Christoph Ransmayr - Die Schrecken des Eises und der Finsternis

  • Klappentext:
    “Im Zentrum dieses vielschichtigen Abenteuerromans steht das Schicksal einer österreich-ungarischen Nordpolexpedition in den Jahren 1872 bis 1874. Das Drama dieser historischen Eismeerfahrt wird kunstvoll verknüpft mit der fiktiven Geschichte eines jungen Italiener, der, getrieben von einem leidenschaftlichen Interesse für die Hinterlassenschaft dieser Expedition, ein Jahrhundert später in die Arktis aufbricht und in den Gletscherlandschaften Spitzbergens verschwindet.”

    Rezension:
    Die historischen Elemente des Romans drehen sich um die beiden Expeditionleiter Julius Payer und Carl Weyprecht. Sie wollen mir ihrer Besatzung und dem Schiff, der Ardmiral Tegetthoff, das Meer nordöstlich von Sibiren erforschen und möglicherweise auch einen neuen Seeweg finden. Parallel zu diesen historischen Geschehnissen, wird die fiktive Geschichte des jungen Italieners Josef Mazzini erzählt, der sich sehr für die Payer-Weyprecht-Expedition interessiert. Mazzini bricht im Jahr 1981 nach Tromsö auf, um zu versuchen, die genauen Erlebnissen von Payer und Weyprecht nachzufühlen. Gleichzeitig ist immer wieder von einem Ich-Erzähler zu lesen, der Mazzini wohl persönlich gekannt hat und nach seinem Verschwinden in den verblieben Aufzeichnungen Mazzinis forscht.


    Die Handlung des Romans zeichnet sich vor allem durch die sehr genaue Beschreibung aus, welche das Geschehen sehr lebendig wirken lässt. Ausschlaggebend für den interessanten Aufbau, ist die Abwechslung der verschiedenen Erzählebenen, die, trotz des Zeitlichen Unterschiedes, in der Handlung oft miteinander verknüpft sind. Oft wird die auktoriale Erzählperspektive benutzt, die dem Ich-Erzähler zu etwas menschlichen macht und ihn an manchen Stellen auch in die Geschichte mit einbezieht. Dadurch, dass in einigen Situationen auch Zeitsprünge eingebaut werden und somit historische, als auch fiktive Ereignisse vorweg genommen werden, wird nochmals viel Aufmerksamkeit auf die Payer-Weyprecht Expedition gesetzt. Der historische Teil der Geschichte ist außerdem dem noch mit einer Vielzahl an Zusatzmaterial ausgestattet, wie zum Beispiel verschiedene Tagebucheinträge, Tabellen, Zeichnungen, etc. Diese Verknüpfung aus fiktiven und historischen Elementen ist besonders für die Abenteuerliteratur einmalig.


    Ich persönlich habe mich sehr schwer damit getan diesen Roman durch zu lesen, da das häufige Einschieben des Ich-Erzählers sehr für Verwirrung gesorgt hat. Auch die Geschichte des Mazzini fand ich nicht sonderlich spannend und da sie ja vom Autor selber erfunden ist, hätte Ransmayr deutlich mehr Spielraum ausnutzen können und die Geschichte interessanter gestalten können. Die Erzählung der historischen Expedition fand ich jedoch deutlich interessanter und vor allem dramatischer. Durch viele Metaphern wirkt es sehr anschaulich und die Wiedergabe der historischen Ereignisses liest sich wie ein sehr spannend aufgebautes Drama, was mir vor allem bei der fiktiven Geschichte gefehlt hat.


    Abschließend ist zu sagen, dass sich der Roman im Bereich der Abenteuerliteratur durchaus zu den bessern Werken einordnen lässt, ich jedoch gemerkt habe, dass mir dieses Genre nicht besonders liegt.

  • Ich zähle Ransmayr zu den größten lebenden deutschsprachigen Erzählern. Er vermag zu fesseln, er kann Bilder im Kopf entsttehen lassen, er verstört durch übergenaue Formulierungen. Sprachmelodie und -Rythmus gehen im elegant von der Hand. Literatur als Kunstform, nicht als Unterhaltungs- oder Ablenkungsmittel. In Cox hat er es zum Meisterstück gebracht, aber auch die Schrecken des Eises und der Finsternis sind nicht weit davon entfernt. Was der Titel verspricht, wird eingehalten: diese Schrecken nehmen Gestalt an, man leidet mit, man nimmt wirklich teil am Geschehen. Es ist kein einfaches Buch, tatsächlich nicht. Immer wieder muss man zurück zum Anfang des Satzes oder sogar Abschnittes, weil so viel geschieht. Ransmayr springt auch wild zwischen den Ebenen, Ich-Erzähler, zitierte Originalaufzeichnung, die Nebenhandlung. Auch in der Zeit geht es kunterbunt umher. Aber es lohnt sich, immer wieder wird man geerdet, bekommt neue Anhaltspunkte und kann das Geschehen besser mitempfinden. Ganz nebenbei lernt man noch eine ganze Menge dazu.

    Meiner Meinung nach ganz große Literatur.

    Das Haar in der Suppe? Nun ja, die Nebenhandlung in der Gegenwart hätte es wohl nicht wirklich gebraucht, das ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen und war für mich nicht bereichernd.

    Wer Wortmetze mag, Sprachkunst und gutes Recherchieren ist hier sehr gut bedient.

  • Die historischen Elemente des Romans drehen sich um die beiden Expeditionleiter Julius Payer und Carl Weyprecht. Sie wollen mir ihrer Besatzung und dem Schiff, der Ardmiral Tegetthoff, das Meer nordöstlich von Sibiren erforschen und möglicherweise auch einen neuen Seeweg finden. Parallel zu diesen historischen Geschehnissen, wird die fiktive Geschichte des jungen Italieners Josef Mazzini erzählt, der sich sehr für die Payer-Weyprecht-Expedition interessiert.

    Ich liebe solche Romane, die wahre Begebenheiten mit etwas Fiktion vermischen. In diesem Fall habe ich neben den vielen Fakten, die im Buch übrigens durch ausreichend Quellenangaben belegt sind, auch im Internet nach der österreichisch-ungarische Polarexpedition von 1872 bis 1874 recherchiert. Fast wäre es "nur" ein spannender Abenteuerroman geworden, der neben der Expeditionsbeschreibung und zahlreichen Abbildungen auch 2-3 Exkurse beinhaltet, die dem Leser die Wichtigkeit der Nordostpassage und anderen Nordpolbetretungen näher bringt. Mir gefiel aber auch ganz besonders der (fiktive) Bezug zur Gegenwart, das Verschwinden eines Bekannten des Ich-Erzählers: Josef Mazzini ist begeistert von damaligen Entdeckungsreisen, möchte vielleicht heute, wo alles schon entdeckt ist, nachvollziehen, was für Abenteuer sich noch boten. Für mich, der nicht nur über die Payer-Weyprecht-Expedition informiert werden wollte, sondern die Faszination auch hier in der Gegenwart mit jemanden teilen wollte (eben mit Mazzini und dem Ich-Erzähler) - ja, für mich war diese Montage ein gelungenes Stilmittel, einen möglicherweise trockenen Bericht noch spannender zu gestalten.

    Nun ja, die Nebenhandlung in der Gegenwart hätte es wohl nicht wirklich gebraucht, das ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen und war für mich nicht bereichernd.

    Erst nach der Lektüre habe ich erfahren, dass der Part um Mazzini reine Fiktion ist, und ich konnte mir die ganze Zeit über gut vorstellen, dass Ransmayr als junger Schriftsteller den Mann gekannt hat und nach dessen Verschwinden recherchiert hatte.

    Was soll ich noch sagen? Wem beispielsweise Alfred Lansings "635 Tage im Eis" gefallen hat (genial!), und wer gerne bei Romanen noch etwas dazulernt, der wird auch dieses Buch mögen.

  • Wem beispielsweise Alfred Lansings "635 Tage im Eis" gefallen hat (genial!), und wer gerne bei Romanen noch etwas dazulernt, der wird auch dieses Buch mögen.

    Da stimme ich Dir völlig zu, gelernt habe ich sehr viel beim Lesen dieses Buchs und beim Diskutieren mit den anderen unserer Leserunde. Und die 635-Tage liegen schon bei mir zu Hause. :wink:

    Aber es geht mir doch wie Thalion und Klaus V. - mir hätte der historische Teil genügt. Ransmayr kann hervorragend schreiben und atmosphärisch dicht, beeindruckend und auch beängstigend die Bedingungen dieser Expedition zum Leben erwecken. Für mich hätte es diesen fiktiven Nachreisenden nicht gebraucht, um mit den Expeditionsteilnehmern mitzufühlen und zu leiden oder gar zu versuchen, ähnliches in heutiger Zeit zu erleben. Das können wir nämlich nicht.

    Die extrem gute Recherchearbeit Ransmayrs und die vielen Belege lassen alle Teilnehmer dieser Expedition bei uns Lesern wieder auferstehen und das ist etwas, was ich Ransmayr auch hoch anrechne. Er beschränkt sich nicht nur auf Payer und Weyprecht sowie ein paar Offiziere - nein, er nimmt uns mit zu allen Teilnehmern der Expedition, gleich welcher Herkunft, und widmet allen viel Aufmerksamkeit. So entsteht mehr als nur das typische Bild von Abenteuer. Danke dafür. Und die von Nungesser erwähnten Exkurse runden das Bild ab bei der Frage, warum so viele Expeditionen nach den Passagen durch die Arktis suchten, gleich ob nach Osten oder Westen.


    Dieses Buch fordert uns Leser und ich bin froh, es nicht allein gelesen zu haben. Vermutlich hätte ich sonst einiges überlesen oder nicht so intensiv recherchiert. Aber es lohnt sich trotzdem zu lesen, trotz einiger Sperrigkeit besonders was Mazzini betrifft. :)