Scott Stossel - Angst/ My Age of Anxiety

  • Es ist kein wissenschaftliches Fachbuch, das der amerikanische Journalist Scott Stossel hier vorlegt, sondern es ist ein Buch, in dem jemand von seinen persönlichen Erfahrungen spricht mit einem seelischen Zustand, der ihn seit seiner Kindheit begleitet und von dem er in harter Arbeit an sich selbst gelernt, unabhängiger zu werden.

    Die Rede ist von der Angst, einer seelischen Störung, die in Deutschland jedenfalls noch häufiger ist als die Depression. Oft unbenannt in das akzeptablere Wort Burnout, aber auch weil man in direkter Nachbarschaft mehrmals im Jahr von Menschen erfährt, die davon betroffen sind, beginnt seit einiger Zeit ein Prozess, in dem die Depression als eine auch in der Gesellschaft langsam anerkannt wird. Vielleicht auch deshalb, weil immer mehr bislang fitte und leistungsfähige Männer unterschiedlicher Altersstufen (sie werden immer jünger) davon betroffen sind.

    Mit der Angst verhält es sich anders. Sie ist weithin verdeckt, die Menschen suchen weniger die professionelle Behandlung. „Wie sie Seele lähmt und wie man sich befreien kann“, beschreibt Scott Stossel am Beispiel seiner eigenen Lebensgeschichte. Doch als bekannter Journalist bleibt er in seinem Buch nicht beim Biographischen stehen, sondern er bettet seine Reflexionen ein in einen kulturgeschichtlichen Rahmen und auch in einen medizin- und therapiegeschichtlichen.

    Was passiert, wenn man zum ersten Mal spürt, dass die Angst nicht mehr ein kurzes Phänomen bleibt, wenn sie beginnt, die Herrschaft über das eigene Leben zu übernehmen? Die Beschreibungen dieser Entwicklung, wenn das eigene Ich keinerlei Möglichkeiten mehr zu haben scheint, sich dagegen zur Wehr zu setzen, wenn die Angst in alle Ritzen kriecht und noch in den kleinsten Lebensnischen die Hegemonie beansprucht, sind dicht und gehen unter die Haut.

    Das sollen sie auch nach Stossels Verständnis. Denn die eigene Beschäftigung mit den oft in der Kindheit wurzelnden Ursachen der Angst ist wichtig. Aber genauso wichtig ist eine Haltung, die bereit ist, die eigene Angst zu tragen, denn sie will auch eine Botschaft vermitteln.

    Man kann dieses Buch nicht lesen ohne das eigene Leben und die eigenen Gefühle auszublenden. Man spürt aber auch zunehmend, dass Angst nicht nur ein individuelles Gefühl ist, dessen hilfreiche Funktion für den Lebenserhalt bei immer mehr Menschen in eine seelische Störung umschlägt. In den letzten Jahren kann man in der Gesellschaft so etwas wie eine generelle Angst feststellen, genährt durch katastrophale Nachrichten einerseits, anderseits aber auch durch deren tägliche Permanenz in den Medien, die vielen Menschen ihre normale Lebensgewissheit nimmt und ihre Fähigkeit zur Resilienz unterminiert.

    Der eigene Widerstand gegen die Überflutung durch solche medial und gesellschaftlich vermittelte kulturelle Angst ist vielleicht die wichtigste Prophylaxe.
    Scott Stossel, Angst, C.H.Beck 2014, ISBN 978-3-406-66761-9