Klappentext:
Südafrika in den 90er Jahren: Milla Redelinghuys wartet auf den Tod. Durch ein Nervenleiden am ganzen Körper gelähmt, fällt es ihr schwer sich mitzuteilen. Ihre schwarze Haushälterin Agaat ist bemüht, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Doch Agaat lässt die zum Schweigen verdammte Milla auch ihre neu erworbene Macht über sie spüren. Und hat eine diebische Freude daran. Denn da ist der alte Groll über jene Frau, deren Sohn sie großzog, die ihr aber den Zugang zur Familie verwehrte. Und deren Ehemann alle drangsalierte. Zumindest darin sind sich die zwei Frauen einig. Und während Milla die letzten fünfzig Jahre Revue passieren lässt, loten die beiden die Grenzen ihrer Beziehung aus und nähern sich Stück für Stück einander an. (von der Verlagsseite kopiert)
Zur Autorin:
Marlene van Niekerk, geboren 1954, veröffentlichte zwei Gedichtbände, eine Sammlung von Kurzgeschichten sowie den vielgepriesenen Roman »Triomf«, für den sie den M-Net-Preis, den CNA-Preis und die NOMA-Auszeichnung für Publikationen in Afrika erhielt. Der Roman wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und verfilmt. »Agaat« wurde zum preisgekrönten internationalen Bestseller und besiegelte ihren Ruf als eine der wichtigsten und einflussreichsten zeitgenössischen Autorinnen Südafrikas. Marlene van Niekerk lehrt Afrikaans und Niederländisch an der Universität Stellenbosch. (von der Verlagsseite kopiert)
Allgemeine Informationen:
Originaltitel: Agaat
Aus dem Afrikaans übersetzt von Stefanie Schäfer.
Erstmals erschienen 2004 bei Tafelberg-Uitgewers, Kapstadt.
Erzählt von der Protagonistin in verschiedenen Erzählformen: Gedanken zum jetzigen Geschehen als todkranke, pflegebedürftige Frau; Tagebuchberichte, die ihr von Agaat vorgelesen werden; Erinnerungen, in denen sie sich als „Du“ anspricht; Passagen von Bewusstseinsströmen, kursiv gedruckt.Die einzelnen Stränge sind chronologisch konträr aufgebaut: Während die Jetztzeit nach vorne schreitet, gehen die Erinnerungen chronologisch immer weiter zurück.
Prolog (aus der Perspektive von Millas Sohn Jakkie), 20 Kapitel, Epilog (wieder von Jakkie), Glossar der afrikaanssprachigen Wörter, Danksagung.
816 Seiten
Meine Meinung:
Zeit ihres Lebens war Milla eine tatkräftige Frau, die ihre geerbte heruntergekommene Farm „Grootmoedersdrift“ zu neuer Blüte brachte. Verheiratet mit dem gut aussehenden Jak, der gern den „Baas“ (weißer Chef) spielte, Anweisungen gab, aber die Arbeit anderen überließ, war Milla gezwungen, das Heft in die Hand zu nehmen, was seinem Selbstbewusstsein als Mann nicht gut bekam. Er wehrte sich mit Schlägen und häuslicher Abwesenheit.
Milla nimmt das schwarze Mädchen Agaat zu sich, erzieht sie mit Drill und Härte. Gleichzeitig lehrt sie das Kind alles, was es für den Haushalt und die Farmbewirtschaftung braucht. Für Millas Sohn Jakkie wird nicht seine Mutter, sondern Agaat zur Bezugsperson.
Auch wenn der Umgang Millas mit dem Kind Agaat heute unmenschlich erscheint, war es für das Südafrika der 1960er beinahe revolutionär, als weiße, gut situierte Frau ein schwarzes Kind vor dem Tod zu retten und unter die Fittiche zu nehmen. Die gesellschaftliche Ächtung, die vor allem Jak befürchtet, scheint vorprogrammiert. Vor allem, als Agaat in einen Anbau des Farmhauses zieht.
Sie entwickelt sich zu Millas rechter Hand, sowohl in Haushalt und Küche als auch bei Jakkies Versorgung, und erweist sich als Krisenmanagerin während Vieh-Epidemien und Unwetter-Katastrophen.
Dennoch: Sie gehört nirgends dazu. Weder zur Familie, denn sie ist eine Schwarze, noch zu den schwarzen Arbeitern auf der Farm, denn sie ist etwas „Besseres“.
Nun liegt Milla todkrank und vollständig gelähmt im Bett. Jak ist tot, Jakkie nach Kanada ausgewandert. Agaat übernimmt die Pflege. Die Rollen und Abhängigkeiten sind vertauscht. Milla, darauf angewiesen, dass Agaat ihr (im wörtlichen Sinne) alles von den Augen abliest, gibt sich in ihre Hand im Bewusstsein, dass Agaat ihr die beste Pflege und der Farm die Weiterexistenz garantiert.
Es geht um die Beziehung zweier Frauen mit verschiedenen Hautfarben im Apartheid-System. Von keiner der Personen vernimmt der Leser Kritik am System, und dennoch findet man sie: Verpackt in konkrete Begebenheiten (z.B.: Milla kann mit Agaat eine Zirkusvorstellung nicht besuchen, weil es nur getrennte Eingänge für Schwarz und Weiß gibt; Agaat kann Jakkie nicht als Patin über das Taufbecken halten, darf nicht einmal bei der Familienfeier anwesend sein, usw.).
Was potenzielle Leser abschrecken könnte: Der Blick auf die erste Seite, wo Zitate und Zitierbelege aus südafrikanischen Büchern abgedruckt sind, mit denen Agaat lesen lernt. Wozu? Jeder Leser, Autor und Lektor weiß, wie entscheidend die erste Seite für die Lese- und Kaufentscheidung ist. Warum so ein unattraktiver Anfang?
Was die kursiven Abschnitte mit den Bewusstseinsströmen angeht: Sind sie wirklich erforderlich? Kann man nicht deren Inhalt – sofern bedeutsam - zwischen den Zeilen des Erzähltextes lesen?
Ansonsten ein empfehlenswertes, wenn auch sehr breit erzähltes Buch aus einem literarisch weitgehend unbekannten Land. Mit berührenden, aber auch schockierenden Szenen.