​Saphia Azzeddine - Mein Vater ist Putzfrau/ Mon père est femme de ménage

  • Saphia Azzendine, 1979 in Marokko geboren und nach einem Studium, einem Aufenthalt in den USA und einem Job als Diamantschleiferin nun als Journalistin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin in Genf arbeitend, ist eine der vielen aus Migrantenfamilien stammenden jungen Autorinnen, die in Frankreich und anderen Ländern mit ihren Büchern das Leben einer Bevölkerungsgruppe beschreiben, zu deren Lebens- und Erlebenswelt viele andere kaum einen Zugang haben, auch wenn sie sich redlich darum bemühen.


    Dabei stammt der jugendliche Ich-Erzähler und Protagonist ihres hier vorliegenden zweiten Romans (drei weitere sind noch nicht übersetzt) gar nicht aus einer Migrantenfamilie. Paul, auch Polo genannt, lebt mit seiner Familie in der Pariser Banlieue. Er ist klein, arm, fühlt sich hässlich und im Gegensatz zu den allermeisten der anderen Kindern und Jugendlichen in der Schule ist er weiß. Auch wenn sie, genau wie er, nicht reich sind – sie sind wenigstens arabisch, jüdisch oder schwarz. Haben also so etwas wie eine angeborene Identität.


    Pauls Mutter ist gelähmt, seine Schwester lebt in einer eingebildeten Modelwelt, und der sympathische Vater ernährt als Putzfrau mit Jobs Tag und Nacht leidlich seine Familie. Pauls Leben besteht aus der Schule, in der er bescheiden erfolgreich ist, der aus einer ganz anderen Schicht stammenden Priscilla, die er anbetet und den Stunden, in denen er seinen Vater beim Putzen begleitet.


    Eines Abends stößt Paul in der Bibliothek, in der sein Vater putzt, auf die Bücher, und sie lassen ihn nicht mehr los. Er merkt sich Wörter, benutzt sie auch und kommt von den Büchern nicht mehr weg. Dabei leitet ihn die Überzeugung, dass nur die Wörter und die Wissenschaft ihn aus seinem sozialen Dilemma der Armut in der Banlieu befreien können.


    In dieser leichthändig und humorvoll erzählten Vater-Sohn-Geschichte geht es um das Erwachsenwerden in einer Umwelt, die geprägt ist von Armut, Arbeitslosigkeit und Rassismus. Voller Situationskomik lässt Saphia Azzendine ihren Erzähler von den inneren Dramen und den Zukunftshoffnungen eines jungen Mannes erzählen, der eigentlich keine Chance hat.


    Dabei ist sie mit ihrem Erzähler davon überzeugt, dass selbst in einem Leben am Rand der Gesellschaft niemals alles verloren ist, solange man die Bücher hat und aus ihnen Kraft, Hoffnung und Perspektiven gewinnen kann.


    Eine unterhaltsame und literarisch gelungene Komödie, die einen Einblick gibt in die komplexe Realität der französischen Gesellschaft an ihren immer breiter werdenden Rändern, die hier wie dort nur wahrgenommen werden zu scheint, wenn etwas Dramatisches passiert.

  • Die Beschreibung des Buches klingt so gar nicht nach einer Komödie ...
    Ist es nur die Situationskomik, die eine Komödie daraus werden lässt?

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    Erich Kästner

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    Warnhinweis:
    Lesen gefährdet die Dummheit

    :study:

  • Der 14jährige Paul, genannt Polo, lebt mit seiner Familie in einem schäbigen Vorort von Paris. Seine Mutter ist psychisch krank und verlässt nie die Wohnung, die große Schwester träumt davon, Schönheitskönigin zu werden und sein Vater hält die Familie mit diversen Jobs über Wasser. Polo ist arm, weiß und fühlt sich als Außenseiter, denn er hat es als einziges Kind seiner Gegend auf ein gutes Lycée geschafft. In den Ferien hilft er seinem Vater bei den nächtlichen Putzjobs. Doch nach dem Abstauben in der Bibliothek liest er dort die Bücher und bemüht sich, jeden Tag ein neues Wort zu lernen, solche, die in seiner Familie niemand kennt. Polo ist verliebt in Priscilla, doch es ist ihm wohl bewusst, dass er in der Hackordnung keine Chance bei ihr hat.

    Das kleine Buch beschreibt als Momentaufnahme das Leben eines Schülers mit seinen kleinen Alltagssorgen, Verliebtheiten, jugendlichen sexuellen Fantasien und einer tiefen Vater-Sohn-Beziehung. Zwischen den Zeilen kann ich aber auch Mutlosigkeit und nur sehr wenig Hoffnung herauslesen. Es ist einfach nicht in Ordnung, wenn Polo sich so durchschwindelt.


    terry : Komisch fand ich das Buch ganz und gar nicht.

    Nicht jeder, der das Wort ergreift, findet ergreifende Worte :-,


    (frei nach Topsy Küppers)


  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „​Saphia Azzendine - Mein Vater ist Putzfrau/ Mon père est femme de ménage“ zu „​Saphia Azzeddine - Mein Vater ist Putzfrau/ Mon père est femme de ménage“ geändert.
  • Eine unterhaltsame und literarisch gelungene Komödie, die einen Einblick gibt in die komplexe Realität der französischen Gesellschaft an ihren immer breiter werdenden Rändern, die hier wie dort nur wahrgenommen werden zu scheint, wenn etwas Dramatisches passiert.


    Die Beschreibung des Buches klingt so gar nicht nach einer Komödie ...
    Ist es nur die Situationskomik, die eine Komödie daraus werden lässt?


    terry : Komisch fand ich das Buch ganz und gar nicht.

    Deshalb auch damals meine Frage an Winfried Stanzick, auf die ich jedoch leider keine Antwort bekam, da der Schlusssatz seiner Rezi die Bezeichnung "Komödie" beinhaltete, aber der Inhalt der Rezi nicht darauf schließen ließ. Das hat sich ja jetzt bei dir auch bestätigt.

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  • terry : wenn du dir selbst eine Meinung bilden willst, ich leihe es dir gerne. Mit 128 Seiten ist es recht dünn und schnell durchgelesen.

    Das ist lieb von dir! Ja, gerne. Hat allerdings keine Eile, hab noch die Bücher von der Weltreise-Challenge zum Fertiglesen hier vor mir. Also bei der LBM ginge es auch (falls du da auch wieder dabei bist). Sonst kann ich dir auch gerne meine Adresse schreiben per PN und du sagst mir wegen der Portospesen Bescheid.

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  • ich kann mich dir voll und ganz anschließen: das Buch ist weit entfernt von einer Komödie.

    Interessant fand ich auch, wie sich am Ende des Buches der Kreis schließt.

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  • Autorin: Saphia Azzeddine

    Titel: Mein Vater ist Putzfrau

    Seiten: 123

    ISBN: 978-3-8031-2761-7

    Verlag: Wagenbach

    Übersetzung: Birgit Leib


    Autorin:

    Saphia Azzeddine wurde 1979 in Agadir, Marokko, geboren und ist eine französisch-marokkanische Schriftstellerin und Journalistin. Sie wuchs in Frankreich auf, arbeitete als Diamantenschleiferin und studierte anschließend Soziologie. 2008 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, zudem schrieb sie mehrere Drehbücher. Sie arbeitet zudem als Journalistin.


    Inhalt:

    Was tut ein vierzehnjähriger Pariser Vorstadtjunge aus prekären Verhältnissen abends in der Bibliothek? Er hilft seinem Vater, der den Lebensunterhalt der Familie als Putzkraft verdient, und wischt Staub von den Büchern. Hin und wieder schlägt er eines auf, lernt neue Wörter und lacht sich kaputt.


    Saphia Azzeddine erzählt leichthändig und schnell eine liebevolle Vater-Sohn-Geschichte voller Situationskomik und Galgenhumor. Ein unterhaltsamer, ironischer Bildungsroman über das bittere Leben am gesellschaftlichen Rand, der fest daran glaubt, dass nichts verloren ist, so lange es Bücher gibt. (Klappentext)


    Rezension:

    Gesellschaftskritik, Bildungsroman, Coming of Age, dieses Kurzstück ist irgendwie alles, soweit das möglich ist in dieser kompakten Form, die zwischen den Fingern zerrinnt, gleichsam eines Arthouse-Films, wie Fäden geschmolzenen Käses. Zunächst, das muss nichts schlechtes sein, funktioniert es unter der Feder Saphia Azzeddines' im Großen und Ganzen gut.


    Wir begleiten den Jungen Paul, von seiner Familie Polo genannt, durch die Pubertät bis hinein ins junge Erwachsenenalter. In einer Zeit, die für die meisten seiner Altersgenossen ohnehin schon anstrengend genug ist, unterstützt er seinen Vater dabei, den Lebensunterhalt für die Familie als Reinigungskraft zu verdienen. Auch in einer Bibliothek finden sich die beiden wieder. Die Welt der Wörter wird für den Jungen fortan Flucht- und Mittelpunkt, nicht zuletzt auch, um mit der realen Welt klarzukommen.


    Im Laufe der Zeit entdeckt der Junge immer neue Wörter und macht sie zu seinen eigenen, vergrößert damit gleichsam seinen Horizont. Doch, hilft das, sich ein besseres, ein anderes Leben als das seines Vaters aufzubauen? Seiner Schicht zu entfliehen?


    Emotional an der Grenze zur Nüchternheit erleben wir Lesende die Welt aus den Augen eines Jungen, der außerhalb der beinahe zum Ritual für Vater und Sohn werdenden Ausflüge kaum aus seinem Stadtviertel herauskommt und nebenbei den ganzen Ballast von Problemen, mit denen er jonglieren muss.


    Beachtung, Nichtbeachtung, Wut und Verzweiflung, Melancholie, die erste Liebe. Die Autorin packt die großen Themen, reißt sie an, lässt sie offen. Nicht alle wird der Protagonist auflösen können. Das Leben ist nicht perfekt. Ein paar kluge Gedankengänge verlieren sich zwischen den Buchstaben. Andere Handlungsstränge werden weiter verfolgt.


    Nur so hat es die Autorin geschafft, fast die Novellenform zu halten, trotz des umfassend beschriebenen Zeitraums. Um Gegensätze streift die Figur, berührt sie ab und an, durchbricht sie selten. Die Konzentration auf Dreh- und Angelpunkt wird beinahe stoisch gehalten. Kürzen kann man hier kaum mehr etwas. Ein paar Seiten mehr, dazu Tempo und weniger Melancholie hätten dem Roman gut getan.


    Neben der Hauptfigur gewinnt nur der Vater des Protagonisten, zwangsläufig durch die Handlung bedingt, an Kontur, alles andere verblasst vor den Grautönen der Banlieue.

    Wo es Paul fehlt, mangelt es auch dem Lesenden, wenn auch nicht an Schlüssigkeit und Konsequenz. Die wird fast bis zum Ende durchgehalten. Ohne näher darauf einzugehen, das ist weder zu klischeehaft, noch raffiniert gelöst. Die leichteste aller Varianten wurde da gewählt.


    Da fehlt die sprichwörtliche Sahne auf den Kuchen, der auch ohne die sonst obligatorische Kirsche auskommen muss. Das entspricht ungefähr diesem Text. Man wird satt, bleibt das auch, weil's nicht schlecht war, aber eben Standardessen.


    Man spürt den Staub, von dem Polo die Bücher befreit förmlich in den eigenen Atemwegen, stirbt aber auch nicht daran. Große Überraschungen darf man hiervon nicht erwarten, zumal nur Details erzählt werden, wenn sie das Interesse der Hauptfigur auf sich ziehen. Da sich daran von Beginn an nichts ändert, merkt man schnell, wohin die Geschichte führt, oder eher, wo sie stehenbleibt.


    Es verstört geradezu, dass die Autorin ihrer Hauptfigur so gar keine Ambitionen verschrieben hat, sich, die Beziehung zu dem Vater einmal ausgenommen, da herauszuarbeiten, ansonsten jedoch kann man sich die Tristesse gut vorstellen, wie auch das Gefühlschaos des Jugendlichen. Der Funke, dass der Roman einen bleibenden Eindruck hinterlassen wird, ist aber schlichtweg nicht vorhanden.


    Für wen ist dann dieser Durchschnitt französischer Literatur gedacht? Bitte nicht für jene, die damit noch nie in Berührung gekommen sind. Die fassen doch danach kaum mehr als ein Asterix-Heft an? Wobei dort ja auch Staub aufgewirbelt wird, wenn auch nicht über Worte.