Matt Beynon Rees - Mozarts letzte Arie/Mozart's Last Aria

  • Kurzmeinung

    Hirilvorgul
    Unterhaltsam und spannend aus Sicht von Mozarts Schwester geschrieben, über die ich bisher so gar nichts wusste.
  • Klappentext:
    Wien 1791. Ist Mozart, gerade mal 35 Jahre alt, wirklich an »hitzigem Frieselfieber« gestorben, wie offiziell diagnostiziert? Oder wurde er vergiftet, wie er selbst vermutet hat? Beherzt geht Mozarts Schwester Nannerl den düsteren Verstrickungen nach, die seinen Tod verschuldet haben könnten. Eine erste Spur führt zu den Freimaurern und zu Mozarts letzter Oper, der ›Zauberflöte‹. Enthält sie den Schlüssel zum Geheimnis um seinen Tod? Konfrontiert mit Komplotten österreichischer und preußischer Geheimdienste gerät Nannerl bei ihren Ermittlungen in höchste Gefahr. (von der Verlagsseite kopiert)


    Zum Autor:
    Matt Beynon Rees, am 8. Juli 1967 in Newport/South Wales geboren, studierte Englische Literatur an der University of Oxford und Journalismus an der University of Maryland, College Park. Danach lebte er fünf Jahre in New York, bevor er 1996 nach Jerusalem ging, wo er für ›The Scotsman‹ und ›Newsweek‹ schrieb. Von 2000 bis 2006 leitete er das Jerusalemer Büro des ›Time‹-Magazins, für das er auch weiterhin schreibt. 2008 erschien sein erster Krimi mit dem palästinensischen Lehrer Omar Jussuf. Seine Bücher erscheinen bisher in 25 Ländern. Rees spricht u. a. Arabisch und Hebräisch und lebt mit seiner Familie in Jerusalem. (von der Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: Mozart’s last Aria
    Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Modick
    Erstmals erschienen 2011 bei Corvus / Atlantic Books, London
    Als Rahmenerzählung (Tagebuch in Ich-Form) eingebettet zwischen Prolog und Epilog aus der Ich-Perspektive Franz Xaver Wolfgang Mozarts (dritter Sohn von Wolfgang Amadeus)
    37 Kapitel, Personenverzeichnis vorangestellt, Anmerkungen des Autors zur Historientreue, Auflistung der erwähnten Kompositionen nach Köchelverzeichnis-Nummern
    318 Seiten


    Eigene Meinung / Bewertung:
    Das war ein typisches Einseits-Andererseits-Buch für mich.


    Einerseits:
    Als bekennender Mozart-Fan freut man sich, dem Komponisten, seiner Musik, seiner Zeit und den Personen seiner Umgebung zu begegnen. Auch noch nach seinem Tod.
    Der Autor hat exzellent recherchiert; sämtliche Personen, die er schildert, die Geschehnisse nach Mozarts Tod, sein Begräbnis, die politischen Strömungen und Ränke und die Reaktionen des Umfelds lassen sich anhand von verschiedenen Artikeln in Sachbüchern und im Netz mühelos verifizieren. Wo er die Realität zugunsten seiner Fiktion zurechtgebogen hat, führt der Autor im Nachwort auf.
    (Einzige Fiktion, die er nicht auflöst: Mozarts Requiem wurde nicht einige Tage nach seinem Tod uraufgeführt; er hatte es unvollendet hinterlassen.)
    Endlich wird richtig gestellt, dass Mozarts nicht aus Lieblosigkeit oder Armut im anonymen Massengrab beerdigt wurde, sondern auf einen allgemeinen Begräbniserlass Joseph II. von 1784 hin.


    Rees schreibt eine logisch aufgebaute, gut zu lesende Krimihandlung, der ein paar Längen im Mittelteil nicht schaden. Positiv zu erwähnen ist das Personenverzeichnis vorne im Buch, das hilfreich durch das Figurenwirrwarr von Prinzen, Baronen und Hofräten – Freimaurer oder nicht – führt.


    Andererseits:
    Verschwörungstheorien um Mozarts Tod gibt es viele; am häufigsten wird über Giftmord spekuliert. Salieri hat Zeit seines Lebens darunter gelitten, dass man ihn verantwortlich machte.
    Besonders gern werden, wie hier, die Freimaurer bemüht, um eine dubiose Hintergrundgeschichte und geheime Intrigen zu konstruieren, dazu verdeckte politische Missionen.
    Die Frage bleibt im Raum, ob es für eine Frau wie Nannerl möglich gewesen wäre, sich ohne männliche Begleitung völlig frei in einer konservativen Stadt wie Wien am Ende des 18. Jahrhunderts zu bewegen.
    Obwohl das Ende der Rahmenerzählung etwas ins Kitschige driftet – es passt.


    Was gar nicht geht: In einem historischen Roman über diese Zeit Worte wie „Baby“ oder „Flitterwochen“ zu verwenden.


    Pro und Contra halten sich die Waage. Weil ich mich trotz allem gut unterhalten habe, gibt’s noch einen halben Stern dazu.
    Und eine Leseempfehlung für Mozart-Liebhaber – zumindest sollte ein Leser Mozarts „Zauberflöte“ kennen, ansonsten könnten entscheidende Details im Lösungspuzzle unverständlich bleiben.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Was gar nicht geht: In einem historischen Roman über diese Zeit Worte wie „Baby“ oder „Flitterwochen“ zu verwenden.


    :thumbdown: Jetzt wäre es interessant, was an diesen Stellen in der Originalausgabe steht.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Nun könnte in der Originalausgabe für "Flitterwochen" "Honey Moon" stehen, was die übliche Bezeichnung ist. Laut dem etymologische Duden wird "Flitterwochen" in dieser Form im Deutschen seit dem 16. Jahrhundert benutzt und hat somit in einem Roman über das 18.Jahrhundert durchaus seine Berechtigung.


    Das Wort "Baby" wurde im Englischen das erste Mal nachweislich (d.h. in Schriftquellen) gegen Ende des 14. Jahrhunderts verwendet - wohl als Ableitung von "to babble", weil das eben die Geräusche sind, die ein Baby so von sich gibt. Im Schriftdeutsch ist es erstmals zu Beginn des 19. Jahrhunderts nachgewiesen - wobei man hierbei beachten muss, dass die Schriftsprache dem mündlichen Sprachgebrauch damals noch stärker hinterher hinkte. Der Gebrauch des Begriffs "Baby" ab Mitte des 18. Jahrhunderts - und damit im Rahmen dieses Romans - ist wahrscheinlich, da in dieser Zeit einige umfängliche und sehr beliebte Übersetzungen englischer Texte entstanden sind - zum Beispiel Wielands Shakespeare-Übersetzungen. Also sollten diese beiden Sprachverwendungen nicht den Spaß an der Historizität dieses Romans verderben. Schließlich war Mozart doch ein ziemlich "moderner" Musiker, der sich für seine Stücke gerne der Literatur bediente.

  • Jetzt wäre es interessant, was an diesen Stellen in der Originalausgabe steht.


    Ja, ich habe bei meiner Kritik auch eher an den Übersetzer gedacht. Für Baby gibt es das schöne Wort Säugling, das besser gepasst hätte. Und "Flitterwochen" verwendeten unsere Mütter und Großmütter auch nicht, die sagten "Hochzeitsreise".


    Egal, ob die Wörter irgendwo verwendet worden oder nicht; in diesem Roman mit seiner gehobenen und distinguierten Sprech-Sprache wirken sie verfehlt. Ob Konstanze Mozart ihren Franz Xaver Wolfgang als Baby bezeichnet hätte?

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  • (Einzige Fiktion, die er nicht auflöst: Mozarts Requiem wurde nicht einige Tage nach seinem Tod uraufgeführt; er hatte es unvollendet hinterlassen.)


    Bei Wikipedia habe ich das hier gefunden - vielleicht ist das ja so gemeint.


    Danke für die Rezi, übrigens - ich bin kürzlich über das Buch gestolpert und habe es mir vorsorglich vorgemerkt, weil ich Mozart auch sehr gerne mag.

  • vielleicht ist das ja so gemeint


    Ein paar Wochen nach Mozarts Tod wird (im Buch) ein Gedenkgottesdienst für ihn im Stephansdom gehalten, dabei kommt sein Requiem zur Aufführung, also Ende 1791, Anfang 1792.
    Es wird gesagt: "Das Kyrie war, ..., der beeindruckendste Teil von Maestro Mozarts Requiem." (S. 173)
    Das einzige fertige Stück war bei seinem Tod der Introitus, vom Kyrie existierten nur Melodienoten für den Gesang und Bass, aber es war nicht fertig, sagt der Wikipedia-Artikel.

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  • Und "Flitterwochen" verwendeten unsere Mütter und Großmütter auch nicht, die sagten "Hochzeitsreise"


    Nun, aber Mozart lebte vor der werten Großmutter und verbrachte noch dazu viel Zeit in Österreich und so lässt sich sein realer Sprachgebrauch nicht so ohne Weiteres genau ableiten. Meine beiden Großmütter selig benutzten übrigens sowohl die Worte "Flitterwochen", wie "Hochzeitreise" und auch eigentlich nie das Wort "Säugling." 8)

  • Dieser Krimi landet mal auf meiner WL - ich werde mich umschauen, ob ich ihn mir im Original besorgen kann, schon allein wegen Deiner sprachlichen Kritik:

    Was gar nicht geht: In einem historischen Roman über diese Zeit Worte wie „Baby“ oder „Flitterwochen“ zu verwenden.


    Wenn ich da auch möglicherweise mit Vorurteilen behaftet sein mag, aber ich stehe in sprachlicher Hinsicht auf Deiner Seite, @Marie, denn so etwas stört mich auch oft in historischen Romanen, bsw. klingt für mich in Rebecca Gablés Büchern die Mentalität der Charaktere sowie die Art und Weise, in der ihre Frauen reden, als hätten sie gerade eben das neueste Exemplar der "Brigitte"-Zeitschrift zugeschlagen, unerträglich anachronistisch. Bei Frau Gablé verleidet mir dieser Umstand die Lektüre.


    Sogar bei Hilary Mantel's "Wolf Hall" fielen mir einige sprachliche Inkongruenzen auf, zumindest glaube ich, dass die Formulierung "they laid his flesh bare" an einer Stelle, als man einem Bürschchen die Hose herunterzog, um ihm den bloßen Hintern zu versohlen, korrekter für die Zeit um 1500 klang als das einige Seiten später verwendete "you can kiss your holidays good-bye" - das klingt mir dann doch zu salopp für die damalige Zeit ...

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog