Haruki Murakami - Wilde Schafsjagd

  • Inhalt:
    Ein Werbefachmann veröffentlicht ein harmloses Foto mit Schafen als Sujet, und daraufhin wird er in einen Strudel höchst merkwürdiger Ereignisse hineingezogen. Denn dieses Schaf, das es überhaupt nicht geben dürfte, besitzt einen Geist mit großem Willen zur Macht. Und der Gabe, sich in anderen Menschen einzunisten und von ihnen Besitz zu ergreifen, solange sie ihm nützlich sind. Über die genauern Pläne des Schafes weiß niemand so genau Bescheid, aber es scheint eine unglaubliche Macht zu besitzen. Und der Erzähler muß es finden - innerhalb eines Monats, sonst wird sein Leben zerstört.


    Meine Meinung:
    Wenn man zu einem Buch von Murakami greift, muß man mit einer skurrilen Story rechenen. Darauf habe ich auch bei diesem Werk gehofft. Aber hier hatte ich oft den Eindruck, Murakami überschreitet seine Grenzen. Die Skurrilität war für mich oft nicht nachvollziehbar und anders als bei Hard-boiled Wonderland hat sie mein Interesse nur stellenweise geweckt, mich aber eben auch immer wieder ein wenig abgestoßen. Denn auch im Nachhinein scheinen etliche skurrile Szenen unnötig für den Verlauf der Handlung. Trotzdem war es ein Buch, das ich nicht so schnell vergessen werde, da es in seiner Art sehr eigen und auch "eigenständig" ist. Als Murakami-Einstieg würde ich es nicht empfehlen, abraten würde ich Murakami-Fans auch nicht davon.

    Liebe Grüße,
    Azrael


    Aktuelles Buch: "Schwarz zur Erinnerung" von Charlene Thompson

  • :(


    Ausgerechnet dieses Buch steht in meinem RUB und sollte meine Erstbegnung mit Haruki Murakami sein, aber wenn du davon abrätst, damit einzusteigen...


    Nun bin ich verunsichert. :scratch:


    Ich mir wohl erstmal ein anderes Buch aus der Bibliothek ausleihen, um den Stil kennenzulernen und anschließend zu entscheiden, ob "Wilde Schafsjagd" eine Chance erhält.


    Danke für die Warnung! :D

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Hallo,


    "Wilde Schafsjagd" ist der älteste Murakami, den es auf deutsch gibt (er hat vorher noch zwei Romane geschrieben, über dieselbe Figur, diese sind meines Wissens aber weder auf deutsch noch auf englisch erhältlich). Ich habe das Buch zweimal gelesen: vor zwei Jahren auf deutsch - ich war enttäuscht, weniger des Inhalts wegen, als wegen der Sprache, manche Metaphern fand ich sehr platt und überstrapaziert (die Zeit wird mit Flüssigkeiten verglichen, etc.). Vor einem halben Jahr habe ich es dann nochmal gelesen, diesmal auf englisch und es hat mir wesentlich besser gefallen, vielleicht lag es aber daran, dass mein Sprachgefühl im englischen weniger ausgeprägt ist.
    Abraten würde ich von dem Buch nicht, es ist schon ein typischer Murakami, aber als Einstieg, hmm vielleicht eher Naokos Lächeln oder Gefährliche Geliebte, die mehr auf dem Boden der Realität bleiben.
    Übrigens ist "Tanz mit dem Schafsmann" eine Fortsetzung von "Wilde Schafsjagd", einige Fragen, die dort offen blieben, werden geklärt, der Schafsmann und der Schafsprofessor tauchen wieder auf....


    Viele Grüße,


    Katia

  • Zitat

    Original von Katia


    Abraten würde ich von dem Buch nicht, es ist schon ein typischer Murakami, aber als Einstieg, hmm vielleicht eher Naokos Lächeln oder Gefährliche Geliebte, die mehr auf dem Boden der Realität bleiben.


    Das kann ich so unterschreiben. Ich hab mit Naokos Lächeln begonnen, und fand es als Einstieg ins Murakamische Universum ideal.

    Liebe Grüße,
    Azrael


    Aktuelles Buch: "Schwarz zur Erinnerung" von Charlene Thompson

  • Mein 1. Murakami! Und was für ein Einstieg! Ich bin immer noch platt von der Geschichte, die sowas von wirr und skurril ist, das ich wohl das Ende nicht wirklich verstanden habe... :scratch:


    Der namenlose Ich-Erzähler wird gegen seinen Willen in die Suche nach einem ganz besonderen Schaf hineingezogen. Er wird entführt, erpresst und überrumpelt. Und dennoch versucht er so zu handeln, wie es ihm richtig erscheint.


    Wovon der Roman handelt, wird auch erst nach ca. einem Drittel klar. Den Anfang (der Bericht über seine Ex-Freundin) fand ich etwas überflüssig, zumal er für den Roman absolut unwichtig ist. Nach dem ersten Drittel steigerern sich das Tempo und die Faszination, bevor letztere zwischendurch abfällt, weil man zu wissen meint, was noch kommen muss. Einige Seiten lang habe ich den Roman nur noch überflogen, bevor ich über einen Satz stolperte, der mir wieder klar machte, warum das Buch so geschrieben ist, wie es geschrieben ist.
    Bereits am Anfang sagt der Ich-Erzähler: "Mir fällt immer viel auf, wenn es zu spät ist." (S. 19) - auf S. 229 wiederholt er sich: "Die wichtigsten Sachen fallen mir immer erst hinterher ein. Es hätte mir gleich auffallen müssen, ..."
    Wir erleben die Geschichte also wirklich aus der Sicht des Erzählers mit. Danach hat mich sein schleichendes Vorangehen nicht mehr so gestört.


    Ich hatte mitunter das Gefühl, dass Murakami genau weiß, was er sagen will, aber einige Nebenhandlungen einfach vergaß einzubinden, anzuknüpfen oder auszublenden.



    Ich hatte zwar vermutet, dass



    Nach den obigen "Warnungen" hatte ich schlimmeres erwartet! Bin schon gespannt auf die Fortsetzung "Tanz mit dem Schafsmann" und das viel gelobte "Naokos Lächeln".


    Abschließend noch eine Frage an euch: für was steht eurer Meinung nach das Schaf?! Eigentlich hätte sich der Roman hervorragend für eine Leserunde geeignet, weil zu der Frage sicher viele unterschiedliche Meinungen (oder zumindest Ausprägungen) zum Diskutieren entstanden wären.


    Ich habe es so aufgefasst, dass


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  • In "Murakamis Universum" einzutauchen ist ein Lesevergnügen der besonderen Art. Jedoch sollte man Konventionen vergessen und auch die beiden Füße nicht ganz so auf dem Boden belassen.


    In "Wilde Schafsjagd" machte ich Bekanntschaft mit einem - fast typischen - Murakami-Helden (namenlos, single, gescheiterte Beziehung, durchwachsenes Beruflseben, etwas ziellos und eher unkoventionell). Auch seine Freundin erinnert mich an Frauengestalten aus seinen anderen Büchern. Geheimnisvoll, rätselhaft, mit übersinnlichen hellseherischen Kräften versehen und mit außergewöhnlichen betörenden Ohren.


    Wohin die Geschichte führt - und was sich hinter der Schafsjagd verbirgt, erschließt sich dem Leser erst nach einigen Seiten und selbst dann rätselt man bis zum Ende, was es denn mit diesem Schaf auf sich hat. Themen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft werden ebenso berührt wie die Geschichte der Schafzucht in Japan. Dabei entstehen so irrwitzige, absurde Situationen und es wäre kein Murakami, würden diese Situationen nicht als alltäglich dargestellt.


    Über die Rolle des Schafes kann man viel mutmaßen, wobei mir die von Fezzig erwähnte Idee schon recht gut gefällt. Man kann das Buch aber auch so nehmen, wie es ist, ohne viel zu hinterfragen.


    Ob ich es als Einstieg für Murakami empfehlen kann, weiß ich nicht so recht. Man muss schon Kenner von Murakami sein oder zumindest ein offenes Ohr für ein wenig Fantasy haben, um manche fantastische oder skurrile Situationen so nehmen zu können, wie sie sind. Aber grundsätzlich ein sehr lesenswertes Buch!


    "Tanz mit dem Schafsmann" wird als eine Art Fortsetzung von "Wilde Schafsjagd" bezeichnet. Außer den Protagonisten hat es meiner Meinung nach aber weder mit dem Plot, noch mit den Aussagen von "Wilde Schafsjagd" irgendetwas zu tun und ist meiner Meinung nach eine völlig eigenständige Geschichte. Mehr dazu aber im betreffenden Thread.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Zum Inhalt brauch ich wohl nichts mehr zu schreiben, das hat Azrael gut zusammengefasst. Hier also meine Kritik an "Wilde Schafsjagd":


    Die ersten Kapitel des Romans haben mich zunächst irritiert: es werden mehr oder weniger zusammenhangslose Einzelgeschehnisse beschrieben, wie z.B. vom Tod einer Bekannten des Helden, die für die spätere Handlung eigentlich keine Rolle spielen. Daher konnte mich der Roman am Anfang auch nicht richtig fesseln. Sobald aber das Schaf mit seinen rätselhaften Kräften ins Spiel kommt, kommt eine Murakami-typische, absurde und spannende Handlung in Gang. Immer mehr rätselhafte Zusammenhänge werden deutlich und man fiebert dem Ende und der Auflösung all dieser Mysterien entgegen. Zwar werden immer wieder einige neue Teile des Puzzles zusammengefügt, doch es stellen sich auch immer wieder neue Fragen und die Jagd nimmt eigentlich kein Ende. So empfand ich auch das recht offene Ende eher als irritierend, es wurden - zumindest bei mir - lange nicht alle Fragen geklärt. Ich bin allerdings der Meinung, dass das Murakami gut gelingt, ich war also keineswegs enttäuscht von dem Ende, sondern wurde zum Weiterdenken angeregt.


    Die namenlose Hauptfigur gewinnt im Verlauf der Handlung immer mehr Tiefe und der Leser kann sich immer besser mit dem Helden identifizieren. Seine Reaktion auf die irrationalen Geschehnisse rund um das Schaf und das rätselhafte Wesen seiner Freundin ist irritierend rational, was den kafkaesken und absurden Charakter der Geschichte ausmacht.
    Der Ich-Erzähler durchläuft dabei eine deutliche Entwicklung: während er zu Beginn betont, wie langweilig er die eingefahrene Routine seines Lebens findet, scheinen ihn die Geschehnisse rund um das Schaf regelrecht zu verjüngen und er bricht aus bisherigen Mustern aus.
    Die anderen Figuren des Romans, seien es die Freundin, der "Auftraggeber" oder der Fahrer, den dieser dem Helden zur Seite stellt, sind zum großen Teil sehr geheimnisvoll und undurchschaubar. Der Leser kann sich daher nicht mit ihnen identifizieren und sie zeigen auch keine Entwicklung. Das macht aber meiner Meinung nach erst den Charakter des Romans aus: der durchschnittliche Protagonist trifft auf skurrile Charaktere und wird in absurde Geschehnisse hineingezogen, was seine Durchschnittlichkeit umso deutlicher macht und der Leser kann sich daher noch besser mit diesem "normalen" Protagonisten identifizieren.
    Die Atmosphäre, die in "Wilde Schafsjagd" herrscht ist ebenfalls typisch für Murakamis Romane: irgendwie melancholisch und zugleich tröstlich, vor allem am Ende.


    FAZIT:
    Insgesamt liegt mit "Wilde Schafsjagd" in meinen Augen ein typischer Murakami vor: absurd, spannend und mit einem offenen Ende, dass beim Leser viele Fragen offen lässt und so zum Nachdenken anregt, ihn aber trotzdem zufrieden stellt. Allerdings wirkt die Handlung besonders am Anfang nicht zielstrebig genug. Ich schließe mich deshalb meinen Vorrednern an: für Murakami-Neulinge gibt es bessere Einstiegslektüre (ich habe zuerst Hard-boiled Wonderland gelesen und war davon begeistert). Für Fans des japanischen Autors und alle, die gerne skurrile Geschichten lesen ist "Wilde Schafsjagd" jedoch absolut zu empfehlen.

    "Ein Raum ohne Bücher ist wie ein Körper ohne Seele." - Marcus Tullius Cicero
    :study: Tad Williams - Die Hexenholzkrone 2

  • Eines der ersten Bücher, das ich von Murakami gelesen hatte, war "Kafka am Strand". Dieser Roman blieb mir so im Gedächtnis haften, dass mir jede nachfolgende Lektüre des Japaners vergleichsweise rational und sachlich erschien.
    Das gilt auch für "Wilde Schafsjagd". Trotz aller Irrationalität empfand ich den Handlungsstrang in sich schlüssig und plausibel. Auch waren am Ende wesentlich mehr Fragen geklärt als in anderen Werken.


    Ich hatte allerdings vermutet,


    Alles in allem war das Buch im Vergleich zu den bisher gelesenen durchaus etwas humoriger und daher sehe ich die Schafsidee auch eher mit einem Augenzwinkern.
    Gesellschaftskritik? Vielleicht, aber ich habe es beinahe als Satire auf Gesellschaftskritik empfunden.


    "Kafka am Strand" strahlt ein wesentlich düstere Atmosphäre aus und die skurillste Figur dieses Romans, Johnny Walker ist eine Bedrohung, gegen die der dunkle Mann aus "Wilde Schafsjagd" harmlos daher kommt.
    Vom Schafsmann ganz zu schweigen, den ich richtig sympathisch fand.

  • Ich hatte allerdings vermutet,

    Dieser Vermutung kann ich mich nur anschließen.

    Alles in allem war das Buch im Vergleich zu den bisher gelesenen durchaus etwas humoriger und daher sehe ich die Schafsidee auch eher mit einem Augenzwinkern.


    "Kafka am Strand" strahlt ein wesentlich düstere Atmosphäre aus und die skurillste Figur dieses Romans, Johnny Walker ist eine Bedrohung, gegen die der dunkle Mann aus "Wilde Schafsjagd" harmlos daher kommt.
    Vom Schafsmann ganz zu schweigen, den ich richtig sympathisch fand.

    Das fand ich allerdings auch, "Wilde Schafsjagd" war wesentlich "leichtere" Kost als Kafka am Strand.

    "Ein Raum ohne Bücher ist wie ein Körper ohne Seele." - Marcus Tullius Cicero
    :study: Tad Williams - Die Hexenholzkrone 2

  • "Kafka am Strand" strahlt ein wesentlich düstere Atmosphäre aus und die skurillste Figur dieses Romans, Johnny Walker ist eine Bedrohung, gegen die der dunkle Mann aus "Wilde Schafsjagd" harmlos daher kommt.


    Murakami's düsterstes Buch war für mich 'Tanz mit dem Schafsmann' - da standen mir an einigen Stellen wahrlich die Haare zu Berge...
    'Wilde Schafsjagd' selbst war für mich nach 'Naokos Lächeln' das erste skurrilere Werk Murakamis und hat mich sozusagen endgültig süchtig gemacht. Nach dem unübertroffenen und brillianten 'Mr Aufziehvogel' gehört die Schafsjagd zu meinen absoluten Lieblingsbüchern des Autos und überhaupt. :)

    "Wenn ich einer Untergrundkultgemeinschaft beitrete, erwarte ich Unterstützung von meiner Familie!" (Homer Simpson)


    :montag:

  • Da gehen die Meinungen auseinander. Genau dieses Werk hat mir ein Freund und bekennender Fan von HM als Einstiegswerk empfohlen - mit dem Kommentar, es sei nicht ganz so abgedreht. Nun, ich fands auch nicht übertrieben abgedreht und war angenehm angetan vom Buch obwohl es schon speziell ist und dem nicht gefallen wird, der nicht an Schafe glaubt, die von anderen Planeten stammen könnten. Es war ganz bestimmt nicht das letzte was ich von HM gelesen habe. Mit anderen Worten: er hat jetzt einen Fan mehr.