Connie Willis - Die Farben der Zeit/To Say Nothing of the Dog

  • Oxford, 2057. Nach zu vielen Zeitsprüngen innerhalb kurzer Zeit leidet der Historiker Ned Henry an einem ausgewachsenen Anfall von Zeitkrankheit mit Verwirrung, Schwerhörigkeit und übelstem Schlafmangel. Das hat er Lady Schrapnell zu verdanken, die es sich in den Kopf gesetzt hat, die alte Kathedrale von Coventry, 1940 durch einen deutschen Luftangriff zerstört, originalgetreu wieder aufzubauen, und nun eine ganze Schar zeitreisender Geschichtskundler darauf angesetzt hat, "des Bischofs Vogeltränke" aufzutreiben, eine monströse Blumenvase, die angeblich den verheerenden Brand nach dem Bombardement überlebt haben soll. Nachdem er in der Vergangenheit von einem Kirchenbasar zum nächsten gehetzt ist und das Ding doch nicht gefunden hat, ist Ned völlig durch den Wind, und um ihn Lady Schrapnells Zugriff zu entziehen, die ihn postwendend wieder auf die Reise schicken würde, wenn sie ihn sähe, verordnet ihm sein Vorgesetzter eine kleine Auszeit im viktorianischen England, jedoch nicht ganz ohne Hintergedanken.

    Ausgestattet mit einem stilechten Schnurrbart und einem Riesenhaufen Reisegepäck kommt Ned im Jahre 1888 an und merkt ziemlich schnell, dass die Gesellschaft von damals zwar den gepflegten Müßiggang und die leere Konversation zur Kunstform erhoben hat, sein Aufenthalt dort aber alles andere als gemütlich sein wird. Ruckzuck findet er sich wie weiland Jerome K. Jerome mit zwei Männern auf einem Ruderboot wieder (ganz zu schweigen von dem Hunde, versteht sich), zu einer Flussfahrt, die Turbulenzen mit sich bringt, die er sich nie hätte träumen lassen.

    Willis' Zeitreiseromane sind einfach herrliche, gescheite, witzige Unterhaltung. Egal, ob sie ihre Figuren ins Mittelalter, den Blitzkrieg oder eben in die Zeiten Queen Victorias entführt, sie erschafft immer ein minutiöses, detailverliebtes Bild der jeweiligen Zeit und sorgt dabei mit geschickt eingesetzten Running Gags und einer Riesenportion Humor dafür, dass sich ein amüsiertes Grinsen auf dem Gesicht des Lesers niederlässt und da so schnell nicht mehr verschwindet.

    Das endlose, hohle Geschwätz der holden Weiblichkeit, die umständlichen Umgangsformen, die einzuhalten sind, der blinde Glaube an Spiritismus und natürlich die allgegenwärtigen gesellschaftlichen Ereignisse wie Höflichkeitsbesuche und - Ned kann es kaum fassen - Kirchenbasare, all das wird so herrlich lebendig, wie auch die Irrungen und Wirrungen zwischen den einzelnen Personen. Die sind alle wunderbar skurril und, sogar die nervtötenden, irgendwie liebenswert.

    Ned hingegen weiß bald gar nicht mehr, was richtig und falsch ist, ständig lebt er in Sorge, das Raum-Zeit-Gefüge massiv durcheinandergebracht zu haben, indem er irgendein Ereignis in Gang gesetzt hat, das den Lauf der Geschichte verändert. Oder ist am Ende doch Verlass darauf, dass das System sich selbst korrigiert?

    Nach leichten Anfangsschwierigkeiten - Neds Konfusion hat Willis da so gut eingefangen, dass der Leser mit ihm Fragezeichen in den Augen hat - war auch das ein großartiger Lesespaß und ein super lesenswerter Zeitreiseschmöker. Alles da, was ich bei Willis so mag: tolle Charaktere, eine verschlungene, spannende Handlung, das gekonnte Spiel mit wiederkehrenden Motiven, eine Menge Humor und auch viel Gefühl. Und die vielen, vielen kleinen Details, wie die Uhr der Kathedrale von Coventry, die Stunde um Stunde weiter schlug, während das Kirchenschiff abbrannte. (Da hatte ich echt Gänsehaut.)

    Meine absoluten Lieblinge in der lose zusammenhängenden Zeitreise-Reihe hat das hier zwar nicht getoppt - das bleiben "Blackout" und "All Clear" - aber trotzdem eine ganz warme Empfehlung.

    Wobei: an der deutschen Übersetzung muss ich noch schnell rummeckern. Zwar hat der Übersetzer den Ton und den Humor von Willis echt gut hingekriegt, aber einige feststehende Begriffe hätte er mal besser nachgeschlagen. "The Battle of the Bulge" ist im Deutschen schlicht die "Ardennenschlacht" und nicht "die Schlacht von Bulge"!