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Nabokovs vierzehnter Roman – der erste aus der Zeit nach «Lolita» – gibt sich als die kommentierte Ausgabe eines 999 Zeilen langen Gedichts mit dem Titel «Fahles Feuer», verfasst von John Shade, einem bedächtigen neuenglischen Lyriker und Professor, der von einem Mörder erschossen wurde, ehe er die tausendste, die letzte Zeile zu Papier bringen konnte. Der Herausgeber ist sein Kollege, Nachbar und angeblicher Freund Charles Kinbote. Dessen Kommentar verfehlt jedoch Shades ernstes Poem, in dem es um den Selbstmord der schwierigen und hässlichen Tochter, um den Tod und die Wahrscheinlichkeit eines Lebens danach geht, auf eine so dreiste wie groteske Weise. Kinbote gibt sich nämlich als der exilierte König von Zembla zu erkennen, Carl der Vielgeliebte, der Shade nicht dazu bringen konnte, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und der es nun in Form von Anmerkungen zu «Fahles Feuer» selber tut. Ihm galt, so meint er, auch die Kugel, die Shade tötete. Freilich ist zweifelhaft, ob es sich so verhält.
Meine Meinung zum Buch:
Aus der Lektüre gehe ich so klein heraus. Ich habe mich bisher für nicht ganz dumm gehalten, aber Nabokov lässt meinem Selbstbewusstsein keine Chance - naja, tut auch mal ganz gut, solche Erfahrungen zu machen.
Fahles Feuer dürfte eines der ungewöhnlichsten Bücher aller Zeiten sein (für mein Empfinden, aber ob das viel taugt, davon bin ich nach dieser Lektüre alles andere als überzeugt). Irgendwo habe ich gelesen, dass es sich bei diesem "Roman", als den der Autor dieses Werk bezeichnet hat, angeblich um den allerersten Hypertext handeln soll - wie ein Roman liest es sich jedenfalls wirklich nicht: das Buch besteht nur aus dem Vorwort des Ich-Erzählers Kinbotes, einem 1000 ( bzw. 999) Zeilen langen, teilweise ziemlich schlechten Poems, angeblich geschrieben von Kinbotes Nachbarn John Shade, sowie jeder Menge Anmerkungen, Kommentare und Abschweifungen des Ich-Erzählers. Dabei gibt es in den Kommentaren jede Menge Querverweise zu vorhergehenden Anmerkungen, dann von dort aus wieder zu späteren Fußnoten und so fort. Insofern ist die etwas ungewöhnliche Bezeichnung „Hypertext“ sicher nicht aus der Luft gegriffen.
245 Seiten hat Pale Fire in der TB-Ausgabe des englischen Originals - ich kann nicht sagen, dass ich die Lektüre genossen hätte – zu sehr und zu lange musste ich mit dem Verständnis kämpfen, sowohl auf Vokabular-Ebene als auch von Inhalt und Aufbau her, die eigentlich gar nicht getrennt voneinander gesehen werden können, sonst lässt sich gar kein Sinn bzw. eine Motivation des Autors für dieses seltsame Buch finden.
es wird ziemlich schnell klar, dass das Poem ein ziemlich schlechtes Gedicht ist, mit seinen Gedanken zum Tod, zum Selbstmord der Tochter, zur Gesundheit des Autors und sonstigen wichtigen und belanglosen Aspekten des Autors. Charles Kinbote, der Ich-Erzähler, der sich gleichzeitig als künftiger Herausgeber des Gedichts versteht, interpretiert es als eine Art Ode auf sein Heimatland, das fiktive "Zembla" und der Flucht des letzten dortigen Königs, Charles the Beloved, ins Exil, nachdem sozialistische Rebellen dort an die Macht gekommen waren. Man kann als Leser praktisch gar nicht nachvollziehen, wie Kinbote auf diese Idee kommen will. "Zembla" als Wort taucht nur in einer Zeile auf, aber eine Ode auf Zembla und seinen letzten König? Kinbote nutzt also seine Anmerkungen, um dem Leser nach und nach die Geschichte der Flucht seines Königs ins Exil zu schildern sowie die Verfolgungsjagd durch einen von den zemblanischen Rebellen beauftragten Killers, wobei immer wieder Detailinformationen geschildert werden, die Kinbote unmöglich wissen kann - es sei denn, er sei selbst Charles the Beloved (oder der Auftragskiller, wie mir am Ende sogar scheinen wollte).
Ich habe lange Zeit beim Lesen mit dem Versuch verbracht, abzuschätzen, wer denn nun der größere Spinner sei: Kinbote mit seinen halluzinatorischen Interpretationen und seinem tuntigen Beleidigtsein, oder Nabokov, der sich so etwas total Abgedrehtes überhaupt erst ausgedacht hat.
Der Autor scheint alles irgendwie zu verlächerlichen: Kinbote erweckt den Eindruck, dass die Mehrheit der männlichen Zemblaner homosexuell sei und dies als elegant und stilvoll erachte - dass Nabokov so etwas in den 1960er Jahren geschrieben hat, deutet für mich auf die Absicht hin, heftig anzuecken, ähnlich wie schon in seinem vorherigen Roman Lolita. (Hätte Nabokov nicht einem wohlhabenden Elternhaus entstammt, das ihm viel Kultur, u.a. ein Literaturstudium ermöglichte, sondern stattdessen unkultivierten, proletenhaften Verhältnissen, hätte er wahrscheinlich ständig irgendwelche Kneipenschlägereien provoziert, könnte ich mir vorstellen.)
Fahles Feuer lässt eigentlich in der und hinter der gesamten Struktur, im Erzählstil, im scheinbaren (und tatsächlichen, weil beabsichtigten) Durcheinander der Anmerkungen Provokation vermuten, aber Provokation eher im Sinne von Anstachelung des Ehrgeizes im Leser, sich mit dem Motiv des Autors (Nabokovs, nicht Kinbotes als fiktivem Autor der Kommentare oder Shades als fiktivem Autor des Gedichtes), so etwas idiotisch Erscheinendes und Konfuses zu verfassen.
Diesen Hintergrund zu erspüren, hat sich nach anfänglicher geistiger Verbretterung meinerseits dann doch als ziemlich einfach erwiesen - es geht um den Literaturbetrieb, um Kritik an Kritiken und Kritikern, an leeren literarischen Lobeshymnen, vielleicht auch an etwas zu unkritischen Aufsätze seitens seiner Literaturstudenten, mit denen Nabokov als Professor für europäische und russische Literatur in den USA sicherlich oft genug konfrontiert wurde. Kinbotes Kommentar „books and people“ zu Zeile 172 des Gedichts kann wohl in sich selbst als eine Art Querverweis auf Nabokovs Anliegen für sein Buch verstanden werden.
Nabokov hat oft genug zum kritischen Lesen, zur individuellen Auseinandersetzung mit Literatur aufgefordert. Von diesem Gedanken ausgehend ergibt Fahles Feuer eindeutig Sinn, auch weil er seine eigene Erzählweise in den Sechzigern so stark und ganz klar provokativ gegen das literarisch Etablierte gewandt hat. Er hat sich nicht mit heuchlerisch-schmeichelndem Mittelmaß zufrieden gegeben, sondern riskiert (und geradezu provoziert), missverstanden und mit Verachtung abgetan zu werden. (Wobei ich den Eindruck habe, dass es Nabokov herzlich egal gewesen sein dürfte, wann immer er missverstanden wurde).
Berechtigt und in der Umsetzung gelungen erscheint mir sein Anspruch und Aufruf, Literatur nicht immer nur in denselben eingefahrenen Gleisen sehen zu wollen bzw. sehen zu sollen, auf jeden Fall.
Mit diesen paar Punkten wäre dann auch schon geklärt, dass es sich bei Fahles Feuer um ein Werk der literarischen Postmoderne handelt: Metafiktion, soweit das Auge reicht, der kritische Ansatz bezüglich literarischer Interpretationen und Kinbote als der unzuverlässigste Erzähler aller Zeiten - das reicht auf jeden Fall, um Nabokov mit seinem haarsträubenden Pale Fire wenigstens auf diesen Aspekt hin ganz konkret und eindeutig festnageln zu können.
Insgesamt gehe ich aus der Lektüre ziemlich ermüdet hervor - das liegt aber nicht am Autor, sondern an meiner eigenen Unzulänglichkeit und meinem fehlenden Wissen (ich vermute aber, dass auch dieses Aufzeigen ein weiteres Anliegen Nabokovs sein könnte) - angeblich liegt dem teilweise recht scheußlichen Poem ein perfekt durchdachter und eleganter Aufbau zugrunde, woran meine eigenen nicht-existenten Kenntnisse schon mal total scheitern.
Dass es eine Menge raffinierte Pointen im Buch gibt, ist mir mittlerweile auch klar. Ich bin erstaunt beim Durchsehen meiner Notizen, dass ich mehr entdeckt zu haben scheine als ich dachte, aber die dunkle Ahnung bleibt, dass da viel mehr Humor darin steckt, für den es bei mir einfach nicht gereicht hat (keine schöne Erkenntnis übrigens) - ich hätte z.B. den kleinen Witz, über den sich Jonathan Franzen in diesem Video halb kaputt kichert, nie im Leben gefunden, das muss ich offen zugeben (auch wenn ich aufgrund von extensiver Erläuterungen von Kinderärzten über Symptome baktiereller Entzündungen im Rachenbereich den Begriff Halitosis seit Jahren kenne) - ich hätte schlichtweg darüber weggelesen, weil ich das fehlende Wort nie im Leben mit dem Wort "Halitosis" in Verbindung gebracht hätte .
Hinzu kommt die Menge an Worten, die ich noch nie im Leben zuvor gehört hatte - ohne Merriam-Webster-Wörterbuch wäre ich ziemlich verloren gewesen (ein Beispiel: „marrowskies“ – nein, hat nichts mit "Himmel" zu tun – völlig daneben). Vladimir Nabokov hat zwar bereits als Kind Englisch- und Französisch-Unterricht erhalten, aber er scheint eindeutig mehr aus seinen Fremdsprachenkenntnissen gemacht zu haben als fast der gesamte Rest der Weltbevölkerung – ich fasse es einfach nicht, wie Nabokov immer wieder die Art, in der sich unterschiedliche Typen ausdrücken, im Englischen karikiert, aber nicht ins Offensichtliche und Platte überzogen, sondern ganz knappkantig, sodass man sich immer wieder fragen muss, ob er das jetzt evtl. doch ernst meint – unglaublich, wie viel dieser Mann sprachlich drauf hatte.
Es tut mir leid, dass ich hier so ausladend kommentiere und im Endeffekt nicht viel aussage - aber glaubt mir bitte, das liegt am Buch (weitestgehend zumindest).
Ich bin mir sicher, dass es sich bei Fahles Feuer um ein außerordentliches und ein außerordentlich gutes Buch handelt, auch wenn ich selbst kein ausreichend guter Leser dafür bin. Ich bin mir aber gleichzeitig fast genauso sicher, dass es hier im BT einige Leser gibt, die aus diesem Buch bedeutend mehr Schmunzler und Lacher für sich herausholen können als ich, weil sie zum einen mir gänzlich fehlende Kenntnisse auf dem Gebiet der Literaturwissenschaften und zum anderen von Haus aus mehr Humor als ich mitbringen - und sogar ich, nach meinem weitgehend planlosen und nur bedingt erfolgreichen Ringen mit diesem Werk, muss sagen, dass ich mich jetzt, nach der Lektüre, ärgern würde, wenn ich es nicht gelesen hätte. Dieses Buch muss ich irgendwann nochmal lesen – vielleicht habe ich bis dahin ja etwas mehr Humor?
Wer gerne mal etwas liest, das sich von allen anderen Büchern gewaltig unterscheidet und wem es nichts (oder nur wenig) ausmacht, dass er von einem Autor ein bisschen provoziert und getriezt wird, der sollte sich nicht abhalten lassen, Fahles Feuer zu lesen (klingt blöd, soll aber eine Empfehlung sein).
Zum Autor:
Vladimir Nabokov wurde 1899 in Sankt Petersburg als Sohn einer wohlhabenden Adelsfamilie geboren. Sein Leben wurde u.a. durch Flucht ins Exil nach Deutschland und später nach Frankreich und in die USA geprägt. Sein Londoner Studium der Naturwissenschaften, der russischen und französischen Literatur konnte er in den Vereinigten Staaten in berufliche Tätigkeiten am Lehrstuhl namhafter Universitäten (u.a. Harvard und Cornell) umsetzen. Die total unsinnige allgemeine Diskussion, die sich um seinen Lolita-Roman entspann, brachte jedoch solch hohe Verkaufszahlen, dass sie Nabokov finanziell unabhängig machten, was ihm 1959 ermöglichte, sich fortan nur noch auf das Schreiben zu konzentrieren. Er verstarb 1977 in Montreux in der Schweiz.
Persönlich interessieren mich Nabokovs frühere Werke eher weniger, aber ich bin begeistert von seiner raffiniert-rücksichtslosen Art, gegen etablierte gesellschaftliche Heucheleien zu randalieren, so wie er sie in Lolita und Fahles Feuer an den Tag legt. Wenn ich’s mal so respektlos formulieren darf: ein literarischer Punk mit Stil.