Andrea Maria Schenkel - Täuscher

  • Am 1. April 1922 erschüttert ein grausiger Doppelmord ganz Landshut. Elsa Ganslmeier und ihre Tochter Clara werden ermordet in ihrer Wohnung in der Neustadt aufgefunden, nachdem zwei Freundinnen mehrere Tage lang vergeblich geklingelt hatten. Besonders erschreckend ist die Brutalität mit der der Täter vorgegangen sein muss. Die Mutter wurde mit einem Knebel erstickt und bei Clara durchtrennte der Mörder die Halsschlagader mit einem Messer. Außerdem fehlten in der Wohnung mehrere Wertgegenstände. Nach Auffinden der Toten verdächtigen die Freundinnen der beiden Frauen sofort Hubert Täuscher, einen Bürstenwarenfabrikantensohn, als Mörder. Täuscher nahm bei Clara Klavierunterricht und es war ein offenes Geheimnis, dass die beiden eine Liaison hatten. Die Polizei geht diesem Hinweis sofort nach und verhaftet Hubert Täuscher sowie Luck Schinder, der als sein Komplize angeklagt wird. Bei den Verhandlungen beteuert Täuscher immer wieder seine Unschuld, wird letztendlich aber in allen Anklagepunkten für schuldig befunden und verurteilt.


    Andrea Maria Schenkel ist bekannt für die Erzählung, Aufarbeitung und Interpretation alter, bayerischer Kriminalfälle und diesem Motto bleibt sie auch mit ihrem neuesten Werk „Täuscher“ treu. Die Geschichte beruht auf dem Raubmord, der 1922 von Ludwig Eitele in Landshut begangen wurde.


    Schenkel schildert in einem sehr sachlichen Schreibstil den Mordfall und die darauf folgenden Verhandlungen. Hierbei wechselt die Perspektive recht rasch zwischen Dialogen, Zeitungsartikeln und Gerichtsprotokollen. Allerdings sind diese nicht chronologisch geordnet, sodass man immer sehr genau auf das angegebene Datum des jeweiligen Kapitels achten muss um die Orientierung behalten zu können. Dadurch gelingt es der Autorin aber eine besondere Spannung zu erzeugen. Ebenfalls sehr gut gefallen haben mir die teils dialektgefärbten Dialoge, wodurch alles noch authentischer wirkt.


    Der Autorin gelingt es durch ihre Figuren die Atmosphäre und den Lokalkolorit der damaligen Zeit in Landshut realistisch darzustellen. Gerade kam das Kino in Mode und Hubert Täuscher träumte davon Schauspieler zu werden, weshalb er von den Landshutern argwöhnisch beäugt wurde, da in dieser Zeit für Individualität kein Platz war. Wer das Traditionelle in Frage stellte, zog Misstrauen auf sich. Klatsch und Tratsch waren an der Tagesordnung und etwas wie ein Doppelmord schürte natürlich die Gerüchteküche. Jeder weiß plötzlich etwas zu dem Fall zu berichten und in Täuscher haben sie das perfekte Opfer, das seiner gerechten Strafe zugeführt werden muss, gefunden. Wenn er also wirklich unschuldig sein soll, wie er behauptet, wieso verweigert er dann zu den Vorwürfen jede weitere Aussage?


    Je länger Täuscher seine Unschuld beteuert, desto mehr Zweifel stellen sich beim Leser ein. Die Beweise, die ihn entlasten könnten, sind mehr als dürftig und doch gibt es einige eindeutige Aspekte, die genau dies beweisen könnten, denen aber nicht nachgegangen wird. Auf „neumodisches Zeug“ wie die Suche nach Fingerabdrücken, wurde verzichtet. Da der Fall größtes Medieninteresse weckte, wollte man ihn so schnell wie möglich abgeschlossen wissen. Diesen Eindruck weckt die Vorgehensweise des Gerichts beim Leser und regt zum Nachdenken an, ob man sich wirklich durch Gerüchte ein Bild von einem Menschen machen kann um ihn für sein Verhalten zu verurteilen.


    Leider hat die Autorin auf ein Nachwort verzichtet in dem sie auf ihre Gedanken beim Verfassen dieser Geschichte, die Recherchearbeiten oder auf den wahren Kriminalfall eingegangen wäre. Erst nach eigenen Nachforschungen fand ich heraus, dass dieser Raubmord damals tatsächlich in Landshut geschehen ist.


    „Täuscher“ beschert dem Leser eine ruhige, aber auch spannende Zeitreise in die Kriminalistik um 1920 mit psychologisch komplexen Handlungssträngen, durch die man zum Nachdenken angeregt wird.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Ich habe diesen Roman heute beendet, wobei ich ihn als E-Book gelesen habe. Der Rezension von @Teufelsweib möchte ich mich anschließen.


    Auch hier greift die Autorin wieder einen wahren Mordfall aus dem frühen 20.Jahrhundert auf, bleibt eng an der Faktenlage, verändert aber die Namen der Beteiligten. Die Erzählperspektiven wechseln häufig, ebenso die Zeitebenen, sodass der Leser sich konzentrieren und nach und nach alle Informationen zu einem Gesamtbild zusammensetzen muss. Erst am Ende erfährt man, wie der thematisierte Doppelmord sich tatsächlich zugetragen hat.
    "Täuscher" ist kein spannender Thriller, zeichnet sich dafür aber durch andere Qualitäten aus. Das Buch ist eher eine Art Milieu- und Zeitstudie, die eine Menge Informationen und Eindrücke über das Leben in einer bayerischen Kleinstadt im ersten Viertel des 20.Jahrhunderts vermittelt. Ein Leben, das von Klatsch & Tratsch, Vorurteilen gegenüber ungewöhnlichen Lebensstilen und einer gewissen Selbstgefälligkeit der sogenannten "anständigen" Leute geprägt ist. Auch eine gewisse geistige Unbeweglichkeit der Ermittler ist festzustellen: Wozu Beweise suchen/sichern - noch dazu mit "neumodischen" Untersuchungsmethoden wie der Analyse von Fingerabdrücken -, wenn man doch schon seine vorgefasste Meinung hat? Nur der Kriminaloberwachtmeister Huther ist mit den unvollständigen Ermittlungen unglücklich und bekommt davon buchstäblich Magendrücken.
    Interessant ist es außerdem, zu verfolgen, wie das relativ neue Medium des Films, bzw. des Kinos auf die bisher nicht daran gewöhnten Zuschauer wirkt. Es wird erörtert, ob Kinofilme sich auf die menschliche Psyche schädlich auswirken, weil diese nicht soviele Informationseinheiten verarbeiten könne, wie sie in einem Film präsentiert würden.
    Die Sprache ist hier (im Gegensatz zu den anderen Büchern von Andrea Maria Schenkel) nicht ganz so stark bayerisch geprägt, was für Leser aus nördlicheren Regionen recht angenehm sein dürfte. Dennoch transportiert sie genügend bayerisches Lokalkolorit.
    Mir hat dieses Buch, wie auch schon die vorherigen Werke der Autorin, gut gefallen, allerdings sähe ich es lieber bei den "Romanen/Erzählungen" einsortiert als bei den "Krimis/Thrillern", da letzteres zu falschen Erwartungen verleiten könnte.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Mir hat dieses Buch, wie auch schon die vorherigen Werke der Autorin, gut gefallen, allerdings sähe ich es lieber bei den "Romanen/Erzählungen" einsortiert als bei den "Krimis/Thrillern", da letzteres zu falschen Erwartungen verleiten könnte.


    :!: Thread in den Bereich Romane/ Erzählungen verschoben... :wink:

  • Thread in den Bereich Romane/ Erzählungen verschoben...


    Danke, ich hoffe, dass das jetzt nicht den Zorn mancher Leser erregt. :wink: Eigentlich gilt Frau Schenkel wohl als Autorin von "Krimis" und ihre Bücher beschäftigen sich auch mit Kriminalfällen, ja sogar mit besonders brutalen und ekligen Morden. Sie wird mit ihren Büchern auch auf der Krimi-Couch vorgestellt.
    Ich könnte mir aber vorstellen, dass das Missfallen einiger Leser auf die fälschliche Erwartung eines hochspannenden Krimis der üblichen Art zurückzuführen ist. Bei diesem Buch ist die Genre-Zuordnung wirklich schwierig... :-k

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  • Ich finde die Einordnung abseits des Krimigenres gar nicht so abwegig, eben weil es keine klassische Krimihandlung ist. Kann man natürlich so oder so sehen ;)

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