Kornelia Helfmann - Abgetreten

  • Worum es geht

    Ein Mann und eine Frau kehren an den Ort zurück, an dem sie vor 15 Jahren ihre Flitterwochen verbrachten. Während des Abendessens im Hotel offenbart die Frau dem Leser in einem stummen Zwiegespräch die Tragödie ihrer Ehe.

    Als junge Schwesternschülerin verliebt sich Hilde in den Jurastudenten Kurt, der aus einem wohlhabenden, aber lieblosen Elternhaus stammt. Hilde leidet noch immer unter dem frühen Tod der Mutter, doch hilft ihr ihre große, herzliche und humorvolle Familie über die schwere Zeit hinweg. Bald wird Hilde schwanger, und Kurt heiratet sie ohne Einverständnis seiner Eltern, die den Kontakt zu ihrem Sohn daraufhin abbrechen.

    Das junge Paar beschließt, die Rollen zu tauschen; während Hilde als Krankenschwester arbeitet, versorgt Kurt die gemeinsame Tochter. In den ersten drei Jahren funktioniert diese Aufteilung hervorragend. Als Nathalie in den Kindergarten kommt, kann sich Kurt allerdings nicht dazu entschließen, sein Studium fortzusetzen. Dafür greift er immer öfter zum Alkohol und vernachlässigt seine Tochter. Hilde muss zu ihrem anstrengenden Beruf auch noch die häuslichen Pflichten und die Betreuung des Kindes übernehmen. Häufig kommt es zu Streitereien, weil Kurt weder arbeiten noch studieren will. Heimlich besucht er mit Nathalie seine Eltern und behauptet ihnen gegenüber, dass Hilde nicht wolle, das er sein Studium wieder aufnimmt.

    Als Kurt seine Frau im betrunkenen Zustand mit dem Umbringen bedroht, steht für Hilde fest, dass sie handeln muss ...

    Und schon am ersten gemeinsamen Abend, der eigentlich einer neuer Anfang werden sollte, fällt die Liebe unter den Tisch:

    Zitat

    "An diesem Abend ist die Liebe gestorben, einfach unter den Tisch gefallen ist sie, ... und da lag sie nun, die Liebe, und ich habe sie zertreten mit meinen Schuhen, mit diesen altmodischen, ehemals chicen roten Lederschuhen ... aber ich hatte keine anderen, und zum Zertreten der Liebe waren sie ganz gut geeignet."

    Zitat

    "Wenn die Liebe erst mal unter den Tisch gefallen ist und dort zu Tode getrampelt wurde, dann steht sie nie im Leben wieder auf. Tot ist tot. So einfach ist das."

    Wie es mir gefallen hat

    Von der ersten Seite an hat mich Hilde mit der Erzählung über ihre missglückte Ehe in ihren Bann gezogen.

    Bildhaft habe ich die magere Protagonistin in Jeans und T-Shirt vor mir gesehen, die glatten braunen Haare zusammengebunden, die als brave Schwesternschülerin in einer Studenten-WG weder trinkt noch kifft und auch sonst nichts Verbotenes tut. Dass sie mit einem angehenden Juristen den Fehlgriff ihres Lebens macht, hätte wohl niemand gedacht, Hilde selber sicher am allerwenigsten.

    Natürlich sucht der Leser nach Gründen für den unglücklichen Verlauf dieser Liebe; dass er dabei nicht fündig wird, macht den kurzen Roman zu einer Geschichte, wie sie nur das Leben schreibt. Meiner Vermutung nach werden es wohl die anfänglichen schwierigen Bedingungen im Verein mit einem schwachen und einem zu gutmütigen Charakter gewesen sein, die das Paar letztlich scheitern ließen.

    Vortrefflich passt Kornelia Helfmann ihren Stil der Erzählerin an, die als naives Mädchen auf einen jungen Mann hereinfällt, der ebenfalls nichts Böses im Schilde führt. Als verwöhnter Sohn begüteter Eltern hat er nur nie gelernt, Verantwortung zu übernehmen und wählt immer den Weg des geringsten Widerstandes. Und Widerstand setzt ihm niemand entgegen.

    Ob ihn diese Haltung ins Verderben führt, lässt die Autorin offen, übrigens der einzige Punkt, mit dem ich nicht ganz einverstanden war. Meiner Meinung nach hat uns Frau Helfmann mit ihren Protagonisten einen Schritt zu früh allein gelassen.

    Für dieses Lesevergnügen vom Allerfeinsten gibt es natürlich auch die volle Punkezahl.