Stephen L. Jones – Der Bann/The String Diaries

  • Klappentext:
    Von Kind auf ist Hannah zum Überleben erzogen worden: fliehen, kämpfen, beschützen. Ihre Lehrer: drei Jahrzehnte der Angst. Dreißig Jahre voller Albträume. Doch das hier ist kein Albtraum. Es ist Wirklichkeit. Ein Mann verfolgt die Frauen ihrer Blutlinie, seit fünf Generationen, durch ein uraltes Geheimnis geschützt. Er will ihr das Liebste nehmen: ihr Kind. Und Hannah kann keinem trauen. Keinem. (Quelle: Verlagswebsite)


    Der Autor:
    Stephen L. Jones wuchs in Chandlers Ford im britischen Hampshire auf und studierte am Royal Holloway College in London. Heute ist er Leiter einer großen Medienagentur in London und lebt mit seiner Frau und den drei gemeinsamen Söhnen in Surrey. Der Bann ist sein erster Roman. (Quelle: Verlagswebsite)


    Allgemeines:
    „Der Bann“ ist im November 2013 beim rororo Verlag erschienen.
    29 Kapitel + Epilog.
    Erzählt wird in der dritten Person auf verschiedenen Zeitebenen und aus wechselnden Perspektiven.
    Der Hauptstrang spielt in der Gegenwart in Wales, eingeschoben sind Ereignisse aus der Vergangenheit.
    Das Original erschien unter dem Titel „The String Diaries“. Die Übersetzung ist von Axel Merz.


    Inhalt:
    Hannah ist auf der Flucht. Gemeinsam mit ihrem schwer verletzten Mann und ihrer Tochter sucht sie eine geheime Zuflucht in der walisischen Wildnis auf, die schon länger vorbereitet zu sein scheint. Warum und vor wem sie flieht, ist anfangs nicht klar. Klar ist nur, dass sie etwas Grauenvolles, jemand Grauenvollen fürchtet, der ihre Familie schon länger verfolgt. Seit sie ein Kind ist, ist sie auf der Hut und auf der Flucht und es scheint kein Ende zu geben. Von tiefstem Misstrauen und schrecklicher Angst erfüllt, ist Hannahs ganzes Handeln auf den Schutz ihrer Familie ausgerichtet. Dass sie sich dabei am Rand des Wahnsinns zu bewegen scheint, ist kein Wunder. Ist es Paranoia oder berechtigte Furcht vor einem Wesen, das schon seit Generationen ihre Familie heimzusuchen scheint? Wie kann sie sich, ihren Mann und ihre Tochter schützen, wenn sie auf sich allein gestellt ist? Und kann sie diesen ewigen Kampf, die ewige Flucht beenden? Das Grauen hat einen Namen: Jakab.


    Meine Meinung:
    Der Anfang ist irgendwie bizarr. Es gibt zwei Handlungsstränge, deren Zusammenhang sich erst einmal gar nicht erschließt, von denen der eine hochspannend und der andere verwirrend ist.
    Vor wem flieht Hannah mit einem schwerverletzten Mann und Kind? Warum misstraut sie allem und jedem und wagt sich nicht einmal in den vorbereiteten Unterschlupf?
    Die eingeschobene Handlung, die einen kleinlichen Streit um einen Lesetisch ca. 40 Jahre früher beinhaltet, hat mich doch einigermaßen verwirrt und befremdet. Irgendwie passte das im ersten Moment gar nicht zu dem spannenden Rest.
    Nach und nach legt sich die Verwirrung jedoch und weicht – spätestens mit dem 3. Handlungsstrang – atemloser Spannung. Ich weiß nicht genau, was ich aufgrund des Klappentextes erwartet hatte, aber es war definitiv kein Mystery-Thriller. Und so war ich sehr überrascht, als plötzlich langlebige Menschen, die auch noch ihre Gestalt wandeln können, auf den Plan traten. Aber keine Angst: es sind keine Werwölfe oder sonstige Kreaturen der Nacht, um die es hier geht. Es geht um eine besondere Art Menschen, denen ein langes Leben vergönnt ist und die die Fähigkeit haben, jede beliebige Gestalt anzunehmen. Sie lebten lange unerkannt unter uns, nur wenige wussten um sie und haben sie geduldet. Bis einer der ihren ein Verbrechen begeht, das zur Verfolgung und fast vollständigen Vernichtung der „hosszú életek“ führt. Wie man an diesem Ausdruck erkennen kann, spielt ein Großteil der vergangenen Handlung in Ungarn. Und hier muss ich auch den einzigen Kritikpunkt anführen: es wäre sehr hilfreich gewesen, die vielen ungarischen Begriffe in einem Glossar zu übersetzen. Vieles ergibt sich zwar aus dem Zusammenhang, aber die genaue Bedeutung zu kennen (ohne irgendwelche Übersetzungsprogramme bemühen zu müssen), wäre schön gewesen.


    Aber zurück zur Story: das Szenario, das Jones hier ausbreitet, ist faszinierend. Wesen, die unerkannt unter uns leben, die die Gestalt unserer Freunde, Bekannten, Familie annehmen können – das ist eine Vorstellung, die einem schon Gänsehaut bereiten kann. Je weiter die Geschichte fortschreitet macht Jones aber auch klar, dass „Anders“ nicht gleichzusetzen ist mit „Böse“. Er schildert auch die Probleme der Langlebigen, ihre Zukunftsangst, ihre Verzweiflung angesichts der fast völligen Ausrottung.
    So ist der Leser hin und her gerissen zwischen Grusel und Mitgefühl, zwischen Spannung und der Angst um Hannah auf der einen Seite und andererseits der Neugier auf die Begegnung zwischen Jakab und Hannah, auf die die ganze Story hinläuft.


    Das Ende ist aufgrund der daran beteiligten Personen schon überraschend, aber es tat mir ein bisschen leid, dass dem packenden Roman nicht ein noch furioseres Ende aufgesetzt wurde

    . Daran ändert auch der Actionfilm-reife Showdown nichts.

    Aber das tut dem Buch keinen Abbruch.
    Jones liefert ein mehr als gelungenes Debüt ab. Nach der anfänglichen Verwirrung habe ich Kapitel um Kapitel verschlungen. Die 3 Zeitebenen waren dann gar kein Problem mehr, zumal die Zusammenhänge recht schnell klar waren. Ein bisschen mehr Raum hätte ich mir vielleicht noch für Jakabs Gefühle und Gedanken gewünscht, aber generell sind die Figuren sehr gut gezeichnet. Und so mystisch die Geschehnisse daher kommen, gleitet für mich die Handlung nicht ins Übersinnliche ab. Wer weiß: vielleicht leben sie ja doch unter uns, die „hosszú életek“. Schaut eurem Gegenüber lieber tief in die Augen…
    Mir ist dieser außergewöhnliche Thriller :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb: wert, auch, weil er mich sehr positiv überrascht hat.


    Fazit:
    Ein Mysterie-Thriller, wie er sein muss: unheimlich, fremd und voll atemloser Spannung.

    Gelesen in 2024: 9 - Gehört in 2024: 6 - SUB: 626


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

    2 Mal editiert, zuletzt von Hirilvorgul ()

  • Vom Original hab ich nur eine Kindle-Version gefunden.

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    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Vielen Dank, Hirilvorgul, für die interessante Rezension. Scheint ein spannendes Buch zu sein. Ich habe das Buch mal gleich vermerkt :wink:
    Das Cover finde ich nur so furchtbar, das mit den "hellblauen" Augen :pale: Das untere sieht viel ansprechender aus

    2024: Bücher: 90/Seiten: 39 866

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
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    Dalai Lama

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    Lese gerade:

    Scalzi, John - Die Gesellschaft zur Erhaltung der Kaiju-Monster

  • Das Buch hat das unten angezeigte Cover. Das andere ist wahrscheinlich irgendeine Arbeitsversion von amazon oder so - keine Ahnung, wo die herkommt :wink: Ich finde das auch ganz schrecklich. (Obwohl die Augen was mit dem Inhalt des Buches zu tun haben, aber so gruslig sind die da auch nicht)

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    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Vielen Dank für deine Rezi, Hiri. :thumleft: Das Buch liegt auf meinem SuB und eigentlich hat es mich gar nicht so gereizt. Aber nach deiner Rezi ändert sich das nun und ich denke, ich werde es mit auf den nächsten Monats-Mini-SuB legen. :)

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Geht's nur mir so oder sieht da noch jemand Hape Kerkerling? :loool: :loool:

    Naja - jetzt wo du's sagst... :mrgreen:

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  • Geht's nur mir so oder sieht da noch jemand Hape Kerkerling? :loool: :loool:

    nur dir :P

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  • Schade, aber "Der Bann" konnte mich nicht vollends überzeugen und blieb die ganze Zeit über ein typisches Mittelmaßbuch, das aber auch Ausläufer in Richtung "das war spitzenklasse" und in "ich schäme mich fremd" hatte. So kommt unter dem Strich ein nur leidlich spannender Mysterythriller heraus, man könnte es auch in Urban Fantasy einordnen. Ein großes Problem hatte ich mit den recht blassen Charakteren, sowohl mit den "Guten" als auch mit den "Bösen". Sie blieben ganz einfach zu klischeehaft. Den Bösewicht Jakab konnte ich nicht richtig hassen und mit Protagonistin Hannah konnte ich nicht wirklich mitfiebern. Sie war eigentlich mein größtes Problem und ein typischer Charakter mit einerseits übersteigertem Selbstbewusstsein und andererseits starken Selbstzweifeln. Sie sagt zu ihrer Tochter "Sieh weg!" bevor sie einem Fiesling eins überzieht und sagt zu ihrem im Blut liegendem Mann "Oh Du, meine Liebe, mein Leben". :roll: *schüttel* Nein, Hannah ich mochte Dich nicht wirklich, Du warst mir einfach zu gut und zu perfekt. [-( Zudem löste die Geschichte nie diesen Zwang aus, zu wissen wie es weitergeht und dass man das Buch nicht weglegen kann. Nein, es war gerade so viel, dass man mit halbem Interesse weiterlesen mag, aber auch nicht ans Abbrechen denkt.
    Es gab allerdings auch positive Punkte. Zum einen haben mir die Wechsel in der Zeitebene sehr gut gefallen um den Zusammenhang herzustellen. Davon hätte ich sogar noch ein bisschen mehr vertragen können und ich war ganz enttäuscht, dass zum Ende hin fast nichts mehr aus alten Zeiten kam. Vor allem die Kapitel in Ungarn hatten es mir angetan und waren die stärksten Stellen des Buches. Als Lukacs Budapest erforscht hat, durch die Kneipen gezogen ist, Leute kennengelernt hat, sich gegen seine Familie aufgelehnt hat, wie er dann zu Erna fand...das war wirklich eine tolle Atmosphäre und ich hab es sehr genossen, diese Abschnitte zu lesen. Man konnte die Stadt regelrecht spüren. Schade, dass Stephen L. Jones dieses Niveau nicht über die komplette Geschichte halten konnte.

    Fazit:
    Spannende Abschnitte wechseln sich ab mit eher durchschnittlichen und können die schwachen Charaktere nicht ganz ausgleichen. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: