie und sorgt auch schon mal für Gerechtigkeit.


    Mir hat der Roman unglaublich gut gefallen. Ich muss gestehen, dass ich auf Grund des Klappentextes zunächst etwas skeptisch war, die Geschichte passt nicht so ganz in mein übliches Beuteschema. Doch sehr schnell war ich gefesselt und habe mit Evie (und ihrer neuen Familie) mitgefühlt, mitgelitten, mit gehofft und mit gefreut. Ich konnte mich, trotzdem ich so viel älter bin, sehr gut in Evie hineinversetzen, genauso aber auch in die Erwachsenen um sie herum. Der Autorin ist mit diesem Roman ein ganz wunderbarer Roman gelungen, fast unglaublich, denn es ist ihr Debütroman. Ich vergebe sehr gerne volle Punktzahl und eine absolute Leseempfehlung.