Vladimir Nabokov - Fahles Feuer

  • Inhalt (sh. amazon.de):
    Nabokovs vierzehnter Roman – der erste aus der Zeit nach «Lolita» – gibt sich als die kommentierte Ausgabe eines 999 Zeilen langen Gedichts mit dem Titel «Fahles Feuer», verfasst von John Shade, einem bedächtigen neuenglischen Lyriker und Professor, der von einem Mörder erschossen wurde, ehe er die tausendste, die letzte Zeile zu Papier bringen konnte. Der Herausgeber ist sein Kollege, Nachbar und angeblicher Freund Charles Kinbote. Dessen Kommentar verfehlt jedoch Shades ernstes Poem, in dem es um den Selbstmord der schwierigen und hässlichen Tochter, um den Tod und die Wahrscheinlichkeit eines Lebens danach geht, auf eine so dreiste wie groteske Weise. Kinbote gibt sich nämlich als der exilierte König von Zembla zu erkennen, Carl der Vielgeliebte, der Shade nicht dazu bringen konnte, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und der es nun in Form von Anmerkungen zu «Fahles Feuer» selber tut. Ihm galt, so meint er, auch die Kugel, die Shade tötete. Freilich ist zweifelhaft, ob es sich so verhält. Nabokov lockt den Leser auf Rätselgänge, Licht des fahlen Feuers flackert von Spiegel zu Spiegel, Echos erklingen: ein Virtuosenstück, «eine Amalgamierung von Ernst und Spiel, einer anrührenden menschlichen Geschichte mit dem kühlen Kalkül einer Problemschachaufgabe» (Dieter E. Zimmer).



    Bisherige Meinung:
    Oje, oje, was habe ich mir mit diesem Buch nur angetan! Nabokov hat dieses Werk als "Roman" bezeichnet, und er wird schon wissen, warum, aber für mich erweist sich zumindest der Einstieg ins Buch mehr als schwierig. Das ist für mich einer der härtesten literarischen Brocken, die mir bisher untergekommen sind. Ich bin auf S. 113 von 245 in der englischen Originalfassung Pale Fire. Dieses Buch vermittelt mir bisher das Gefühl, als würde ich in einem Fluss auf einem selbstgemachten Floß treiben, bei dem sich die Stämme lösen - ich finde kaum Halt in diesem was auch immer, aber wie ein Roman schaut das für mich nicht aus.


    Das fängt schon mit dem komischen Vorwort an, in dem ein absolut unsympathischer Typ seinen Anspruch verteidigt, Lorbeeren für die posthume Veröffentlichung eines Riesengedichtes seines Nachbarn, eines angeblich hochgefeierten Lyrikers, ernten zu wollen. Das ist so einer, der ständig etwas auf anderen herumzuhacken hat (er erinnert mich dabei irgendwie an Marcel Reich-Ranicki, immer wenn dieser Gift gegen Günter Grass gesprüht hat).
    OK, Vorwort durch. So weit, so gut. Dann blättere ich um und glaube, ich seh' nicht recht: da hat diese Type allen Ernstes das Tausend-Zeilen-Gedicht abgedruckt - muss ja wohl nicht sein, dachte ich und glaubte, ich würde wochenlang an so einem "anspruchsvollen" Teil herumlesen - weit gefehlt: das Ding hat mich ziemlich amüsiert, so hirnrissig ist das, mit einigen wenigen halbwegs-guten Zeilen und viel hanebüchenem, banal-theatralischem Schwachsinn durchsetzt (ich habe mir überlegt, wie eine deutsche Übersetzung dazu aussehen würde, und glaube, es müsste dann etwa so klingen, als ob Peter Bieri (das ist der mit dem klingenden Pseudonym Pascal Mercier) und Martin Mosebach in einem literarischen Joint Venture sich zusammen an Lyrik versucht hätten. Genau so ist dieses Gedicht: geradezu verstörend in seiner banal-überheblichen Scheußlichkeit :cry: )


    Und was danach kommt, ist keine Erzählung, sondern über 200 Seiten Anmerkungen und Abschweifungen zu und von Begriffen und Wendungen aus genau diesem Gedicht. Also ein Buch, das aus purer Metafiktion besteht. Ich hatte schon mal ein Buch, das fast nur aus Metafiktion bestand, das waren The Tidewater Tales von John Barth. Da hatte ich keine Schwierigkeiten, das Geschriebene dieses Autors als selbstverliebtes und nichtiges Gewäsch abzutun und das Buch nach der Hälfte abzubrechen (die mieseste postmoderne Literatur, die mir bisher untergekommen ist: Metafiktion um der Metafiktion willen!) Nur bei Herrn Nabokov geht das überhaupt nicht, der Autor (ich nehme bei Nabokov an, in all seiner treffenden und stechenden fiesen Kritik?) lauert irgendwo zwischen den Zeilen, und zwar nicht so sehr des Gedichtes, sondern der Anmerkungen bzw. der Gesamtkonstruktion. Sehr schweres Buch für mich bisher, weil ich (bisher?) nicht weiß, was und ob überhaupt irgendetwas dahintersteckt. Erschwert wird mir das Ganze noch durch Begriffe wie "lemniscate", "iridule", "stillicide" etc. Außerdem schimmert beim Ich-Erzähler Kinbote immer wieder seine Art als tuntiger Kritikaster durch, an der ich mich jedes Mal mental aufschürfe, weil sie so grausig antipathisch wirkt. Ach ja: die Anmerkungen haben kaum was mit dem Gedicht zu tun - es geht oft darum, dass der Ich-Erzähler Kinbote einem weismachen will, in dem Gedicht ginge es um die Geschichte seines eigenen (fiktiven) Landes "Zemblan" und dem Sturz des dortigen Königs und was weiß ich noch ...


    Ich stehe ja eigentlich auf alles in der Literatur, dem man das Etikett "ungewöhnlich, etwas ganz Besonderes" aufkleben kann. Aber hier gelange ich scharf an meine Grenzen ... ich denke, ich werde durchhalten, das hoffe ich zumindest, denn erfahrungsgemäß sind Bücher, die extrem schwer zu knacken sind, oft sehr lohnenswert. Aber dieses Ding hat's in sich, meine Güte ... :lol:



    Wer schon mal die Kurzgeschichte Tlön, Uqbar, Orbis Tertius von Jorge Luis Borges gelesen hat, der kann dieses Gefühl der Verwirrung möglicherweise ein bisschen nachvollziehen, denn dort hat man auch anfangs überhaupt keine Ahnung, was da los ist. Aber in Pale Fire geht das jetzt schon über 113 Seiten, und zusätzlich meine ich immer die hinterhältige mental-fiese Schärfe des Autors zu spüren, was mich doppelt verunsichert - kein schönes Lesegefühl. Es ist hauptsächlich die Neugier, die mich am Weiterlesen hält ...



    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Danke für die schöne Vorstellung dieses wohl beinahe unlesbaren Werkes von Nabokov. So wir du das beschreibst, hätte ich wohl
    spätestens ab Seite 100 Weitwurf damit geübt.
    Von Herrn Nabokov kenne ich nur Lolita und Einladung zu einer Enthauptung und vor allem das letztere hat mich sehr beeindruckt.
    Gut, bei diesen beiden ist schnell klar, was der Autor vermitteln will. Wenn aber nicht zumindest ein kleiner Schimmer Bedeutung
    zwischen den Zeilen erkennbar wird (bei Borges war das so), dann würde ich aufgeben.
    Bin aber gespannt, ob das bei diesem Werk irgendwann noch das Licht der Welt erblickt......... :wink:


    lg taliesin

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • @Hypocritia : Oje (wirklich, oje, Du sagst es selber)! Danke, dass Du Dich "auch für uns" da durcharbeitest, gewissermaßen! Wer hat mir bloß empfohlen, dieses Buch mal zu lesen? Wäre interessant, sich jetzt daran zu erinnern. Die Lust auf die Lektüre geht nun zwar etwas flöten, doch das Interesse wächst ungemein. Fiese Herausforderung. Wie @taliesin schon sagt

    Zitat

    Wenn aber nicht zumindest ein kleiner Schimmer Bedeutung zwischen den Zeilen erkennbar wird ...

    - aufgeben oder Achselzucken. Aber irgendwie juckt's einen schon ... 8)

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (214/365)


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