Gutes Buch oder nur Selbstüberschätzung? Wie andere die Bücher sehen.

  • Den Plural hattest du ins Spiel gebracht, nicht ich :wink: Bezüglich der Realismen: ups, da hab ich gepennt :mrgreen:

    :study: John Steinbeck - East of Eden

    :study: Frank Witzel - Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

    :montag: Veronica Roth - Rat der Neun

    :musik: Claire North - Die vielen Leben des Harry August


    "There is freedom waiting for you, on the breezes of the sky, and you ask 'What if I fall?'
    Oh but my darling, what if you fly?"
    (Erin Hanson)

  • Den Plural hattest du ins Spiel gebracht, nicht ich


    Ja, freilich, das war meine eigene Dappichkeit. Erst im Halbschlaf :sleep: das Kunstwort "Realismuses" schreiben, wenn "Realismus" angebracht gewesen wäre und es dann auch noch für plural zu halten, das spricht schon für ein sehr geringes Maß an Realismus bei der Verwendung des Wortes Realismus. Huch, jetzt habe ich doch noch von vielen verschiedenen Realismen gesprochen und eine Anwendung für das so rare Plural gefunden. *:tanzensolo:


    Bezüglich der Realismen: ups, da hab ich gepennt


    Tja, da habe ich dich wohl angesteckt. Tut mir leid, erst eine tragische Berufskrankheit :krank: und dann auch noch das ... :-,


    *Edit: Als stilbewusster Autor muss ich mich für die vielen Wortwiederholungen in dieser Textpassage entschuldigen. Möglicherweise kommt das Wort "Realismus" hier etwas zu häufig vor.

  • Die Sache mit der Glaubwürdigkeit finde ich sehr spannend, nicht nur im Fantasy-Genre. Denn im Prinzip sind ja alle Romane - ob Belletristik, Fantasy, Krimi etc. - fiktiv, es sei denn, es handelt sich um eine Biografie. Ich musste mir in meinem historischen Krimi mit übersinnlichen Elementen (Schauerroman bzw. Beschreibungen von Halluzinationen) mangelnder Realismus vorwerfen lassen, was mich etwas verwundert hat. Ist man in fiktiven Romanen nicht bereit, neue und meinetwegen auch fantastische Welten zu bereisen, auch wenn es sich nicht ausdrücklich um Fantasy mit Elfen, Vampiren und Zwergen handelt?


    Mir kam die Kritik fast so vor, als hätte der Leser ein Sachbuch erwartet. Die historischen Hintergrunddaten stimmen, doch man sollte dem Autor schon ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit zugestehen, oder? Wie seht ihr das, als Leser und Autoren?

  • Denn im Prinzip sind ja alle Romane - ob Belletristik, Fantasy, Krimi etc. - fiktiv, es sei denn, es handelt sich um eine Biografie.


    Ich wäre jedenfalls sehr vorsichtig, mich der Thematik auf diese Art zu nähern. Von einem Buch, das sich als "historisch" bezeichnet würde ich normalerweise erwarten, dass es diesem Begriff gerecht wird. Dass jede Geschichte fiktiv ist, ändert nichts daran. Sprich: Wenn es früher keinen Hokuspokus gegeben hat, dann sollte der darin auch nicht vorkommen. Allerdings bin ich in dieser Hinsicht auch bereit, Ausnahmen zuzulassen. So kommen etwa in historischen Romanen von Rebecca Gable durchaus gelegentlich fantastische Elemente vor, ohne daran zu rütteln, dass die Geschichte insgesamt ein historischer Roman ist. Ich könnte aber auch verstehen, wenn jemand, der mit Fantasy nichts anfangen kann, schon diese Ausschweifungen ablehnte. Klappentext bzw. die Bezeichnung des Genres sollten schon auf dergleichen hinweisen. (Wobei natürlich auch in früheren Zeiten Menschen Wahnvorstellungen gehabt haben können. Ob die Kritik auf dein Buch überhaupt anwendbar war, weiß ich daher nicht zu beurteilen).


    Ist man in fiktiven Romanen nicht bereit, neue und meinetwegen auch fantastische Welten zu bereisen, auch wenn es sich nicht ausdrücklich um Fantasy mit Elfen, Vampiren und Zwergen handelt?


    So lange die Bezeichnung des Genres stimmt, kann ich nicht erkennen, dass das allgemeine Publikum damit ein Problem hätte. Gerade für mich als Fantasyautor und vor allem als Fantasyleser ergibt sich daraus allerdings ein Problem: Alles, worin irgendwo ein Elf eingebaut ist oder etwas übernatürliches passiert, wird als Fantasy verkauft. Der Begriff ist so aufgeweicht, dass man schon suchen muss, um ein Buch zu finden, dass im Kern Fantasy ist. Aber das nur am Rande.


    Die Sache mit der Glaubwürdigkeit finde ich sehr spannend, nicht nur im Fantasy-Genre.


    Die Abgrenzung verschiedener Genres bzw. die Frage nach Zauberei etc außerhalb des Fantasy-Genres ist nur ein Randaspekt dieser Thematik. Sie berührt aber weitere, ähnliche Fragen. Ein Buch kann natürlich auch unterhaltsam zu Lesen sein, wenn die grundlegende Geschichte massive Mängel im Bereich Realismus aufweist. Zur Verdeutlichung: Etwa in Actionfilmen kommen nur sehr selten Stunts vor, die realistisch wären. Trotzdem sind sie unterhaltsam. Warum sollte das nicht auch für einen Motorradfahrer-Roman gelten, in dem dauernd unmögliche Fahrmanöver absolviert werden, oder eine juristische Geschichte, in der das Rechtssystem verkehrt wiedergegeben ist? Wie viel dichterische Freiheit akzeptiert wird, hängt sicher vom persönlichen Geschmack, aber auch vom Gesamtwerk ab.
    Warum aber nannte ich das Genre Fantasy? Die naheliegende Erklärung, dass das nur geschah, weil es mein eigenes (leider nur im übertragenen Sinne, mir fehlen entsprechende Besitzurkunden) ist, reicht hier nicht. Es geht vielmehr darum, dass Fantasy besonders anfällig dafür ist, inhärent unrealistisch zu werden. Warum? Erstens ergibt sich das schon daraus, dass Fantasy (gleiches gilt für Siencefiction) in einem viel größeren Umfang fiktiver Natur ist, als andere Genres. Autoren müssen unter Umständen ganze Welten neu erfinden. Das lässt enorm viel Raum für Inkonsistenzen. Zweitens verführt diese enorme Freiheit aber auch dazu, überhaupt nicht mehr zu versuchen, etwas zu schaffen, dass einer inneren Logik folgt. Superheldentum (auch von ganz normalen Charakeren) und die Inflationäre Verwendung von Zauberei und Wundern nehmen immer wieder überhand. Ob die fiktive Welt (oder eine Begebenheit darin) so überhaupt noch funktionieren könnte, wird nicht mehr gefragt. Natürlich kann auch eine Geschichte fesselnd sein, die solche Zwänge bewusst ignoriert. Aber in den meisten Fällen, finde ich es einfach nur entnervend, wenn wieder einmal ´Held-XY´ eine halbe Armee niedermetzelt, dabei halb tot geschlagen wird und drei Tage später das gleiche noch einmal tut, wobei die einzige Behandlung in ein paar Verbänden bestand (um ein immer wiederkehrendes Motiv zu nehmen, dass sich auch in hochwertige Fantasy gern einschleicht). Fantastischer Realismus ist ein besonders rares und wertvolles Gut.

  • Ein Buch kann natürlich auch unterhaltsam zu Lesen sein, wenn die grundlegende Geschichte massive Mängel im Bereich Realismus aufweist.


    Es ist für den Autor dann aber eine enorme Herausforderung, die Mängel so zu überspielen, dass sie den Leser im Allgemeinen nicht weiter stören. Einzelne Leser werden natürlich immer darüber stolpern und sich darüber ärgern. Trotzdem sollte man als Autor zumindest versuchen Informationen zu sammeln, damit die Geschichte nicht in den Unwahrscheinlichkeiten untergeht.


    Warum aber nannte ich das Genre Fantasy? Die naheliegende Erklärung, dass das nur geschah, weil es mein eigenes (leider nur im übertragenen Sinne, mir fehlen entsprechende Besitzurkunden) ist, reicht hier nicht. Es geht vielmehr darum, dass Fantasy besonders anfällig dafür ist, inhärent unrealistisch zu werden. Warum? Erstens ergibt sich das schon daraus, dass Fantasy (gleiches gilt für Siencefiction) in einem viel größeren Umfang fiktiver Natur ist, als andere Genres.


    Natürlich, deshalb heißt es Fantasy. Und auch in dem Begriff Science-Fiction steckt ebenfalls das Wort Fiktion - etwas Erdachtes. Normalerweise sollte man davon ausgehen, dass das Erdachte dabei gänzlich der Fantasie des Autors unterworfen sein dürfte, dennoch kommt es für die Leser komisch, wenn gewisse wissenschaftliche Eigenheiten plötzlich nicht mehr gelten sollen. Folglich muss sich der Autor nicht nur gewisse Eigenheiten ausdenken, sondern auch noch eine Erklärung dafür finden, wie es dazu kommen kann. Ohne solche einleuchtenden erdachten Erklärungen kann es zu Fehlern in der Logik kommen, die ein ganzes Buch hinfällig machen können.


    Bei meinem ersten Roman (ein Erotik-Science-Fiction) habe ich ein ganzes humanoides Volk geschaffen, das in seiner Lebensweise eher an ein Bienenvolk erinnert - also eine Königin, Drohnen, Arbeiterinnen, Wächter ... Weiterhin habe ich mich bezüglich der Vermehrung an das Beispiel von Blattläusen gehalten. Eigentlich dachte ich, dass ich damit eine gute Erklärung geliefert habe, und trotzdem hat sich innerhalb der Geschichte ein Fehler eingeschlichen, der das Ganze hinfällig macht. Nun ist er glücklicherweise so gut getarnt, dass er nicht wirklich auffällt, trotzdem stört mich das Wissen, dass er da ist.
    Ebenfalls habe ich mir in dem Roman diverse physikalischen Eigenheiten ausgedacht, die auf den ersten Blick logisch aussehen. Ein echter Sci-fi-Kenner oder jemand mit einem guten physikalischen Wissen findet die Unlogik darin. Wie gut, dass die meisten Leser sich damit trotzdem gut unterhalten fühlen. Dennoch ärgert es mich, dass ich da nicht besser recherchiert hatte. So habe ich ein Universum erschaffen, das in sich nur logisch erscheint, aber nicht ist - und darauf baut das ganze Buch auf.


    Zweitens verführt diese enorme Freiheit aber auch dazu, überhaupt nicht mehr zu versuchen, etwas zu schaffen, dass einer inneren Logik folgt.


    Das sind dann allerdings in den seltensten Fällen Bücher, die beim Leser gut ankommen. Meistens bekommt der Autor schon kurz danach die erste Quittung in Form von negativen Rezensionen. Natürlich wird es immer den einen oder anderen geben, den das auch nicht interessiert, dennoch halte ich das Gros der wirklichen Leser für so intelligent, dass er solche Logikfehler findet - und dass sie ihn stören (wobei das jetzt wieder nichts mit Intelligenz zu tun hat).


    Fantastischer Realismus ist ein besonders rares und wertvolles Gut.


    Das liegt einfach daran, dass die meisten Bücher einem Muster folgen. Wenn ein Autor mit diesem Muster Erfolg hatte, wird es kopiert, verändert und neu verpackt. Es ist sehr, sehr schwer, ganz eigene Ideen zu entwickeln. Und wer - außer George R.R. Martin - lässt am laufenden Band seine Helden sterben und nicht wieder aufstehen?

    "deine beschreiebung alleine lässt vermuten, dass es sich um schmöckerroman einzigartiger klasse handelt, nämlich übertriebenem bullshid, der mit der wirklichkeit keinene hinreichenden effekt auf die wirklichkeit erstreckt." (Simon Stiegler)

    Stimmt! Ich schreibe spannende Unterhaltungsliteratur, die den Leser aus der Wirklichkeit entführt, bis zum Ende gelesen wird und bei der der Leser am Ende fragt: Wann erscheint der nächste Band? Schreiben will halt gelernt sein

  • Martin Hühn schrieb:
    Ein Buch kann natürlich auch unterhaltsam zu Lesen sein, wenn die grundlegende Geschichte massive Mängel im Bereich Realismus aufweist.



    Es ist für den Autor dann aber eine enorme Herausforderung, die Mängel so zu überspielen, dass sie den Leser im Allgemeinen nicht weiter stören. Einzelne Leser werden natürlich immer darüber stolpern und sich darüber ärgern. Trotzdem sollte man als Autor zumindest versuchen Informationen zu sammeln, damit die Geschichte nicht in den Unwahrscheinlichkeiten untergeht.


    Wie gesagt, denke ich, dass es vor allem vom Gesamtkontext des Werkes abhängt, wie viel "Unrealismus" da angebracht ist.
    Zwei Beispiele: Terry Pratchett schafft Welten, die kaum solchen Problemen unterworfen sind. Diese Welten sind so massiv von Zauberei und dergleichen gesteuert, dass kleine Inkonsistenzen kaum noch auffallen. Wenn da jemand etwa seine Gummiente mit in die Badewanne nimmt (in einer Welt in der Kunststoffproduktion eigentlich fehlt), dann stört das da kaum noch jemanden. Die innere Logik des ganzen Konstrukts lässt sogar solche Absurditäten zu. Wie auch anders in einer Welt, in der "Erzählerische Notwendigkeit" eines der Naturgesetze ist.
    George R.R. Martin hingegen versucht sich in Game of Thrones in der realistischen Darstellung einer Welt (wobei der Begriff Realismus an dem orientiert ist, was auch auf unserer Welt gelten könnte). Trotzdem gibt es natürlich Zauberdinge. Ich würde behaupten, alles in allem gelingt das auch. Es gibt aber auch hier wenigstens ein Beispiel, bei dem sich der Autor nicht darum schert, ob es noch der inneren Logik entspricht. Eigentlich verrät es nicht viel. Ich verberge es trotzdem lieber einmal:

    Diese einzelne Inkonsistenz wird nicht durch die innere Logik der Geschichte gedeckt. Trotzdem habe ich noch nicht gehört, dass jemand die Bücher wegen dieser Sache ablehnte (genau genommen habe ich noch nicht gehört, dass außer mir überhaupt jemand so spitzfindig gewesen wäre, dass ihm das aufgefallen wäre).


    dennoch kommt es für die Leser komisch, wenn gewisse wissenschaftliche Eigenheiten plötzlich nicht mehr gelten sollen. Folglich muss sich der Autor nicht nur gewisse Eigenheiten ausdenken, sondern auch noch eine Erklärung dafür finden, wie es dazu kommen kann.


    So weit würde ich überhaupt nicht gehen. Gerade in einer Fantasywelt kann so ziemlich alles vorkommen, ohne dass es erklärt werden müsste. Ich hatte zum Beispiel erwähnt, dass Fantasyhelden erstaunlich schnell von "fast tod" bis zu "ohne Einschränkungen bereit für den nächsten Kampf" erholen können. Daran ist nichts verkehrt: Ein Autor kann durchaus entscheiden, dass Wundheilung auf seiner Welt 100x schneller geht (oder dass Verletzungen sowieso nicht so schlimm sind). Ich würde nicht einmal eine Erklärung verlangen. Aber es müsste dann wenigstens auch so konsequent angewendet werden. Das ist mir aber noch nicht begegnet. Die Regel ist Willkür und Beliebigkeit. Und das ist eine sehr schlechte Regel.


    Das sind dann allerdings in den seltensten Fällen Bücher, die beim Leser gut ankommen. Meistens bekommt der Autor schon kurz danach die erste Quittung in Form von negativen Rezensionen.


    Mag sein. Ich bin trotzdem immer wieder erstaunt, wie viel Leser ihren (Fantasy-)Autoren durchgehen lassen, wenn die Geschichte insgesamt gut ist.

  • Ich habe eure Meinungen mit großem Interesse gelesen unnd mir Gedanken dazu gemacht. Mir fiel auf, dass es scheinbar kaum künstlerische / dichterische Freiheit in vorgefassten Genres gibt. Krimis und Fantasy haben nach demselben Muster abzulaufen, damit der Leser "nicht enttäuscht" wird und weiß, was ihn erwartet. Im Prinzip ist das zwar verständlich, ich finde aber, dass es für einen Autor durchaus legitim ist, Regeln zu brechen und Gesetze außer Kraft zu setzen, sofern die Geschichte unterhaltsam ist. Natürlich sollte man dann auch den geeigneten Leser haben, der sich gern auf "Stilbrüche" einlässt.

  • Ich habe eure Meinungen mit großem Interesse gelesen unnd mir mal auf meinem Blog Gedanken dazu gemacht.


    Danke, der Artickel im Blog ist sehr interessant zu lesen.


    Mir fiel auf, dass es scheinbar kaum künstlerische / dichterische Freiheit in vorgefassten Genres gibt. Krimis und Fantasy haben nach demselben Muster abzulaufen, damit der Leser "nicht enttäuscht" wird und weiß, was ihn erwartet.


    Das würde ich in so nicht unterschreiben. In beiden Genres gibt es himmelweit verschiedene Ausprägungen und nicht nur eine einzige, erfolgreiche. Im Krimibereich hat schon lange eine Loslösung vom klassischen, auf den Kriminalfall allein fixierten Geschehen stattgefunden. Was etwa Henning Mankell oder Elisabeth George aus diesem Genre machen ist grundverschieden. Im Fantasybereich ist die Ausdifferenzierung so stark fortgeschritten, dass es schon schwierig wird, überhaupt noch ein einzelnes Genre darin zu sehen. Harry Potter, Der Herr der Ringe oder Das Lied von Eis und Feuer sind grundverschieden. Ich würde vielmehr behaupten, dass gerade das richtig dosierte Brechen mit allzu gewohnten Konzepten ist, das die meisten Erfolge erst ermöglicht (es kann auch katastrophal schief gehen, aber davon möchte ich hier nicht schreiben). Ich möchte nicht in Abrede stellen, dass es feste Erwartungen an Genres bei vielen Lesern noch gibt und erstrecht nicht, dass die Erwartungshaltung an einen einzelnen Autor, immer wieder ähnliches zu schaffen, durchaus vorkommt.


    ich finde aber, dass es für einen Autor durchaus legitim ist, Regeln zu brechen und Gesetze außer Kraft zu setzen, sofern die Geschichte unterhaltsam ist.


    Das muss ich mit einem ganz entschiedenen Jein beantworten.


    Ja, ja und nochmals ja: Sich selbst in das vermeitlich feste Korsett eines Genres pressen zu lassen und nur so zu schreiben, wie man meint, dass es alle anderen tun ist langweilig und führt zu seichter Literatur. (das ist nicht immer negativ. Manchmal lese ich so etwas auch gern.)


    Aber nein, nein und nochmals nein: Ein Fehler in der inneren Logik einer Geschichte ist und bleibt ein Fehler (Womit ich nicht sagen will, das jeder Fehler inakzeptabel wäre. Er kann akzeptabel sein oder gar notwendig für eine Geschichte. Aber er wird nie richtig oder gut). Eine verzerrte Darstellung der Realität (gegen die ich gar nichts sagen will, wenn sie fantastischen Charakter hat und die Geschichte befördert) sollte wenigstens an irgendeiner Stelle als fiktiv gekennzeichnet sein*. Ist das nicht der Fall, halte ich sie schlicht und ergreifend für einen Fehler. Lesen bildet, heißt es. Nun, zumindest sollte es nicht verdummen.
    *(Dazu eine Einschränkung: Es gibt durchaus Fälle, in denen dem Leser zuzutrauen ist, das selbst zu erkennen)


    historischen Krimi mit übersinnlichen Elementen (Schauerroman bzw. Beschreibungen von Halluzinationen)


    Das war Yaels persönliches Beispiel zu dem Thema. Ich möchte es einmal exemplarisch verwenden. Dass ich das Buch nicht gelesen habe, gereicht mir dabei nur zum Vorteil, weil ich hypothetisch auf verschiedene Ausprägungen eingehen kann. Zunächst einmal folgendes: Halluzinationen und schauerliche Begebenheiten mit Gruselcharakter gab es auch in früheren Zeiten. Nichts spricht logisch dagegen, diese Elemente auch in einem historischen Kriminalroman zu verwenden. Im Gegenteil: Das ist äußerst innovativ und kann ein hervorragendes Buch ergeben. Einwände dagegen kann nur derjenige erheben, der eine sehr enge Vorstellung von den Grenzen eines Genres hat.
    Die Sache stellt sich schon anders dar, wenn die entsprechenden Begebenheiten in dem Buch tatsächlich als übernatürlich dargestellt werden (und nicht nur von abergläubischen Protagonisten als solche eingeordnet werden). Dann stimmt nämlich die Einordnung als Historischer Krimi nicht mehr. Das bedeutet nun nicht, dass das Buch an sich dadurch schlechter würde. Aber es wäre dann eben ein Historisch-Fantastischer-Krimi (von mir aus auch Fantasy, wenn es denn unbedingt sein muss).

  • Die Sache stellt sich schon anders dar, wenn die entsprechenden Begebenheiten in dem Buch tatsächlich als übernatürlich dargestellt werden (und nicht nur von abergläubischen Protagonisten als solche eingeordnet werden). Dann stimmt nämlich die Einordnung als Historischer Krimi nicht mehr. Das bedeutet nun nicht, dass das Buch an sich dadurch schlechter würde. Aber es wäre dann eben ein Historisch-Fantastischer-Krimi (von mir aus auch Fantasy, wenn es denn unbedingt sein muss).


    In erster Linie geht es um einen Jahre zurückliegenden Mordfall, der aufgeklärt wird - von einem Psychologen und einem traumatisierten jungen Mann, der sein Patient ist. Insofern widerspricht der Roman dem gängigen Krimi-Muster, in dem eigentlich ein Inspektor ermittelt. Da dieser Handlungsstrang sich durch den ganzen Roman zieht und in der Zeit des Ersten Weltkrieges angesiedelt ist, habe ich mich für das Genre "Historischer Kriminalroman (mit übersinnlichen Elementen)" entschieden. Valentine - so der Name des Jungen - leidet unter Halluzinationen, hat aber zugleich die Gabe, Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben und die entscheidend zur Lösung des Verbrechens beitragen. Da der Roman in einer realen Welt vor historischem Hintergrund spielt, nehme ich Abstand von der Bezeichung Fantasy und würde ihn auch nicht als solche betrachten. Deshalb gehe ich gern konform mit deiner ersten Theorie, denn in der Leserunde zum Buch wurden von mehreren Teilnehmern Vergleiche zu Edgar Allan Poe gezogen, was mich sehr gefreut hat. Schade ist eben, wenn Leser Probleme damit haben, sich trotz des vielleicht nicht ganz korrekten Genres auf etwas einzulassen, das außerhalb ihrer Vorstellungskraft liegt.

  • Deshalb gehe ich gern konform mit deiner ersten Theorie, denn in der Leserunde zum Buch wurden von mehreren Teilnehmern Vergleiche zu Edgar Allan Poe gezogen, was mich sehr gefreut hat. Schade ist eben, wenn Leser Probleme damit haben, sich trotz des vielleicht nicht ganz korrekten Genres auf etwas einzulassen, das außerhalb ihrer Vorstellungskraft liegt.


    Also keine "echten" übernatürlichen Vorkommnisse? Dann stimmt doch auch das Genre (und natürlich, der Begriff Fantasy passt dann nicht). Warum man kritisieren sollte, dass in früheren Zeiten Dinge geschehen sind, die mysteriös aussahen, entzieht sich allerdings meinem Verständnis.

  • Ich kenne das Buch ja, um das es hier geht, und ich fand die Schauerelemente total gelungen und stimmig mit dem Rest der Geschichte. Ich würde mich auch nicht an der Einordnung "Historischer Kriminalroman" stören, wäre hingegen massiv irritiert bei der Einordnung in den Fantasy-Bereich. (Ich tue mich aber generell schwer mit allzu starren Genrefestlegungen, das merke ich schon immer, wenn ich mein Bücherregal umsortiere, eigentlich müsste ich die Hälfte der Bücher drei- oder viermal kaufen, damit ich jeweils ein Exemplar ins passende Genre einsortieren könnte ...)


    ich finde aber, dass es für einen Autor durchaus legitim ist, Regeln zu brechen und Gesetze außer Kraft zu setzen, sofern die Geschichte unterhaltsam ist.


    Dem stimme ich zu, mit einer weiteren Einschränkung: Der Autor muss es schaffen, dass ich ihm den Regelbruch (im Beispiel: das Übersinnliche in der Geschichte) abkaufe, also entsprechend gut schreiben. Wenn innerhalb des Erzählkosmos alles stimmig ist, dann ist meine persönliche Lesewelt in Ordnung. Ich habe schon "realistische" Romane gelesen, die ich deutlich unglaubwürdiger fand als so manch anderen gut geschriebenen Roman, der dann kritisiert wird für Elemente, die es "in echt" doch gar nicht gibt ...

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    :study: Frank Witzel - Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

    :montag: Veronica Roth - Rat der Neun

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    (Erin Hanson)

  • das merke ich schon immer, wenn ich mein Bücherregal umsortiere, eigentlich müsste ich die Hälfte der Bücher drei- oder viermal kaufen, damit ich jeweils ein Exemplar ins passende Genre einsortieren könnte ...)


    Diese Herangehensweise fände ich als Autor natürlich sehr vorteilhaft. Ich gäbe sogar Mengenrabatt, wenn jemand mein Buch einmal für die Fantasyecke, einmal für das Abenteuerromane-Regal und noch zweimal für die Randbereiche der Genreregale Science-Fiction und Krimi kaufen wollte (oh und Romantik steckt auch irgendwo drin und der Hintergrund verarbeitet eine gute Prise Naturwissenschaften ... oh, herrlich könnten die Absatzzahlen sein, wenn sich dieses Konzept durchsetzte! :wink: ).

    Wenn innerhalb des Erzählkosmos alles stimmig ist, dann ist meine persönliche Lesewelt in Ordnung.


    Sehr schön ausgedrückt. Ich sehe das genauso. Der Einwand "Kühe können nicht fliegen" ergibt keinen Sinn, denn ein Autor hat jederzeit das Recht welche zu erfinden (nun gut, das Buch sollte dann vielleicht kein Leitfaden für den Landwirt sein). Aber dem Einwand: "Wenn die Kühe fliegen können, dann ergibt ein einfacher Weidezaun keinen Sinn mehr" muss ein Autor durchaus Rechnung tragen (sofern er die Haltungsbedingungen beschreibt).