Glenn Greenwald - Die globale Überwachung / No Place to Hide

  • „Die globale
    Überwachung. Der Fall Snowden...“ - von Glenn Greenwald


    „...überzeugt,
    das Richtige zu tun.“


    Buchtipp
    von Harry Popow


    Es war der neunte Juli
    2013, genau 14 Uhr (Ortszeit USA-Ostküste), da hielt die Welt wieder
    einmal den Atem an: Ein Name jagte um den Erdball: Edward Snowden.
    Der Mann, der den Mut hat, ein menschenverachtendes und höchst
    geheimes Überwachungssystem, den NSA (Nationale Sicherheitsbehörde,
    der größte Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten) ans
    Tageslicht der empörten Öffentlichkeit zu zerren. Von den einen
    sofort als „Außenseiter, als Krimineller und Verbrecher“
    abgestempelt, von der Masse der Völker allerdings frohlockend
    begrüßt, nein, bejubelt. Hatte er doch dem amerikanischen
    Unterdrückungssystem gegen die Privatsphäre aller Menschen und
    Völker die Maske vom Gesicht gerissen.


    Und das zu Recht.
    Vertiefend nachzulesen in dem kürzlich veröffentlichten Buch mit
    dem Titel „Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die
    amerikanischen Geheimdienste und die Folgen“. Den Namen dieses
    Autors sollte man sich merken – Glenn Greenwald. Er gehört mit
    zahlreichen anderen Publizisten und mutigen Widerständlern zu jenen
    aufrechten Demokraten, die von der Kapital-Elite der USA – und wohl
    auch von anderen Mächtigen dieser Welt – verteufelt und bedroht
    werden.


    Edward Snowden, der von
    ihm mit aller Vorsicht ausgewählte Publizist Glenn Greenwald sowie
    die Publizistin Laura Poitras wurden indessen weltweit geehrt. Für
    ihren Mut, für ihre Standhaftigkeit, für ihren selbstlosen Einsatz
    zum Schutz der Menschenrechte.


    Um es vorweg zu nehmen. Das Buch mit seinen 368
    Seiten ist keine Unterhaltungsliteratur schlechthin. Es ist ein
    Trompetenstoß, wie manche Journalisten diesen Aufschrei gegen
    Machtmissbrauch bezeichnet haben. Es ist, da mache man sich nichts
    vor, ein Aufruf zur Gegenwehr. Ein Stich ins Wespennest der
    Mächtigen. Und es ist unbequem für politische Weicheier. Für
    Langsamdenker und Gar-nicht-Denker.


    Im ersten Teil des Buches
    berichtet Glenn Greenwald von geheimnisvollen E-Mails (die erste am
    01.12.2012) von einem völlig Unbekannten. Darin wurde er darum
    gebeten, seine Korrespondenz streng zu verschlüsseln, denn der
    Absender wolle – so stellte es sich heraus – hochgradig geheime
    Daten, die Politik betreffend, veröffentlichen. Glenn erzählt sehr
    spannend, wie der Kontakt mit seinem Dialogpartner unter Beachtung
    aller konspirativen Regeln Schritt für Schritt zustande kam. In
    Hongkong. Wie man sich gegenseitig fixierte, ob auch alles der
    Wahrheit entsprach, wie schließlich der Autor gemeinsam mit der
    Publizistin Laura Poitras jene Medien (zum Beispiel die Redaktion des
    Guardian) ausfindig machte, die für eine robuste und rücksichtslose
    Veröffentlichung der „heißen Ware“ in Frage kämen. Dass dies
    bereits ein Kampf um eine ehrliche und kritische Berichterstattung
    war, kann man sich denken.


    Bevor ich näher auf die
    so wichtigen Motive und Beweggründe der Whistleblower eingehe: Der
    Autor versteht es nicht nur, die Spannung auch in den Kapiteln seines
    großartigen Buches aufrecht zu erhalten, in denen er auf die
    Gefahren der Massenüberwachung im digitalen Zeitalter aufmerksam
    macht, sondern den Leser auch hinter die Kulissen der Medien-Kraken
    schauen und erschauern zu lassen. Dabei steht nicht nur die Regierung
    der USA im Visier der Analyse, die nach dem 11. September 2001 unter
    dem Begriff „Terrorgefahr“ ein ganzes Bündel von radikalen
    Maßnahmen, von der Folter bis zum Einmarsch in den Irak,
    gerechtfertigt hat. Kritisch sei angemerkt: Der Abschnitt über die
    vielfältigen technischen Möglichkeiten der begierigen Blicke in die
    Hirne der Menschen mit sehr zahlreichen Dokumenten als Belege, hätte
    gut und gerne auch im Anhang seinen würdigen Platz finden können.


    Manch einer könnte sich
    fragen: warum rennt man so gegen die Machthaber an? Das bringe doch
    wenig. Und Kraft kostet es auch. Wofür und warum also? An dieser
    Stelle ein großes Lob für den Autor. Es gelingt ihm, in die Seele
    des Snowden einzudringen, in sein Warum und Wofür. Ebenso legt der
    Autor auch seine persönlichen Beweggründe dar, denn schließlich
    ist die Gefahr sehr groß, hinter Schloss und Riegel transportiert zu
    werden. So lesen wir zum Beispiel auf Seite 364: „Snowdens
    Furchtlosigkeit und sein unerschütterlicher Gleichmut – gegründet
    auf der Überzeugung, das Richtige zu tun – waren die Triebkraft
    für meine gesamte Berichterstattung in dieser Sache und haben mich
    für den Rest meines Lebens nachhaltig beeinflusst.“ Snowden: „Ich
    will eine weltweite Debatte über Privatsphäre, Freiheit im Internet
    und die Gefahren staatlicher Überwachung anstoßen. Was mit mir
    geschehen wird, das macht mir keine Angst. (…) Angst habe er nur,
    „dass die Menschen diese Dokumente sehen und mit einem Achselzucken
    darüber hinwegsehen...“ (S. 34)


    Auf Seite 71 vertieft
    Snowden seine Aussage: „Der wahre Wert eines Menschen bemisst sich
    nicht nach dem, woran er vorgeblich glaubt, sondern nach dem, was er
    tut – wie er handelt, um für seine Überzeugungen einzustehen.“
    Das Einzige, womit er nicht leben könne, wäre das Wissen, nichts
    getan zu haben. (S. 82) Nicht seine Person stehe im Mittelpunkt,
    sondern der NSA. (S. 315) Den Schlaf hätten ihm nur die Gedanken an
    seine Familie geraubt, mit der er keinen Kontakt haben durfte. Die
    Regierung könne an ihr oder seiner Freundin Vergeltung üben. (S.
    123) Klein und gefügig sei ein Mensch nur, wenn er Angst habe vor
    Konsequenzen, etwa der Fixierung auf Geld, Karriere und Sicherheit.
    (S. 73)


    Welch eine Kraft, welch
    eine moralische Stärke spricht aus solchen Motiven, über die Thomas
    Mann einst schrieb, das Innere eines Menschen aufzuschließen, es in
    die stärkste Bewegung bringen, sei das Wichtigste in der Literatur.
    („Es geht um den Menschen, Prosa aus fünf Jahrzehnten“, Seite
    286/287, sich auf Walter Scott beziehend.)


    Greenwald richtet sich mit
    Snowden und anderen Publizisten darauf ein, dass ein couragierter
    Journalismus von nöten sei, um mit den 120 hochgeheimen
    Snowden-Dokumenten eine enstprechende Durchschlagskraft der Story zu
    erreichen. Zu brechen seien die ungeschriebenen Regeln des
    Establishment-Journalismus, der ängstliche servile Journalismus. (S.
    88-95) Statt Knüller sei eine furchtlose Enthüllungsstrategie zu
    bieten. So entlarvt der Autor die Angriffe auf die Internetserver mit
    Hilfe von Satelliten, Unterseekabeln, Telefonsystemen und der
    Personalcomputer. Es gehe nicht nur um Terrorverdächtige, sondern
    auch um Wirtschaftsspionage, um Ausspähung von Diplomaten, ja ganzer
    Bevölkerungen der verschiedenen Länder. Die NSA beschäftige 30.000
    Personen, und 60.000 stünden unter Vertrag. Sie unterliege praktisch
    keinen Einschränkungen, wen sie ausspähen dürfe. Sie sei im Grunde
    eine "außer Rand und Band geratene Behörde". (S. 191) Die
    Folge von Angst in der Bevölkerung sei Wohlverhalten, Gehorsam und
    Anpassung. Das sei Terror der neuen Art, grenzenlose Macht und das
    bedrohe die Demokratie. Man sei auf dem besten Wege, die "Welt
    in den Griff" zu bekommen, so Greenwald auf Seite 291. Die
    Gefahr für jeden Einzelnen sieht der Autor in der Bombardierung von
    E-Mails, von Telefonaten, in der Löschung der Webpräsenz, der
    Infizierung durch Viren, der Löschung von E-Mails und der
    Verhinderung des Einloggens.


    Glenn Greenwald belässt
    es nicht bei den Folgen und Gefahren der Massenüberwachung, er nimmt
    als erfahrener und freier Journalist auch die Medien, die "vierte
    Gewalt", unter Beschuss. Er fordert von den Journalisten stets
    eine kritische Haltung gegenüber den politischen Machthabern. Obama
    bezeichnen viele Journalisten als inzwischen "der repressivste
    Regierungschef seit Richard Nixon". Er sei eine ernste Bedrohung
    für die Pressefreiheit. (S. 304) Die Taktik der Medien bestehe in
    der Dämonisierung der Kritiker der Regierungspraxis, sie seien
    Kriminelle, Narzissten, labil und als Verbrecher zu bezeichnen. Auf
    den Seiten 328/329 charakerisiert er die Medien mit ihrem Modell des
    meinungslosen, farblosen und seelenlosen Unternehmerjournalismus als
    "zahnlose Tiger", die niemanden bedrohen, der Macht habe.
    Einige Zeilen weiter geht er einen Schritt weiter und markiert das
    sogenannte "Gebot" der Objektivität als Mittel, "um
    die Interessen der herrschenden politischen Klasse zu befördern".
    Die amerikanischen Medien seien alles andere als eine unabhängige
    Kraft. Sie seien integraler Bestandteil "der vorherrschenden
    politischen Macht". Deren vorrangige Motive: Nationale
    Interessen, Geld und Ego. (S. 239) Man habe, so der Autor, nur zwei
    Möglichkeiten: Anpassung an die institutionelle Autorität oder
    radikalen Widerspruch dagegen. (S. 323)


    Das Fazit des Publizisten
    Greenwald: Snowdens Tat möge zu der Erkenntnis anregen, dass die
    Welt veränderbar ist, dass die Menschen in ihrer Gesamtheit die
    Fähigkeit besitzen, "selbst nachzudenken und Entscheidungen zu
    treffen – das ist der Sinn von Whistleblowing, von Protest, von
    politischem Journalismus".


    Das Buch ist in einem sehr
    guten Sprachstil geschrieben und für jeden politisch aufgeweckten
    Bürger als großes Lese- und Erkenntniserlebnis zu empfehlen.


    Edward Snowden: Geboren am
    01.06.1983. Laut Angaben des Autors Greenwald (S. 64/65) stammt er
    aus einer Familie der Mittelschicht in North Carolina. Beide Eltern
    waren Staatsbedienstete. In der Highschool habe er sich unterfordert
    gefühlt und sie vorzeitig beendet. Im Alter von zwanzig Jahren war
    er zur US Army gegangen. Er galt in technischen Dingen als
    Naturtalent. Ab 2005 arbeitete er als IT-Experte für die NSA und für
    die CIA. Als Infrastrukturanalytiker hatte er Einsicht in geheimste
    Dokumente. Er begriff, dass die NSA daran arbeitete, „Zugriff auf
    die gesamte Kommunikation der Menschen zu bekommen“. (S. 75)
    Greenwald schildert Edward Snowden als hochintelligent und rational,
    sehr methodisch denkend.


    Glenn Greenwald: Der
    Jurist und Verfassungsrechtler Glenn Greenwald ist einer der
    einflussreichsten politischen Kommentatoren in den USA. Er war


    Kolumnist bei The Guardian und ist seit 2014 Mitherausgeber der
    publizistischen Website The Intercept. Seit der Aufdeckung der
    NSA-Affäre wurde er mehrfach für seine journalistische Tätigkeit
    ausgezeichnet; u.a. erhielt der Guardian den Pulitzer-Preis für
    Greenwalds Snowden-Enthüllungen. Das Magazin Foreign Policy ernannte
    ihn zu einem der 100 »Global Thinkers« des Jahres 2013. Greenwald
    hat mehrere Bestseller veröffentlicht, u.a. How Would a Patriot Act?
    Er lebt in Rio de Janeiro, Brasilien.


    Die Internationale Liga
    für Menschenrechte vergibt die diesjährige Carl von
    Ossietzky-Medaille an den Whistleblower Edward Snowden, den
    Journalisten und Autor Glenn Greenwald und an die Publizistin Laura
    Poitras. Am 1. Dezember 2014 bekommt Glenn Greenwald außerdem den
    Geschwister Scholl-Preis in München verliehen. Edward Snowden wurde
    für den alternativen Friedensnobelpreis nominiert. (PK)


    Glenn Greenwald: „DIE
    GLOBALE ÜBERWACHUNG. Der Fall Snowden, die amerikanischen
    Geheimdienste und die Folgen“, Gebundene Ausgabe: 368 Seiten,
    Verlag: Droemer HC (13. Mai 2014), ISBN-10: 3426276356, ISBN-13:
    978-3426276358, Preis 19,99 Euro, Größe und/oder Gewicht: 21,8 x
    14,8 x 3,2 cm


    Erstveröffentlichung
    dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung


    http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20892&css=print


    Mehr über den
    Rezensenten:
    http://cleo-schreiber.blogspot.com

  • Autorenname in der Überschrift nachgetragen :wink:
    @musgau beim Einkopieren von Texten solltest Du besser das Quellcode-Fenster nutzen, dann werden die kurzen Zeilenumbrüche vermieden und die Rezension ist besser lesbar.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


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