Philip K. Dick - Die drei Stigmata des Palmer Eldritch / The Three Stigmata of Palmer Eldritch

  • Im von Paul Williams verfassten Nachwort meiner pinken Taschenbuchausgabe von "Die drei Stigmata des Palmer Eldritch" wird eine autobiografische Notiz namens "Self Portrait by Philip K. Dick" kolportiert, in der Dick - vermutlich im Jahr 1968 – eingesteht, Angst vor seinem eigenen Roman zu haben:

    Zitat

    Ich wollte einen Roman schreiben, der vom absolut Bösen in der personifizierten Gestalt eines 'Menschen' handelte. Als ich die Fahnen von Doubleday bekam, war ich außerstande, sie zu korrigieren, weil ich es nicht ertragen hätte, den Text ein weiteres Mal zu lesen, und so geht es mir heute noch.

    Dieser 1964 zuerst veröffentlichte psychedelische Science-Fiction-Roman ist wahrlich kein Leichtgewicht für Kindsköpfe, die abgedrehten Spaß mit literarischen Halluzinationen suchen.


    Zwar geht es im Kern um zwei konkurrierende Drogen, die das unerträgliche Leben der Zukunft jede auf ihre Weise zu ertragen helfen. Doch weiter mit dem Verständnis dieses komplexen, verwirrten und überhaupt total irrsinnigen Meisterwerkes kommt man wohl, wenn man ein religiöses Deutungsschema anlegt. Es kann ja nicht einfach nur um die „möglichst verrückte“ Dekonstruktion der Realität-wie-wir-sie-kennen gehen. Warum veranstaltet Philip K. Dick denn all diesen Budenzauber?


    Die Wirkung der gängigen Droge Can-D ist an den Besitz und das Benutzen gewisser käuflicher Gegenstände geknüpft: Diese miniaturisierten Layouts (Mattel-Spielwelten recht ähnlich) helfen den Menschen auf der durch Überhitzung gebeutelten Erde oder in den tristen Marskolonien, ein nostalgisches 1920er-Jahre Scheinwelt-Amerika für die Drogenrealität zu erschaffen – genau wie Kirchen, Priester oder Fetische zwischen Gläubigen und Gotterfahrung vermitteln. Die von dem mysteriösen Industriellen und Weltraumexilanten Palmer Eldritch neu auf den Markt geworfene Droge Chew-Z, die dem legalisierten Can-D-Monopol der Halluzinogen-Produzenten große Umsatzeinbußen beschert, wirkt dagegen ganz ohne Vermittlerinstanz und ermöglicht das direkte Eintauchen und visionäre Erleben diverser Parallelwelten. Das Problem ist allerdings, dass der dämonische Palmer Eldritch die Halluzinationen der Chew-Z-Konsumenten zu kontrollieren scheint. Gewissermaßen vervielfältigt er sich dadurch selber ins Unendliche, dass er im Bewusstsein der Chew-Z-Konsumenten mitmischt. Ist die machtvolle Verbreitung des Bösen gelungen?


    Die Droge scheint das Trennende zwischen Wirklichkeit und Möglichkeiten zu durchlöchern, so dass es keine klar zu trennenden Abschnitte diesseits und jenseits der Droge gibt. Was ist „wirklich“ wirklich? Es gibt anders gesagt auch kein bewusstes Aufwachen aus der Drogenerfahrung mehr – was das Bewusstseinsgefüge der ganzen Gesellschaft einigermaßen durcheinanderbringt. Manchmal verbleibt man „geistig“ mehrere Jahre in einer Drogenrealität, während „körperlich“ nur wenige Minuten vergehen! Entsprechend verworren gestaltet sich die Handlung ...


    Der Roman stößt einen vor den Kopf, liefert keine klare Antworten, lässt einen absichtlich im Ungewissen, wo, mit wem und warum gerade etwas passiert! Weil eben meistens keine leicht goutierbaren Purzelbäume geschlagen werden! Ich bilde mir auch gar nicht, irgendetwas verstanden zu haben, aber angeregt wurde ich aufs Vortrefflichste: Die drei Stigmata des Palmer Eldritch – seine mechanischen Arme, seine künstlichen Augen und seine metallenen Zähne – geistern seitdem also auch durch meinen Verstand! Alles in allem eine bestürzende Erfahrung, die ich nicht missen möchte! Ein fürchterliches, ein wunderbares Buch, das zum wiederholten Lesen einlädt. Ein augenblickliches Aufblitzen umfassender Einsichten in zu kurzer Zeit, um sie alle zu erfassen, über die Wahrnehmung der Welt, über menschliche Verzweiflung und gesellschaftliche Entfremdung.


    Und weil er so erhellend ist, hier noch der Witz mit der Katze von Seite 278f.:

    Zitat

    Eine Frau gibt eine Dinnerparty, und auf der Anrichte in der Küche liegt ein wunderschönes, fünf Pfund schweres T-Bone-Steak, das darauf wartet, gebraten zu werden, während sie im Wohnzimmer mit ihren Gästen plaudert, ein paar Drinks serviert und so weiter und so fort. Schließlich entschuldigt sie sich, geht in die Küche, um das Steak zu braten, und es ist weg. In der Küche sitzt ihre Katze und putzt sich in aller Seelenruhe das Fell. Die Gäste werden hereingerufen; sie stellen allerlei Spekulationen an; und da sitzt die Katze, satt und quietschvergnügt. Schließlich sagt jemand: „Wiegen wir die Katze!“ Sie sind schon ein wenig angetrunken; die Idee stößt auf Begeisterung. Also gehen sie ins Bad und wiegen die Katze. Sie wiegt genau fünf Pfund. Als sie das sehen, sagt einer der Gäste: „Hab ich's mir doch gedacht. Da ist euer Steak.“ Sie sind überzeugt, genau zu wissen, was passiert ist; sie haben den empirischen Beweis dafür erbracht. Doch da kommen einem von ihnen Zweifel, und er fragt: „Und wo ist die Katze?“

    White "Die Erkundung von Selborne" (115/397)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 59 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)

  • Der Originaltitel lautet "The Three Stigmata of Palmer Eldritch". Dieses Re-Issue vom Oktober 2011 hat noch ein verhältnismäßig hübsches Cover. Macht Euch ruhig auf die Suche nach alten Auflagen, die sehen fast durchweg viel toller aus!

    White "Die Erkundung von Selborne" (115/397)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 59 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)

  • Ich muss gestehen, dass ich mit Palmer Eldritch ein wenig meine Probleme habe.


    Obwohl ich ein großer Fan von Dicks Gesamtwerk bin, gibt es einige Ausnahmen mit denen ich einfach nicht warm werde. Palmer Eldritch gehört dazu, genau wie die Valis-Trilogie. Für mich schlägt da leider der "Fluch des Wissens" zu. Man hat sich in die Bio des Autoren eingelesen und reflektiert seine Werke entsprechend. Palmer Eldritch ist für mich deswegen leider nichts anderes, als die Dorgenfantasie eines psychisch schwer kranken Menschen. Mir fehlte deswegen immer die Motivation, mich weitergehend mit dem Buch auseinanderzusetzen, obwohl ich es zwei mal gelesen habe. Das ist jetzt bereits einige Jahre her und ich kann mich kaum noch an den Inhalt erinnern.
    Auch die soziologisch sehr interessante Herangehensweise an Can-D und ihre Auswirkungen, hat Dick schon einmal besser und weniger halluzinierend umgesetzt und zwar in seiner Kurzgeschichte "Zur Zeit der Perky Pat".


    Für mich eines der schwächeren Bücher von Philip K. Dick.