Elio Vittorini - Gespräch in Sizilien/Conversazione in Sicilia

  • Original : Conversazione in Sicilia (Italienisch, 1938/39 als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift ,Letteratura’ zum ersten Mal zugänglich gemacht ; 1. Buchedition 1941 unter dem Titel ,Nome e lagrime’ ; Nachdruck unter dem heutigen Titel noch im selben Jahr)


    Deutsche Übersetzung (bei Wagenbach) : Trude Fein


    INHALT :
    Nach fünfzehn Jahren kehrt der neunundzwanzigjährige Silvestro erstmals für drei Tage aus Norditalien in sein armseliges Heimatdorf in den sizilianischen Bergen zurück, um seine Mutter zu besuchen. Er reist mit dem Zug durch Italien, setzt mit einer Fähre über, fährt durch die Orangenhaine und Dörfer seiner Kindheit, trifft einen Wanderer, einen Messerschleifer, einen kleinen hungernden Sizilianer, seltsame Herren mit und ohne Schnurrbart. Silvestro streift durchs Dorf, taucht ein in die Erinnerungen der Familien, in das einsame Leben seiner Mutter und der anderen Frauen des Ortes. Wirklichkeit und Traum überlagern sich. Auch an diesem scheinbar entrückten Ort haben die Menschen sich verändert: Sie leben in der Diktatur des Faschismus.


    Dieser Roman begründete Vittorinis Ruhm. Er ist eine Liebeserklärung an »das Herz der Kindheit, das Herz Siziliens«.
    (Quelle : Wagenbach-Verlag, Abschnitte umgekehrt und durch Altersangabe erweitert))


    BEMERKUNGEN :
    Das Buch besteht aus fünf Teilen mit insgesamt 48 Kapiteln und einem Epilog, dh also relativ kurzen Kapiteln. Der Ich-Erzähler ist eben jener Silvestro Ferrauto, der sich eingangs in Mailand befindet und in den ersten Kapiteln – und in einer typischen Weise für Vittorini – wiederholend immer wieder zurückkommt auf seinen Zustand einer gewissen Gleichgültigkeit, einer « flachen Stille von Abwesenheit der Hoffnung ». Er hat den Glauben an die Menschheit verloren, den Blick dauernd auf den Boden gerichtet.


    Seit fünfzehn Jahren war der Neunundzwanzigjährige nicht daheim in Sizilien gewesen. Nun liegt ein Brief des Vaters vor, dass er die Mutter verlassen hätte und die Kinder ihn verstehen sollten. Andererseits stehen wir kurz vor dem Festtage des 8.12.(einem Marienfesttag), der eng mit der Mutter verbunden ist : normalerweise schreibt er stets eine Karte. Nun aber sieht er ein Angebot für eine Zugfahrkarte, die er mit dem gerade erhaltenen Lohn kaufen kann, auch wenn ihm eigentlich « alles egal ist ». So also kommt es zur Heimfahrt über Syrakus in die abgelegenen Berge, und wie die Fahrt vorangeht, fragt man sich, ob jene Hoffnungslosigkeit nun sinken mag. Düfte, Aussichten (man fühlt sich an Proust erinnert), verschiedenste Begegnungen erfüllen ihn mit Erinnerungen an die Kindheit, zeigen aber auch den Abstand zwischen Arm und Reich. Leute nagen am Hungertuch.


    Dann findet er in den Bergen der « Barbarei » (vielbedeutender Name der Gegend?!) die Mutter wieder. Und nun ist es ihm « nicht gleichgültig, dort zu sein ». Wir sind noch nicht bei positiven Feststellungen, doch nur einer Minderung des schneidenden Schmerzes ? Nach so langer Zeit geht das erste Gespräch über die wiedergefundenen Geschmackserlebnisse, das Weggehen des Vaters, die Rolle des mütterlichen Großvaters, Kindheitserinnerungen... In dieser Welt geht so manches zusammen, was woanders unmöglich scheint ? « Großvater konnte an den Heiligen Joseph glauben und Sozialist sein ». Die Arbeit läßt die Frauen vor der Zeit altern, und Männer – Feiglinge und Kavaliere zugleich, Frauenhelden und Verräter, verlassen die Ehefrauen für eine jüngere. So eben – nach den Worten der Mutter – der Vater. Dass sie sich selber das Fremdgehen erlaubt hat fällt da nicht so ins Gewicht, waren gewissermaßen « Unfälle ». Sie verdient sich ihr Geld auch als Spritzengeberin : Malaria und Phtisie herrschen in der Gegend. Begegnungen und Gespräche, so wie es ja auch der Titel des Buches verheißt folgen noch aufeinander.


    Verschiedenste Ebenen und Lesarten lassen sich entdecken :


    - eine Einbettung in den historischen Kontext des Faschismus, seiner « Heldenverehrung », seinen leeren Verheißungen : Es gibt interessanterweise – ich habe diese Arbeit allerdings nicht gelesen – eine Studienarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Romanistik - Italienische u. Sardische Sprache, Literatur, Landeskunde von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, siehe : « von Franziska Knogl. Laut der Inhaltsangabe (Quelle siehe amazon) wird dort auch nochmals besonders herausgearbeitet, inwieweit der Roman bei seinem Erscheinen (also 1938/39 als Fortsetzungsroman, dann 1941 in Buchform !) stark unter politischer Akzentsetzung wahrgenommen wurde mit einer großen, allerdings leicht versteckten Kritik am herrschenden Faschismus. Es war eben erstaunlich, dass dieses Werk zunächst die Zensur überstand und nicht als das, was es ist, erkannt wurde. Und dann war es sogar erst die Kirche, die Skepsis zeigte angesichts einer empfundenen Morallosigkeit.


    - die Darstellung von Armut insbesondere in der sizilianischen Heimat des Autors : Emigration ist teils die Folge, wie eben bei Silvestro und all seinen Geschwistern. Auf der Fahrt, wie auch bei Besuchen im Dorf trifft Silvestro verschiedene Formen der Krankheit, Armut...


    - eine sehr stark existenzielle Ebene, die ich fast am stärksten einschätze. Hinter zunächst komischen Dialogen stecken bei näherem Betrachten (im wahrsten Sinne des Wortes « Innehalten ») tiefere Aussagen über Grundbefindlichkeiten des Menschen. Seltsam, dass ich in den oberflächlich gelesenen Kommentaren hier und da keinen Hinweis darauf fand ; es mag einfacher sein, einen rein politischen, uns fernstehenden Rahmen als Hauptthema zu bezeichnen. Dabei stellt dieses Buch m.E. tiefe Fragen an den Menschen : Wer ist denn nun der Mensch (in seiner Armut, seinem Hunger, zwischen Stolz und Demut, Erniedrigung und Ehre ? Ist das je personelle Leiden Anteilhabe an einem universalerem ? Hier sah ich eine Verwandtschaft zu existenzialistischen Themen der gerade aufkommenden Literatur.


    - Bei diesem Thema kann ich nicht umhin, hier sogar eine «mystische Lesart » vorzuschlagen. Sie drängt sich – wie übrigens nichts im Werke Vittorinis – nicht ostentativ auf, doch sie ist da und macht mich staunen. Einige Hinweise und auch Ausdrücke stammen ziemlich klar aus einem religiösen Kontext. Ich finde hier auch biblische Themen wieder.


    Wie kurz erwähnt kreist der Autor oft um ein Thema, wiederholt Schlüsselfragen, -ausdrücke und -äußerungen. Dies sieht eventuell etwas seltsam oder ungeschliffen aus ; ich sehe darin die Schlagkraft, Wichtigkeit wesentlicher Fragen und Sätze in unserem Leben, manchmal auch den Widerschein der angesprochenen Gleichgültigkeit.


    ,Conversazione in Sicilia’ wird von den meisten Kritikern als Vittorinis Meisterstück angesehen und ist darüber hinaus auch das Buch, das er selber als « gelungen » betrachtete (Quelle : Bemerkung in der Produktbeschreibung des unten verlinkten Studienbuches). Für mich selber war es ein « Muß », um diesen bisher immer geschätzten Autor (siehe : http://www.buechertreff.de/rez…me&sortOrder=DESC&genre=& )weiter zu entdecken. Und ich bin froh über diese Lektüre ! Ein tolles Buch ! Ein toller Klassiker (in Italien).


    Siehe auch ausführlichen Artikel über dieses Werk in der italienischen wikipedia :
    http://it.wikipedia.org/wiki/Conversazione_in_Sicilia


    ZUM AUTOR :
    Elio Vittorini, 1908 als Sohn eines bolognesischen Eisenbahners und einer syrakusischen Mutter in Syrakus, Sizilien, geboren, war Schriftsteller, Publizist und Übersetzer. Als Kind fuhr er oft mit dem Vater auf dem Zug mit, entwischte auch mehrmals per Eisenbahn, lebte dann ab 1924 zunächst in Gorizia und dann in Norditalien. Dort arbeitete er zunächst als Buchhalter eines Bauunternehmens. 1930 zog er nach Florenz, wo er als Korrekturleser bei « Nazione » arbeitete. In jener Zeit fing er auch intensiver an zu schreiben (1927 erste Veröffentlichungen). 1931 musste er wegen einer Bleivergiftung die Arbeit als Korrektor aufgeben und lebte viel von Übersetzungsarbeiten aus dem Englischen (Faulkner, Poe, Lawrence). 1936 trat er für eine Parteinahme für die Republikaner im spanischen Bürgerkrieg ein, stand aber in dieser Zeit eigentlich noch der faschistischen Partei relativ nahe. 1939 Umzug nach Mailand und Arbeit an der Herausgabe amerikanischer Schriftsteller. Er nahm am Widerstand teil, näherte sich der kommunistischen Partei an und wurde 1943 als Gegner des Mussolini-Regimes inhaftiert. 1945 trat er der kommunistischen Partei Italiens bei (PCI), von der er sich später wieder distanzierte. Nach dem Krieg war er eine der wichtigsten kulturpolitischen Stimmen Italiens. Ab 1951 arbeitete er bei Einaudi, auch Mondadori, und « entdeckte » für das Verlagshaus neue Schriftsteller und leitete thematische Veröffentlichungen/Serien.


    Er starb 1966 an den Folgen eines Magenkrebses in Mailand.
    (Quelle und mehr, siehe auch unter http://de.wikipedia.org/wiki/Vittorini und wikipedia.it als auch Wagenbach)


    Broché: 179 pages
    Editeur : Wagenbach Klaus Gmbh (août 2011)
    Langue : Allemand
    ISBN-10: 3803126711
    ISBN-13: 978-3803126719

  • Originaltitel auf Italiensich also "Conversazione in Sicilia".


    Hier Infos zu einer Ausgabe und eventuell unten ein Coverbild:


    Copertina flessibile: 352 pagine
    Editore: BUR Biblioteca Univ. Rizzoli (11 gennaio 2006)
    Collana: I grandi romanzi
    Lingua: Italiano
    ISBN-10: 8817009687
    ISBN-13: 978-8817009683