Ja, das Buch enthält reichlich explizite Szenen mit Beteiligung zweier Männern (und diverser Maschinen). Aber für die Erotik-Abteilung ist mir die Geschichte ein wenig zu komplex und zu vielschichtig.
Kurzbeschreibung (amazon.de):
In which we meet Duncan: professional nobody who presents himself to the public as a scowling, smoking pile of contempt. Against his will, he meets Sam: a less than professional coal miner who inspires the worst in men. Together they take on one malicious train and a most insidious re-animator, and along the way Duncan remembers a few things that he’d previously forgotten.
Meine Meinung:
Ehrlich: Das für mein Empfinden ziemlich hässliche (wenn auch passende) Titelbild und die wenig aussagekräftige Kurzbeschreibung hätten mich fast abgeschreckt – obwohl es das Buch gerade umsonst gab. Glücklicherweise gibt es Leseproben. Schon nach dem ersten Absatz war klar: Will! Ich! Haben! Jetzt, sofort, auf der Stelle. Der fantastische erste Eindruck hat nicht getäuscht, selten empfand ich meine Lesezeit als so gut investiert. Wenn es um „Fantasy Gay Romance“ geht, zumindest.
Während des Lesens habe ich auch verstanden, warum die Kurzbeschreibung so verdammt kurz ist. Am meisten Freude macht The Disassembled Life of Duncan Cole nämlich, wenn man relativ unvorbereitet heran geht und sich von der Geschichte mitreißen lässt. Geboten wird jedenfalls einiges: Vielschichtige und lebendige Charaktere in einem interessanten Setting, heißer, ziemlich kinky Sex, wirklich witzige Wortgefechte, ein enigmatisch-psychopatischer Bösewicht mit Überraschung im Herrenhandtäschen – und das Beste: jede Menge Steampunk-Flair mit lustigen Maschinen aus Kupfer und Bronze (inklusive recht „kreativer“ Einsatzmöglichkeiten ).
Mit ca. 777 Seiten ist das Buch ein ziemlicher Wälzer. Entsprechend nimmt sich die Autorin viel Zeit, um ihre Figuren aufzubauen. Zeit, die die Protagonisten verdient haben, denn es sind realistische, komplexe Charaktere mit komplexen Gefühlen und ebensolchen Motiven. Sie offenbaren nur langsam ihre Stärken, Schwächen und ihre Geschichte. Die Story wartet mit einigen Twists auf und geht (fast) nie in die Richtung, die man vermutet, zahlreiche Geheimnisse werden nach und nach gelüftet – bis zum Schluss. Das alles führte dazu, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte, einfach immer weiter lesen musste. Selbst die Beziehungsgespräche fand ich ausnahmsweise einmal nicht zum Gähnen, zu meiner eigenen Verwunderung.
Fast alle Figuren sind vielschichtiger, als sie auf den ersten Blick erscheinen; zwar nicht gänzlich klischeefrei, aber bei Cyberpunk und Steampunk gilt: Mit einigen Klischees kann ich sehr gut leben. Und hier hat nicht nur Mr. Bad Guy die ein oder andere Überraschung zu bieten, auch andere Charaktere zeigen unerwartete Seiten. Nicht alle sind dabei ständig sympathisch: Passive-agressive Sam hat mich manchmal richtig genervt. Er hat aber auch seine guten, extrem liebenswerten Eigenschaften, eben genau so, wie es bei einem dreidimensionalem Charakter sein sollte. Duncan schließlich ist der Typ Ich-Erzähler, den ich ohnehin über alles liebe: sarkastisch, auf den ersten Blick ein Einzelgänger mit „schwieriger“ Vergangenheit, alles andere als perfekt und manchmal etwas merkbefreit. Das zieht doch immer wieder *seufz* Ich bin da wohl berechenbar.
Neben Steampunk-Flair, Fantasy und kinky Sex gibt es überraschend viel Tiefgang. Es geht um Außenseiter, die ihren Platz in einer wenig toleranten Gesellschaft suchen; es geht um Menschen, die zahlreiche Verletzungen erlitten haben, innerliche wie äußerliche. Es geht darum, wie sie zu Opfern wurden und wie sie es schaffen, keine Opfer zu bleiben. Es gibt einiges an realen Schrecken in dieser Geschichte. S. Hart behandelt diese Themen angenehm unvoyeuristisch, mit dem nötigen Respekt für ihre Figuren, aber auch mit dem nötigen grimmigen Humor. Denn in erster Linie ist The Disassembled Life of Duncan Cole eben doch ein Riesenspaß. Dass diese Mischung gelingt, ist das eigentlich Bewundernswerte.
Da verzeihe ich der Autorin auch ein oder zwei kleine Ungereimtheiten, ebenso dass eine Menge Stirnen gerunzelt und Lippen befeuchtet werden und Menschen so häufig erröten, wie ich noch nie jemanden habe erröten sehen. Von diesen Manierismen abgesehen ist die Geschichte nämlich wunderbar geschrieben.
(Okay, das war jetzt echt viel Text dafür, dass ich nichts verraten wollte Eine Kurzversion steht auch auf amazon.de)
Fazit
Steamy Sex im Steampunk-Flair, hübsch glänzende Maschinen, vielschichtige Charaktere und eine komplexe Story: Mehr kann ich mir nicht wünschen. Absolute Leseempfehlung.
Eigentlich schade, dass es zuende ist...