Arno Geiger- Selbstporträt mit Flusspferd

  • Der neue, lange erwartete Roman von Arno Geiger erzählt von einem jungen Mann, der sein Sohn sein könnte. Hatte Geiger sich in seinem 2011 erschienenen Buch „Der alte König in seinem Exil“ noch mit seinem alten Vater und dessen Demenz, mit der Hinfälligkeit am Ende des Lebens und mit dem Sterben und dem Tod beschäftigt, geht es in „Selbstporträt mit Flusspferd“ um die Sinn- und Identitätsfragen am Beginn eines Erwachsenenlebens, ja, um das Erwachsenwerden insgesamt.


    Denn obwohl in unserem Land kaum eine Generation vorher so behütet und mit so viel Bildungsangeboten aufgewachsen ist, wie die der heute 20-30 Jährigen, tun sich viele junge Menschen schwer, ihren Platz zu finden in Beruf und Gesellschaft. Von der Gründung einer Familie und der Weitergabe ihres Potentials an eigene Kinder einmal ganz abgesehen. Allein in meiner direkten Nachbarschaft und Bekanntschaft in unserer kleinen Stadt kenne ich etwa ein halbes Dutzend junge Menschen, Frauen und Männer, alle im Alter des Geiger`schen Protagonisten Julian, die zum Teil schon seit zwei Jahren nach abgeschlossenem und erfolgreichem Abitur oder Berufsausbildung immer noch „chillen“. Das heißt, sie nehmen weder ein Studium noch eine regelmäßige Arbeit auf, leben nach wie vor zu Hause bei den Eltern, bzw. beim Vater oder der Mutter und lassen sich weiter von ihnen alimentieren. Wenn sie nach den Gründen für diese „Auszeit“, wie sie das nennen, gefragt werden, geben sie an, noch nichts Passendes gefunden zu haben, sich noch orientieren zu wollen, oder auch ganz ehrlich, sie hätten keinen Bock auf so einen Lebensentwurf wie ihre Eltern, mit Arbeit, Anstrengung und auch gelegentlichem Verzicht. Sie wollten ihr Leben genießen.


    Julian denkt an einer Stelle gegen Ende von „Selbstporträt mit Flusspferd“ über diese Fragen an der schwierigen Schwelle zwischen Jugend und Erwachsenen nach: „Gehe ich nach rechts oder links? Wird eine stabile Persönlichkeit aus mir oder ein Niemand, der nichts auf die Reihe kriegt? Finde ich meinen Platz oder gehe ich unter?“
    Warum haben sich meine Eltern oder etwa meine Schwiegermutter in diesem Alter solche Fragen nie gestellt? Warum hat diese gegenwärtige Generation, jedenfalls viele unter ihnen, solchew Probleme, in der Welt eine eigenen Platz zu finden? Das fragt sich auch Arno Geiger, der seinen Julian an einer Stelle sagen lässt: „Ich hatte Angst, dass mein Leben im Sand verlief. Ich hatte Angst, dass alles sinnlos war. Ich wusste, was mir fehlte, war ein Mensch.“


    Das Buch spielt im Sommer 2004 in Wien und erzählt, wie der 22-jährige Student der Tiermedizin Julian nach dem Scheitern seiner Beziehung mit Judith und seinem Rauswurf aus deren Wohnung durch die Hilfe seines Freundes Tibor einen Sommerjob und eine damit verbundene Unterkunft findet. Der an Krebs erkrankte emeritierte Professor Beham, der im Rollstuhl sitzt, hat einem Zwergflusspferd eine vorübergehende Heimat gegeben, und die Aufgabe von Julian ist es, sich um dieses Tier zu kümmern.


    Mit im Haus ist über den Sommer die Tochter des Professors, Aiko, die aus Paris nach Hause gekommen ist. Diese Frau, zu der sich Julian hingezogen fühlt, ist mindestens so ungewöhnlich und eigenwillig wie ihr Name. Langsam nehmen sie miteinander eine Beziehung auf, die Geiger seinen Ich-Erzähler in alle Schattierungen beschreiben lässt. Doch die beiden leben auch in einer Welt, in der einiges passiert. In Athen finden die Olympischen Spiele statt, in Beslan sterben bei einem Attentat hunderte von Kindern.


    Doch anders als vielleicht zu früheren Zeiten, von denen so mancher klassischer Bildungsroman berichtet, kann Julian seine Erfahrung der Welt nicht verarbeiten und integrieren. Sie wirkt auf ihn nur extrem verstörend. Zwischen seinen Zweifeln an sich selbst und den barbarischen Bildern im Fernsehen kann er keine sinnvolle Verbindung finden.


    Geigers Roman liest sich leicht, doch er wirkt tief. Denn das, was Julian 2004 so irritiert, was seine Zukunft in einen undurchsichtigen Nebel hüllt, das ist für viele junge Menschen im Jahr 2014, als er das Buch schrieb, noch viel drängender geworden.


    Das Hängen zwischen den Zeiten und Identitäten, die Lethargie, die dennoch keine Ruhe kennt, ist für nicht wenige zwischen 20 und 30 ein großes Problem. Es ist ein Phänomen, von dessen Wahrheit man nicht loskommt, und die einen das angebliche „Chillen“ vielleicht noch einmal in einem anderen Licht betrachten lässt.


    Ich habe daraus gelernt, dass unsere Kinder, die erst in einem oder zwei Jahrzehnten in dieses Alter kommen (was wird dann sein, wie wird die Welt, wie wird unser Land dann aussehen? – niemand weiß das wirklich) uns Erwachsene brauchen, als Vorbilder, als Menschen, die sich selbst diesen schwierigen Fragen stellen und ab einem bestimmten Alter mit ihnen darüber ins Gespräch kommen. Wir dürfen sie nicht im Netz allein lassen, sondern können ihnen zeigen, dass auch wir um Orientierung ringen. Erziehung zur Selbständigkeit, frühe Übernahme von Verantwortung, Verzicht auf Helikopterelternschaft, die ja nur ein Ausdruck ist der Angst der Eltern davor, dass es ihren Kindern irgendwann so geht wie Julian, und viel, viel Zuwendung und Zeit. Das ist meine bescheidene Hoffnung. Das, woran ich mich festhalte und orientiere. Ob das hilft, weiß ich auch nicht.

  • Meine Gedanken zum Buch
    Wien 2004. Der 22-jährige Julian, Student der Veterinärmedizin, wird von Judith verlassen, das kam nicht unverhofft, sondern deutete sich schon über längere Zeit an. Nur jetzt zog Judith den Schlussstrich, weil die Zeit günstig war und momentan für keinen Prüfungen anstanden, deren Vorbereitung durch eine solche Entscheidung gestört werde könnte. Julian muss die Wohnung verlassen, für deren Nutzung Judiths Vater nachträglich noch einen Mietanteil von ihm fordert. Nun muss er schauen, wie er über die Runden kommt, seine Schulden bezahlt und sein Leben neu ausrichtet. Zunächst kommt er bei einem Freund unter, der ihm auch gleich, weil er mehr Lust auf Urlaub hat, seinen Job überlässt, der darin besteht, das Zwergflusspferd von Professor Beham zu versorgen. Sein Tagesablauf wird schnell durch den des Flusspferdes bestimmt. Im Gleichklang der Sommertage reflektiert Julian über sich und seinen Standort in der Welt. Er lernt aber auch Aiko, die Tochter des Professors kennen und verliebt sich in sie.


    Ein wenig war ich irritiert, wie unreif und unfertig der Protagonist Julian mit seinen 22 Jahren war. Er war ein durchaus intelligenter und kluger Kopf, seinen Platz im Leben hat er allerdings noch nicht gefunden, davon war er sogar noch weit entfernt. So reihten sich zunächst auch banale Gedanken aneinander und und mit dem Jüngelchen und sein Gehangel zwischen Liebeskummer, Entscheidungslosigkeit, Weltschmerz und Orientierungslosigkeit konnte ich mich nur schwer erwärmen. Auch die sich langsam entwickelnde Beziehung zu Aiko, die ihm immer wieder bescheinigt, noch die Eierschalen hinter den Ohren zu haben, kam mir ebenso skurril vor wie die Beziehung, die er zu dem Zwergflusspferd entwickelt. Obwohl der Roman von Julian, dem Ich-Erzähler recht persönlich erzählt wird, blieb sie für mich deutlich spürbar eine Fiktion, auf die ich mich nur schwer einlassen konnte. So wie dem Protagonisten die Orientierung fehlte und er danach, bzw. nach einer Person, die sie ihm geben konnte, suchte, so suchte ich etwas die Originalität des Helden. Er war mir zu blass und austauschbar. Aber wahrscheinlich, ist das genau das Bild, das Julian von sich auch hat.


    Erst die letzten einhundert Seiten des Romans versöhnten mich mit meiner Entscheidung, das Buch nicht vorzeitig zur Seite gelegt zu haben. Dann wurde die Geschichte runder, Julian begann mehr zu agieren, ließ sich weniger treiben und seine Gedanken wurden tiefer. So machte er wirklich noch eine Entwicklung durch, mit der ich nicht mehr gerechnet hätte.


    Zitat

    „Gehe ich rechts oder links? Mache ich mein Studium fertig oder nicht? Wird eine stabile Persönlichkeit aus mir oder ein Niemand, der nichts auf die Reihe kriegt und von allen herumgeblasen wird? Finde ich meinen Platz oder gehe ich unter.
    An allen Möglichkeiten bin ich nahe dran. Wenn mir ein, zwei Fehler unterlaufen und ich einmal richtig Pech habe, befinde ich mich im freien Fall. Denn alle Wege, die mir lohnenswert erscheinen, sind gefährlich -“ (S. 276)


    Auch wenn ich mit dem Buch zunächst sehr fremdelte, lag dies nicht an der sprachlichen Gestaltung des Romans, sondern an den Problemen, die ich generell mit Mitmenschen habe, die sich dermaßen treiben lassen, im Selbstmitleid suhlen und die Unentschlossenheit leben.


    So lässt mich „Selbstporträt mit Flusspferd“ etwas zwiegespalten zurück. Nein, ich musste mich nicht wirklich durch den Roman quälen. Eher hätte ich Julian gern auf den richtigen, besser gesagt auf einen Weg gebracht. Aber eigentlich haben bereits die ersten Seiten dieses Romans gezeigt, dass er diesen schlussendlich auch selbst gefunden haben muss, was mich dann doch wieder versöhnlich stimmt.

  • Es lag bei mir oben auf dem SuB, und ich hatte es schon angelesen, aber nach dem Beziehungsstress meines letzten Buches (Rosie-Effekt Teil 2) hatte ich keine Lust auf dasselbe Thema und habe es wieder ein wenig nach unten geschoben.


    Aber nicht für lange. Irgendwann in diesem Monat.


    Damit lese ich dir dann nach "Hart auf hart" das zweite Buch hinterher, @Karthause . :wink:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Kurzbeschreibung:
    Wie fühlt es sich an, heute jung zu sein? Arno Geiger erzählt von Julian, einem Studenten der Veterinärmedizin, der seine erste Trennung erlebt und erstaunt ist, wie viel Unordnung so eine Trennung schafft. Um die Unordnung ein wenig zu lindern, übernimmt er bei Professor Beham die Pflege eines Zwergflusspferds, das bald den Rhythmus des Sommers bestimmt: es isst, gähnt, taucht und stinkt. Julian verliebt sich in Aiko, die Tochter des Professors, verfolgt beunruhigt, wie täglich Schockwellen von Katastrophen um den Erdball fluten und durchlebt eine Zeit des Umbruchs und Neuanfangs. Ein Roman über die Suche nach einem Platz in der Welt.


    Als Julians Beziehung mit Judith in die Brüche geht, kommt das weder überraschend noch ungewollt und dennoch wirft es Julian völlig aus der Bahn. Er muss die gemeinsame Wohnung verlassen und auch noch nachträglich Miete an Judiths Vater zahlen. Geld, das er nicht hat, also kommt es ihm sehr gelegen, dass ihm sein Freund neben seiner Wohnung auch seinen Job überlässt: Die Pflege des Zwergflusspferdes von Prof. Beham.
    Die Pflege des Tieres bestimmt bald Julians Alltag und obwohl er eigentlich noch nicht über Judith hinweg ist, verliebt er sich Hals über Kopf in die Tochter des Professors, Aiko.
    Zwei Dinge, die mich gestört bzw. irritiert haben: Julian ist mit seinen 22 Jahren erstaunlich unreif und unorganisiert. Und Aiko ist sechs Jahre älter als Julian, was mir in dem Alter schon recht viel vorkommt.
    Über jede Kritik erhaben ist natürlich ein weiteres Mal Arno Geigers Schreibkunst. Die Charaktere, der Stil, der Verlauf der Geschichte: Nichts auszusetzen und wie immer ein Genuss zu lesen. Nur leider fehlt es den Protagonist/innen an Sympathie. Eigentlich mochte ich sie alle nicht besonders. Das Flusspferd ausgenommen.

  • Nach den Romanen, die ich bisher von Geiger gelesen habe (v.a. "Der alte König in seinem Exil"), hatte ich mich sehr auf den neuen gefreut.


    Doch ich bleibe enttäuscht zurück. Es ist alles so schrecklich banal und belanglos, was der Protagonist von sich gibt. Alltagsgerede und Gedankenblitze, aufgeblasen zu Lebensweisheiten. Und immer dieses Kreisen um sich selbst und die eigene Befindlichkeit, die aufs Genaueste seziert wird.
    Ja gut, jeder von uns hatte schon mal Liebeskummer. Und wenn man gerade drinsteckt, ist es der schlimmste Zustand der Welt. Bücher, die sich dieses Themas annehmen, füllen Bibliotheken. Natürlich findet nicht jeder Autor eine neue Art des Zugangs.
    Dennoch habe ich von Arno Geiger mehr erwartet, z.B. Humor oder Selbstironie, die dem Ganzen das Schwere, Verzweifelte nehmen würden. Erst im letzten Teil, in dem ich mich langsam dem Protagonisten nähern konnte, blitzen unerwartete Gedanken und Ideen auf.


    Das zugrunde liegende Thema, "Flusspferd statt Liebe" ist originell. Dass das Flusspferd in einem Stadtgarten gehalten wird, steigert die Originalität. Dass beides dazu dient, politische Überlegungen und Umweltfragen aufzuwerfen, finde ich auch in Ordnung. --- Doch irgendwie - der Funke sprang nicht über. Leider.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Dieses Buch war mein erstes von Arno Geiger. Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Auch die Thematik hat mich angesprochen. Der 22-jährige Julian durchleidet die erste Trennung und kümmert sich über den Sommer um ein Zwergflusspferd.


    Die Szenen zwischen Judith und Julian fand ich sehr realistisch dargestellt. Mit dem Protagonisten hatte ich allerdings echte Schwierigkeiten. Dass er unsympathisch und unreif daherkommt, ist nicht der Punkt. Julian tritt auf der Stelle. Über weite Strecken des Romans wandelt Julian zwischen Selbstmitleid und Tatendrang, Übermut und totaler Zukunftsangst, ohne dass der Charakter an Form oder Nuancen gewinnt. Manchmal sieht er sich als Flusspferd, weil er ein Schattendasein führt, auf der anderen Seite hätte er gern diesen Gleichmut.


    Fazit:
    Schöner Schreibstil, der Lust auf mehr macht. Die Geschichte ist jedoch durch farblosen Protagonisten etwas hinter den Erwartungen zurückgeblieben.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Ein Mann trifft nach Jahren wieder auf seine erste große Liebe und erinnert sich an die Zeit direkt nach der Trennung. Auch wenn die damals abzusehen war, traf ihn der Verlust der Freundin hart und in der ersten Zeit hat er sich so verhalten, wie sich ein junger Mensch eben benimmt, wenn eine Beziehung zu Ende geht.


    Das zu erleben, ist schwer. Darüber zu lesen, war nicht viel leichter. Julian trauert seiner Freundin hinterher, aber er verliebt sich fast direkt aufs Neue. Wieder ist es eine Frau, mit der die Beziehung schwierig ist, wenn man das, was zwischen ihnen ist, überhaupt eine Beziehung nennen kann.


    Für viel mehr bleibt in dieser Zeit kein Platz in seinem Leben. Nur manchmal erzählt er von dem Zwergflusspferd, das er betreut, von dem Professor, in dessen Garten das Tier lebt oder ein wenig vom Zeitgeschehen.


    Unterm Strich erzählt Arno Geiger also die Geschichte eines ganz normalen jungen Mannes, in dessen Leben es eigentlich nicht viel zu erzählen gibt. Sein besonderer Stil zu schreiben sorgt aber dafür, dass diese Geschichte nicht langweilig wird.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb: