Halldór Laxness - Die Islandglocke/Íslandsklukkan

  • Inhalt: Island steht zur Zeit, in der das Buch spielt, also im 17. oder 18 Jahrhundert, unter dänischer Herrschaft, die der Inselbevölkerung gewaltige Abgaben auferlegt und sie zusätzlich durch dänisches Handelsmonopol in tiefe Armut treibt. Allerdings gibt es auch einige wohlhabende Familien, die dank ihrer guten Beziehungen zu Dänemark ihren Besitz stetig um weitere Gehöfte vermehren können. Recht und Gerechtigkeit haben es unter solchen Voraussetzungen dort nicht leicht: die armen isländischen Bauern stehen von vornherein unter dem Ruf, ein ausnahmslos unehrenhaftes, diebisches und betrügerisches Pack zu sein. Da hat man eine Anklage schnell am Hals, und Recht gesprochen wird in der Regel aufgrund des Leumunds der jeweiligen Person oder extrem zweifelhaften Zeugenaussagen.
    So kommt es, dass ein armer isländischer Bauer, Jón Hreggvidsson mit Namen, nach einem extrem undurchsichtigen Vorfall verurteilt wird, seinen eigenen Henker ermordet zu haben. Snæfriður jedoch, die Tochter des Richters, ermöglicht ihm mit einer List die Flucht nach Dänemark, wobei sie ihn darum bittet, den Assessor und Sammler alt-isländischer Schriften Arnas Araeus aufzusuchen ...



    Zum Autor:
    Halldór Kiljan Laxness ,geboren als Halldór Guðjónsson, wurde am 23. April 1902 in Reykjavík geboren und verstarb am 8. Februar 1998 in Reykjalundur bei Mosfellsbær. Er war ein isländischer Schriftsteller und wurde 1953 mit dem Weltfriedenspreis und 1955 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Zu seinen Werken zählen unter anderem Atomstation, Salka Valka, Sein eigener Herr, Am Gletscher und Das wiedergefundene Paradies.
    Interessant erscheint mir die Tatsache, dass Laxness als Anhänger marxistisch-kommunistischer Lehren in der ehemaligen DDR zuerst übersetzt wurde und dort wesentlich größere Beachtung fand als in der Bundesrepublik.




    Meine Meinung zum Buch:
    Zwei Handlungsstränge ziehen sich durch diesen historischen Roman: zum einen die Geschichte um die Person Snæfriðurs, und zum anderen das Schicksal des armen Bauern Jón Hreggvidson. Beide lassen sich nicht leicht beschreiben, was ihren Charakter angeht: der Bauer Jón scheint zum einen ein Opfer der in seinem Land herrschenden Armut, aber zum anderen ein verschlagener und respektloser Mensch, wobei dem Leser seine Respektlosigkeit sicherlich nicht immer unangebracht vorkommen mag. Die rechtliche Situation um den unseligen und alles andere als klaren Vorfall bezüglich des Todes des Henkers holt Hreggvidson im Laufe der Jahre immer wieder ein und beschert ihm jede Menge Abenteuer.
    Die Verküpfung dieses Handlungsstranges mit der Person Snæfriðurs erfolgt über die Person Arnar Arnaeus. Die beiden jungen Leute waren zusammen auf Hreggvidssons Hof aufgetaucht, um dort nach alten Pergamenten zu suchen. Schnell wird klar, dass das junge Mädchen Gefühle für Arnar hegt. Ob sich aus diesen Gefühlen im Laufe der Lektüre eine Liebesbeziehung entwickelt oder nicht, möchte ich hier jedoch niemandem vorwegnehmen. Snæfriður selbst verfügt über recht komplexe Charakterzüge: sie ist von elfenhafter und unschuldig wirkender Schönheit, verhält sich jedoch dickköpfig, unvernünftig und handelt oft genug ohne Rücksicht auf ihr eigenes Risiko. Als Leser findet man bei ihr Ehrgefühl und Ergebenheit ihrem Ehemann gegenüber, gepaart mit einer gewissen Desinteressiertheit (oder gar Unfähigkeit?) zur Haushaltsführung, dann wiederum Verschlagenheit und Tücke und Gleichgültigkeit Fragen der Ehre gegenüber. Es wurde mir manchmal nicht so recht klar, ob Snæfriður in der einen oder anderen Situation ein bisschen zu naiv oder ein bisschen zu verschlagen handelte.


    Dieser historische Roman bietet jede Menge unerwarteter Wendungen, die nicht zuletzt daher rühren, dass die Charaktere der Figuren ziemlich komplex angelegt sind. Im Falle von Snæfriður wirkt der Charakter leider zu überladen in seiner Komplexität, um auf mich glaubhaft zu wirken. Wie Laxness sie bsw. in eine Situation einbindet, in der sich ihr Vater und Arnar bereits beruflich als Gegner gegenüberstehen, indem er diese junge Dame dann auch noch in ein emotionales Dilemma zwischen beiden verwickelt, erscheint mir sowohl überflüssig als auch viel zu konstruiert: das grundlegende Problem zwischen beiden Männern wäre plausibel gewesen und hätte der Geschichte vollauf genügt, doch die zusätzliche Verflechtung mit der „lichten Maid mit dem Elfenkörper“ kommt mir gekünstelt und platt vor.


    Beim Lesen der Islandglocke bekam ich nach und nach ein grobes Bild von den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen Islands und Dänemarks, und zwar auf ziemlich unterhaltsame Weise, nicht zuletzt wegen des Humors des Autors, der sich gnadenlos durch die Kapitel zieht. Allerdings hat Halldór Laxness auch einmal in ziemlich platter Manier auf ein Gespräch zwischen dem isländischen Assessor Arnas Arnaeus und einem Deutschen zurückgegriffen, um dem Leser geschichtliche und politische Informationen zukommen zu lassen. Doch insgesamt scheint das Thema isländische Unabhängigkeit und isländischer Nationalstolz gut in die Geschichte hineingearbeitet zu sein. Die Protagonisten und einige weitere der Figuren in der Islandglocke basieren laut Übersetzer Hubert Seelow auf historischen Personen.
    Da der Roman in einer leicht altertümlich anmutenden Sprache verfasst ist, muss der Leser allerdings ein klitzekleines bisschen an Konzentration aufbringen, um den Handlungssträngen gut folgen zu können.


    Die Islandglocke von Halldór Laxness verbindet zwei durch komplexe Umstände miteinander verwobene isländische Schicksale, das eines armen hässlichen Bauern und einer schönen Tochter aus angesehenem Hause - meiner Meinung nach kein Meisterwerk, jedoch auch für einen Leser wie mich, der vom Genre des historischen Romans nicht besonders angetan ist, ein insgesamt intelligentes, unterhaltsames und informatives Buch. Von mir gibt es :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Danke für die informative Rezension.
    Das Buch könnte mir auch gefallen.


    Was ich schon immer wissen wollte: Was versteht man beim Lesegenre unter SL?

    Die Erfindung des Buchdruckes ist das größte Ereignis der Weltgeschichte (Victor Hugo).

  • Was ich schon immer wissen wollte: Was versteht man beim Lesegenre unter SL?


    Unter der Signatur "SL" werden in Bibliotheken Bücher aus dem Bereich "Schöne Literatur", also Belletristik, geführt (in unserer zumindest oder auch in der von Nürnberg bsw., ich glaube aber, dass solche Signaturen nicht in allen Bibliotheken einheitlich verwendet werden :-k )

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • ich glaube aber, dass solche Signaturen nicht in allen Bibliotheken einheitlich verwendet werden :-k )


    Bei uns läuft das auch unter "SL".

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Was für eine tolle und ausführliche Rezension. Quck gleich was die Hypocrytia noch für Bücher rezensiert hat. Ich, als grosser Fan von Island (Romane, Geschichte,Land), nehme mir das Buch auf jeden Fall vor.

  • Zu Hypocritia 's sehr guter Rezi möchte ich nur noch meine Anmerkungen ergänzen:

    Zwei Handlungsstränge ziehen sich durch diesen historischen Roman: zum einen die Geschichte um die Person Snæfriðurs, und zum anderen das Schicksal des armen Bauern Jón Hreggvidson.

    Du hast Arnar Arnaeus zwar erwähnt, aber ich würde dessen Geschichte unbedingt als dritten Handlungsstrang bezeichnen, was auch ein wenig dem Aufbau des Romans entspricht. Die Geschichte erschien zwischen 1943 - 1946 in drei Bänden und jeder Abschnitt beinhaltet eigentlich eine andere Hauptfigur. Und mir persönlich gefielen die Handlungsstränge zu Jón Hreggvidson und Arnar Arnaeus deutlich besser als der Mittelteil mit der "lichten Maid". Denn ich gebe Dir recht - deren Charakter kommt mir auch gekünstelt und überladen vor. Aber während der Gelehrte Arnar mit Árni Magnússon ein historisches Vorbild hat, und Jón Hreggvidson, der Mann aus dem einfachen Volk, ebenfalls lebte und sein Leiden in Briefwechseln festhielt, so griff Laxness bei Snæfriður auf diverse Charaktere der isländischen Sagas zurück, um die stolze Tochter aus der isländischen Oberschicht darzustellen. Da hat Laxness wohl etwas zu tief in die "Kiste mit sagahaften Vorbildern" gegriffen.

    Die Islandglocke von Halldór Laxness verbindet zwei durch komplexe Umstände miteinander verwobene isländische Schicksale, das eines armen hässlichen Bauern und einer schönen Tochter aus angesehenem Hause

    Ja, und eben die dritte Geschichte von Arnar...

    Da der Roman in einer leicht altertümlich anmutenden Sprache verfasst ist, muss der Leser allerdings ein klitzekleines bisschen an Konzentration aufbringen, um den Handlungssträngen gut folgen zu können.

    Ansonsten finde ich die objektive Beschreibung der Figuren noch erwähnenswert. Als Leser erfährt man denkbar wenig über die Gefühlswelt und Motivation der Personen. In einer Biographie über Laxness las ich, daß er hier versuchte den Stil der Isländersagas zu kopieren, der rein äußerlichen Charakterisierung, und Gedanken und Gefühle dem Leser zu überlassen. Das könnte auch ein weiterer Punkt gewesen sein, weshalb der Roman etwas altertümlich anmutend erscheint.

    Doch insgesamt scheint das Thema isländische Unabhängigkeit und isländischer Nationalstolz gut in die Geschichte hineingearbeitet zu sein.

    Und bedenkt man die Zeit, als dieses Buch erschien - zum 2. Weltkrieg - so verwundert es nicht, dass dieser Nationalroman in Island so erfolgreich wurde. Scheinbar sind diverse Zitate daraus in Island mittlerweile zu Sprichwörtern geworden ("Lieber den Schlechtesten als den Zweitbesten", oder "Ein geprügelter Sklave ist ein großer Mann, denn in seiner Brust wohnt die Freiheit").

    nicht zuletzt wegen des Humors des Autors, der sich gnadenlos durch die Kapitel zieht.

    Laxness Humor mag ich auch, und seine Romane wurden mit der Zeit immer amüsanter finde ich. Falls Du es noch nicht gelesen hast: "Am Gletscher" ist meines Erachtens in dieser Hinsicht sein bestes, also lustigstes Werk.