Denis Avey & Rob Broomby - Der Mann, der ins KZ einbrach/ The Man Who Broke Into Ausschwitz

  • Amazon~Beschreibung:


    Als Millionen alles getan hätten, um herauszukommen, schlich sich ein englischer Soldat ins KZ Auschwitz.
    Denis Avey wollte mit eigenen Augen sehen, was in dem Lager geschah. Jahrzehntelang konnte er nicht darüber sprechen. Jetzt erzählt er mit BBC-Reporter Rob Broomby seine Geschichte. Eine unglaubliche Überlebensgeschichte voller jugendlicher Waghalsigkeit und echtem Mut.



    Meine Meinung:


    Dieses Buch zu rezensieren ist nicht ganz einfach.
    Ich beginne am besten erst einmal damit, dass diese Geschichte sowohl in die Kategorie "Kriegs- und Politromane", als auch in die Kategorie "Biografie" gehört. Ich habe mich für letzteres entschieden, weil in der Katergorie "Krieg" auch fiktionale Werke aufgelistet sind, dieses Buch dagegen aber mehrere authentische Lebensgeschichten erzählt.


    Des Weiteren halte ich den Titel des Buches für ziemlich irreführend, weil die "Einbrüche" ins KZ Auschwitz III nur einen winzig, winzig kleinen Teil der Geschichte ausmachen. Es entsteht aber der Eindruck, als würde diese Thematik den Hauptteil des Buches beherrschen.


    "Der Mann, der ins KZ einbrach" erzählt die Lebensgeschichte von Denis Avey.
    Man merkt beim Lesen, dass er kein Schriftsteller ist, denn der Anfang des Buches erschien mir recht chaotisch. Avey hüpfte ziemlich unübersichtlich zwischen mehreren verschiedenen zeitlichen Epochen hin- und her und das hat es mir zu Beginn ein wenig schwer gemacht in die Geschichte hinein zu finden und das Kopfkino einzuschalten.


    Diese etwas chaotische Erzählweise wird mit der Zeit aber ruhiger und gradliniger und dann entfaltet sich vor dem Auge des Lesers das Panorama einer erschütternden und unfassbaren Biografie:


    Denis Avey startet mit seinem Eintritt in den zweiten Weltkrieg, der für ihn mit der Ausbildung zum Soldaten beginnt.
    Danach wird er nach Afrika geschickt, wo er zuerst gegen die Italiener und dann gegen Rommels Armee kämpft.
    Um Aveys Erzählung folgen zu können, muss man schon ein wenig Basiswissen über diese Ereignisse mitbringen, denn Avey erzählt wirklich nur seine subjektiven Erlebnisse und lässt das politische Außenrum ziemlich unter den Teppich fallen. Also ist man als Leser ein bisschen aufgeschmissen, wenn man von den politischen Gegebenheiten damals gar keinen Plan hat.


    Dieser Afrikafeldzug und das Leben in der umkämpften Wüste zieht sich über 48% der eBuch-Version. Erst dann gerät Avey in Gefangenschaft und dann beginnt auch erst der Teil des Buches, der in der Amazon-Beschreibung steht:


    Über einige Irrungen und Wirrungen (Avey überlebt z.B. als Schiffsbrüchiger die Bobmardierung eines Schiffs-Gefangenentransportes) landet Avey schließlich in einem Kriegsgefangenenlager, das ganz in der Nähe von Auschwitz III liegt.
    Die Kriegsgefangenen und die KZ-Häftlinge werden getrennt voneinander untergebracht, müssen aber tagsüber gemeinsam Zwangsarbeit auf einer Großbaustelle der IG-Farben verrichten.
    Es wird sehr deutlich beschrieben dass die Kriegsgefangenen zwar auch ein sehr, sehr schweres Dasein unter katastrophalen Bedingungen fristen müssen, aber dass es ihnen bei Weitem besser ergeht als den KZ-Häftlingen, die sich durch die harte Arbeit und durch noch schlechtere Ernährung systematisch zu Tode schuften müssen.
    Zwar hängt auch das Leben der Kriegsgefangenen an einem seidenen Faden, aber sie werden dennoch von der absolut gnadenlosen Willkür und der unaussprechlichen Brutalität verschont, die die SS den jüdischen KZ-Häftlingen gegenüber an den Tag legt.


    Denis Avey sieht Tag für Tag wie jüdische KZ-Häftlinge willkürlichen Morden, brutalen Misshandlungen und absolut unzureichender Ernährung ausgesetzt werden und dennoch trifft er den Entschluss, mit einem KZ-Häftling, mit dem er vorher über mehrere Monate Kontakt geknpüft hat, für einen Tag die Rollen zu tauschen.
    Er will wissen, wie es in dem KZ zugeht, um nach dem Krieg als Augenzeuge von den Verbrechen der Deutschen berichten zu können.
    Für mich als Leserin war dieser Entschluss ein einziger unfassbarer Wahnsinn. Mir war auch nicht klar, woher Avey die Gewissheit genommen hat, dass der KZ-Häftling, mit dem er die Rollen tauschen wollte, zu seinem Wort stehen und die Rollen einen Tag später zurücktauschen würde. Ich habe beim Lesen wirklich darauf gewartet, dass der KZ-Häftling die "Vorteile der normalen Kriegsgefangenschaft" nicht wieder einbüßen wollen würde, nachdem er sie einen Tag lang "genießen" durfte. Dann wäre der Rollentausch sofort aufgeflogen und wer weiß wie bestraft worden.


    Lange Rede, kurzer Sinn:
    Dieser Rollentausch hat funktioniert und wiederholt sich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.
    Diese zwei Tage (und eigentlich sind es ja nur die Nächte, denn tagsüber arbeiten die KZ-Häftlinge ja mit den Kriegsgefangenen zusammen auf der selben Baustelle) sind das, worauf die ganze Beschreibung und der Titel dieses Buches fußt.


    Ansonsten erzählt Avey autobiografisch darüber, wie er die Befreiung und das Ende des Krieges erlebte, wie er nach dem Krieg vergeblich um Hilfe suchte, weil er an posttraumatischen Belastungsstörungen litt (was es damals aber offiziell noch gar nicht gab) und wie er, sechzig Jahre nach dem Krieg, erst langsam damit beginnen konnte über das Erlebte zu sprechen.
    Außerdem erzählt er auch die Lebensgeschichte seines jüdischen Rollentauschpartners, die er aber selber erst sechzig Jahre nach dem Krieg erfahren hat.
    Indirekt hat Avey ihm sogar das Leben gerettet, weil er über mehrere Umwege organisiert hat, dass sein Rollentausch-Partner Zigarretten ins KZ geschmuggelt bekam, wofür er sich festes Schuhwerk ertauschen konnte, was ihm wiederum beim späteren Todesmarsch das Leben rettete.
    All das hat Avey aber erst Jahzehnte nach Kriegsende erfahren.



    Fazit:


    "Der Mann, der ins KZ einbrach" ist ein sehr eindringliches, schonungslos ehrliches und erschütterndes Buch.
    Es erzählt den Wahnsinn des Krieges und des Holocousts noch einmal neu und obwohl man heutzutage so viel von den Ereignissen weiß und die Bilder der zu Skeletten abgemagerten KZ-Häftlingen kennt, erschüttert es einen dennoch aufs Neue.
    Das Erzählte wird noch eindringlicher, weil am Ende des Buches einige Fotos abgedruckt sind. Dadurch bekommen der Erzähler und seine Geschichte ein Gesicht, das sich einprägt.


    Das Buch ist anders, als ich erwartet hatte, denn durch den Titel hatte ich eine Erzählung vor Augen, die sich größtenteils im KZ abspielen würde - aber dennoch ist es äußerst lesenswert.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: von mir.