Das Urteil

  • Zitat

    Original von Heidi Hof


    Allerdings ist Kafka 1924 gestorben, da war das alles hoch aktuell :P:wink:


    Ja, stimmt natürlich. Ich denke darüber nach. Aber spontan würde ich doch sagen, dass Kafka eher seine "eigene Linie fuhr" und keine Freudschen Erkenntnisse (gerade weil sie damals sehr aktuell waren) im Hinterkopf hatte. Ich halte vorläufig mal ganz stur an meiner Alptraum-These fest.


    *Nachdenkpause*

  • Hallo!


    Ja, ich habe auch irgendwie den Eindruck, dass Kafka einfach seine eigene Situation verarbeitet hat, ohne viel Rücksicht auf irgendwelche Wissenschaften. Dass er Probleme hat, mit sich selber nicht im Reinen ist, dessen war er sich scheinbar ja bewusst. In der Schreiberei hat er wohl einen Weg gefunden, das alles los zu werden.


    Liebe Grüße!!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Leider oder Gott sei Dank, wie man es nimmt, kann ich nun folgendes schreiben:


    Aus dem Buch Franz Kafka Artimus Einführung von Wiebrecht Ries


    Im Kapitel zu "Das Urteil" S. 41


    >Niemals vorher oder nachher (...) hat Freud so uneingeschränkt über ein literarisches Werk geherrscht.<


    Dann findet man dort sehr viel über Maries Alpträume und Freuds Traumdeutung. Auch das Schema Es, Über-Ich und Ich wird behandelt.


    Zum Todesurteil steht dort:
    S. 46 >Der unwiderstehliche Drang, mit dem "es" ihn zum Wasser treibt, resultiert aus der Depersonalisation dem Zusammenbruch der Ich-Stabilität; er ist aber zugleich auch die Freisetzung eines in Georg lange unbewußt gehegten Todeswunsches.<


    Bisschen kompliziert, aber Gelehrte schreiben so :-,

  • Hallo!!


    ... jetzt wirds aber kompliziert, da hast du recht ... :lol:


    Freuds Theorie lässt passt hier ganz wunderbar, da geb ich dir Recht. Wie Puzzleteile.


    Ich frage mich jetzt Folgendes:


    Ist es jetzt so, dass Kafka sich gedacht hat: Der Freud, der hat was, das glaube ich, das leuchtet mir ein, da schreib ich jetzt ein Buch, da schreib ich jetzt eine Geschichte, in die das alles reinpasst.


    oder:


    War Kafka einfach krank, hat er sich da was von der Seele geschrieben und im Nachhinein kommen die Leute drauf, dass die Freud'sche Theorie hieauf genau passt.


    :?::?::?:


    Liebe Grüße!!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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  • Zitat

    Original von Rosalita



    Ist es jetzt so, dass Kafka sich gedacht hat: Der Freud, der hat was, das glaube ich, das leuchtet mir ein, da schreib ich jetzt ein Buch, da schreib ich jetzt eine Geschichte, in die das alles reinpasst.


    Ich halte Kafka in keiner Weise für einen, der auf einer "Welle" mitschwimmt.. Das passt nicht in mein Kafkabild ;-) Gerade WEIL alles so perfekt zusammenpassen würde.



    Zitat

    Original von Rosalita




    War Kafka einfach krank, hat er sich da was von der Seele geschrieben und im Nachhinein kommen die Leute drauf, dass die Freud'sche Theorie hieauf genau passt.


    Krank? Hmmm, ich denke, das kommt auf die Definition von "krank" an. Ich behaupte, jeder wirklich große Künstler trägt eine Portion Wahnsinn in sich. Genie und Wahnsinn eben in einem. Um mal ein Klischee zu bedienen.


    Gerade in Kafkas Werke wird so viel hineininterpretiert, dass ich es jammerschade finde, dass das alles Spekulation bleiben muss und der Meister sich nicht dazu äußern kann.

  • Zitat

    Original von Lancelot



    Genie und Wahnsinn eben in einem. Um mal ein Klischee zu bedienen.


    das meinte ich mit "krank". sorry, war vielleicht ein unpassender Ausdruck. :(


    Zitat

    Gerade in Kafkas Werke wird so viel hineininterpretiert, dass ich es jammerschade finde, dass das alles Spekulation bleiben muss und der Meister sich nicht dazu äußern kann.


    Das stimmt. So ein Abend mit Kafka, das hätte was!! :lol:

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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  • Zitat

    Ist es jetzt so, dass Kafka sich gedacht hat: Der Freud, der hat was, das glaube ich, das leuchtet mir ein, da schreib ich jetzt ein Buch, da schreib ich jetzt eine Geschichte, in die das alles reinpasst.


    oder:


    War Kafka einfach krank, hat er sich da was von der Seele geschrieben und im Nachhinein kommen die Leute drauf, dass die Freud'sche Theorie hieauf genau passt.


    Bei aller Liebe zu Freud, ich habe mich vor Jahren sehr mit ihm beschäftigt, aber ich denke eher das Letztere. Ich kann mir nicht denken, dass Kafka seine Werke irgendwo hinein quetscht, er hat seinen Seelenschmerz aufgeschrieben und es passt in dieses Bild. Vielleicht er hat unbewusst die Seelenzergliederung im Gedächtnis gehabt, denn eins steht auch fest (das steht in diesem Buch) er kannte sich mit Freud sehr gut aus. Allerdings auch mit Nietzsche (das steht auch im Buch drin).
    Somit ist unsere nächste Leserunde Nietzsche für Hesse und Kafka sehr sinnvoll ... :wink:

  • Ich schließe mich Heidi an, ich kann mir nicht vorstellen, dass Kafka sozusagen die erzählerische Umsetzung von Freuds Werken schreiben wollte, egal wie aktuell diese damals waren. Es erinnert mich ein bißchen an das, was (glaube ich) Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett über Thomas Mann sagte: Thomas Mann habe sich öfter Interpretationen seiner Werke angehört und meinte auf die Frage, ob er das damit aussagen wollte:
    "Nein, daran habe ich nicht gedacht, aber das klingt sehr interessant."
    Für mich macht das "große" Literatur auch aus, dass sie verschiedene Interpretationen zuläßt, universell ist.


    Katia

  • Ich habe gleich nach der Erzählung „Das Urteil“ „Brief an den Vater gelesen“
    Dazu sind die „Briefe an Felice“ ebenso wie auch Franz Kafka Tagebücher 1909-1923. sehr aufschlussreich.
    Die parallelen zu Kafkas Leben sind unübersehbar.
    In seinen Tagebüchern hat Kafka selbst den Bezug auf sein eigenes Leben zugestanden.


    Rosalita schreibt:

    Zitat

    Ja, ich habe auch irgendwie den Eindruck, dass Kafka einfach seine eigene Situation verarbeitet hat, ohne viel Rücksicht auf irgendwelche Wissenschaften. Dass er Probleme hat, mit sich selber nicht im Reinen ist, dessen war er sich scheinbar ja bewusst. In der Schreiberei hat er wohl einen Weg gefunden, das alles los zu werden.

    Sicher hat Kafka, ich denke jedoch, unbewusst (keine Freudschen Theorien bitte) in einem gewissen Grade die Psychoanalyse dazu benutzt um sein traumhaftes Innenleben darzustellen wie er selbst schreibt:


    „Von der Literatur aus gesehen ist mein Schicksal sehr einfach. Der Sinn für die Darstellung meines traumhaften innern Lebens hat alles andere ins Nebensächliche gerückt und es ist in einer schrecklichen Weise verkümmert und hört nicht auf zu verkümmern“. ( Kafka, Franz: Tagebücher 1909-1923. Hg. von Hans-Gerd Koch, Michael Müller und Malcolm Pasley (1997). Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag.)


    Wie wir wissen schrieb Kafka die Erzählung in einer einzigen Nacht, und versuchte sie danach selbst zu interpretieren, ohne Erfolg.


    An Felice Bauer schreibt er:
    Findest Du im ‚Urteil’ irgendeinen Sinn, ich meine irgendeinen geraden, zusammenhängenden, verfolgbaren Sinn ? Ich finde ihn nicht und kann auch nichts darin erklären. Aber es ist vieles Merkwürdige daran. ( Kafka, Franz: Briefe an Felice. Hg. von Erich Heller und Jürgen Born (1976). Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.)


    Lancelot schreibt:

    Zitat

    „Ich habe allerdings in Maries Posting einen mir sehr einleuchtenden Satz gefunden. Marie spricht von einem Alptraum. Und genau das habe ich mir bei der Lektüre gedacht: es ist alles so alptraumhaft. Vor allem der Vater, der erst als gleichberechtigter Partner, dann als hilfsbedürftiger Greis und schließlich als unbarmherziger Richter auftritt“.


    Diese Erzählung kann man sich sehr gut als Albtraum vorstellen, das Todesurteil des Vaters und seine Vollstreckung, ein Albtraum aus dem man mit Schrecken erwacht.


    Rosalita schreibt:

    Zitat

    Wenn ich jetzt den Freud-Gedanken weiterspinne, komme ich zu der Erkenntnis, dass Georg zugleich Georg (<ich>), der russische Freund (<es>) und auch der Vater (<über-ich>) ist, oder? Einen Hinweis darauf findet sich vielleicht in der Aussage des Vaters ziemlich am Schluss ("Aber der Freund ist nun doch nicht verraten" .... "Ich war sein Vertreter hier am Ort")


    Die Persönlichkeitsspaltung sind in Kafkas Erzählungen denken wir auch an den „Landarzt“ starke Motive. Es ist absolut denkbar das der Freund die verdrängte Bewusstseinseite von Georg ist.


    Die ganze Erzählung weisst auf eine gestörte Kommunikation zwischen Vater und Sohn hin, was zur Folge hat das eine Entfremdung stattfindet, ( wiederum ein Hauptmotiv in Kafkas Werken).


    Brief an den Vater:
    „Diese Deine übliche Darstellung halte ich nur so weit für richtig, dass auch ich glaube, Du seist gänzlich schuldlos an unserer Entfremdung. Aber ebenso gänzlich schuldlos bin auch ich. Könnte ich Dich dazu bringen, dass Du das anerkennst, dann wäre - nicht etwa ein neues Leben möglich, dazu sind wir beide viel zu alt, aber doch eine Art Friede, kein Aufhören, aber doch ein Mildern Deiner unaufhörlichen Vorwürfe“.


    Den wahren Aussagen und Interpretationen von Kafkas Geschichten können wir uns nur ein bisschen nähern, falls überhaupt.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Hallo Serjena, schön dass du auch mitliest!!


    Ich habe mir heute "Brief an den Vater" gekauft (ein Reclamheftchen, um EUR 3,10 ). Da werde ich noch ein bisschen reinschmökern, und dann mit der "Verwandlung" anfangen.


    Liebe Grüße!!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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