Milan Kundera – Das Fest der Bedeutungslosigkeit / La fête de l’insignifiance

  • Original : Französisch, 2014


    INHALT :
    Die allerernsten Probleme beleuchten und gleichzeitig nicht einen ernsthaften Satz aussprechen ; von der Wirklichkeit der zeitgenössischen Welt fasziniert sein und gleichzeitig jedweden Realismus vermeiden – voilà, darin besteht « La fête de l’insignifiance », dem neuen Roman Kunderas. Wer seine vorhergegangenen Bücher kennt weiß, dass er damit zählen kann, einen unernsten Anteil in seine Romane integriert zu sehen. In « Die Unsterblichkeit » spazieren Goethe und Hemmingway gemeinsam während mehrerer Kapitel, unterhalten und amüsieren sich. In « Die Langsamkeit » sagt Vera, die Frau des Autors, zu ihm : « Du hast mir oft gesagt, eines Tages einen Roman schreiben zu wollen, wo nicht ein Wort ernstzunehmen ist... ich warne dich : paß auf, deine Feinde erwarten dich. » Doch anstatt aufzupassen verwirklicht Kundera schließlich ganz und gar diesen alten ästhetischen Traum durch diesen Roman, in dem man so auch die überraschende Zusammenfassung seines gesamten Werkes sehen kann. Ein seltsames Lachen, von unserer Epoche inspiriert, die komisch ist, da sie jeden Sinn für Humor verloren hat.
    (Quelle : Gallimard, Klappentext der französischen Ausgabe, leicht gekürzt und von mir übersetzt)


    BEMERKUNGEN :
    Sieben Kapitel von 14 bis 21 Seiten, die sich zu einem Großteil in Paris (der neuen Heimat des Exiltschechen) abspielen, zwischen Freunden und Bekannten, alles Männern. Begegnungen zu zweit oder mehreren, Erinnerungen, Überlegungen oder auch, an einer Stelle, das Fest eines der Helden, d’Ardelo. Dieser hatte ohne Vorplanung auf den Hinweis hin, wie schön doch sein Leben sei, Ramon einfach an den Kopf gehauen, dass er schwer krebskrank sei. Um sich interessant zu machen ?
    Aber eigentlich schweben all diese Protagonisten zwischen leeren und sinnvollen Fragen, zwischen Pathos und Lüge.


    Und, vielleicht typisch für Kundera, solche « Weisheiten », von denen man ab und zu nicht weiß, ob man sie denn überhaupt ernst nehmen soll (siehe Klappentext) :
    « Die Leute können sich nicht aufeinander stürzen sobald sie sich bemerken . Anstatt dessen versuchen sie auf die anderen den Stempel der Schuld zu werfen. Und es gewinnt wem es gelingt, dass der andere sich schuldig fühlt. »

    Ein anderer Erzählstrang (sie sind durch das Motiv des Theaters und des Scherzes verwandt und werden am Ende des Romans einander begegnen) : Stalin und sein Politbüro in der Blütezeit des Terrors. Unmöglichkeit zu lachen, wenn der Meister daneben haut – das könnte schief gehen ! Warten auf den autorisierten Moment zum Beifall. Dann aber ordentlich ! Eine Gesellschaft, die nicht mehr spontan lachen/sein kann, die nicht mehr Scherz und Satire verstehen kann.


    Tja, man könnte vielleicht so derlei einiges von Belang herausstellen, oder aber sich auch entmutigen lassen von einer höheren Form von Zynismus, Kälte (Stalin als humorvolle Person?). Wie eine Figur schon sagt, es geht darum « die Welt nicht ernst zu nehmen », und alles plätschert in einem « leichten und amüsanten Ton » dahin. Der Klappentext liesse ja einem gebildeten Leser nicht mehr den Freiraum, dieses Spielchen nicht mitzumachen und Passé zu deklarieren. Die Wahl ist im Klappentext schon getroffen : lachen, dem Autor Beifall spenden. Mir gelingt es nicht. Ich finde das Ergebnis hier dem ungefähren deutschen Titel entsprechend (und insofern ist der Titel sehr aussagekräftig) : « Die Belanglosigkeit/Die Bedeutungslosigkeit ».


    In der französischen Ausgabe fällt das Schriftbild an sich sehr großzügig aus, auch tauchen zwischen zwei Kapiteln drei bis vier Leerseiten auf. Wenig Inhalt ?


    Nach vielen Jahren der Schreibstille hat Kundera erneut etwas publiziert. Das Buch kam gerade im Frühjahr auf Französisch heraus und wird sicherlich in der kommenden Zeit auf Deutsch erscheinen. Dann wäre ich persönlich auf die Meinungen einiger BT’ler und eine Verlängerung dieses Threads gespannt, denn meine Eindrücke sind eher enttäuschend, aber eben auch begrenzt. Es bestätigt allerdings meine bisherigen Schwierigkeiten mit diesem Autor, der mich nie restlos überzeugen konnte, trotz des schönsten Buchtitels der Editionsgeschichte...


    Von Kundera sind hier schon viele Bücher rezensiert und kommentiert worden :
    http://www.buechertreff.de/rez…me&sortOrder=DESC&genre=&


    AUTOR :
    Milan Kundera (* 1. April 1929 in Brünn, Tschechoslowakei) ist ein tschechisch-französischer Schriftsteller. Sein Vater Ludvík Kundera, einer der Schüler von Leoš Janáček, war Pianist, Musikwissenschaftler und späterer Rektor der Musikhochschule in Brünn (1948 bis 1961). 1946 erste (lyrische) Veröffentlichungen. Nach dem Krieg war Kundera zunächst Arbeiter und Jazzmusiker. 1948 schloss er das Gymnasium ab, trat wie viele seiner Altersgenossen in die kommunistische Partei ein und begann an der Prager Karls-Universität Musik und Literatur zu studieren. Nach zwei Trimestern wechselte er aber an die Filmakademie, wo er als Hauptfächer Regie und Drehbuch belegte. Um 1950 wurden er und ein weiterer Autor, Jan Trefulka, wegen „Machenschaften gegen die Partei“ aus derselben ausgeschlossen und Kundera musste sein Studium für zwei Jahre unterbrechen. 1967 wurde Kundera wieder in die Partei aufgenommen, 1970 dann jedoch endgültig ausgeschlossen. Nach seinem Studium wirkte Kundera als Dozent für Weltliteratur an der Filmfakultät der Akademie der musischen Künste in Prag. Jahr 1967 stellte für Kundera, wie auch die meisten anderen seiner Generation, einen Wendepunkt im tschechischen Kulturleben und einen Meilenstein in der Entwicklung des Prager Frühlings dar. Auch Kundera wurde zu einer der „Galionsfiguren“ dieser Bewegung, die sich gegen das politische System auflehnte und künstlerische Freiheit forderte. 1975 erhielt er einen Ruf als Dozent an die Universität Rennes und ging daraufhin mit seiner Ehefrau nach Frankreich. 1978 zog er dann nach Paris und nahm eine Dozentur an der École des Hautes Études en Sciences Sociales an. Das Regime, welches sonst die Grenzen dicht hielt, hinderte ihn nicht daran.


    Bekannt wurde er durch das dreibändige Prosawerk Das Buch der lächerlichen Liebe (1969). Das kommerziell erfolgreichste Buch Kunderas ist „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ (1984). Seit 1993 schreibt Kundera in französischer Sprache. Seit 1991 ist Kundera Mitglied des Lektorenkollegiums des Verlags Gallimard in Paris. Er lebt zusammen mit seiner Frau Vera Hrabankova sehr zurückgezogen in Paris und gibt wenig von seinem Privatleben preis. Seit 1985 gibt er ausschließlich schriftliche Interviews, weil er sich oftmals falsch zitiert fühlte.
    (Quelle -arrangiert – und mehr : http://de.wikipedia.org/wiki/Milan_Kundera )


    Détails sur le produit:
    Broché: 144 pages
    Editeur : Gallimard (3 avril 2014)
    Collection : Blanche
    Langue : Français
    ISBN-10: 2070145646
    ISBN-13: 978-2070145645

  • Immer noch nicht auf Deutsch am Horizont? Seltsam... Oder sind die entsprechenden Verlage zurückgescjreckt?


    Auf Englisch kommt im Juni eine Übertragung heraus unter dem Titel "The Festival of Insignificance":

  • Immer noch nicht auf Deutsch am Horizont?


    Bis an den Horizont muss du nicht schauen. Wie wärs mit nächster Woche? :lol:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ich finde das Ergebnis hier dem ungefähren deutschen Titel entsprechend


    Ich auch.

    meine Eindrücke sind eher enttäuschend


    Und meine erst!

    meine bisherigen Schwierigkeiten mit diesem Autor


    die habe ich nicht, im Gegenteil: Kundera gehört zu den Autoren, die ich immer gern gelesen habe. Bis ich auf dieses Buch (glücklicherweise in der Bücherei) stieß. Was soll das?
    Es gibt zwei Möglichkeiten: das Buch ist blöd. Oder ich bin zu blöd für das Buch.


    Vier Männer, die man schlecht voneinander unterscheiden kann, weil sie alle zur guten alten Sorte der Lebemänner und Flaneure gehören, ergehen sich in Plaudereien, tauschen mehr oder weniger Geistreiches aus und philosophieren vor sich hin.
    Mir fehlt das Fleisch an diesem "Roman" (heißt: ein klein wenig Handlung). Hier mal ein Spaziergang, dort eine Cocktailparty, mal ein Besuch, ein zufälliges Treffen. Man schwätzt (vielfach Stuss), man spottet, man spricht viel und sagt wenig.


    Kann natürlich sein, dass Kundera hier eine Hochform an Witz und Geistreichtum abliefert. Und dass ich es nicht gemerkt habe.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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  • Ich bin doch etwas erleichtert über Deine Leseeindrücke, Marie, denn man fühlt sich doch ein wenig verunsichert, ob einem da irgendwas ganz entglitten ist.


    Zitat


    Es gibt zwei Möglichkeiten: das Buch ist blöd. Oder ich bin zu blöd für das Buch...


    Kann natürlich sein, dass Kundera hier eine Hochform an Witz und Geistreichtum abliefert. Und dass ich es nicht gemerkt habe.


    Dann sind wir nun zwei!

  • Die Wahl ist im Klappentext schon getroffen : lachen, dem Autor Beifall spenden. Mir gelingt es nicht. Ich finde das Ergebnis hier dem ungefähren deutschen Titel entsprechend (und insofern ist der Titel sehr aussagekräftig) : « Die Belanglosigkeit/Die Bedeutungslosigkeit ».


    Vier Männer, die man schlecht voneinander unterscheiden kann, weil sie alle zur guten alten Sorte der Lebemänner und Flaneure gehören, ergehen sich in Plaudereien, tauschen mehr oder weniger Geistreiches aus und philosophieren vor sich hin.


    Ganz genauso erging es mir. Das Buch könnte man umtaufen in "Das Buch der Bedeutungslosigkeit" und man könnte auf den Gedanken kommen, dass Kundera dieses Alterwerk besser nicht geschrieben hätte.
    Als Beispiel:
    Was soll diese Plauderei über Bauchnabel? Oder schaut eine Mutter nur auf den Nabel ihres Sohnes, nachdem sie ihn jahrelang nicht mehr gesehen hat?
    Weitere unsinnige Sätze/Plaudereien könnte man aufführen...
    Also denn - ich habe entnervt abgebrochen, die Hälfte habe ich geschafft.
    Schade, denn von Kundera habe ich gerne "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" gelesen. Aber dieser Roman war für mich eine Enttäuschung.

  • Danke vielmals, @Conor . Dass eine/r zu blöd für ein Buch ist, kann vorkommen, aber dass es gleich drei Leute sind, ist unwahrscheinlich. :winken:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Danke vielmals, Conor . Dass eine/r zu blöd für ein Buch ist, kann vorkommen, aber dass es gleich drei Leute sind, ist unwahrscheinlich.


    Na ja, um mit Erich Kästner zu sprechen. "Die Dummen werden nicht alle". Dass drei Leute und mehr zu blöd für ein Buch sind, kommt gar nicht so selten vor. :-,
    Aber in diesem Fall vertraue ich Eurem Urteil. Schon Kunderas essayistischer Roman "Die Unsterblichkeit" bestand weitgehend aus altväterlicher Plauderei und Besserwisserei.

    :study: Olga Tokarczuk - Gesang der Fledermäuse

    :study: Claire Keegan - Liebe im hohen Gras. Erzählungen

    :study: David Abulafia - Das Mittelmeer
















  • Und ich bin gerade froh, dass Marie den Thread wieder hochgeholt hat mit ihrer Rezension. Ich stand Dienstag im Buchladen davor und hab noch überlegt, ob ich das Buch mitnehme - Gott sei Dank habe ich das gelassen :lol: