John Williams - Stoner

  • Ich habe nur nicht verstanden, warum sie Stoner geheiratet hat, wenn sie von ihm nicht besonders fasziniert war.


    Liebe €nigma, ich denke, für uns heutige Frauen ist es oft gar nicht leicht, das Verhalten unserer Geschlechtsgenossinnen vor rund 100 Jahren zu verstehen. Wir sind meist unabhängig, verdienen unser eigenes Geld und heiraten den Mann, den wir auch heiraten wollen. Außerdem haben wir die Möglichkeit mit dem Auserwählten auch unverheiratet zusammen zu leben, solange wir wollen, und wenn es nicht passt, trennen wir uns ohne großen Aufwand.

    Damals war das sicher ganz anders und viele der Verhaltensweisen, die wir heute als selbstverständlich empfinden, wären unmöglich, ja geradezu ein Skandal gewesen. Die jungen Frauen aus gutem Hause saßen solange bei den Eltern, bis sie unter die Haube kamen, und haben den Angetrauten wohl oft erst in den folgenden Ehejahren so richtig kennengelernt.

    Edith war sicher immer eine dominante Person, hatte aber das Glück, mit William Stoner einen ihren Launen nachgebenden Ehemann gefunden zu haben. Wer weiß, wie das mit einem Haustyrannen ausgegangen wäre. Oft ist es ja auch so, dass der Partner die Schwäche des anderen spürt, in Stoners Fall wäre das dessen friedfertiges Verhalten gewesen, wodurch es für Edith ein leichtes war ihn unter den Pantoffel zu zwingen.

    Mir kam bloß diese unglaubliche Boshaftigkeit, die ja auch vor Grace nicht halt gemacht hat, etwas übertrieben vor. Gibt es solche Drachen tatsächlich oder muss man sie eher ins Reich der Fantasie verweisen und unter dichterischer Freiheit verbuchen?

  • Die jungen Frauen aus gutem Hause saßen solange bei den Eltern, bis sie unter die Haube kamen, und haben den Angetrauten wohl oft erst in den folgenden Ehejahren so richtig kennengelernt.

    Das ist mir schon klar. Aber solche Frauen aus "gutem Hause" bekamen meist mehrere Heiratsanträge, sodass zumindest eine gewisse Auswahl an Männern zur Verfügung stand. Im vorliegenden Roman war Edith schon von Anfang an Stoner gegenüber sehr zurückhaltend und offenbar nicht mal ansatzweise in ihn verliebt oder auch nur halbwegs an ihm interessiert. Da habe ich mich gewundert, warum sie ihn trotzdem geheiratet hat. :wink:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • ... solche Frauen aus "gutem Hause" bekamen meist mehrere Heiratsanträge

    Kann es sein, dass diese Edith keine besondere Schönheit war, und deshalb nicht besonders viele Anwärter hatte? Mir wäre vorgekommen, ich hätte das so in Erinnerung, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Nachschauen kann ich leider nicht, das war ein E-book aus meiner Bücherei.

  • Kann es sein, dass diese Edith keine besondere Schönheit war, und deshalb nicht besonders viele Anwärter hatte? Mir wäre vorgekommen, ich hätte das so in Erinnerung, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Nachschauen kann ich leider nicht, das war ein E-book aus meiner Bücherei.


    Ich habe da was anders in Erinnerung... Ich stelle das in Verbindung mit den indirekten, direkten Beschreibungen der Eltern: die Eltern wehrten sich ja anfangs fast gegen diese "Heirat" nach unten hin: sie stammten aus reichem Hintergrund, hatten vielleicht hochtrabende Pläne. Stoner entsprach dem wohl eher nicht, der arme Kauz konnte kaum eine Familie ernähren, so die Befürchtungen anfangs. Später würde Edith öfter wieder nach Hause fahren, und für länger. Sie war da in ihrem Nest.


    Doch es könnte/kann gut sein, dass ihr das zur Zeit des Hochzeitsantrages eher auf den Nerv ging: da sucht man vielleicht endlich die Unabhängigkeit vom Nest, so weich es auch sei.


    Kam Stoner zum rechten Zeitpunkt?


    Oben entstand die Frage rund um die Feststellung der so entschieden bösen Edith. Ich denke, dass das nicht dem Grundtenor des Buches entspricht. Es gibt immer wieder Momente, wo Stoner diese "andere Seite" (oder wie man sie nennen will) ausmacht. Er war zutiefst getroffen als er Edith da bei diesem Empfang erstmals sah. Auch nach all dem wirklich Bösen gab es gegen Ende nochmals eine wehmütige Note, wo er nahezu mit Rührung au Edith schaut.


    Natürlich kann man das naiv nennen oder blauäugig, doch der Mensch - auch Edith - ist komplexer und komplizierter als man so denkt.

  • Zweitens könnten Menschen, die für ihren Lebensunterhalt harte körperliche Arbeit verrichten, Beschäftigung mit Literatur überflüssig finden.

    Die Literatur habe ich nicht gemeint. Mir geht es nur um die Landwirtschaft. Stoner beginnt sein Studium doch in Agrarwissenschaften.
    Bei der "längsten Rede, die ihm sein Vater je gehalten hat" auf Seite 11 meint der Vater ja selbst:

    Der Vater hätte fragen können, was Stoner davon hält. Ob das zutrifft oder ob in der Realität nichts zu gebrauchen ist.

    Vielleicht kannst Du unter Betrachtung dieser Gesichtspunkte auch Williams Eltern etwas besser verstehen.

    Verstehen bis zu einem gewissen Punkt schon und gerade habe ich den Teil ein zweites Mal gelesen. So beklemmend wie in meiner Erinnerung ist es nicht aber wohl fühle ich mich dabei auch nicht. Die Eltern haben so eine Ehrfurcht und sehr viel Respekt vor Stoner weil er ein Studierter ist, Stoner hat Magengrummeln weil er seinen Entschluss mitteilen muss und am Ende weint seine Mutter auch noch. Das ist nicht so angenehm. Authentisch ja aber definitiv nicht mein Lieblingsteil.


    Aber daran will ich mich jetzt nicht weiter aufhängen. Es bleibt trotzdem ein gutes Buch. :)

  • Er war zutiefst getroffen als er Edith da bei diesem Empfang erstmals sah.

    Daran kann ich mich auch noch erinnern, dass ihn fast der Blitz traf, als er sie gesehen hat (aber ich weiß absolut nicht mehr, wie sie vom Aussehen her beschrieben wurde). Und öfter kommt ja auch in der Realität vor, dass man nicht versteht, warum ein sehr sympathischer Zeitgenosse ausgerechnet einen Partner gewählt hat, mit dem man selber so ganz und gar nichts anfangen könnte.
    Mein Chef hat z. B. immer behauptet, dass ein Mann immer nur diejenige heiratet, vor der er sich (unbewusst natürlich) auch ein wenig fürchtet. - Vielleicht ist es unserem William auch so ergangen ...

    Es bleibt trotzdem ein gutes Buch.

    Oder gerade deshalb; über irgendeinen Schwachsinn würden wir uns sicher nicht so lange und ausführlich unterhalten.

  • Du hast recht, Wikipedia sagt auch "1891".

    nicht mehr sie haben es ausgebessert:

    Zitat

    John Edward Williams (* 29. August 1922 in Clarksville, Texas; † 3. März 1994 in Fayetteville, Arkansas) war ein US-amerikanischer Autor und Herausgeber. Er war Hochschullehrer an derUniversity of Denver, wo er von 1955 bis 1985 Creative Writing unterrichtete.


    John Williams starb 1994 in Fayetteville, Arkansas.

    Da wäre er ja 103 Jahre alt geworden. :wink:

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Da wäre er ja 103 Jahre alt geworden. :wink:

    Nein, bei dem Geburtsjahr 1891, bei dem ich mich anfangs um 10 Jahre verrechnet hatte, ging es um die Lebensdaten des fiktiven Mr. Stoner, nicht um die biographischen Daten des Autors. :idea:


    William Stoner: 1891 - 1956
    John Williams: 1922 - 1994

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  • So, nun habe auch ich dieses tolle Buch beendet und wollte euch meine Meinung nicht vorenthalten :)



    Inhalt
    William Stoner wird 1891 als einziger Sohn einer armen Farmerfamilie geboren. Auf Drängen seines Vater zieht Stoner als junger Mann in die Stadt um Angrarwissenschaften zu studieren. Während des Studiums entdeckt er jedoch die Literatur für sich und wechselt alsbald all seine Kurse, um am Ende Professor für eben dieses Studienfach zu werden.
    Auf einer Feier lernt er seine zukünftige Frau Edith kennen. Stoner ist sofort hin und weg und nach einigen Treffen hält er um ihre Hand an. Edith nimmt, etwas sachlich, nach Zustimmung ihrer Eltern an, doch schon in den Flitterwochen zeigen sich erste depressive Charakterzüge bei ihr. Dies wird von Tag zu Tag schlimmer, und bis auf ein paar wenige, fast manisch glückliche Wochen zwischendurch verliert sie sich in ihrer Traurigkeit. Zu einer ihrer fröhlichen Zeiten zeugen Edith und William Stoner ein Kind, ein stilles Mädchen mit Namen Grace, welches Stoner auf eine liebevolle Weise großzieht. Bis zu Grace 7. Lebensjahr interessiert sich Edith kaum für das Kind, und ist mit dessen Anwesenheit überfordert, doch ab dann beginnt ihr Feldzug gegen Stoner, in dem sie ihm das Mädchen entfremdet. Stoner, der kaum damit umzugehen weiß, stürzt sich in Arbeit und freut sich über jeden Augenblick, in dem sein kleines Mädchen ihn heimlich, wenn Edith nicht hinschaut, anlächelt.


    Meine Meinung
    William Stoner, ist eigentlich ein ziemlich durchschnittlicher Mensch. Er studiert, verliebt sich, heiratet, zeugt ein Kind und wird Professor – man könnte glatt meinen, sein Leben verlaufe wie das vieler Personen und sei es nicht wert, ein Buch darüber zu schreiben, außer vielleicht aus dem Grund, dass ihm überdurchschnittlich viel schlechtes im Leben passiert ist.
    Aber so ist es nicht! John Williams hat mit diesem Buch ein sehr ehrliches Buch geschaffen, das Stoners ruhigen, harmoniebedürftigen Charakter auf eine ganz eigene Weise in Geschichten einpflicht, bei denen mir teilweise der Mund offen stehen blieb. Die Sprache ist klar und nicht allzu dramatisch, dennoch entstand beim Lesen ein Sog, der mich alles um mich herum vergessen und in Stoners Gedanken eintauchen ließ.
    Seine Frau Edith ist eine unerträgliche Frau, doch Stoner gibt die Hoffnung nicht auf, dass in ihr die Frau stecken könnte, die er einst glaubte geheiratet zu haben. In der Universität trifft er immer wieder auf Menschen, die ihm Steine in den Weg legen, Stoner aber scheint das alles kaum aus der Fassung zu bringen, so lange er seiner Leidenschaft für Literatur nachgehen kann, in der er richtig aufgeht. Er nimmt die Dinge hin, wie sie sind, versucht sich der Situation anzupassen und reagiert somit vor allem zu Beginn des Buches meist passiv.
    Trotz seiner Hilflosigkeit ist er ein Charakter, den ich schon bald ins Herz schloss. Ich hatte das Gefühl, alles mit ihm durchstehen zu müssen und so litt ich mit ihm, und freute mich noch mehr, wenn er einmal glücklich war.
    Die Stimmung in Stoner ist eher düster und ich hatte oft ein mulmiges Gefühl im Bauch. Jeder glückliche Moment Stoners ließ eine nahende negative Veränderung erahnen, denn dem Leser wird bald klar: Stoner darf wohl einfach nicht glücklich sein. Dennoch war es nicht so aussichtlos, dass ich das Buch gleich zur Seite legen wollte. Eher gehörte es einfach zur Atmosphäre des Buches, als sei dieses etwas grau eingefärbt, wie es bei einigen Filmen der Fall ist.


    Ich könnte noch einige Seiten mehr zu "Stoner" schreiben, denn es ist ein Buch, dass sich nachhaltig in meinem Kopf festgesetzt hat. Ich mache mir Gedanken um die Charaktere, den Autoren, um das, was das Buch mir eigentlich vermitteln will, und ich mache es gerne. Und das ist für mich genau das, was ein richtig gutes Buch ausmacht. So gibt es von mir: 4,5 Sterne.

  • Ich habe mir hier nun alles durchgelesen und stelle fest, dass ich teilweise zu völlig anderen Schlussfolgerungen komme - es ist immer wieder toll, was Menschen aus Büchern herauslesen. Ein Text - und unzählig verschiedene Geschichten :lol:
    Immer wieder habe ich mich beim Lesen gefragt, was diesen Menschen so nachgiebig, 'weich' und ohne jeden Ehrgeiz sein lässt, während er andererseits bei anderen wenigen Dingen unnachgiebig auf seinen Prinzipien beharrt, auch wenn sie ihm zum Nachteil gereichen. So gut wie immer verzichtet er darauf seinen Willen durchzusetzen; Wut, Hass oder Ärger sind ihm fast gänzlich fremd, obwohl er dazu vermutlich jeden Grund hätte. Doch er nimmt sein Leben an wie es kommt, sieht die vermeintlichen Beweggründe Anderer hinter ihren Handlungen, auch wenn diese noch so ungerecht und verletztend für ihn sind, denn er ist voller Liebe. Der folgende Absatz, der sich im hinteren Teil des Buches befindet, macht dies vielleicht anschaulich:
    "Auf die eine oder andere Weise hatte er sie (die Liebe) jedem Augenblick seines Lebens gegeben und sie vielleicht am reichlichsten gegeben, wenn ihm dies gar nicht bewusst gewesen war. Diese Leidenschaft war weder eine des Verstandes noch des Fleisches, sondern vielmehr eine Kraft, die beides umschloss, als wären sie zusammen nichts anderes als der Stoff, aus dem die Liebe ist, ihre ganz spezifische Substanz. Angesichts einer Frau, eines Gedichts sagte sie einfach: Sieh her! Ich lebe."
    Ein Buch über einen Menschen voller Liebe, das einen dennoch etwas traurig zurücklässt - hätte ihn etwas weniger Liebe und ein klein bisschen Egoismus nicht mehr glückliche Momente erleben lassen? Ich weiss es nicht, aber etwas mehr von Stoners Wesen täte unserer Welt sicherlich gut!

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • O Mann, welch ein Buch! :applause:


    Über Stoners Persönlichkeit wurde hier schon genug gesagt, dazu könnte ich nichts Neues sagen.
    Was Edith betrifft: Sie ist eine zutiefst unglückliche Frau (warum, darüber kann man nur spekulieren), die, wie manche unglücklichen Menschen, nur dann mit ihrem Leben klar kommt, wenn die Menschen ihrer engsten Umgebung auch unglücklich sind. Auch nimmt sie alles, was das Leben ihr an Glück bieten könnte (Kind, gesicherter Alltag, Mann, der ihr zur Seite stehen würde, wenn sie es zuließe), als Beweis, dass sie unglücklich ist und es immer sein wird. - Wünscht sich erst das Kind und überlässt es dann ihrem Mann; zwängt sich zwischen Vater und Tochter, als die Beziehung zu eng wird und sie ausschließt; macht Mann und Kind unglücklich und wird selbst nicht zufriedener.
    Zugleich braucht sie einen Schuldigen an ihrem Unglück. Wer eignete sich besser dafür als Stoner?


    Selten habe ich eine Passage in einem Roman gelesen, die eine solche Intimität widerspiegelt wie S. 249ff: Katherine und William in ihrem Zimmer, sie schreibt an ihrer Doktorarbeit, er liegt auf dem Bett und liest. Wenige Sätze, leise Sätze und dennoch: So schreibt man von Liebe.



    Ob und wie der Autor autobiographische Erfahrungen - mal abgesehen von den beruflichen - verarbeitet hat, weiß ich nicht. Aber er war immerhin viermal verheiratet, hat also mehrmals etwas zuwege gebracht, was Stoner nicht geschafft hat.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • William Stoners Lebensweg scheint vorgezeichnet. Er wächst um die Jahrhundertwende auf einer Farm in Missouri auf und ist ein karges, von harter Arbeit geprägtes Leben gewohnt. Eines Tages wird er von seinen schweigsamen Eltern die Farm übernehmen und sie weiterführen, wie es eben so Tradition ist.


    Doch dann bekommt er die Chance, auf die Universität zu gehen. Fast etwas widerwillig ergreift er sie und wählt, wie könnte es anders sein, Landwirtschaft als Studienfach. Der Literaturkurs, der zu den Pflichtfächern im zweiten Studienjahr gehört, erscheint ihm wie ein lästiges Übel, das es abzusitzen gilt - bis eines Tages der Knoten platzt und er auf einmal hingerissen ist von der großen, weiten Welt der Literatur. Er wechselt sein Studienfach, wird schließlich Literaturdozent an seiner eigenen Uni, lernt eine Frau kennen, die ihn fasziniert.


    Ein strahlend erfolgreicher akademischer Held wird aber nicht aus ihm. Die Ehe mit Edith gleicht eher einem langen, zähen Ringen als einer liebevollen Verbindung, an der Universität gibt es Ränkespielchen und Rivalitäten, seine einzige Tochter entfremdet sich unter dem Einfluss ihrer Mutter von ihm. Wirklich glücklich ist William Stoner nur sehr selten.


    So zusammengefasst klingt das alles furchtbar trist und fade, aber dieser vor wenigen Jahren erst wiederentdeckte Roman, der erstmals 1965 erschienen war, ist alles andere als das. Stoner ist keiner, der Bäume ausreißt, laut herumtönt oder sonstwie herausragt. Er gehört eher zu den Stillen, zu denen, die sich zwar nicht widerstandslos in alles fügen, was das Schicksal ihnen zumutet, aber auch nicht zu heftig dagegen aufbegehren. Er liebt die Literatur über alles und geht ganz in seinem Beruf auf, ist dafür aber oft mehr als ratlos seinen Mitmenschen gegenüber, die ihn mit ihren Launen und Intrigen überfordern.


    Diese in leisen Tönen erzählte Charakterstudie fordert den Leser auf ganz sachte Art heraus. Man muss sich schon auf die entschleunigte Erzählweise und diese Hauptfigur, die nach außen hin sehr unauffällig wirkt, einlassen wollen. Stoner erlebt einige Dramen, insbesondere, was seine Ehe betrifft, aber nicht auf plakative Art, und scheut dabei häufig die Konfrontation, wo andere sie suchen würden, um reinen Tisch zu machen. Das ist manchmal schwer zu verstehen, doch sein Charakter wirkt in sich rund und glaubwürdig. Sein Leben ist unspektakulär, man bleibt jedoch trotzdem stets neugierig, was es als nächstes bringen wird.


    Etwas problematisch empfand ich allerdings den Beginn seines Werbens um Edith. Dass zwei Menschen, die sich nur wenige Male gesehen und dabei auch noch kaum miteinander geredet haben, urplötzlich zu heiraten beschließen, wirkt selbst in der damaligen Zeit weit hergeholt.


    Das bleibt jedoch der einzige Kritikpunkt in diesem ansonsten berührenden und ansprechenden Roman, den ich allen, die Bücher über "Menschen wie du und ich" mögen, in deren Leben nicht immer alles glattgeht, warm ans Herz legen möchte.

  • Wow, hier wurde bereits ausgiebig diskutiert, und dabei sind sich alle einig, dass "Stoner" ein hervorragendes Buch ist. Da kann ich nur zustimmen, und insbesondere jene BT'ler ermutigen, bei denen das Werk noch auf dem SUB liegt, ihn demnächst zu lesen.

    Die Art wie Edith (da stimme ich Enigma zu, wenn sie die Dame als psychisch krank bezeichnet)
    Grace manipuliert, sie versucht dem Vater zu entfremden, ist schon beklemmend.

    Was Edith betrifft: Sie ist eine zutiefst unglückliche Frau (warum, darüber kann man nur spekulieren),

    Dann gebe ich doch mal meine Spekulationen zu Edith ab:


    Auf jeden Fall ist es ein tolles Buch, auch weil es nicht alles erklärt, sondern ein paar Fragen offen lässt - so ist halt das Leben.

  • Das ist natürlich eine plausible Erklärung für die schnelle Übereinkunft zu heiraten! So weit hatte ich gar nicht gedacht, obwohl für mich auch klar war, dass

  • Dann gebe ich doch mal meine Spekulationen zu Edith ab:

    Diesen Spekulationen möchte ich mich anschließen. Anders ist ihr Verhalten kaum zu erklären.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Es fällt mir schwer, in Worte zu fassen, warum mich dieser Roman so sehr bewegt hat.

    Genauso ging es mir auch. :thumleft: Eine hervorragende Rezension hast Du da verfasst, ich kann eigentlich jedes Wort unterstreichen.

    Ich bin ja fast erleichtert, dass ich nicht der einzige bin, der Stoner als einen sehr durchschnittlichen Menschen empfunden hat. Manchmal konnte ich sein Verhalten absolut nicht nachvollziehen und fand es ziemlich inkonsequent. Aber vielleicht war ja gerade das einer der faszinierenden und auch realistischen Aspekte an dieser Geschichte weil ja der Mensch an sich auch nicht immer konsequent ist und immer das gleiche, geradlinige Vorgehen an den Tag legt. Manchmal wollte ich Stoner ja schon ein wenig anschubsen, vor allem wenn es darum ging, wie seine Frau mit ihm umgegangen ist. In seinem Beruf hat er meist mehr Kampfgeist gezeigt. Wie er mit dem Lomax-Problem umgegangen ist, fand ich echt gut und auch bewundernswert, dass er so cool geblieben ist. Das "Echteste" an ihm war vermutlich seine Liebe zur Literatur. Ganz großartig fand ich übrigens noch die Abschlussszene.

    Fazit: "Stoner" war absolut klasse, nur war die Dosis zu gering und seine Geschichte hätte durchaus noch einige Seiten mehr vertragen können.

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Irgendwie skeptisch ob des Klappentextes, habe ich mehrere Versuche gebraucht um den Roman zu beginnen. John Williams ein bereits toter Autor, der 1965 diesen Roman geschrieben hatte und der irgendwie in Vergessenheit geriet. Gut, dass es 2006 neu aufgelegt wurde.

    Geschichte: 1891 wurde William Stoner im tiefsten Missouri auf einer kleinen Farm geboren. Schon früh musste er zu Hause anpacken und die karge Erde würde er normal bis zu seinem Lebensende bearbeiten. Dieser Weg schien vorgezeichnet, doch als seine Eltern ihn 1910 zum neugegründeten Landwirtschaftskolleg der University of Colombia schicken, um sich in Bezug auf Landwirtschaft weiter zu entwickeln und 4 Jahre studieren, damit er später mithelfen kann, den Boden ertragsfähiger zu machen, entdeckt er seine Liebe zur Literatur und merkt, dass er vielleicht lieber dieses Fach studieren sollte.....

    Schreibstil und Personen: Die Sprache um 1965 war schon viel reicher als die heutige und an solchen Büchern merkt man, dass unser literarisches Niveau im Rückzug begriffen ist. Stoner ist keine heldenhafter Persönlichkeit und ein sehr schwacher Mensch. Doch ist dies die Geschichte Stoners, der keine Highlights in dieser Gesellschaft setzen kann und es dauernd von allen Seiten abbekommt. Stoner ist ein Mensch mit Prinzipien, mit viel Gefühl und der sehr oft Mitleid hervorruft, obwohl er oft selbst schuld ist. Er will es wirklich jedem Recht machen und wird von der Gesellschaft bestraft. Seine Geschichte ist traurig, menschlich und doch sehr bewegend. Das Cover ist deutlich und genau: Eine Gestalt, die Undeutlich erscheint, die man sieht und die ohne einen Eindruck zu hinterlassen wieder verschwindet.

    Meinung: Ich habe gelitten und war wütend, wollte ihm immer wieder sagen, was für ein Versager er ist und doch musste ich immer weiterlesen, da ich sein Schicksal einfach immer weiter verfolgen will. Ich freue mich, als es aufblüht und endlich sein Leben genießt, doch ist endlich von Dauer ? Es rührt mich sehr und ich habe viel Verständnis aber so ein Leben hätte ich nie führen können.

    Fazit: 5 Sterne , für eine mich sehr bewegende Geschichte , die keine große Action bietet, sondern die stillen Töne und die Gefühlswelt eines durchschnittlichen Lehrers , dem fast alles misslingt, aber er immer er selbst bleibt. Es war irgendwie sehr traurig ! :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: