Der blinde Mörder (OT: Blind assassin)
Klappentext:
"Zehn Tage, nachdem der Krieg zu Ende war, fuhr meine Schwester Laura einen Wagen von der Brücke." Das ist der erste Satz von diesem Roman. Laura Chases ältere Schwester Iris, die mit achtzehn Jahren einen wohlhabenden und politisch einflussreichen Unternehmer geheiratet hat, jetzt aber 82 Jahre alt und verarmt ist, lebt in einer Stadt, die vor dem Ersten Weltkrieg von ihrer Familie dominiert wurde. Iris blickt auf ihr Leben und vor allem auf die Ereignisse um den frühen Tod ihrer Schwester zurück. Laura war durch die postume Veröffentlichung eines Romans berühmt geworden. Iris lebt, wie sie selbst sagt, im langen Schatten ihrer toten Schwester.
Der Roman ist sehr interessant aufgebaut, er besteht aus mehreren, abwechselnd erzählten, Handlungsebenen, es ist mir aber gar nicht schwergefallen mich zurecht zu finden.
Da ist einmal die Rahmenhandlung: die über 80zig jährige Iris in der Gegenwart der späten 90er Jahre, die ihre Lebens- bzw. Familiengeschichte niederschreibt. Sehr eindrucksvoll finde ich übrigens die Schilderungen des mühseligen Alltags der betagten Iris, die sich trotz fortschreitenden körperlichen Verfalls, einen wachen Geist u. eine große Portion Sarkasmus u. Selbstironie bewahrt hat, ihre Reflektionen zu Umwelt u. Zeitgeschehen sind einfach köstlich.
Dann das Kernstück des Romans - die in Erinnerungen an die Kindheit u. Jugend der zwei ungleichen Schwestern, an Iris unglückliche Ehejahre bis zu Lauras tragischen Tod, alles sehr ausufernd und detailreich (in Ich-Form) geschildert, ich konnte mich sehr gut in die Zeit u. das Milieu hineinversetzten.
Dazwischen geschoben werden Kapiteln aus dem Roman im Roman, der die heimlichen Treffen eines ungleichen Liebespaars zum Thema hat, der Mann erzählt seiner Geliebten immer eine barbarische SF-Story um einen blinden Mörder... wo wir beim 4. Erzählstrang wären.
Abgerundet wird alles noch durch eingestreute Zeitungsartikel u. Briefe...
Für mich war der Roman ein richtiger Lesegenuss, ein schöner dicker Schmöker, wo man so richtig in einem anderen Leben versinken kann.
Sehr angesprochen hat mich vor allem auch die klare, aber sehr poetische Sprache, mir liegt Atwoods Stil sehr.
Ein kleiner Kritikpunkt: der Schluss wird ein bisschen zu lange hinausgezögert, längst weiß der Leser ja (zumindest teilweise) was Sache ist, aber es hat mich nicht wirklich gestört, ich habe ihr ja gerne zugehört.