Ben Elton - Two Brothers

  • In den 20er Jahren erlebt die junge Familie Stengel in Berlin eine wilde Zeit. Während Wolfgang Stengel mit seiner Trompete durch die Jazz-Clubs zieht um auf diese Art und Weise Geld zu verdienen, schließt Frieda Stengel ihre Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin ab – ein Beruf, der sie schließlich zur Hauptversorgerin der Familie machen soll. Aber erst einmal entbindet sie am 24.02.1920 von zwei Jungen – Zwillingen – von denen aber einer die Geburt nicht überlebt. Da zeitgleich im gleichen Krankenhaus eine junge Frau auf dem Kindbett stirbt und ein Kind zurücklässt, dessen kommunistischer Vater bei einer der vielen gewalttätigen Auseinandersetzungen getötet wurde, wird dieses Kind Frieda angetragen, die es ohne zu zögern annimmt. Am gleichen Tag erblickt in München ebenfalls eine neue Wesenheit die Welt – eine Partei, die unter der Führung eines Österreichers Deutschlands Name in der Geschichte unvergesslich machen soll.


    Die Familie Stengel hat sehr bald Anlass sich mit dieser Partei zu beschäftigen, denn als Juden – wenn auch nicht als besonders gläubige und ritualverhaftete Juden – sehen sie sich bald im Visier bestimmter Leute und auch ihre Söhne sind dieser Gefahr ausgesetzt. Zunächst scheint aber alles einigermaßen gut zu laufen, denn sie können sich ein Kindermädchen leisten, dessen Tochter Silke bald eine eifrige Spielgefährtin ihrer Jungen wird. Als diese allerdings die Kaufhaustochter Dagmar Fischer kennenlernen, die bei ihrem Vater Klavierunterricht nimmt, orientiert sich das Interesse der beiden in diese glamourösere Richtung.


    In den folgenden Jahren wird die Situation für Menschen jüdischer Abstammung - und für viele andere – zunehmend gefährlicher und auch die Fischerfamilie sieht sich mehr und mehr Repressalien ausgesetzt, was schließlich in eine familiäre Katastrophe führt. Otto und Paulus, die beiden Stengelbrüder, nehmen sich Dagmars Sicherheit immer stärker an, werden aber selbst auch immer mehr in die Ereignisse hinein gezogen, bis Frieda und Wolfgang schließlich beschließen, ihren nicht-jüdischen Sohn über seine arischen Wurzeln zu informieren. Dieser nimmt die Botschaft nicht sonderlich begeistert auf, aber versucht dann seine Zwangsrekrutierung in eine Napola zum Erreichen einer Stellung zu nutzen, in der er seiner Familie und den Fischers helfen kann. Aber die Dinge entwickeln sich immer schneller und in einem Ausmaß, das niemand hatte vorhersehen können – oder wollen.


    1956 arbeitet Otto unter einem anderen Namen für das Britische Auslandsamt, als aus Ostdeutschland vorgeblich Dagmar mit ihm Kontakt aufnimmt. Er kann nicht glauben, dass sie das KZ und den Gulag überlebt haben soll, in der sie nach einigen Gerüchten gelandet ist, nimmt aber an, dass es sich bei ihr in Wirklichkeit um Silke handelt, die schon immer starke Tendenzen zum Kommunismus gezeigt hatte und die nun nach Auskunft des MI6 eine hohe Stellung bei der Stasi hat. Der MI6 möchte Silke nach England holen, während man vermutet, dass Otto für die Stasi gewonnen werden soll. Unter anderem auch um Klarheit zu erlangen begibt er sich nach Ostberlin und erfährt dort Dinge, die er vielleicht lieber nicht erfahren hätte.


    Über das Vehikel des Erzählens erst an eine Unbeteiligte und dann von der geheimnisvollen Person in Ostberlin an Otto erleben wir eine tragische und überaus authentisch wirkende Geschichte einer jüdischen Familie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, die stark auf den realen Erlebnis-sen der Familie Ehrenberg aus Berlin beruht, die schließlich nach Großbritannien ging, wo ein Mann der Familie mit Eintritt in die britische Armee den Namen Elton annahm – der dann später auch auf seinen Sohn Elton überging.


    Eine hervorragend erzählte und ergreifende Geschichte über den Willen zu überleben und den Versuch dabei möglichst keine moralischen Kompromisse zu machen.

  • Toll! Danke für diese Rezension. :thumleft:
    Ich kannte Ben Elton bisher nur als Autor von - tja, hier fehlen mir gerade die Worte, das treffend zu bezeichnen - vielleicht: Geschichten, die mit einer guten Prise Ironie bis Sarkasmus die Gesellschaft karrikieren.
    Dieses Buch hat ja nun eindeutig eine andere Richtung, macht mich aber auf jeden Fall neugierig und meine WuLi um einen Schatz reicher! :)

    Isenhart musste grinsen, ihre Blicke begegneten sich. "Du hast nur tausend Mal", wisperte er.
    Konrads müdes Schmunzeln wuchs sich zu einem breiten Grinsen aus. "Ich verrat dir was", flüsterte er zurück, "das ist Mumpitz."


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  • Wolfgang und Frieda Stengel sind ein ungleiches Paar - sie Tochter aus wohlhabendem Hause und Medizinstudentin, er Jazztrompeter, der auf den großen Durchbruch hofft und sich mit Auftritten in Bars und Kneipen über Wasser hält, sehr zum Leidwesen des Schwiegervaters. 1920 erwartet Frieda Zwillinge, und nachdem Wolfgang sie auf einem Gemüsekarren ins Krankenhaus geschafft hat, bringt sie zwei Jungen zur Welt, doch einer davon ist tot. Gleichzeitig hat ein anderer neugeborener Junge seine Mutter verloren, die keine Familie hatte, und so entschließen sich die Stengels, dieses Baby an Stelle des totgeborenen Zwillings zu adoptieren.


    Otto und Paulus wachsen wie Zwillinge auf, vom Wesen wie vom Aussehen her grundverschieden und doch ein Herz und eine Seele. Wolfgang widmet sich weiterhin seiner Musik, Frieda geht in ihrem
    Arztberuf auf, und die Jungen spielen und raufen mit der burschikosen Silke, der Tochter des Hausmädchens, und sind beide rettungslos in die hübsche Dagmar verschossen, eine reiche Fabrikantentochter, die bei Wolfgang Klavierunterricht nimmt.


    Dass die Stengels Juden sind und das adoptierte Kind nicht, spielt nicht die geringste Rolle. Wolfgang und Frieda sind sowieso nicht religiös und praktizieren ihren Glauben nicht aktiv. Die Jungen wissen auch nicht, dass sie keine echten Zwillinge sind. Bis Adolf Hitler und seine Nationalsozialisten die Macht an sich reißen, die Rechte der Juden sukzessive immer mehr beschneiden und in den Familienstammbäumen herumschnüffeln.


    Ben Elton entführt uns zunächst in die Roaring Twenties, wo Verzweiflung und Überschwang ganz nahe beieinander wohnen in einer Zeit politischer und vor allem wirtschaftlicher Unsicherheit. In diesem irrsinnigen Jahrzehnt bieten Wolfgang und Frieda Stengel ihren Söhnen trotz aller Widrigkeiten eine behütete Kindheit und hoffen auf eine bessere Zukunft, eine Hoffnung, die die Machtergreifung durch die Nazis auf eine viel grausamere Weise zerstört, als man es sich in den schlimmsten Träumen hätte ausmalen können.


    Was Menschen anderen Menschen im Sinne einer kruden Ideologie antun können, schildert Elton in vielen kleinen erschütternden Szenen. Das Thema der KZs und Todeslager wird nur gestreift, aber die Schikane im Alltag und die Aufstachelung der Bevölkerung gegen unerwünschte Gruppen, wie sie hier beschrieben werden, genügen, um zum einen deutlich zu machen, was für ungeheuerliche Dinge damals geschehen sind, aber auch, um dafür aufzurütteln, wie schnell so etwas passieren kann.


    Nicht hundertprozentig geglückt ist die Rahmenhandlung, in der einer der Stengel-Brüder, der nach England ausgewandert ist, erfährt, dass die für tot gehaltene Dagmar noch lebt und nach Berlin reist, um sie zu treffen - das wirkt teils etwas konstruiert und auch nicht gänzlich logisch, nimmt aber zum Glück nicht allzu viel Raum ein.


    Leichte Kost ist diese ungewöhnliche Familiengeschichte wirklich nicht. Beim Lesen hatte ich genauso oft Wut im Bauch wie Tränen in den Augen, weil Elton seine Protagonisten so glasklar beschreibt, als kenne man sie tatsächlich, und man nicht anders kann als mitzufühlen. Schade, dass es das Buch (noch?) nicht auf deutsch gibt, es hätte auch und gerade hierzulande viele Leser verdient.